Der Weg zum Kreuz
von Manfred Wiefel (99084 Erfurt)
Predigtdatum
:
26.02.2006
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Estomihi
Textstelle
:
Amos 5,21-24
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Wochenspruch:
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. (Lukas 18,31)
Psalm: 31,2-6 (EG 716)
Lesungen
Altes Testament:
Amos 5,21-24
Epistel:
1. Korinther 13,1-13
Evangelium:
Markus 8,31-38
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 449
Die güldne Sonne voll Freud und Wonne
Wochenlied:
EG 413
oder EG 384
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt
Lasset uns mit Jesus ziehen
Predigtlied:
EG 263
Sonne der Gerechtigkeit
Schlusslied:
EG 209
Ich möchte, dass einer mit mir geht
21 So spricht der HERR: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. 22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Liebe Gemeinde!
Wer ist schon gerne Zeuge, wenn zwei Menschen, die sich sehr nahe gewesen sind, in Streit geraten? Wenn das, was einst Liebe zwischen ihnen war, Wut und Tränen und Verachtung und Hass Platz macht? Wenn nichts mehr übrigbleibt von den guten Gefühlen füreinander, die sie einst verbunden haben? Wer möchte schon Zeuge solch trauriger Entwicklungen sein?
Mir ist so, als ob der Prophet Amos so etwas mit uns tut, uns Zeuge sein lässt seiner Wut, seiner Trauer. Ich bin erschrocken und fasziniert zugleich von den deutlichen Worten und starken Bildern. Ich mag nicht sehen, hören und riechen, ich verschmähe, ich hasse euch! – sind das nicht Worte eines enttäuschten Liebhabers? Und dann so etwas noch über den Gottesdienst gesagt! Ich kann eure Versammlungen nicht riechen, weg mit dem Geplärr eurer Lieder, ich kann das Orgelgespiele nicht mehr hören?
Ich jedenfalls möchte das so nicht sagen, auch wenn ich manche Anfrage daran habe, wie wir unsere Gottesdienste feiern. Und ich vermute, ihr würdet das auch nicht so sagen. Wir kommen doch hier zusammen, weil uns der Gottesdienst lieb ist, weil uns die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen wichtig ist. Und die anderen, die nicht kommen? Die würden vermutlich auch nicht so reden, weil ihnen das Ganze gleichgültig ist. Da macht man dann keine Worte mehr drüber. Da ist ja auch keine enttäuschte Liebe mehr, so wie offenbar bei Amos, dem Propheten.
Und doch: die harten Worte des Amos kommen mir vor wie ein reinigendes Gewitter nach einer langen Zeit drückender Schwüle. Was war das für eine Gewitterstimmung, was war das für ein Konflikt, der den Propheten zu einem solchen Ausbruch treibt?
Wir wissen eigentlich nicht genug über die Lebensumstände des Propheten Amos, etwa über die sozialen Verhältnisse seiner Zeit. Aber soviel wissen wir, dass es damals wirtschaftlich aufwärts ging. Und dass die einen in dieser relativen Blütezeit immer reicher und die anderen immer ärmer wurden. Amos spricht von einer bösen Zeit. Die sozialen Ungerechtigkeiten werden immer größer, und die Bereitschaft einander zu helfen immer geringer. Die, die haben, halten krampfhaft fest, was sie haben. Die, die nichts haben, fühlen sich an den Rand gedrängt, abgeschoben, allein gelassen. Die einen können sich vieles, ja fast alles leisten und die anderen müssen sehen, wie sie über die Runden kommen.
Man ist versucht zu sagen: immer dasselbe! War das jemals anders? Damals jedenfalls nicht. Und heute doch wohl auch nicht. Die kleinen Leute sind offenbar immer die Dummen. Sie müssen ausbaden, was ihnen die Großen einbrocken. Wir können daran doch nichts ändern. Und so resignierend könnte man zur Tagesordnung übergehen. Und das hieße dann, sich nur noch um seine eigenen Sachen kümmern.
Aber genau an dieser Stelle setzt uns der Prophet Amos sein Stoppschild in den Weg. Wie könnt ihr in aller Ruhe eure Gottesdienste feiern? Wie könnt ihr eure Lieder singen? Wie könnt ihr eure Kollekten geben – ohne daran zu denken, was um euch herum los ist? Ohne zu bedenken, was in der Welt los ist? Spielt Gott bei alledem keine Rolle mehr? Ist er nicht mehr in eurer Welt?
Gott kann das nicht mehr mitansehen, wie ihr miteinander umgeht, wie ihr einander im Stich lasst, ja wie ihr Gott im Stich lasst. Wie die Regierenden das Spiel der Reichen spielen. Das ist das Ende. Gott spielt da nicht mehr mit. Das alles spricht seiner Gerechtigkeit Hohn.
Mitten in diesen Zornesausbruch hinein aber ertönt ein Wort wie in einer Vision von der Heilung dieser zerbrochenen Welt. Mitten in unsere Klage über die fehlende Gemeinschaft unter uns ist das wie ein Moment der Sehnsucht nach heiler gemeinsamer Zukunft: es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Es hört sich an, wie eine verzweifelte Bitte in einer ausweglosen Lage und ist trotzdem voller Hoffnung. Es ist der Lebensnerv unserer menschlichen Beziehungen zueinander und zu Gott: Recht und Gerechtigkeit.
Wer in der DDR aufgewachsen ist, der hat es erlebt, wie das aussieht, wenn eine Partei festlegt, was Recht ist. Und wenn man das Recht drehen und wenden kann, wie man es braucht. Es ist schon wichtig, wenn vor dem Gesetz alle gleich sind, auch die, die mehr haben und mehr scheinen wollen. Aber es ist genauso wichtig, wenn nicht gar wichtiger, dass wir zwischen gut und böse unterscheiden können. Und das scheint doch immer schwieriger zu werden, je mehr uns die Gerechtigkeit abhanden kommt: da werden Menschen überfallen und zusammengeschlagen, da wird gestohlen und gelogen, da wird betrogen und in die eigene Tasche gewirtschaftet ohne Schuldbewusstsein, so als ob jedes Empfinden für gut und böse verlorengegangen ist. Möchte man da nicht mit harten Worten dazwischenfahren, so wie der Prophet Amos?
Aber wir hören von Amos ja nicht nur harte Worte. Wir haben ja auch das weiche Wort von dem Recht, das wie Wasser strömt und der Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Wir haben einen Gott, der seine brennende Leidenschaft für die, die Unrecht leiden, erwiesen hat. Für das Volk Israel war das die Grunderfahrung der Befreiung der leidenden und versklavten Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten. Und für uns? Bei unserer Befreiung von ungerechter Herrschaft? Können wir nicht auch für uns sagen: Gott will für uns Recht und Gerechtigkeit, wie können wir da Unrecht rechtfertigen?
Wie könnten wir rechtfertigen, dass die sozial Schwächsten immer weniger bekommen und den Kräftigen in unserer Gesellschaft gegeben wird? Wie könnten wir rechtfertigen, dass die Familien mit Kindern benachteiligt werden, den anderen aber zugeschoben wird? Wie könnten wir rechtfertigen, dass in unserer Gesellschaft das Eintreten füreinander immer stärker zurücktritt hinter dem Eigennutz?
Was am Propheten Amos so faszinierend ist – ja überhaupt an den Prophetengestalten des Alten Testaments – ist, dass sie Recht und Gerechtigkeit nicht als einen Appell an die Frommen im Lande verkündigen: ihr müsst jetzt dafür sorgen. Nein, das gilt für alle, für die gesamte Gesellschaft. Recht und Gerechtigkeit sind der Lebensnerv unseres Zusammenlebens. Darum – und nun kommen die Frommen ins Spiel – sind unsere Gottesdienste zu nichts nütze, wenn sie an dieser Stelle Gott verleugnen. Unser Platz ist draußen, wo das Recht so oft mit Füßen getreten wird und die Ungerechtigkeit zu oft triumphiert. Unsere Gottesdienste werden nur dann dem harten Urteil des Propheten entgehen, wenn die Welt in ihnen vorkommt und die, die in ihr Unrecht leiden. Wie gut, dass uns einer darauf hinweist! Amen.
Verfasser: Pfr. i. R. Manfred Wiefel, Glockenquergasse 1, 99084 Erfurt
(nach einem Predigtvorschlag von Gottfried Brezger)
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Missionarisch-Ökumenischer Dienst
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