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Der Weg zum Kreuz

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 25.02.2001
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Estomihi
Textstelle : Lukas 18,31-43
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Wochenspruch:

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. (Lukas 18,31)

Psalm: 31,2-6 (EG 716)

Lesungen

Altes Testament:
Amos 5,21-24
Epistel:
1. Korinther 13,1-13
Evangelium:
Markus 8,31-38

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 384
Lasset uns mit Jesus ziehen
Wochenlied:
EG 413
oder EG 384
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt
Lasset uns mit Jesus ziehen
Predigtlied:
EG 400,4-6
Ich lief verirrt und war verblendet
Schlusslied:
EG 245
Preis, Lob und Dank sei Gott, dem Herren

31 Jesus nahm zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. 32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespieen werden, 33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. 34 Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
35 Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. 36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. 37 Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei. 38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! 39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! 40 Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: 41 Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. 42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. 43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

Liebe Gemeinde,
„Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, damit alles vollendet werde.” Als Jesus das sagte, da waren die Jünger wie elektrisiert: Jetzt ist es soweit. Jetzt nimmt er das Zepter in die Hand. Jetzt macht er den letzten Schritt, mit dem er zeigt, dass er der langerwartete Messias ist.- Jerusalem - da muss es offenbar werden, was in Galiläa immer einmal aufgeblitzt ist. Jerusalem - das ist der Ort der Entscheidung und er weiß es und suchst sie - jetzt.
Wie ein Keulenschlag hat es sie dann getroffen: Nein, dazu gehen wir nicht nach Jerusalem: das wird kein Triumphzug, an dessen Ende die Ausrufung des Messias im Tempel oder vor der Burg Antonia steht. Das ist auch nicht der Anfang der Befreiung, wie ihr sie euch erträumt. Wir gehen hinauf nach Jerusalem, damit die Schrift erfüllt - die Schrift, die ihr so oft gelesen und überlesen habt, die in unserem Volk immer wieder zitiert und doch nicht beachtet wird: Dass der Gottesknecht gefangen genommen wird, ausgeliefert, gehöhnt, verspottet und schließlich getötet. Wir gehen nach Jerusalem, sagt Jesus, damit ich dort sterbe. Das ist die Vollendung, der wir entgegengehen: Nicht ein Sieg nach blutiger Schlacht, sondern ein Sterben in Einsamkeit - hinausgestoßen aus der Stadt, ausgeliefert an die Heiden, preisgegeben und getötet am Ort der Verbrecher.
Wer sucht sich solch einen Weg schon aus? Jesus hat ihn sich nicht selbst ausgesucht. Er hat nicht sein Leben mit einer absurd-spektakulären Krönung versehen - er hat nicht das Leiden gewählt, weil er das Leben leid war. Jesus hat diesen Weg unter die Füße genommen, Schritt für Schritt, weil der Vater es so wollte. Es ist der Weg Gottes, den er geht. Es ist der Weg, den Gott in den Schriften vorgezeichnet hat. Es ist der Weg ins Leiden, das Gott ihm auferlegt hat. - Wie fremd ist uns Gott, der sich und seinem Sohn diesen Weg zumutet. Wie fremd ist uns das und wie befremdet uns das, dass es keinen anderen Weg aus der Schuldgeschichte dieser Welt heraus geben soll als dass einer sie sich selbst auflädt und trägt und das bis zum bitteren Ende durchhält.
Wundert uns das, dass die Jünger das nicht verstehen? Ja, verstehen wir es denn? Kann das überhaupt einer begreifen? Da geht einer, der leben dürfte, der die Schönheit der Schöpfung mit Augen wie kein anderer sieht, ans Kreuz? Da geht einer Schritt um Schritt auf eine Stadt zu und weiß: Dort wartet nur eines auf mich - der Tod. Dort wartet nur eines auf mich: die unermessliche Einsamkeit, dass ich die Sünden der ganzen Welt aufgebürdet bekomme, nicht meine Sünde, nein, die aller Menschen vor mir und mit mir und nach mir. Und sie werden mich in dieser letzten Einsamkeit alle allein lassen. Keiner wird das verstehen. Keiner wird das Grauen dieses Todes auch nur von ferne begreifen.
Er aber geht und hält sein Leben nicht fest und reißt keinen Tag mehr an sich: Jeder Tag ist nur loslassen, näher hintreten zu diesem Tod am Kreuz. So beginnt dieser Zug: Mit Jesus, der weiß, wohin er geht und den Jüngern, die mitgehen, ohne recht zu verstehen, wohin sie gehen und warum sie mitgehen. Und niemand, der ihn hindert. Niemand kann Jesus auf diesem Zug nach Jerusalem aufhalten. In einem anderen Evangelium wird erzählt, dass Petrus es versucht: „Weiche von mir, Satan!” herrscht Jesus ihn an. Nein, auf diesem Weg nach Jerusalem lässt er sich nicht aufhalten - nicht von guten Worten, nicht von der Lebensfreude, nicht von der Angst vor dem Tod. Denn nur so wird ja des Vaters Wille erfüllt.
Und doch - und das berührt mich tief - bleibt der Zug stehen. Jesus bleibt stehen auf dem Weg, auf dem er die Welt retten will. Er bleibt stehen bei einem, an dem alle vorübergehen. Das Volk schob sich an ihm vorbei. Es hatte nur Augen für Jesus. Und er, am Rande des Weges, er hatte keine Augen. Er konnte nicht sehen, wer da auf dem Weg war. Er konnte nur hören, nur fragen, in der Hoffnung, dass einer dem Häufchen Elend am Straßenrand Antwort gibt.
Aber dann, als er hörte, wer da auf dem Weg war, da fängt er an zu schreien: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner.” Können wir uns das vorstellen? Da geht einer seinen Weg zur Rettung der Welt, und ein Bettler schreit. Er schreit, weil er ahnt: Das ist meine Chance. Das ist die Möglichkeit für mich, der da an mir vorbeikommt, den muss ich zum Stehenbleiben bringen. Vielleicht kann er mir helfen. Vielleicht muss ich doch nicht bis ans Ende meiner Tage im Dunkel bleiben. Vielleicht muss ich doch nicht sterben als einer, der das Licht der Welt nie gesehen hat.
Liebe Gemeinde, manchmal denke ich: Wir sind wie die Jünger Jesu, die nicht alles verstehen und doch einfach treu mit Jesus gehen. Ich jedenfalls finde mich oft in den Jüngern wieder, und vielleicht geht es Ihnen auch so. Es mag aber auch sein, dass manche von uns sich in diesem Blinden wiederfinden, der zuerst nur von Jesus hört und dann das Schreien anfängt. Das ist etwas Tolles, wenn ein Mensch seine Chance beim Schopf packt, wenn er sich nicht aufhalten und hindern lässt von den anderen, die ihn ruhig machen wollen, die ihn beschwichtigen wollen, die nicht gestört werden wollen.
Das kennen wir doch nur zu gut: Wenn unter den Konfirmanden einer anfängt, intensiv nach Jesus zu fragen, dann sind die anderen schnell bei der Hand: ‚Was? Willst du frömmer sein als Wir? Willst du dich beim Pfarrer lieb Kind machen? Komm, lass doch und übertreibt nicht so.’ Oder wenn eine am Arbeitsplatz nicht mehr alles gutheißt und mitmacht, weil sie von Christus angerührt ist, heißt es leicht: ‚Was ist denn mit dir los? Früher warst du doch ganz vernünftig?’
Das macht auch vor der Kirche nicht halt: Wer anfängt, radikal nach Jesus zu schreien, der kann es erleben, das er mitten in einer frommen Gemeinde auf einmal schief angesehen wird: ‚Das gehört sich doch nicht - was hat das Geld mit der Nachfolge zu tun? Was hat die Frage der Fremdenfeindlichkeit mit der Nachfolge zu tu?’ ‚Was hat der Tierschutz mit der Nachfolge zu tun?’ Es sind nicht immer die draußen, die einen Blinden hindern, zu Jesus zu kommen. Es können auch die sein, die mit Jesus auf dem Weg sind.
Aber Jesus hört das Schreien dieses Menschen. Er hört es, obwohl die Jünger abwiegeln. Er hört es, obwohl er doch auf diesem schweren Weg ist. Er hört es, das Schreien eines Einzelnen, obwohl er doch auf dem Weg der Rettung der ganzen Welt ist. Sehen sie, das ist für mich so wichtig: Jesus bleibt auf diesem Weg stehen um eines Menschen willen, der nach ihm schreit. Er rauscht nicht mit einer wichtigen Wagenkolonne vorbei, unterwegs zu großen Aufgaben. Er schickt auch keinen Public relations Mitarbeiter zur Imagepflege - er selbst bleibt stehen!
Was hülfe es denn auch, wenn er die ganz Welt rettete und dabei diesen einen Blinden verloren bleiben ließe in seinem Dunkel! Seht: Das ist Evangelium, gute Nachricht, dass Gott die Welt nicht anders retten will, als dass er Einzelne, mich und Dich wahrnimmt und rettet. In einer Welt in der alles und jedes nur noch unter dem Stichwort „globale Interessen” gesehen wird und damit immerzu das Zurücktreten des Einzelnen mit seinen Lebensträumen gefordert wird, klingt es hier anders: Wer einen einzelnen Menschen rettet, der rettet in ihm die ganze Welt.
Was willst du, dass ich dir tun soll? So fragt Jesus. Er, der für seinen Weg nur nach dem Willen des Vaters fragt, fragt nach dem Wunsch dieses Bettlers. Damit gibt er ihm den Weg frei, seine Lebensnot zu sagen. So ist Jesus. Er schreibt uns nicht vor, was wir zu wünschen, zu hoffen, zu ersehnen haben - er hilft uns, das wir ihm die Hoffnungen und Sehnsüchte unseres Lebens sagen können.
So steht Jesus auch immer wieder vor uns. Vor uns an den Plätzen unseres Lebens: Was willst du, dass ich dir tun soll? Da fallen uns dann so viele oberflächliche Dinge ein, aber wir wissen nur zu gut: Das alles brauchen wir nicht. Und wenn wir dann in unserer Seele ein Stück tiefer gehen, dann steht jeder und jede schließlich an der Stelle, wo die letzte Not und die letzte Hoffnung unseres Lebens ist. Und das - so möchte ich es heute sagen - ist der Punkt, an dem Jesus uns helfen will. Das ist der Punkt, an dem wir ihn erfahren dürfen.
Diese letzte Lebensnot war bei dem Blinden das Dunkel seines Lebens. Sie mag bei jemand unter uns eine Krankheit sein. Sie mag bei jemand anderem das sein, dass er mit sich selbst nicht wahrhaftig umgehen kann. Sie mag bei wieder einem anderen das sein, dass in der Seele ein tiefer, bitterer Groll gegen einen Menschen sitzt. Was auch immer die tiefste Not unseres Lebens ist - wir dürfen sie Jesus sagen. Er bleibt bei uns stehen, die wir vorhin gerufen haben: Herr erbarme dich. Er hört diesen Ruf wirklich - es ist ihm mehr als nur ein liturgisches Stück!
Und er antwortet auf diesen Ruf: Herr erbarme dich. Im dunklen Leben des Blinden macht Jesus Licht. Das ist wie ein Versprechen an uns: wo einer oder eine sich so in seine Hand gibt wie dieser Blinde, da macht Jesus Licht. Da macht er hell, da schenkt er mitten in das Dunkel des Lebens hinein sein Heil.
Jesus geht nach Jerusalem, um dort zu leiden und zu sterben. Aber er reißt nun nicht alles mit in dieses Leid. Er macht auf dem Weg Menschen heil und ihr Leben hell. Dazu geht er ja diesen Weg: damit Leben heil und hell wird. So ist diese Heilung unterwegs zugleich ein Hinweis auf das Ziel dieses Weges: es soll hell werden über der Welt und Leben soll heil werden.
In diesem Heilen geschieht etwas: Der Blindgewesene kann nicht anders, er muss mit Jesus gehen. Kein Wort hat Jesus darüber verloren. Kein Wort des Befehls hat er ihm gesagt. Erlöst aus dem Dunkel seines Lebens wird er zum Nachfolger. Erlöst aus dem Dunkel seines Lebens findet er einen neuen Weg, den er geht und das Licht der Welt vor Augen hat.
Die Heilung dieses Blinden vor Jericho ist die letzte Heilung, die Lukas erzählt. Und ganz verhalten mag dabei auch mitklingen: Damit Du sehen und erkennen kannst, was da jetzt auf dem Weg nach Jerusalem und in Jerusalem geschieht, müssen Dir die Augen geöffnet werden. Damit Du erkennen kannst, dass hier nicht der große Irrtum Gottes inszeniert wird, sondern das Heil der Welt und deines Lebens gewonnen wird, müssen Dir die Augen geöffnet werden. Wenn Dir aber die Augen aufgehen für das Heil, für das Licht der Welt, dann wirst Du nicht mehr anders können als nachfolgen. Amen.

Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

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