Die ewige Stadt
von Ekkehard Landig (35305 Grünberg)
Predigtdatum
:
21.11.1999
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Letzter Sonntag des Kirchenjahres: Ewigkeitssonntag
Textstelle
:
Lukas 12,42-48
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Wochenspruch:
Laßt eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen. (Lk. 12,35)
Psalm: 126 (EG 750)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 65,17-19 (20-22) 23-25
Epistel:
Offenbarung 21,1-7
Evangelium:
Matthäus 25,1-13
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 150
Jerusalem, du hochgebaute Stadt
Wochenlied:
EG 147
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Predigtlied:
EG 351
Ist Gott für mich, so trete
Schlußlied:
EG 533
Du kannst nicht tiefer fallen
Liebe Gemeinde,
wir sind heute am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Ewigkeitssonntag, besonders mit den Gedanken an all die Menschen beschäftigt, die im vergangenen Jahr gestorben sind.
In den Predigttexten dieses Sonntags geht es immer wieder um dieses Thema, das die meisten von Ihnen in der eigenen Familie im vergangenen Jahr erfahren haben. Mit jedem Sterben und jedem Tod begegnen wir einer Grenze in unserem Leben, und unwillkürlich stellt sich die Frage: Wie gehen Menschen mit dieser Grenze des Todes um - nehmen sie sie bewußt in ihr alltägliches Lebenskonzept hinein oder verdrängen sie diese Grenze. Das Sterben und der Tod ist ein ganz wichtiger und entscheidender Teil unseres Lebens, so paradox sich das anhören mag. Auch das Sterben ist ein Teil unseres Lebens, und ohne den Tod würde ein wesentliches Merkmal menschlichen Lebens - eben die Begrenztheit - fehlen.
Im heutigen Predigttext hören wir ein Gleichnis für das Kommen Christi. Und es wird verstanden als eben solch eine Grenzerfahrung, auf die es ankommt. - Lebe so, daß du das Kommen Christi erwarten kannst:
42 Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? 43 Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. 44 Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. 45 Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, 46 dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.
47 Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen. 48 Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.
Lukas berichtet ein Gleichnis. Das Kommen Christi am Ende der Zeit wird verglichen mit dem Kommen eines Herrn zu seinen Knechten. Das spiegelt die alltägliche Lebenswelt der Zuhörer Jesu wieder. Schauen wir genau hin, dann gibt es sogar noch eine Abstufung unter den Knechten. Da gibt es welche, die vom Herrn ausgewählt wurden als Verwalter. Ihnen ist eine besondere Verantwortung übertragen worden. Sie sind als Haushalter des Herrn eingesetzt worden. An diesem Auftrag und an dieser Verantwortung messen sich dann auch die Konsequenzen bei der Rückkehr des Herrn. Wer die Verantwortung der Haushalterschaft, die ihm übertragen wurde, mißachtet, wird mit Konsequenzen rechnen müssen. Mehr als derjenige, der vielleicht das gleiche getan hat, aber sich seiner Verantwortung nicht bewußt war. Wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern- endet das Gleichnis Jesu.
Was soll nun dieses Gleichnis heute am Ewigkeitssonntag für eine Bedeutung haben? Ich will zwei Schwerpunkte herausheben. Der erste ist mehr auf unsere eigene Lebensgeschichte ausgerichtet. Der zweite richtet sich auf unser Zusammenleben in der Gesellschaft.
Zum ersten: In diesem Gleichnis wird eindeutig gesagt: Verantwortlich leben bedeutet auf das Kommen eines Endpunktes gefaßt zu sein. Hier ist das Kommen Christi, das als Zeit der Abrechnung und Verantwortung geglaubt wurde. Damals hatten sich die Christen in der ersten und zweiten Generation nach Jesus das ganz real vorgestellt. Sie rechneten fest damit, daß noch zu ihren Lebzeiten Christus der Auferstandene wiederkommen würde. Sie lebten in einer Naherwartung. Für uns heute ist solch ein Endpunkt eher anders zu beschreiben. Das Kommen Christi erwarten wir am Ende der Zeiten, und das Ende der persönlichen Lebenszeit ist nun einmal das Sterben und der Tod.
Verantwortlich leben bedeutet auf das eigenen Sterben gefaßt zu sein.
Im Mittelalter haben Menschen sich darüber sehr viele Gedanken gemacht. Man sprach von der ars vivendi- der Kunst zu leben, und diese war immer gepaart mit der ars moriendi - der Kunst zu sterben. Wo Menschen nicht bewußt mit ihrem Leben umgehen, werden sie auch nicht bewußt mit ihrem Sterben umgehen können, das war der Leitgedanke, der dahinterstand. Ich glaube, in unserer neuzeitlichen Welt ist uns vieles von solch einem weisen Umgang mit Leben und Sterben verloren gegangen. Immer mehr Menschen scheitern in diesem Leben, und immer Menschen verdrängen ihr Sterben und ihren Tod. Beides steht in einem eigen Zusammenhang.
Die meisten von ihnen, die heute in die Kirche gekommen sind, wurden im vergangenen Jahr mit Sterben und Tod in der eigenen Familie konfrontiert. Sie haben erlebt, wie das in einer Zeit ist, die den Tod verdrängt.
Ich will nur ganz kleine Beispiele nennen, die mir während des Jahres aufgefallen sind. Immer öfter, wenn wir mit dem Sarg vom Trauerhaus zum Friedhof gehen passiert es, daß Autos nicht mehr anhalten. Mehr oder minder hastig wird der Trauerzug überholt. Der Tod wird verdrängt, es zählt die Zeit. Falls sie selbst einmal in die Situation kommen. Halten sie doch einfach an, stellen den Motor ab und gedenken des Todes. Des eigenen Todes, der am Ende ihrer Zeit stehen wird. Diese zwei Minuten werden sich lohnen, mehr als die zwei Minuten die sie, ohne sich Zeit genommen zu haben, eher am Ziel ankommen.
Wie sehr Tod verdrängt wird, beobachte ich auch, wenn Krebs nicht mehr Krebs genannt wird, sondern nur „die Krankheit“. Ich beobachte es, wenn es anscheinend für Menschen immer schwerer wird, mit Grenzen im Alltag zu leben und dabei das Loslassen zu üben. Das Loslassen, das am Ende des Lebens ganz brutal gefordert wird. Schauen sie einmal, wie wenig eingeübt wir sind im Einhalten von Grenzen. Das fängt an bei Geschwindigkeitsbegrenzungen, Wachstumsgrenzen, Grenzen der Belastbarkeit und Kraft und und und. Verantwortliches Leben bedeutet auf das Kommen von Grenzen gefaßt zu sein, auf das Kommen einer endgültigen Grenze. Jesus sagt: „Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr‘s nicht meint.“ Die Grenze des Todes zu akzeptieren fordert von uns ein bewußteres Leben - und zwar jetzt, nicht irgendwann erst.
Der zweite Schwerpunkt dieses Gleichnisses ereignet sich eher auf der Ebene unseres Zusammenlebens in der Gesellschaft. Das Gleichnis sagt ganz direkt: Ihr als Gemeinschaft von Christen seid die Haushalter Gottes. Euch ist eine große Verantwortung übertragen. Mit den Gaben Gottes sollt ihr haushalten. Im ganz persönlichen Rahmen habe ich schon angedeutet, was das bedeutet- wir sollen mit der Spanne Zeit, die uns gegeben ist, verantwortlich umgehen im Bewußtsein, daß wir sterben müssen. Und im großen Rahmen unserer Gesellschaft und Welt sollen wir so leben, daß wir auch dort verantwortlich mit den uns anvertrauten Gaben umgehen.
Das geschieht so nicht: Mit der Schöpfung gehen wir im 20. Jahrhundert so um, als würde uns niemand zur Rechenschaft ziehen, in unserem Wirtschaften auf Kosten der Menschenrechte leben wir ohne Rücksicht auf die Folgen. Uns wir z.Zt. schmerzhaft bewußt, daß wir in unserem Wachstumsdenken im privaten, wie gesellschaftlichen nur eine Devise hatten: Mehr, mehr, immer mehr. Rücksicht auf die Folgen gab es nicht. Unter Haushalterschaft versteht dieses Gleichnis etwas anderes: Leben in dem Bewußtsein, daß es Grenzen gibt. Und uns Christen ist dieses Bewußtsein in die Taufe gelegt. Uns ist viel gegeben, von uns wird aber auch viel gefordert: Nämlich ein verantwortliches Leben.
Der russische Schriftsteller und Dichter Leo Tolstoi hat einmal in einer eindrücklichen Geschichte beschrieben, was wohl für viele Menschen unserer Zeit und wohl auch für viele Bereiche unserer Gesellschaft gilt. Ich will ihnen diese Geschichte kurz erzählen:
In der Erzählung „Wieviel Erde braucht der Mensch“ beschreibt Tolstoi das Schicksal des Bauern Pachoms. Angestachelt durch die Prahlerei der städtischen Verwandten, die sich so viel mehr leisten können, wird er unzufrieden über das wenige Land, das er besitzt. Hätte ich so viel Land, wie ich haben möchte, täte ich mich vor keinem Teufel fürchten. Als Land in der Nachbarschaft verkauft wird, kauft er ein großes Gut zusammen. Aber er wird nicht zufriedener. Der Neid und die Angst regieren in seinem Herzen.
Eines Tages hört er, das immer mehr Bauern auswandern in eine Landschaft, in der man nicht eng beisammen wohnt, wo das Land reichlich und billig ist, und wo jeder soviel bekommen kann, wie er will. Er verkauft sein Gut, nimmt all seine Habe. Pachom und seine Familie lassen sich in einem großen Dorf im neuen Land nieder. Das Leben ist zehnmal besser hier als früher. Weideland hat er und Ackerboden mehr als genug. Und Vieh konnte er halten soviel er wollte.
Anfänglich, solange er baute und sich einrichtete, kam ihm alles schön und gut vor. Als er sich dann aber eingelebt hatte, kam es ihm auch hier zu eng vor. Das erste Jahr säte er Weizen aufs Brachland. Die Ernte war gut. Da bekam er Lust, noch mehr Weizen zu säen aber es war zuwenig Brachland da. Er pachtete Land. Aber es war 16 km weit von seinem Land entfernt. Er pachtet in der kommenden Zeit immer mehr, aber wieder gibt es Streit um das gute Land.
Glücklich wird Pachom nicht. Er grübelt, wie er wohl eine große Menge Erbland erwerben kann. Eines Tages kommt ein durchreisender Kaufmann zu ihm. Der Kaufmann erzählt, er kommt gerade aus dem Land der Baschkiren und habe dort 5000 ha Land gekauft. und alles für Tausend Rubel. „Du mußt es nur ein bißchen geschickt anstellen, dann bekommst du alles was du haben willst.“ Weiter sagt er: „die Leute dort sind dumm, wie die Hammel, sie geben alles fast um sonst her.“
So dachte Pachom, warum soll ich hier für 500 ha. tausend Rubel zahlen und dabei noch Schulden machen, wenn ich dort für das selbe Geld Gott weiß was alles bekomme. Pachom macht sich auf die Reise und kommt ins Land der Baschkiren. Er überhäuft sie mit Geschenken, sie freuen sich. Eines Tages sagt der Dolmetscher zu ihm: „Ich soll dir sagen, daß sie dich liebhaben und es bei uns Sitte ist, dem Gast jede Freude zu bereiten und seine Geschenke zu erwidern. Du hast uns beschenkt, drum sage jetzt, was dir bei uns am meisten gefällt und was wir dir geben können“ Pachom überlegt nicht lange: „Das Land“ sagt er.
Die Baschkiren lachen und verständigen sich, ohne das Pachom es versteht. „In Ordnung“, sagen sie , „du bekommst soviel Land wie du willst. Wir müssen noch den Ältesten fragen.“ Auch der Älteste nickt und sagt: „Ja, das läßt sich wohl machen.“ Pachom will wissen, wie es abgegrenzt und bemessen wird und was es kostet. Der Älteste spricht zu ihm: „Wir haben nur einen Preis: Tausend Rubel für den Tag.“ Pachom versteht nicht. was ist das für ein Maß? Ein Tag? Wieviele Ha werden das sein?- „Das können wir nicht ausrechnen“, sagt der Älteste. „Wir verkaufen nach Tagen. Und soviel Land du an einem Tag umgehst ist dein, und der Preis für den Tag ist tausend Rubel.“
Pachom ist begeistert. Er legt sich früh schlafen, um am nächsten Morgen zeitig aufbrechen zu können. Aber er schläft nicht gut. Er träumt, daß vor einem Zelt die Baschkiren sitzen und sich die Bäuche halten vor Lachen. Als er genauer hinschaut, sieht er den Teufel neben einem Mann nur in Hemd und Hose, ohne Schuhe sitzen. Der Man ist tot, und der Mann ist er selber. Am nächsten Morgen hat er den Traum vergessen. Der Markstein wird gesetzt. „Von hier gehst du los, zu diesem Stein kehrst du zurück Alles, was du dann umlaufen hast, gehört dir.“
Pachom läuft. Schnell und hastig zunächst, mit der Zeit immer schwerer. Das Gehen wird ihm sauer. Als die Sonne im Zenit steht, schmerzen ihn schon alle Glieder, er ist durstig. Doch er will noch nicht umkehren, vielleicht verschenkte er einen Ha. Er läuft und läuft.
Mit einem Mal sieht er, wie die Sonne sich dem Horizont zuneigt. Und er beginnt zu rennen. Er fragt sich, habe ich doch alles falsch gemacht, bin ich zu gierig gewesen? Er wirft die Flasche mit dem Trinken und seine Jacke weg und wird immer hastiger. Land habe ich genug, denkt er - gebe Gott, daß ich darauf leben kann. Die Sonne sinkt immer weiter. Pachom denkt: ich schaff‘ es nicht mehr, die letzten Meter. Die Baschkiren sind lachend um den Stein herum versammelt. Er schafft es im letzten Moment. Er sinkt neben dem Stein zusammen. Und der Älteste sagt: „Ein wackerer Mann, du hast viel Land erobert.“
Doch als die Knechte Pachom aufheben, läuft im das Blut aus dem Gesicht. Er liegt da und ist tot. Pachoms Knecht nahm die Hacke und gräbt ein Grab für ihn. Es ist drei Ellen lang, gerade so groß, wie er selber, von Kopf bis zu den Füßen. Soviel Erde braucht ein Mensch.
Liebe Gemeinde!
Nehmen wir das am Ewigkeitssonntag mit: Man muß so leben, als habe man nur noch eine Stunde Zeit und könne nur noch das Allerwichtigste erledigen. Und gleichzeitig so, als werde man das, was man tut, bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Amen.
Verfasser: Pfr. Ekkehard Landig, Schulstr. 16, 35305 Grünberg
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