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Die ewige Stadt

von Ingrid Volkhardt-Sandori (35447 Reiskirchen)

Predigtdatum : 21.11.2010
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Letzter Sonntag des Kirchenjahres: Ewigkeitssonntag
Textstelle : Offenbarung 21,1-7
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Wochenspruch:

„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen." (Lukas 12, 35)

Psalm: 126 (EG 750)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 65, 17 - 19 (20 - 22).23 - 25
Epistel:
Offenbarung 21 , 1 - 7
Evangelium:
Matthäus 25, 1 - 13

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 432
Gott gab uns Atem
Wochenlied:
EG 147
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Predigtlied:
EG 154
Herr, mach uns stark
Schlusslied:
EG 590
Herr, wir bitten: Komm und segne uns

Vorbemerkung:

Die Gemeinde, die den Gottesdienst am Ewigkeitssonntag besucht, ist in unterschiedlichen Phasen der Trauer. Einige werden den Verlust eines nahen Angehörigen schon etwas verarbeitet haben, für andere liegt der Todesfall zeitlich oder emotional noch zu nah.
Sie alle werden mit einem Predigttext konfrontiert, der aus einem ganz anderen Zusammenhang stammt und trotzdem einen Weg andeutet, wie Trauer bewältigt werden kann.

Die Predigt bringt die Lebenslage der Trauernden, die Rituale und Bräuche am Grab und auf dem Friedhof und die Vision der Offenbarung miteinander in Verbindung. Dabei soll der Blick der Gemeinde auf das Leben und auf die Lebensmöglichkeiten in der Trauer gerichtet werden.

Predigttext:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Kind sein.



Liebe Gemeinde,

„das Gefühl der Taubheit und Lähmung lässt langsam nach. Dafür habe ich jetzt manchmal brüllende Sehnsucht nach meiner Tochter.“

So beschrieb die Schauspielerin Petra Schürmann ihre Trauer, nachdem ihre Tochter tödlich verunglückt war. Sie hat damit etwas ausgesprochen, was sicher viele Trauernde bewegt, etwas, das man vielleicht kaum einem Menschen anvertrauen kann. Wie sehr es uns aus dem Gleichgewicht bringen kann, wenn ein naher Mensch stirbt; wie viel Kraft es kostet, das Gleichgewicht dann wiederzugewinnen.

Petra Schürmann ist das gelungen. Mit der Zeit ließen die Trauer und die Sehnsucht nach, aber ein Teil ihres Wesens blieb untröstlich, bis sie selbst vor einigen Monaten starb.
Diese brüllende, im Grunde untröstliche Sehnsucht ist das Thema unseres heutigen Predigttextes.

Das Buch der Offenbarung wurde für eine Gemeinde geschrieben, die in einer trostlosen Lage war. Der römische Kaiser Diokletian, der damals regierte, versuchte dem Christentum mit Gewalt ein Ende zu machen. Deshalb hofften die damaligen Christinnen und Christen, dass sich die Zeiten bald ändern würden, und unser Text führt sie auf einen Weg, auf dem ihre Sehnsucht nicht beschwichtigt, sondern in die Weite geführt wird - durch noch größere Sehnsucht.

„Die Zeit heilt Wunden“, „das Leben geht weiter“- so versuchen wir, uns und andere zu trösten, wenn ein lieber Mensch gestorben ist. Und natürlich stimmt das auch oft: Eine Frau, die Witwe geworden ist, freut sich umso mehr über das Enkelkind, lernt mit ihm wieder lachen. Für einen Witwer ist es der tägliche Weg auf den Friedhof, der Jahreslauf der Blumen und Pflanzen, der lebendige Baum neben dem Grab, die Vögel in seinen Zweigen.

Für viele ist es schön ein Grab zu schmücken, es hilft Blumen in die Erde zu pflanzen und sich dabei auf die Wurzeln zu besinnen, die uns halten.

Während die Angehörigen graben, pflanzen und gießen, sucht sich die Trauer einen Weg zurück zum Leben, lässt die Zeit für sich arbeiten: Den Tagesrhythmus, den Jahreslauf, die alten oder neu gefundenen Gewohnheiten.

Das Leben geht an vielen Stellen weiter, als ob nichts gewesen wäre, und wir können uns dem Fluss des Lebens anvertrauen und ein Stück weiter tragen lassen.

Aber es bleibt oft ein Rest zurück, der sich nicht trösten lässt, der sich nicht beruhigt. Es kann sein, dass der Verlust unvermittelt kam. Es kann sein, dass ungelöste Probleme zurückgeblieben sind, ein alter Streit, ein verletzendes Wort, das sich jetzt nicht mehr zurücknehmen lässt. Es kann sein, dass nach einem tödlichen Unfall die Welt einfach nicht mehr ins Lot kommen will.

Und auch, wenn ein Todesfall ganz ohne dramatische Begleitumstände geschehen ist: Die Verstorbenen fehlen ja den Menschen, mit denen sie gelebt haben, den Verwandten und Freunden, den Nachbarinnen und Nachbarn.

Manche haben vielleicht im Streit mit ihren Familien gelebt, und auch sie fehlen. Der Abschied von Menschen, mit denen wir gestritten haben, will auch bewältigt werden und braucht auch seine Zeit.

Sie, liebe Gemeinde, haben eine wichtige Station der Trauer schon durchlebt, nämlich die Beerdigung. Der Sarg, die Urne ist der Erde anvertraut worden und mit dieser Handlung kom-men viele Gedanken, Sorgen und Grübeleien zur Ruhe.
Seitdem ist Zeit vergangen, und sie hat einige Wunden geheilt. Aber sicher nicht alle. Oder nicht so ganz. Oder nur sehr langsam.

Der Fluss des Lebens fließt weiter, aber er lässt die Trauernden manchmal fremd und verloren am Ufer zurück. Wer solche Momente in seiner Trauer erlebt, braucht noch etwas anderes, etwas, das noch stärker tröstet. Und das begegnet uns im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung.

Hier wird die Botschaft der ganzen Bibel aufgenommen in einen gewaltigen Ausblick mit weiter Perspektive. „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; der erste ist vergangen, und das Meer ist nicht mehr.“

Mit diesem Bild werden die Augen in die Ferne gerichtet, dorthin, wo sich Himmel und Erde berühren. Und die Gedanken werden in ferne Zeiten gerichtet, dorthin, wo die Welt ihren Ursprung hat.

Mit der Erschaffung der Welt beginnt die Bibel, und dann erzählt sie vom schönen und schrecklichen Leben der Menschen, von ihren schönen und schrecklichen Gottesbegegnungen. Und an welcher Stelle wir die Bibel auch aufschlagen, sie zeigt uns die Welt als offenes System: Offen für Unerwartetes, offen für Freiheit, offen für Wunder. Gott erschafft die Welt und überlässt sie anschließend nicht sich selbst. Er geht im Paradies spazieren, um Adam und Eva zu besuchen. Und als sie das Paradies verlassen müssen, sorgt er dafür, dass die Erinnerung daran niemals verloren geht. In der Welt, die nun vergänglich geworden ist, blühen trotzdem die Blumen, wachsen trotzdem die Bäume aus dem Paradiesgarten.

Und dieses offene System erweist sich am Ende sogar als offen für das Bild einer ganz neuen Welt, das unser Predigttext fast greifbar vor sich sieht: Einen neuen Himmel, eine neue Erde.

Gott hat am Anfang aller Zeiten die Welt erschaffen. Hier sollten seine Geschöpfe leben, sie sollten es gut haben. Aber die Erschaffung der Welt war ja damit nicht abgeschlossen - jeden Tag kommen ja neue Geschöpfe zur Welt, das Leben wird jeden Tag neu geboren. Bis heute ist die Welt ein offenes System. Offen für Unerwartetes, offen für Hoffnung.

Die Kraft des Schöpfergottes ist es, die den Seher der Offenbarung sagen lässt: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der erste Himmel ist vergangen, und das Meer ist nicht mehr.“

Er konnte sehen, wie sich die Erde erneuert. Wie Gott die Erde erneuert. So konnte er seine Gemeinde trösten. Er konnte ihnen jetzt sogar sagen: „Gott wird abwischen alle Tränen.“
So brauchten die Menschen, denen er seine Botschaft schrieb, die Trauer, in der sie lebten, nicht mehr als endgültig anzusehen. Sie konnten auf einmal sehen, wie die Welt vergeht und gleichzeitig neu geboren wird.

Sie sahen die Stadt Jerusalem, ihre zerstörte Stadt, schön wie noch nie. Sie sahen eine heilige Stadt, aus Sehnsucht gebaut, die Stadt, in der Gott wohnte. Sie brauchten keine Angst mehr vor ihrer brüllenden Sehnsucht zu haben, denn sie führte sie ja zu Gott.

Das ist vielleicht das Wichtigste an dieser Vision aus der Offenbarung des Johannes: Sie lässt der Sehnsucht ihren Platz.
Für die, die trauern, gibt es oft wenig Möglichkeiten ihre Sehnsucht auszudrücken: Wenn ein naher Angehöriger, eine enge Verwandte gestorben ist, sind vielleicht alle Menschen, denen ich mich anvertrauen möchte, selbst mit ihrer Trauer beschäftigt. Ein Glücksfall ist es, wenn eine Nachbarin, ein Kollege, eine Freundin ein offenes Ohr hat.

Vielleicht können Sie, liebe Gemeinde, die nächsten Tage dafür nutzen, nach solchen Menschen Ausschau zu halten. Und einige von Ihnen haben vielleicht auch die Möglichkeit, ein solcher Mensch zu sein: Wenn Sie im Moment nicht so sehr betroffen sind von Trauer und einfach ein offenes Ohr für die Trauernden in Ihrem Umkreis haben können.

Der Weg zum Friedhof ist so eine Möglichkeit. Dort sind ja Menschen in unterschiedlichen Trauerphasen. Einige gehen an die frischen Gräber, andere pflegen schon seit vielen Jahren ein Grab. Da gibt es Möglichkeiten sich auszutauschen und zu sehen, wie etwas Neues daraus entsteht: Wie das Leben uns neue Möglichkeiten gibt, wie Gott uns erneuert, wenn Tränen trocknen.

Deshalb hoffe ich, dass die Friedhöfe in unseren Dörfern noch lange erhalten bleiben, dass Menschen dort Trost finden. In letzter Zeit erlebe ich, dass Angehörige sich Sorgen machen, ob die Grabpflege zu teuer oder zu anstrengend ist. Ich hoffe, dass sich eine Friedhofskultur entwickelt, bei der einfach der Trost und die Begegnung im Vordergrund stehen. Vielleicht müssen die Gräber einfacher werden, es könnte Gras statt Blu-menschmuck auf ihnen wachsen. Wir brauchen ja die Friedhöfe in den Dörfern, damit die Trauer und der Abschied von den Toten ihren Platz haben.

Der Friedhof ist eine Möglichkeit, die Trauerzeit mit Leben zu erfüllen. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, manche davon sind vielleicht nicht gerade alltäglich - und trotzdem gut und sinnvoll.

„Ich habe ein Bild von meinem Mann im Zimmer stehen und abends spreche ich mit ihm“, sagte eine Witwe. Sie erzählte es sonst niemandem, denn sie wollte nicht, dass sie jemand dafür belächelte.

Wer trauert, benimmt sich eben oft nicht „normal“ oder „vernünftig“ - die Trauer sucht sich ungewöhnliche Ausdrucksformen. Denn wer trauert, sieht die Welt anders, ungewohnt und neu.

Wenn wir das schaffen könnten, dass wir unserer Trauer diese Möglichkeit geben: anders zu sein als wir erwarten - das wäre schon ein großer Schritt. Und dass wir den Trauernden unter uns die Möglichkeit geben, vielleicht ein bisschen komisch zu sein, ein bisschen unberechenbar: Das sind ja alles Lebenszeichen, Zeichen dafür, wie das Leben an der Seele arbeitet und Neues schafft. Zeichen dafür, wie Gott arbeitet und Neues schafft.

Wir werden nicht den Tod aus der Welt schaffen, wie es der Predigttext mit so starken und bewegenden Worten beschwört. Es ist Gott, der „alle Tränen abwischen“ wird, heißt es, so müssen wir uns nicht überfordern. Es ist genug, wenn wir das Vertrauen zum Leben wieder stark machen können. Denn das ist es, was die Worte der Offenbarung ganz sicher festhalten wollen: Dass das Leben siegt.

So ist unser Text auch ein Bild und Spiegel für das, was geschieht, wenn wir trauern. Der Seher, der ihn verfasst hat, bearbeitet die Trauer und den Verlust auf seine eigene ungewöhnliche Art: Er ersetzt und ergänzt das, was verloren gegangen ist, und setzt an die Stelle nicht einen Ersatz - den gibt es ja nicht - sondern das, was noch nie da war: Die Himmelsstadt, in die kein Leid, kein Geschrei und kein Schmerz eindringen können.
So bringt er seine Gemeinde auf einen Weg: Mit ihm können sie etwas sehen, das vor ihnen liegt; sie haben eine Perspektive, die sie aus ihrer hoffnungslosen Lage herausführt.

So, wie die Kinder Israel Jahrhunderte zuvor aus dem Land Ägypten ausgewandert waren - mit einem Bild vor Augen, dem Bild vom Gelobten Land, in dem es genug zum Leben für alle gibt. Die Sehnsucht nach diesem Land hat sie auf den Weg gebracht. Es war ein schwieriger Weg - er führte durch die Wüste. Aber am Ende dieses Weges lag tatsächlich das Gelobte Land.

Hier ist der Eingang zu einem heilsamen Weg der Trauer: Wenn wir trauern, geschieht etwas ganz Ähnliches in unserer Seele: Wir gehen einen Weg. Wir ersetzen und ergänzen das, was uns fehlt, aber das ist nicht einfach eine notdürftige Reparatur, sondern etwas Schöpferisches. Es entsteht etwas Neues, das wir vorher noch nicht kannten, eine andere Perspektive. Vielleicht ist der Weg, den uns unsere Trauer führt, nicht einfach. Aber wenn unsere Seele in der Trauer heilt, dann tritt Gott, unser Schöpfer, darin in Erscheinung. Es ist nichts mehr so wie zuvor, aber es gibt eine Perspektive, eine Aussicht und ein Bild, das uns leitet: Die Himmelsstadt, die noch kein Mensch gesehen hat und deren Bild doch wirklich ist, weil es heute schon wirkt. Die Stadt, in die Leid, Geschrei und Schmerz nicht eindringen können, weil dort Gott bei den Menschen wohnt. Vielleicht haben überhaupt nur die Trauernden Augen, um diese Stadt zu sehen.

Amen.

Verfasserin: Ingrid Volkhardt-Sandori, Oberdorfstraße 23, 35447 Reiskirchen

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