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Die Gaben der Schöpfung

von Karsten Müller (39104 Magdeburg)

Predigtdatum : 05.10.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 17. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Hebräer 13,15-16
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Wochenspruch:

Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. (Psalm 145,15)

Psalm: 104,10-15.27-30 (EG 743)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 58,7-12
Epistel:
2. Korinther 9,6-15
Evangelium:
Lukas 12, (13-14) 15-21

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 320
Nun lasst uns Gott, dem Herren
Wochenlied:
EG 502
Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit
Predigtlied:
EG 508
Wir pflügen und wir streuen
Schlusslied:
EG 321
Nun danket alle Gott

Liebe Gemeinde,
das Erntedankfest gehört zu den Höhepunkten des Kirchenjahres, die keine Schwierigkeiten machen. Das Thema ist leicht zu verstehen: Wir sagen Dank für das, was uns in unserem Leben geschenkt wird. Da geht es längst natürlich nicht mehr nur um die Früchte aus dem Garten oder vom Feld. Es geht auch um Wohlstand, das Erreichen von Zielen im Beruf oder in der Schule. Es geht im weitesten Sinn um die schlichte Wahrheit, dass wir das, was wir sind und haben, nur zu einem Bruchteil uns selbst verdanken.
Dann ist da noch der Gedanke, wie wenig wir eigentlich wirklich vorsorgen können durch das, was wir erarbeiten. Wer von uns weiß denn schon, was „diese Nacht“ mit uns geschieht und ob wir morgen wirklich das ausführen können, was wir heute planen. Dieser Gedanke soll uns natürlich nicht in Lebensangst vor der Zukunft treiben und schon gar nicht zur Verantwortungslosigkeit verführen. Aber er hat dort seinen Platz, wo der Anschein erweckt wird, wir hätten doch letztlich alles im Griff.
Vielleicht erscheint uns das Erntedankfest darum in der Regel als ein leichtes Fest, weil es ganz anschaulich alle Seiten der menschlichen Existenz beleuchtet: Da sind wir mit unseren Leistungen und Ernten, mit den Früchten, die wir eingefahren haben in die Scheunen unseres Lebens. Auf der anderen Seite ist da Gott, von dem nach unserem Glauben alles herkommt, was wir haben, ja von dem wir selbst herkommen. Hier in der Kirche treffen sich diese beiden Linien: Die Früchte haben wir Gott symbolisch vor den Tisch gelegt, wir selbst sind hier, und nachher beim Abendmahl ist Christus uns in Brot und Wein gegenwärtig, und wir erinnern uns an seinen Tod und seine Auferstehung. „Nun danket alle Gott“ – das werden wir singen, und damit ist dann alles gesagt. Der Predigttext in diesem Jahr nimmt diese beiden Seiten des Erntedankfestes auf. Er ist ganz kurz, es sind nur 2 Verse aus dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes:

15 So lasst uns nun durch Jesus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.

Der zweite Vers des Textes bleibt im Ohr: Mancherorts wird er als biblisches Votum nach der Kollektensammlung verwendet. Vielleicht bleibt er uns auch in Ohr, weil er scheinbar gut nachvollziehbar ist und weil er weitgehend Dinge benennt, die wir bejahen.
Gutes zu tun – das steht bei uns nicht in Frage, obgleich in verschiedenen Situationen geklärt werden muss, was das ist. Wir wissen ja, dass es durchaus auch ungut enden kann, wenn wir doch nur „das Beste wollen“. Aber der Vers gibt ja noch eine Erläuterung mit, in welcher Richtung man sich die guten Taten vorstellen soll. Vom Teilen ist da die Rede, und sogleich legt sich ein leichter Schatten über den Glanz, in dem das Gute bis eben erstrahlte: Wer von uns teilt schon gern? Wir geben gern etwas ab. Das kann durchaus beeindruckend sein. Wenn Menschen von Katastrophen betroffen werden und Spendenkonten eingerichtet sind, dann kann man schon staunen, wie schnell relativ große Summen zur Hilfe eingehen. Auch wir als Gemeinden leben ja zu einem Gutteil davon, dass für unsere Arbeit gespendet wird. Aber all diese positiven Dinge lassen leicht überhören, dass der Hebräerbrief vom Teilen und nicht vom Abgeben spricht. Das Teilen ist ja, genau genommen, ein Abgeben der Hälfte. Bei diesem Gedanken wird es einem mulmig: Wie soll ich das denn machen? Wer kann sich das denn leisten? Es gibt Menschen – und leider werden es in unserer Gesellschaft immer mehr –, die gerade so mit dem auskommen, was sie an monatlichem Einkommen haben. Wie sollen die teilen? Andererseits gibt es manche, die immer noch unvorstellbar viel hätten, würden sie die Hälfte ihres Vermögens abgeben. Sind die vielleicht gemeint?
Es ist sicher zu kurz gedacht, wenn wir den Gedanken des Teilens nur auf Geld und andere materielle Dinge reduzieren. Eine ganz andere Perspektive tut sich auf, wenn wir einmal überlegen, wie wir mit der uns geschenkten Zeit umgehen. Wie oft sagen wir: „Dafür habe ich keine Zeit“ – und meinen in Wahrheit: „Dazu habe ich keine Lust“? Dann ist da noch der Gedanke des Teilens des Lebens. Wenn wir uns die traurigen Bilanzen von gescheiterten Ehen, Beziehungen und Freundschaften vor Augen halten, dann erscheint die Aufforderung zum Teilen noch einmal in einem anderen Licht.
Es ist aber auch nicht so, dass unser Text das Teilen zu einer doch eigentlich ganz leichten Sache erklärt. Am Ende des kurzen Abschnitts ist vom Opfer die Rede. Ein Opfer bringen, das tut in der Regel weh. Wenn wir etwas opfern, dann stellen wir etwas anderen zur Verfügung, das wir auch für uns selbst behalten könnten. Aber der eigentliche Sinn des Opferns ist, dass wir etwas von dem zurückgeben, was uns selbst geschenkt wurde. In biblischer Zeit wurden Tiere geschlachtet und verbrannt. Der aufsteigende Rauch war das Zeichen, dass Gott der Empfänger des Opfers ist. Wenn wir Geld, Zeit oder unser Leben teilen, dann ist Gott in Gestalt des Nächsten ebenfalls der Empfänger unserer Gaben.
Aber wenn wir bei dem zweiten Vers unseres Predigttextes stehen bleiben, ihn isoliert betrachten, dann nehmen wir nur die Hälfte der Wahrheit wahr. Es besteht die Gefahr, dass sich unser Christ sein auf irdisches Gutsein reduziert und nicht mehr zu unterscheiden ist von allgemein guter menschlicher Haltung. Dieser Haltung begegnen wir ja nicht selten: Wozu brauchen wir denn den Glauben an Gott? Es reicht doch, wenn wir anständige Menschen sind.
Das Problem ist dann nur recht schnell, dass wir Menschen uns selbst für den Ursprung aller Dinge halten, zumindest dem Irrtum erliegen, dass wir vieles im Griff haben und immer mehr in den Griff bekommen.
Darum lenkt der kurze Abschnitt des Hebräerbriefes zuerst den Blick weg von uns hin zu Gott: „So lasst uns nun durch Jesus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“ Es deutlich, dass es hier nicht um Lippenbekenntnisse geht. Auch im ersten Vers fällt der Begriff des Opfers, hier verbunden mit dem Lob. Das scheint auf den ersten Blick nun nicht zusammen zu passen. Wenn das Opfer doch Überwindung und Kraft kostet, wie kann es dann mit Lob zusammen hängen?
Der Blick auf die Dinge, die uns am Erntedankfest nahe liegen, verstellt uns leicht die Sicht auf das größte Geschenk, das Gott uns je gemacht hat. Er selbst ist Mensch geworden. Jesus hat unser Schicksal als Menschen geteilt. Gott ist für uns Menschen nicht etwas, das mit uns nichts zu tun hat, weil es völlig losgelöst von uns existiert.
Jesus, Gottes Sohn, hat in unserer Welt nicht als Übermensch gelebt. Jesus hat alle Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens durchschritten. Schließlich hat er sein Leben am Kreuz geopfert. Andere Wege wären möglich gewesen, aber der Weg des Gehorsams war für Jesus nicht der Weg auf den Thron eines irdischen Königs, wie manche seiner Freunde glaubten.
Man kann sich natürlich auch fragen, warum Gott-Vater das Geschehen am Kreuz überhaupt zugelassen hat. Warum hat er diesen Kelch nicht an Jesus vorüber gehen lassen, so wie es Jesus erbeten hat? Das ist eine sehr schwierige Frage, und es gibt keine leichte Antwort auf sie. Es scheint unmöglich, eine Erklärung zu finden, wenn man sich das Geschehen auf Golgatha aus der Sicht von Eltern vorstellt. Tut man als Vater oder Mutter nicht alles, um Schaden von einem Sohn oder eine Tochter abzuwenden, auch, wenn diese schon erwachsen sind? Warum hat Gott nicht eingegriffen? Warum musste Jesus diesen Weg ans Kreuz gehen und dort sterben?
Den Sinn dieses Geschehens kann man wohl nur erkennen, wenn wir uns einmal die Alternative vorstellen: Würden wir Jesus als den Sohn Gottes erkennen und bekennen, wenn er als weiser, alter Mann im Bett gestorben wäre? Wäre uns deutlich, dass uns Gott oft im Verborgenen, Unerkannten begegnet, wäre nicht dieser unwürdige, unmenschliche Tod auf Golgatha der Keim neuen Lebens? Könnten wir Gott loben als den Schöpfer eines Lebens, das über den Tod reicht, wenn es für dieses Leben keine Anhaltspunkte gäbe?
Nein, das könnten wir nicht – aber wir können es, weil Gott als Mensch auch dem gewaltsamen Tod nicht ausgewichen ist. Wir können Gott loben, weil er Jesus am Ostermorgen von den Toten auferweckt hat und wir in unserem Leben immer wieder neu Hoffnung haben können.
„So lasst uns nun durch Jesus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“ Das ist kein Lippenbekenntnis, sondern eine Lebenshaltung. Der Satz „Ich glaube an Gott den Vater und an Jesus Christus, seinen Sohn“ ist sinnlos, verhallt ungehört, wenn er für den Menschen, der ihn ausspricht, keine Konsequenzen hat. Für uns hat dieser Satz heute die Konsequenz, dass wir uns zum Gottesdienst versammeln, um Gott zu loben und zu danken für die Dinge, die er uns geschenkt hat, die er hat durch unsere Hände gehen lassen. Diesen Dank verbinden wir damit, dass wir abgeben – besser gesagt: weitergeben – von dem, was uns geschenkt wurde.
Die praktische Seite des Glaubens an Gott wird in der Regel allgemein anerkannt. Das ist wahrscheinlich so, weil sie etwas mit Schaffen zu tun hat und weil man auch beim Helfen und Teilen etwas vorzeigen kann. Die zweite Hälfte dieses Ganzen, das Gespräch, die Gemeinschaft mit Gott in Wort und Brot und Wein steht schon schlechter im Kurs, weil das Vorzeigen hier nicht gelingt.
Wenn wir mit uns ehrlich sind, können wir auch bei unseren vermeintlichen Leistungen ja nur wenig oder nichts vorzeigen, wenn es denn nicht peinlich werden soll. Unsere Erfahrung, die Erfahrung von Generationen von Christen ist, dass das Beten und das Arbeiten zusammen gehören, das Opfer der Lippen wie das Opfer der Hände oder des Herzens. Erst aus den beiden Teilen wird ein Ganzes.
Aber müsste sich dann unsere Welt nicht sichtbar verändern? Ganzheitliches Handeln – das ist so etwas wie ein Modewort. Müsste dieses Handeln nicht (auch wieder ein Modewort) nachhaltig sein, also unumkehrbar z.B. eine neue Gerechtigkeit hervorbringen?
Wir sind im Klagen geübt, und es ist ja nicht so, als dass es nicht genug Zustände gibt, an denen wir Kritik üben müssen und die es gilt, abzustellen. So geht es eben nicht an, dass in unserem Land, einem der reichsten der Welt, Kinder in Armut leben. Auf der anderen Seite muss man aber auch feststellen, dass es uns im Ganzen heute besser geht als unseren Vorfahren vor einem Jahrhundert. Das hat sicher mit den Erfahrungen der hinter uns liegenden Epochen zu tun, aber vielleicht auch damit, dass unsere Ordnungen eben nicht nur auf Ökonomie aufbauen, sondern auch auf der Frage nach der Gerechtigkeit und auf der Einsicht, dass der Mensch eben mehr ist als seine Arbeitsleistung oder sein Konsumvermögen.
Diese Einsichten können verblassen und in Vergessenheit geraten. Aber unsere Aufgabe ist es, durch Wort und Tat, durch Lebenshaltung und Lebensführung eben das immer wieder in das Gedächtnis der Gesellschaft zurückzurufen.
Das Evangelium spricht eine klare Sprache und bezeichnet den, der nur an sich denkt und meint, es reicht, die eigene Scheune zu füllen, als Narren. Wir wissen, dass wir allzu oft in der Versuchung stehen, uns an solcher Narretei zu beteiligen. Das Hemd sei einem doch näher als der Rock, heißt es dann meist. Jesu Gegenentwurf dazu ist klar: „Wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel“ (Matthäus 5,40). Jesus sagt das in der Bergpredigt unter der Überschrift „Vom Vergelten“ – aber für das Verteilen kann es auch gelten.
So verlockend es bisweilen auch scheint, der Welt eine neue Ordnung zu geben, vielleicht sollten wir mehr Kraft darauf verwenden, sie in Ordnung zu bringen. Das Erntedankfest ist so etwas wie eine Erinnerung daran: Zur Ordnung der Welt gehört, dass wir sie durch Teilen gerechter machen können, aber auch, dass wir sie als Gottes Schöpfung begreifen sollen.
Das feiern wir heute – morgen wollen wir es leben.
Amen.

Verfasser: Provinzialpfarrer Karsten Müller, Leibnizstraße 4, 39104 Magdeburg

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