Menü

Die Gaben der Schöpfung, Verantwortlich leben: Gott danken und mit anderen teilen

von Wilhelm Wegner (64283 Darmstadt)

Predigtdatum : 02.10.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 17. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Jesaja 58,7-12
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:

Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. (Psalm 145,15)

Psalm: 104,10-15.27-30 (EG 743)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 58,7-12
Epistel:
2. Korinther 9,6-15
Evangelium:
Lukas 12, (13-14) 15-21

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 324
Ich singe dir mit Herz und Mund
Wochenlied:
EG 324
oder EG 502
Ich singe dir mit Herz und Mund
Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit
Predigtlied:
EG 420
Brich mit den Hungrigen dein Brot
Schlusslied:
EG 321
Nun danket alle Gott

Der Garten der Welt (Text und Melodie: Wilhelm Wegner, 2002)
1. Komm, lass uns gehn in den Garten der Welt;
Komm, lass uns sehn, wie reich er bestellt:
Reichtum in dem Pflanzenreiche,
Pinie, Gurke, Brunnenkresse,
Zeder, Terebinthe, Eiche
Und Wacholder und Zypresse,
Tamariske und Akazie,
Lorbeer, Kichererbse, Sandel,
Myrte, Efeu und Pistazie,
Oleander, Pfirsich, Mandel.
2. Komm, lass uns gehn in den Garten der Welt;
komm, lass uns sehn, wie reich er bestellt:
Weil das Leben gottgegeben
Und die Schöpfung reich bestückt,
bitten wir für alles Leben,
dass es auf dem Erdkreis glückt;
Leben will die Welt beranken,
gibt das täglich Brot uns heute;
Gott ist’s, dem wir dafür danken,
er schenkt uns des Lebens Freude.
3. Komm, lass uns gehn in den Garten der Welt;
komm, lass uns sehn, wie reich er bestellt:
Äpfel, Feigen, Trauben, Öl,
Linsen, Zwiebeln und der Lauch,
Datteln, Wein und Weizenmehl,
Johannisbrot und Knoblauch auch.
Schilf, Papyrus, Senf und Lilie,
Kaktus, Myrrhe, Rettich, Nuss,
Manna, Kohl und Petersilie -
Die man einfach lieben muss.

Hinführung:
Das Kapitel Jes. 58 handelt vom Fasten. Die prophetische Rede soll helfen, richtiges vom falschen Fasten zu unterscheiden. Denkbar ist eine Ermahnung im Blick auf rituelles Fasten, das gemeinsam (gottesdienstlich) begangen wird. Literarisch ist die Zeit dieser Mahnrede um ca. 530 v. Chr. einzuordnen. Das ist die Zeit des Wiederaufbaus am Jerusalemer Tempel. Die beschriebenen sozialen Verhaltensweisen deuten auf die alltäglichen Situationen, die vom Existenzkampf bestimmt sind, der Aufsteiger einerseits und sozial Schwache andererseits zur Folge hat. Zwischen dem Fasten als gemeinsamer gottesdienstlicher Praxis und dem Alltagsleben mit seinen sozialen Konsequenzen klafft offensichtlich ein Riss.
Die Perikope für die Erntedankfestpredigt beginnt mit Vers 7, während die Verse davor die eigentliche Frage stellen: Soll das ein Fasten sein? Ein rituelles Fasten soll ja - in dieser Zeit - Gott gnädig stimmen. Die Folge, die davon erwartet wird, ist die gnädige Zuwendung Gottes, die sich in dem Wohlbefinden und Wohlergehen der Menschen ausdrückt. Dagegen setzt der Prophet die Frage, woran denn Gott Wohlgefallen haben werde. Aus dem Tun der Gerechtigkeit erfolgt dann das Wohlergehen der sozialen Gemeinschaft. „Wenn du dies tust, dann wird die Herrlichkeit des Herrn über dir aufgehen“.
Trennen wir die Perikope von diesen Äußerungen über richtiges Fasten ab, so entsteht für den Predigthörer die Gefahr, dass er das Befolgen einer Gott wohlgefälligen moralischen Aufforderung auch als moralischen Appell wahrnimmt. Darum starte ich im Einleitungsteil mit einer Replik auf das Fasten, konfrontiere den prophetischen Appell mit der Frage: Was habe ich davon? und schildere den Zusammenhang von Tun und Ergehen. Im dritten Teil wird der thematische Bezug zum Erntedankfest hergestellt.
Johann Sebastian Bach hat eine wunderbare Kantate komponiert, die den Titel trägt: Brich dem Hungrigen dein Brot. Er tat dies 1732, nachdem der Rat der Stadt Leipzig beschlossen hatte, Emigranten aufzunehmen. Bauern aus dem Erzbistum Salzburg, die an ihrem lutherischen Bekenntnis festhielten und deshalb seit 1728 verfolgt wurden, suchten als Exilanten neue Heimat. Friedrich Wilhelm I. von Preußen ließ durch ein Edikt vom Februar 1732 ca. 14 000 nach Preußen einwandern. Der Rat der Stadt Leipzig lässt erst 1000, dann weitere 800 innerhalb der Mauern verköstigen und versorgen. Kein Haushalt ohne Asylanten! Wenn Gelegenheit bestünde, diese Kantate in diesem Gottesdienst aufzuführen oder per Konserve einzuspielen, so sollte dieser sozialgeschichtliche und religionsgeschichtliche Hintergrund zur Kenntnis gebracht werden.

Liebe Gemeinde,
wenn wir in einem Flugzeug Platz nehmen, so heißt es noch vor dem Start: Fasten Seat Belt. Man soll den Sicherheitsgurt festmachen.
Auch wenn wir eine Fastenzeit einlegen, durch Weglassen von Fleisch oder Alkohol oder Tabak fasten, so dient das dem Zweck des Festmachens. In allen Religionen sind Fastenzeiten die Vorbereitung auf Festzeiten. Durch das Weglassen von nicht unbedingt Nötigem soll das Herz fest gemacht werden, durch Einschränkung und künstliche Verknappung soll der Sinn dafür geschärft werden, dass wir dann wieder aus der Fülle leben können. Wer sein Herz festmachen will, kann durch Fasten sich selbst eine Hilfe geben. Nicht auf die Rundum-Sorglos-Versorgung kommt es an, sondern auf den Zustand des inneren Menschen. Wenn das Innere veräußerlicht wird, wenn das Fasten zur Schau getragen wird, wenn es penibel eingehalten wird, aber nicht die richtige Gesinnung hervorruft, kann auch falsches Fasten entstehen. Wer sich selbst was verkneift und gegen Andere keift, wer sich selbst demütigt und gegenüber anderen hochmütig wird, der macht etwas falsch. Richtiges Fasten heißt, sich wieder einordnen in den Lebenszusammenhang, in die Schöpfungsgemeinschaft, in die soziale Gemeinschaft. Um sich wieder einzuordnen, muss der Blick auf die anderen korrigiert werden: das uralte Gebot der Nächstenliebe meint ja, den anderen so zu sehen, wie man sich selbst sieht. Liebe deinen Nächsten, er ist wie du.
Der Altruismus bietet die Korrektur zum Egoismus, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel wird dem Menschen zugetraut. Aber keine Frage, wir müssen es immer wieder üben! Dass der Mensch neben uns dieselben Bedürfnisse hat wie wir, dasselbe Recht, mit dem Lebensnotwendigen versorgt zu werden, das muss heute so in Erinnerung gerufen werden, wie es der Prophet vor 2500 Jahren den Frommen in Jerusalem in Erinnerung gerufen hat.
Ich lese aus dem 58. Kapitel:
7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.
Die Aufforderung ist klar: niemand soll hungrig bleiben. Jeder, der einen anderen hungern sieht, soll spontan dessen Unversorgtheit wahrnehmen, sein Brot teilen. Keiner soll umkommen, weil er Mangel hat an Kleidung, Essen oder Obdach. Und diese Zuwendung zu dem Schwächeren, dieses Abgeben und Teilen, das soll Fasten sein? Ja, sagt der Prophet Jesaja. In der Grundbedeutung von festmachen, vorbereiten, den Blick auf die Fülle des Lebens richten, ist das genau das Fasten, das Gott verlangt. Diese Sichtweise wird nicht nur im Alten Testament, der hebräischen Bibel, vertreten. Sie hat ihre Auswirkungen auf das später entstandene Christentum, unsere Tradition, und genauso auf die Dritte im Bunde: auf den Islam. Auch im Koran steht (in der 2. Sure), dass das Fasten seinen Sinn im Teilen hat, dass der Sinn des eigenen Verzichtes im Abgeben von Gaben an den Bedürftigen zu sehen ist.
Und wie bei den Juden in Jerusalem und im Koran tausend Jahre später sieht das auch Jesus, zeitlich in der Mitte dazwischen: im Bild vom Weltgericht schildert Jesus (Matthäus 25), wie der Wille des himmlischen Vaters gerade dadurch erfüllt wird, dass man sich denen zuwendet, die nackt, krank oder gefangen sind und Kleidung, Zuwendung und Freiheit brauchen. „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, so sagt es Jesus in einem großen Gleichnis, inspiriert vom Propheten Jesaja.
„Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer“, sagt Schopenhauer. Die Moral einer Gesellschaft soll ihr ja ein inneres Gerüst geben, damit es allen besser geht. Damit Unrecht vermieden wird und keiner zu kurz kommt. Natürlich lässt sich auch im Blick auf die dringenden Appelle des Propheten Jesaja sagen: wenn ihr mit den Hungrigen das Brot brecht und den kleidet, der nicht mal Kleider hat, dann geht es allen besser. Es wäre sozusagen ein sozialphilosophisches Argument für eine moralisch bessere Gesellschaft.
Aber zieht ein solches Argument bei uns? In einer Welt, in der mehr von Ellenbogen Gebrauch gemacht wird, als von streichelnden Händen? In einer Welt, in der junge Leute sich das individuelle Fortkommen auf die Fahne schreiben müssen, weil es ihnen als einzige Chance vorgestellt wird? In der Konkurrenz das grundlegende Lebensprinzip zu sein scheint? Unter uns gilt doch die Frage als viel wichtiger: was habe ich davon? Was habe ich davon, heute Erntedankfest zu feiern? Was habe ich davon, dankbar zu sein? Was nutzt es mir, die Gaben des Lebens zu teilen?
Genau darauf antwortet der Prophet: dein Licht, deine Heilung, deine Gerechtigkeit wird aufblühen. Deine Gottesnähe, um die geht es. Du selbst hast den Vorteil: du wirst nicht verdorren wie eine Pflanze ohne Wasser, im Gegenteil: du wirst sein wie ein bewässerter Garten!
Versetzen wir uns für einen Augenblick in den Nahen Osten: grün ist es dort nur an den Stellen, wo Wasser ist. Rundherum gibt es viel unfruchtbares Land, viel Wüstenei. Die Kulturen entstehen da, wo Agrikultur möglich ist, nämlich in den Flusstälern. Das Urbild des fruchtbaren Gartens, dem geschützten Lebensbereich des Menschen, wo er sein Leben und seine Kultur entfalten kann, ist der Garten Eden, von vier Flüssen bewässert. Wasser ist das A und O. Wo es fließt, ist üppiges Wachstum möglich, da wird sogar die Ernte reichlich. Die Anwesenheit von Wasser ermöglicht höchste Lebensfülle. Das Größte, was man sich denken kann, ist eine Quelle, der es nie an Wasser fehlt.
Dies sind Bilder aus einer anderen Gegend. Sie knüpfen unmittelbar an reales Leben an. Ohne Wasser ist kein Leben möglich. Wir müssen uns das erst vor unseren eigenen Augen ausmalen, weil wir in einem von Wasser gesegneten Land leben, wo es scheinbar nie knapp wird. Aber wo die Bedrohung noch bekannt ist, lässt sich die Fülle des Lebens umso deutlicher beschreiben. Und genau das will Jesaja erreichen: wenn du das Richtige tust, dann wirst du aufblühen. Das richtige, gottgewollte Leben sieht den Mitmenschen, das Mitgeschöpf. Und dieser Blick mit der richtigen Perspektive wird dein eigenes Aufblühen ermöglichen. Bleibst du aber auf dem Weg des Unrechts, will er sagen, dann ist dir der Weg verstellt zum vollen Leben. Fragst du nach dem richtigen Zugang zum guten, schönen Leben, so nimm wahr, was um dich herum vorgeht. Der Nächste ist wie du.
Es gehört nicht furchtbar viel Fantasie dazu, dies auch für unsere Zeit und unsere Gesellschaft zu beschreiben. In unserer Überfülle an Gaben, an Waren, an Nahrungsmitteln entsteht umso leichter die Gefahr, dass wir nicht richtig wahrnehmen, was um uns herum vorgeht. Nicht sehen, sozial blind sein, nicht wahrnehmen: das ist Schuld. Schuld aber kann vermieden werden, wenn ich den richtigen Blick gewinne.
Heute ist Erntedankfest. Der Sinn des Erntedankfestes ist es, dankbar die Fülle wahrzunehmen! Die geschenkten Lebensgrundlagen, die geschenkten Gaben der Schöpfung sehen. Wir leben von anderem Leben. Mit Früchten und Pflanzen auf dem Altar führen wir uns vor Augen, wie wir auf das Gedeihen der ganzen Lebenswelt angewiesen sind. Salat, Gemüse, Obst, Getreide - das tägliche Brot muss wachsen und reifen. Es verlangt Arbeit und Mühe. Nichts ist daran selbstverständlich. Darum danken wir Gott, das wir aus der Fülle leben dürfen.
Und mit geschärften Augen sehen wir neben der Lebensfülle auch den Mangel, bei uns, in unserem Ort, in den Ländern des Südens, in den Regionen des Krieges. Auch für Menschen, die keine religiöse Prägung haben, ist es ganz einfach einleuchtend, dass das volle, gute Menschsein erst möglich wird, wenn die Humanität durch den Blick auf die Umgebung entfaltet wird. Das ist Gewinn für das Individuum, das ist Gewinn für das Gemeinwesen. Nur wenn der Perspektivenwechsel auf die Nachbarschaft gelingt, werde ich selber Glück empfinden können.
Es ist kein Zufall, dass immer am Erntedankfest, auch in diesem Gottesdienst, die Kollekte für die kirchliche Aktion „Brot für die Welt“ gesammelt wird. Es ist der Versuch, Lücken zuzumauern, Wege auszubessern. So wie Denken und Danken zusammengehören, wie Fasten und Genießen sich ergänzen, so führt die Dankbarkeit den Schöpfungsgaben gegenüber zum Teilen mit denen, die unsere Hilfe brauchen.
Ein bewässerter Garten bringt Frucht hervor. Eine Quelle ist nur glücklich, wenn sie fließen kann. Durch dich soll wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat. Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Amen.

Verfasser: Pfr. Wilhelm Wegner, Elisabethenstr. 51, 64283 Darmstadt

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich (Bestellformular).