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Die Gemeinde als Sünder

von Frank-Tilo Becher (Gießen)

Predigtdatum : 17.07.2011
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 3. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : 1. Mose 50,15-21
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Wochenspruch: "Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." (Galater 6, 2)

Psalm: 42, 2 - 12 (EG 723)

Lesungen

Altes Testament:1. Mose 50, 15 – 21

Epistel: Römer 14, 10 – 13

Evangelium: Lukas 6, 36 – 42

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 295 Wohl denen, die da wandeln

Wochenlied: EG 428 Komm in unsre stolze Welt

Predigtlied: EG 395 Vertraut den neuen Wegen

Schlusslied: EG 349 Ich freu mich in dem Herren

Vorbemerkung zu Gottesdienst und Predigt

Mit großer Wucht kommt das Leitbild für den 4. Sonntag nach Trinitatis daher: Die Gemeinde als Sünder. Darin liegen Chance und Gefahr. Es ist eine Chance, die Sünde als Welt- und Lebenserfahrung ernst zu nehmen. Dazu fallen uns schnell Beispiele ein. Es ist eine Gefahr, darin zu versinken und die Kraft christlicher Hoffnung zu behaupten, ohne dass sie wirklich hoffnungsvoll klingt.

Der Predigttext ist dem Ende der Josefsgeschichte entnommen. In ihr sind Schuld und Sünde ganz alltäglich und eindrücklich beschrieben. Und doch kommt die Geschichte mit ihrem glücklichen Ende mitten in Gottes Heil an. Dieser Bogen soll Vorbild für Predigt und Gottesdienst sein.

Psalm 42 zum Eingang gibt der Erlösungssehnsucht mitten in erlebter Gottesferne Worte. Die Predigt nimmt Bezug auf Lukas 6, was diesen Text als Lesung voraussetzt Mit dem Motiv von Splitter und Balken im Auge wirft Jesus pointiert einen Blick auf die Beziehung unter uns“ Sündern“ und nimmt uns gerade darin in die Verantwortung.

Der Predigttext selbst führt uns mit der Formulierung in Vers 20 („Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“) nachdrücklich aus aller Schuldverstrickung zurück in die Nähe Gottes, der von seinen guten Absichten mit uns nicht ablässt. Diesen Gedanken schlage ich als Fokus für die Predigt vor.

Das glückliche Ende der Josefsgeschichte ist ohne den Anfang und den dramatischen Fortgang der Geschichte nicht zu verstehen. Deshalb wird es hilfreich sein, zur Vorbereitung die Geschichte von Kapitel 37 an noch einmal zu lesen. Die Predigt trägt dem Rechnung, indem sie mit einer schlagwortartigen Erinnerung der Novelle von Josef und seinen Brüdern einsetzt.

Mit dem Lied 395 (Vertraut den neuen Wegen) könnte das Motiv der Ausfahrt, die einen Weg aus der Schuld heraus eröffnet, aufgegriffen werden. Das Schlusslied 349 (Ich freu mich in dem Herren) soll der uneingeschränkt guten Nachricht aus Vers 20 (…aber Gott gedachte es gut zu machen) Worte und Töne geben.

Die kursiv gesetzten Erläuterungen sollen helfen, den nächsten Predigtgedanken konzentriert zu erfassen und können eigene Formulierungen im Verlauf der Predigtlogik leichter machen.

Predigt

Gott gebe uns Worte für unser Herz und ein Herz für sein Wort. Amen.

(Hinführung erster Teil: die Josefsgeschichte erinnern)

Liebe Gemeinde,

mitten aus dem Leben gegriffen ist die alte biblische Geschichte von Josef und seinen Brüdern. Sie erzählt von einem, der nicht ohne Stolz und Eitelkeit der bevorzugte Sohn in seiner Familie ist und sich so den Zorn seiner Brüder zuzieht. Sie erzählt von der Eskalation dieses Familienstreits, bis hin zu Mordabsichten. Statt ihn zu töten verkaufen die Brüder Josef an eine Karawane, die ihn in die Fremde Ägyptens führt. Dort gelingt ihm der Aufstieg vom Sklaven zum angesehenen Beamten des Pharao. Die Geschichte erzählt vom großen Leid des Vaters Jakob, der seinen Sohn längst tot glaubt und sie erzählt von der Kuriosität des Lebens, wenn Jakob und seine Familie in Zeiten einer Hungersnot auf die Hilfe jenes ägyptischen Beamten angewiesen sind, der in Wahrheit der verkaufte Sohn der Familie ist. Am Ende treffen die, die nicht miteinander konnten, wieder aufeinander und müssen sich neu zu einander verhalten.

(Hinführung zweiter Teil: Schuld - eine Grunderfahrung im Leben)

Die Fehlbarkeit des Menschen und wie sie uns immer wieder neu in Schuld verstrickt, ist in dieser Geschichte mit Händen zu greifen. Wenn wir uns an das Motiv von Splitter und Balken im Auge erinnern, das uns in der Lesung aus dem Lukasevangelium begegnet ist, dann können wir vielleicht sagen: in dieser Geschichte wird uns im wahrsten Sinne vor Augen geführt, wie ein jeder Mensch seinen Splitter der Schuld trägt, sei es Stolz oder Neid, sei es Verleumdung. Lüge oder Zorn. In uns allen mag eine große Sehnsucht nach Vollkommenheit wohnen. Die Wirklichkeit aber stellt uns ganz persönliche Schuldverstrickung immer neu vor Augen. Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit holen uns immer wieder ein. Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern bringt zugespitzt eine Wahrheit zur Sprache, die uns alle betrifft. Wenn das aber die Grundbewegung des Lebens ist, dann müssen wir eigentlich die Köpfe hängen lassen. Alles Bemühen nach einem rechten Leben erinnert dann an die Geschichte von Sysiphos, der einen Stein einen Hügel hinaufrollt, ihn kurz vor dem Ziel aus den Händen verliert, um dann wieder von vorne anzufangen. Das wären deprimierende Aussichten.

(Die Botschaft der Predigt)

Aber das ist nicht der Ausblick, den uns die Josefsgeschichte geben will. Sie stellt uns trotz großer Schuld etwas anderes in Aussicht. Das gelingt, weil Gott und seine Absicht mit der Welt und den Menschen darin einen Platz finden. So kann es zu dem großartigen Satz kommen:“ Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“

(Der Predigttext)

Und so klingt das aus Josefs Mund. Wir hören den Predigttext:

Textlesung: 1. Mose 50, 15-21

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

(Auslegung: von der Last der Schuld, von Schuldzuweisung und Entschuldigung)

Mitten aus dem Leben gegriffen erscheint auch der holprige Anmarsch der Brüder hin zur Bitte um Vergebung. Ist es wirkliche Reue, die sie treibt? Oder ist es nicht vielmehr die erwähnte Furcht, aus der heraus sie handeln. Der Bruder ist groß und mächtig geworden und es ist kein Vater mehr da, der sich schützend vor sie stellen könnte. Die frühere Tat holt sie wieder ein. Wir wissen es vielleicht aus eigener Erfahrung, wie sehr alte Geschichten an einem hängen können. Man kann sich innerlich schütteln wie man will, sie steigen immer wieder aus der Tiefe auf und holen uns ein. Auch die Brüder winden sich. Sie rufen die Autorität des verstorbenen Vaters an. Sie hoffen auf Fürsprache. So viel Angst steckt ihnen in den Knochen.

Vielleicht sind es die Tränen Josefs, die sie erst wirklich bei ihrer Schuld ankommen lassen. Es bleibt offen, ob es Tränen des Schmerzes sind, Tränen der Anrührung oder Tränen der Erleichterung, dass seine Familie in dieser Weise neu auf ihn zukommt. Es sind jedenfalls Tränen, die die Brüder zum Kniefall erweichen. Das Vergehen kommt in ganzer Schwere zurück, drückt sie zu Boden, so dass nur bleibt, die Knechtschaft anzubieten.

Hier verdichtet sich in einer Geste, was es im Leben immer wieder und ganz alltäglich auszuhandeln gibt. Wir stellen uns selbst und anderen die Schuldfrage, wir müssen um Entschuldigung bitten oder sie gewähren. Das ist meistens ein kompliziertes Tun, egal ob es sich zwischen Eltern und Kindern abspielt, in der Ehe, der Beziehung oder am Arbeitsplatz. Schuldig werden und vergeben – da geht es auch um Macht und Ohnmacht, um Über- und Unterordnung. Mit Schuldzuweisungen wird im manchem Streit gekämpft. Sie sind ein scharfes Schwert.

(Auslegung: Josefs Vertrauen auf Gottes Wegweisung aus der Schuld heraus)

Aber Josef setzt dieses Schwert nicht ein. Er, der gute Gründe hätte, die Brüder im Kniefall zu lassen, der richtet sie auf. Er tröstet sie und redet freundlich mit ihnen. Das würden wir uns wünschen, dass wir solche Größe hätten. Denn es könnte so manchen Streit, manches Zerwürfnis auf eine neue Bahn bringen. Josef greift auf, was die Brüder zuerst ansprechen. Da ist doch noch ein Gott. Da ist doch noch der Gott unseres Vaters, der auch unser Gott ist. Und wie ein dritter Bezugspunkt schiebt Gott sich in diese Schuldgeschichte und öffnet den Blick auf einen neuen Weg, der die Bahn der Schuld verlässt. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“

(Irritation – von der Gefahr, den Schmerz zu überdecken und von der Ausfahrt, die Gott im Schmerz und in der Schuld eröffnet)

Liebe Gemeinde,

uns klingt vielleicht der Satz vertrauter: „Wer weiß, wofür das noch gut ist?“

Es ist die in eine Frage gekleidete Hoffnung, dass selbst das Schlimme, das man nicht wahrhaben will und kaum aushalten kann, am Ende doch sinnvoll wird. Schön, wenn es sich im Rückblick so erschließt. Gleichzeitig besorgt mich dieser Satz häufig, weil er Schmerz und Kummer, aber auch Schuld schnell wegredet und wegdenkt. Der Splitter steckt noch im Auge – in meinem und in deinem. Es tut weh. Was Josef in seiner Jugend mit seinen Brüdern erleben musste, das ist schlimm und furchtbar. Es schmerzt und rührt zu Tränen.

Josef macht die Entdeckung, dass Gott trotzdem mit ihm und seinen Brüdern auf dem Weg zum Heil bleiben will. Gott trotzt dem Unheil, das in dieser Familie angerichtet wurde. Er gibt den bösen Taten keinen späten Sinn, aber er nimmt ihnen die Macht, alle weiteren Wege zu bestimmen. Mitten in der Schuld und mitten im Schmerz eröffnet er einen Weg, der Josef und seine Brüder aus der Schuld und dem Unheil heraus führt.

Mir kommt das Bild von einer großen Autobahn, die schnell und mehrspurig immer weiter in die Schuld führt, immer weiter in Streit und Zerwürfnis, in Rache und neuen Streit. Aber Gott bietet beharrlich wieder und wieder eine Ausfahrt an. Immer neu eröffnet er den Weg, der wegführt von der Bahn des Verderbens. Gott bleibt beharrlich bei seinen guten Absichten. Er bleibt dabei, dass er Josef und seine Brüder zu einem großen Volk machen will. Genau so bleibt er dabei, dass er unseren Lebensweg immer wieder neu in heilsame Gefilde lenken will. Unsere Vergehen und unsere Schuld können diese Auswege nicht verbauen.

(Gottes Versprechen und seine beharrliche Wegeröffnung)

Es gibt eine Geschichte in der Bibel, in der Gott selbst auf diese Autobahn des Verderbens gerät. So groß ist sein Ärger über die Menschen, dass er ihre Schuld mit der Sintflut beantwortet. „Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde.“ Im Gegenüber mit Noah erst tut sich die Ausfahrt auf, die am Ende der Geschichte heißt: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen, um der Menschen willen.“ Und so ist es bis heute geblieben. Die Bahn, in der nach Gottes Willen unser Leben seinen Lauf nimmt, ist nicht verfluchte Schuld, sondern neu eröffnetes Heil durch Vergebung und Liebe. Uns bleibt die Aufgabe, den Blinker zu setzen und auf diese Bahn einzubiegen. Es ist die Bahn, die uns ganz persönlich aus Schulderfahrung heraus neu in die Zukunft gehen lässt. Es ist die Bahn, die wir suchen müssen an den vielen Stellen unserer Welt, wo Menschen in Schuld und Schuldzuweisung ausweglos verstrickt sind.

(Hier kann auf aktuelle Situationen eingegangen werden. Mich beschäftigt, angeregt durch eine Reise nach Jerusalem und Palästina, der jahrzehntelange bittere Konflikt im Nahen Osten)

„Er tröstete sie und sprach freundlich mit ihnen“ – Mit dieser Haltung begibt sich Josef auf die Bahn, die er durch Gott findet. In Josef ist der unbrechbare göttliche Geist lebendig, der das Leben und die Zukunft will. Dazu werden uns im Leben in und hinter jeder Schulderfahrung neue Wege von Gott angeboten. Wir finden diese Abzweige manchmal erst mitten in der Furcht, im Kniefall oder in den Tränen. Aber sie begleiten uns als das große Versprechen Gottes an uns Menschen. Amen

Verfasser: Dekan Frank-Tilo Becher

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