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Die Gemeinde der Sünder

von Team Projekte Bitmotion

Predigtdatum : 19.06.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 3. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : 1. Mose 50,15-21
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Wochenspruch:

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Galater 6,2)

Psalm: 42,2-12 (EG 723)

Lesungen

Altes Testament:
1. Mose 50,15-21
Epistel:
Römer 14,10-13
Evangelium:
Lukas 6,36-42

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 295
Wohl denen, die da wandeln
Wochenlied:
EG 428
oder EG 495
Komm in unsre stolze Welt
O Gott, du frommer Gott
Predigtlied:
EG 349
Ich freu mich in dem Herren
Schlusslied:
EG 355
Mir ist Erbarmung widerfahren

15 Die Brüder Josefs fürchteten sich in Ägypten, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. 16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. 18 Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Leitgedanke:
Gottes Güte macht uns barmherzig
* Böses mit Gutem überwinden
* Vergebung und Versöhnung

Liebe Gemeinde!
Wie wird es nur weitergehen? Wie oft erhebt sich diese Frage auch heute nach dem Ableben eines Angehörigen! Solange das Familienoberhaupt noch am Leben ist, wird die Familie zusammengehalten. Doch in dem Augenblick, wo der Tod eingetreten ist, treten bei den Kindern und Hinterbliebenen Spannungen und Konflikte auf. Unweigerlich drängt sich die Frage auf: Wie wird es nur weitergehen?
Der Erzvater Jakob ist tot. Wie wird es nun weitergehen? Bei den Brüdern Josefs war dies eine ganz wichtige Frage. Ja, noch mehr: Existenzielle Ängste machen sich breit. Wie wird sich ihr Bruder Josef ihnen gegenüber wohl verhalten, nachdem der Vater tot ist? Erinnerungen an die Vergangenheit werden wach. Ein schreckliches Verbrechen hatten sie begangen. Ihren zweitjüngsten Bruder Josef hatten sie aus Neid als Sklaven an eine vorbeiziehende midianitische Kaufmannskarawane verkauft.
Das war keineswegs eine Bagatelle. Mit Lügen hatten sie sich ein Konstrukt zusammen gebastelt, das ihren besorgten Vater beruhigen, beschwichtigen und hinwegtrösten sollte, aber wahrer Trost war das wohl kaum. Wir wissen nicht, ob und inwieweit sich der Vater beruhigen ließ. Ihr Gewissen werden sie sicherlich nur oberflächlich beruhigt haben. Im Unterbewusstsein waren sie gespeichert, die Taten, oder besser gesagt, die Untaten.
Skrupellos, ohne zu fragen und sich Gedanken zu machen, was ihr kleiner Bruder und ihr greiser Vater empfinden und welche seelischen Qualen sie erleiden, haben sie Josef grausam behandelt, schäbigen Menschenhandel getrieben, für zwanzig Silberlinge verkauft. „Es ist ja noch einmal alles gut gegangen, da sind wir ja mit einem blauen Auge davon gekommen“, mögen sie vielleicht gedacht haben.
Doch schon bei der Begegnung mit Josef in Ägypten kamen die unterdrückten Schuldgefühle aus dem Unterbewusstsein hervor, und sie befürchteten schon damals Schlimmes. Jedoch Josef begegnete ihnen nicht mit der verdienten Vergeltung, übte keine Rache an ihnen, sondern begegnete ihnen mit Großmut, geschwisterlicher Liebe, der Bereitschaft zur Vergebung und Versöhnung. Diese Haltung Josefs überraschte sie, und sie konnten es kaum verstehen, aber sie akzeptierten es dankbar, und es war ihnen wohl klar, dass dieses Verhalten nur mit Rücksicht auf ihren betagten Vater zurückzuführen war, der in jeder Hinsicht eine große Autorität und Persönlichkeit war.
Nun, nachdem der Vater nicht mehr am Leben ist, meldet sich das Unterbewusstsein mit der Schuld, die sie begangen hatten. Die grausam begangene Tat stand wieder ganz realistisch vor ihren Augen.
Die Brüder befürchten, ihr Bruder Josef könnte sich an ihnen rächen und Vergeltung an ihnen üben. Sie beraten untereinander und miteinander und kommen zu dem Ergebnis: Es wird für sie das Beste herauskommen, wenn sie sich auf ein Gespräch mit ihrem Vater berufen. Und das taten sie auch.
Die Brüder versuchen es mit diplomatischer Taktik. Sie wagen es nicht, Josef unmittelbar anzusprechen. Ein Unterhändler soll dies besorgen und die Lage vorsichtig sondieren. Dabei verstecken sie sich hinter einem Wort des verstorbenen Vaters, das Josef von vornherein in seinem Verhalten festlegen und verpflichten soll. Wer wird schon das letzte Vermächtnis des geliebten Vaters unbeachtet lassen? Und noch ein geschickter Schachzug: Sie geben sich durch den Unterhändler als „Diener des Gottes Jakobs“ aus und verpflichten Josef ein weiteres Mal.
Wenn sie alle dem gleichen Gott dienen, dann kann doch nicht einer gegen den anderen sein, mögen sie gedacht haben. Wahrhaftig, ein durchschlagendes Argument, ganz dicht an der Wahrheit, nur leider taktisch gebraucht und deshalb unehrlich und unaufrichtig. Das Verhalten der Brüder Josefs ist von Furcht geprägt, ja, sie bangen sogar um ihr eigenes Leben, und da werden alle Mittel und Wege ausgelotet.
Sie fallen vor Josef nieder und bieten sich ihm als Sklaven an, aber er solle sie nur am Leben lassen. Ja noch mehr, sie berufen sich auf die Grundpfeiler des Glaubens an den Gott ihres Vaters. Das hatten sie schon durch den Unterhändler ausrichten lassen, aber nun konkretisieren sie diesen Glauben: Erstens Anerkennung der Schuld. Sie bekennen ausdrücklich, dass sie eine „Missetat“, heute würden wir sagen, ein „scheußliches Verbrechen“, begangen hatten. Ferner wird dieses Verbrechen als „Sünde“ vor Gott bezeichnet.
Da wird nicht lange drum herum geredet, da wird nichts unter den Teppich gekehrt. Die abscheuliche Tat ist vor Gott „Sünde“. Wenn im biblischen Sinne von Sünde die Rede ist, dann handelt es sich nicht nur um eine unmoralische Tat, sondern es ist Schuld vor Gott und hat Folgen. Sünde bedeutet im biblischen Sinne Störung oder sogar Zerstörung der Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen. Die Brüder sind sich also voll im Klaren, was sie angerichtet haben. Und so berufen sie sich ganz bewusst auf ihren Glauben an den gemeinsamen Gott. Und sie erhoffen sich auch dadurch ein milderes Urteil von ihrem Bruder.
Darum bitten sie zweitens um Vergebung. Auch wenn die Brüder mit List und Schläue hier vorgehen, so wird man aber nicht sagen können, es sei ihnen nur darum gegangen, mit heiler Haut davonzukommen. Sie wissen um ihre Schuld, sie sprechen klar von ihrer Auflehnung und Verfehlung und von dem Bösen, das sie Josef zugefügt haben. Als sie beim ersten Mal nach Ägypten gekommen waren und Josef sie bereits als seine Brüder erkannt hatte, gab er sich ihnen gegenüber als strengen königlichen Beamten aus und beschuldigte sie der Spionage. Die Brüder hielten ihn deshalb für den großen Ägypter, denn er sprach nur durch einen Dolmetscher mit ihnen. Bei dieser Gelegenheit hörte er aus ihrem eigenen Munde: „Das haben wir an unserem Bruder verschuldet! Denn wir sahen seine Herzensangst, als er uns anflehte und wir wollten nicht darauf hören. Darum ist diese Angst über uns gekommen.“ (vgl. 42,21) Dieses Bekenntnis wurde damals nicht aus taktischen Gründen gesprochen. Sie waren davon ausgegangen, dass der hohe ägyptische Beamte sie nicht verstehen könne.
Unvergebene Schuld steht manchmal ganz realistisch vor uns, auch wenn sie zeitlich noch so lange zurückliegt. Und das Interessante ist, sie wird auf einmal in der gegenwärtigen Situation mit unserem Handeln in Verbindung gebracht. Unvergebene Schuld kann manchmal wie ein Bann auf uns lasten. Es ist schon seltsam genug, das die Brüder diese Last der Schuld so lange auf sich haben ruhen lassen. Es kostet immer große Anstrengung und Überwindung, eigene Verfehlung und schuldhaftes Versagen vor Gott und den Menschen zu bekennen und die Versöhnung herbeizuführen.
Nur allzu oft sind die Menschen daran interessiert, ihre Verfehlungen irgendwie zu vertuschen, herunter zu spielen, unter Umständen mit Lügen, mit Schuldzuweisungen anderen gegenüber, durch Verheimlichung und Verschweigen. Aber solche Verhaltensweise führt nicht zu einer Lösung des Problems. Oft geht es uns dann so wie dem Psalmisten, der in Psalm 32,1-2 bekennt:
„Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine, und der Lebenssaft vertrocknete wie in einer Sommerdürre durch mein tägliches Klagen. Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.“.
Mit anderen Worten: Unter dem Druck der unbereinigten Vergangenheit wurde der Beter körperlich und seelisch krank. Durch die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie wissen wir heute nur allzu gut von diesen Zusammenhängen von unbereinigter Schuld und körperlicher und seelischer Krankheit. Schuld wird nicht damit aus der Welt geschafft, dass man sie ignoriert. Auch wenn ein Verbrechen gerichtlich nicht aufgeklärt werden und der Täter untertauchen kann, bedeutet das noch lange nicht, dass die Angelegenheit für ihn erledigt ist.
Auch wenn in einer menschlichen Gemeinschaft – z. B. in der Ehe oder Familie – ein Vertrauensbruch oder irgendeine andere Verfehlung unaufgeklärt geblieben ist, bedeutet das noch lange nicht, dass „die Luft rein“ wäre und die unbereinigte Schuld nicht in irgendeiner fataler Weise wieder ganz lebendig auftaucht.
Das alttestamentliche Wort für Sünde bezeichnet nicht nur die Tat, sondern auch deren Folge, die Strafe. Und wenn die Brüder hier um Vergebung ihrer Sünden und Verfehlungen bitten, dann heißt dies dem alttestamentlichen Verständnis entsprechend so viel wie, trage sie hinweg, so dass auch die Folgen beseitigt sind, d. h. dass Versöhnung herbeigeführt wird.
Die Israeliten haben diesen Vorgang beim Versöhnungsfest praktiziert, wenn die Sünden auf den Sündenbock bekannt und dann von diesem in die Wüste hinweg getragen wurden. Vergebung im biblischen Sinne heißt deshalb auch Versöhnung. Das ist mehr als nicht mehr daran denken, dem oder den Schuldigen keine Vorhaltungen mehr machen, von harter Bestrafung absehen. Es muss aus der Welt geschafft, ausgeräumt, weggenommen werden! Und das geschieht nur durch Versöhnung.
Von diesem Aspekt her bekommt die Frage Josefs einen besonderen Akzent: „Stehe ich etwa an Gottes Statt?“ Das „Aufheben“, das „Wegtragen“ und „Sühnen“ von menschlicher Schuld kann nicht Sache von Menschen sein! Nur Gott steht es zu, die Entscheidung zu treffen, ob jemand seine Sünde tragen muss oder nicht. Wenn die Sünde gesühnt werden soll, dann kann nur Gott darüber entscheiden, denn Gott ist es, der die Sühne vollzieht, wenn ein sühnendes Opfer dargebracht wird.
Gott durchbricht den verhängnisvollen Zusammenhang von einer bösen Tat und den bösen Folgen. Er ist es, der das Störende, das Vernichtende aus der Welt schafft!
Wie wahr diese Feststellung ist, sehen wir in Jesus Christus. Er hat alle unsere Schuld aufgeladen bekommen, und er hat sie hinweg getragen, gesühnt. Deshalb ist seine Vergebung auch eine ganz andere als unsere. Seine Vergebung hebt das auf, was unsere Sünde zur Folge hat: Sie stellt wieder Gemeinschaft her mit Gott und unseren Mitmenschen. Wenn Gott uns in Jesus Christus unsere Sünden vergibt, dann will er sie bildlich gesprochen dort versenken, wo das Meer am tiefsten ist, und wenn sie blutrot ist, soll sie schneeweiß werden. Wenn jeder die Vergebung so erfährt und danach lebt, dann können wir als seine geliebten Kinder uns an einem friedlichen Miteinander erfreuen und unsere Straße fröhlich ziehen.
Und so kann auch Josef seinen Brüdern gegenüber die Haltung einnehmen: Ich lebe mit meinem Gott, der vergibt und die Versöhnung herbeiführt. Das ist die Grundlage, auf der sich Josef mit seinen Brüdern als Diener Gottes stellt. Und deshalb dürfen auch seine Brüder leben und brauchen die Folgen ihrer Tat nicht zu fürchten.
Wo Vergebung und Versöhnung durch den Glauben an Jesus Christus erfahren werden, entsteht eine ganz neue Gemeinschaft, eine ganz neue Lebensqualität. Wo Gott die Schuld vergibt, haben die Menschen kein Recht, sie wieder hervorzuholen. Als Gemeinde Jesu Christi sind wir eine Schar von begnadigten Sündern. Moralisch hat vielleicht der (die) eine oder andere etwas mehr oder weniger Dreck am Stecken. Aber vor Gott leben wir alle von seinem Erbarmen, von seiner Vergebung! Deshalb hat uns Jesus in seinem Gebet die Bitte in den Mund gelegt: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.“
Josef urteilt nicht über seine Brüder. Er beschönigt das Handeln seiner Brüder auch nicht. Aber er sagt: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (V. 20) Der Verlauf der Ereignisse zeigt anschaulich das planvolle, gütige weise Handeln Gottes. Gott kann wenigstens in diesem konkreten Falle auch das sündige Handeln von Menschen zum Besten kehren, so dass durch die Sünde der Brüder das ganze Volk gerettet und am Leben erhalten wurde.
Dass Gott aus Bösem Gutes machen kann, ist für den Glauben gesprochen, aber wir dürfen diesen Satz nicht als allgemeine Abfolge der Weltgeschichte auffassen. Es wäre geradezu verhängnisvoll, wollten wir ihn auf die weltlichen Abläufe der Ereignisse anwenden. Dabei würden wir vor allen Dingen übersehen, dass es sich bei jeder bösen Tat auch immer um die persönliche Verantwortung und die Verletzung unseres Gewissens handelt. Es steht allein bei Gott, aus unseren krummen Wegen etwas Gutes daraus zu machen.
Ich schließe mit einem Bekenntnis von Dietrich Bonhoeffer, dessen sechzigsten Todestag als Märtyrer wir am 9. April gefeiert haben, und der es ganz ähnlich wie Josef ausgedrückt hat: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen… Ich glaube, dass unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden.“ Amen.

Verfasser: Prädikant Friedrich Gäntzle, Egerländer Straße 33, 64354 Reinheim

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