Die Gemeinde der Sünder
von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)
Predigtdatum
:
23.06.2002
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
3. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Römer 12,17-21
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Wochenspruch:
Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Galater 6,2)
Psalm: 42,2-12 (EG 723)
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 50,15-21
Epistel:
Römer 14,10-13
Evangelium:
Lukas 6,36-42
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 450
Morgenglanz der Ewigkeit
Wochenlied:
EG 428
oder EG 495
Komm in unsre stolze Welt
O Gott, du frommer Gott
Predigtlied:
EG 416
O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens
Schlusslied:
EG 295
Wohl denen, die da wandeln
17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Liebe Schwestern und Brüder!
„19. Mai ein schöner Tag im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt. An einer Fußgängerampel will ein Mann über die Straße. Plötzlich spürt er Wasser im Gesicht, dreht sich um. Aus einem wartenden Wagen grinst ihn ein Autofahrer an und drückt gleich nochmals auf den Hebel seiner Scheibenwischanlage, die mehr die Umgebung als den eigenen Wagen reinigt. Das hätte er besser nicht gemacht. Der Fußgänger sieht plötzlich rot. Mit einer Zange zertrümmert er die rechte Scheibe des Wagens, mit bloßen Fäusten schlägt er Beulen in die Fahrertür ein Fall für den Staatsanwalt.
Immer häufiger werden solche Ausbrüche. Scheinbar harmlose Autofahrer mit Häkelkissen auf der Rückbank werden zum Rächer im Straßenverkehr. Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, blinken, prügeln, drängeln sie an Ampeln, Rastplätzen und auf der Überholspur. Dreimal gingen Autofahrer in der vorigen Woche sogar mit der Schusswaffe auf ihre Konkurrenten los.“
Soweit der Ausschnitt aus einer mittelhessischen Regional-Zeitung – und wir sind mittendrin in unserem Predigtwort.
Was sich so selbstverständlich liest: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem“ - das ist doch ganz und gar nicht selbstverständlich. Was da so einfach in der Bibel steht: „Habt Frieden mit jedermann, soweit es an euch liegt“, das ist doch ein Angriff auf unsere Weltwirklichkeit: Bei uns wird vergolten, bei uns regiert oft genug die Rachsucht, bei uns wird oft genug das eigene Recht durchgesetzt, auch wenn der Frieden dabei in die Brüche geht.
Es wäre schön, wenn ich jetzt sagen könnte: Aber mir ist das alles ganz klar. Ich kann diesen Worten des Paulus nachleben. Nur ich kann das nicht sagen. Ich weiß, wie das Verhalten anderer Menschen mein eigenes Verhalten prägt. Ich weiß, wie die Art, wie Menschen mir begegnen, mich oft genug festlegt. Ich weiß, wie schnell ich in Abwehrstellung gehe, und aus der Abwehrstellung wird dann auch ganz leicht eine Angriffshaltung. Was Paulus hier sagt, das macht mir zu schaffen, das fordert mich heraus und ich vermute, es geht Ihnen allen genauso.
Was will Paulus von uns? Genauer: Was will dieses Wort Gottes von uns? Es will uns zu einer Liebe führen. die nicht vor den Schwierigkeiten resigniert. Es will uns zu einer Liebe führen, die nicht aufgibt, wenn der oder die andere nicht liebenswert ist.
Und nun ist mir eines sehr wichtig: Was hier von uns erbeten wird – denn Gott befiehlt uns nicht, Gott bittet durch den Apostel das hat Jesus uns vorgelebt. Jesus ist den Weg dieser Liebe vor uns gegangen. Jeder Satz in diesem Abschnitt ist gefüllt durch das Leben Jesu: Er hat sich um Frieden gemüht mit den Pharisäern, hat um sie geworben – gegen alle Ablehnung. Er hat Judas sein Böses, seinen Verrat, nicht mit Hass vergolten. Er hat in der Stunde seiner Gefangennahme den Knecht geschützt, der mit Waffen zu ihm kam. Er hat keine Rache gewollt, sondern den Feinden vergeben. Er hat nicht am Kreuz mit Flüchen zurückgeschlagen, als er verflucht wurde. Er hat das Böse in dieser Welt durch sein Sterben überwunden nicht ausgerottet mit Gewalt, sondern überwunden mit seiner Liebe.
Die Worte des Apostel Paulus schicken uns nicht in Neuland, sondern auf den Weg hinter Jesus her. Weil ER so durch diese Welt gegangen ist, darum sollen wir auch so durch diese Welt gehen. Das ist ein Angriff auf die Art unserer Welt, das ist das Wagnis, sich dieser Welt nicht gleichzustellen, wie es weiter vorne im Römerbrief heißt, sondern sich der künftigen Welt Gottes anzupassen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es hier: Christen sollen in dieser Welt schon so leben, wie es Gott entspricht, wie es der zukommenden Herrlichkeit Gottes entspricht. Sie sollen das Schema, das Verhaltensmuster der Welt: „Wie du mir, so ich dir“ durchbrechen.
Dabei gilt: Nicht die großen Scheine sind gefragt, sondern die kleine Münze. Nicht die schönen Worte sind hier im Blick, sondern ihre Umsetzung in die Wirklichkeit unseres Lebens.
Ich möchte einfach ganz unterschiedliche Geschichten erzählen, die davon sprechen, wie Menschen das leben können: Böses mit Gutem überwinden.
Manche unter uns haben in ihrer Jugend das Gedicht „Die Füße im Feuer“ auswendig gelernt. In Südfrankreich hat sich ein Offizier während eines Sturmes verirrt. Endlich findet er ein Schloss und wird freundlich aufgenommen. Als er allein im Esssaal vor dem Kamin sitzt, geht es ihm auf einmal auf: Diesen Saal kenne ich. Bei einer Hugenottenjagd hat er den Schlossherrn gesucht, aber nicht gefunden. Um sein Versteck heraus zu finden, hat er die junge Schlossherrin gepackt und ihre nackten Füße in die Glut des Feuers am Kamin gesteckt. Sie hat geschwiegen, bald danach ist sie an den verkohlten Füßen gestorben. Als er jetzt mit der Familie zu Tisch sitzt, flüstern die Kinder dem Vater zu, wer der Gast ist. Und nun beginnt eine Nacht langen, furchtbaren Kampfes im Herzen des hugenottischen Edelmannes. Mächtig ist in ihm das Verlangen nach Rache. Am nächsten Morgen entlässt er den Mörder seiner Frau unangetastet. Er sagt dem französischen Offizier: „Ich bin dem höchsten König eigen, aber in dieser Nacht wurde mir der Dienst schwer, seinem Gebot und Wort restlos zu gehorchen.“-
Eine heitere Geschichte als Kontrast dazu – sie klingt ein bisschen frauenunfreundlich: Von Pfarrer Flattich (einem schwäbischen Original aus dem 18. Jhdt.), wird erzählt, dass eine Frau sich bei ihm beklagt. Ihr Mann verprügele sie oft, besonders, wenn er betrunken aus dem Wirtshaus heimkehre. Flattich holt aus dem Garten einen glatten Kieselstein. „Liebe Frau, jedes Mal, wenn dein Mann so heimkommt, lege diesen Wunderstein unter die Zunge und drücke fest darauf, es wird keinen Streit mehr geben. Und die Frau sagt nach einigen Tagen glückstrahlend: „Es wirkt.“ Was war das Geheimnis dieses Wundersteines? Mund zu vergeltet nicht Böses mit Bösem, Schimpfwort mit Schimpfwort! Das ist keine Regel, die wir Frauen auferlegen sollten –es ist ein lebenskluger Rat, der Männer und Frauen nachdenklich machen kann.
Es geht nicht nur um große Schritte, es geht oftmals um ganz kleine Schritte, in denen das Schema der Welt aufgebrochen werden kann.-
Der Nachbar ist ein unleidlicher Nörgler. Bei jedem Falschparker ruft er die Polizei an, auch wenn es Gäste bei uns sind. Da stellt er eines Abends seinen Wagen ab, zwar korrekt geparkt, aber er vergisst das Licht. Ein Telefonanruf bei ihm genügt: „Ihre Batterie geht sonst kaputt!“ Großartig? Nein, kleine Münze der Liebe.-
In einem Mietshaus hat jeder einmal im Monat Kehrwoche. Einer lässt seinen Dreck aber liegen – und ein anderer greift zu Schaufel und Besen. In der Waschküche hat der gleiche Mieter seine Wäsche hängen lassen - und eine andere Familie schlägt nun nicht Krach, sondern hängt sie ab und stellt sie mit einem freundlichen Gruß vor die Tür. Großartig? Nein, kleine Münze der Liebe.
Ein letztes Beispiel: In der DDR hat – damals im Sommer 1990, so lange ist das schon her - die Pfarrersfamilie Holmer den gestürzten Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker aufgenommen – ihn, dessen Frau den beiden Söhnen den Zugang zum Studium verweigert hatte. Pfarrer Holmer wurde wegen dieser Aufnahme heftig angegriffen. Er verteidigt sie in einem Brief: „In Lobetal steht eine Nachbildung Jesu Christi, wie er die Menschen einlädt und ihnen zuruft: ‚Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.’ Pastor von Bodelschwingh hat diese Plastik aufstellen lassen und seinen Mitarbeitern zugerufen: Dass ihr mir ja keinen abweist! Wir sehen uns aber auch zu unserem Schritt dadurch verpflichtet, dass Jesus uns angeleitet hat zu beten „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Das beten wir jeden Sonntag. Wir sind überzeugt, diese Anweisung Jesu für seine Jünger ist auch für uns verbindlich.
Sie alle können tausend andere Geschichten - aus eigenem und fremden Leben erzählen, in denen das gelungen ist, das Schema der Welt: zurückschlagen – vergelten – sich revanchieren, zu durchbrechen. Damit ist nicht die große Welt verändert worden, damit ist nicht alles neu geworden – aber damit ist doch ein Zeichen aufgerichtet, das Menschen Mut macht, und das die Liebe in unserer Welt aufleuchten lässt.
Und Sie alle werden vielleicht jetzt die Stelle im eigenen Leben wissen, wo für Sie die Herausforderung heißt: Vergelte nicht Böses mit Bösem, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Gott schenke uns allen die Kraft dazu! Amen.
Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg
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