Die Gemeinde der Sünder
von Karl Hans Geil (Lampertheim)
Predigtdatum
:
05.07.1998
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
3. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Römer 14,10-13
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Wochenspruch:
Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Gal. 6,2)
Psalm: 42,2-12 (EG 723)
Lesungen:
Altes Testament:
1. Mose 50,15-21
Epistel:
Römer 14,10-13
Evangelium:
Lukas 6,36-42
Liedvorschläge:
Eingangslied:
EG 475
Werde munter, mein Gemüte
Wochenlied:
EG 428
oder EG 495
Komm in unsre stolze Welt
O Gott, du frommer Gott
Predigtlied:
EG 347,1+7+8
Lobet den Herren, alle, die ihn ehren
Schlußlied:
EG 630
Wo ein Mensch Vertrauen gibt
Liebe Gemeinde!
Rivalitäten hat es schon immer gegeben. Leider, oder ganz selbstverständlich auch in christlichen Gemeinden. Sei das zwischen einzelnen Mitgliedern oder zwischen Gruppen und ihren Interessen.
„Konkurrenz belebt!“, so sagt es ein altes Sprichwort. So kann eine Rivalität, vernünftig und freundschaftlich ausgetragen, durchaus beleben. Doch wehe!- es geht das Gefühl des Miteinanders verloren, das Bewußtsein, im Auftrag eines Höheren in der Gemeinde zu leben und an einer gemeinsamen Sache zu wirken. Die Zeiten solch eskalierender Konflikte sind die kraftraubendsten, die dunkelsten Kapitel im Leben einer Gemeinde, in der Arbeit eines Vorstandes, in der Geschichte einer Kirche.
Seit es christliche Gemeinden gibt sind Verantwortliche bemüht, solche Rivalitäten nicht zum Konfliktfall werden zu lassen. Eine ganz eindringliche Mahnung davor ist unser heutiges Predigtwort. Die Verantwortlichen, die diese Verse ausgesucht haben, verzichteten wohl bewußt auf die grundlegenden Verse davor und die erläuternden Verse danach. Diese Mahnung soll in keinen kirchengeschichtlichen Zusammenhang eingebunden sein. Wir können sie nicht abtun „für bestimmte Gruppen oder Konflikte damals“, oder daß sie so für „ganz bestimmte historische Umstände galten“. Über die Zeiten und ihre speziellen Themen richtet sich die Mahnung des Paulus an Christen und Gemeinden - auch an uns heute. Ich lese sie uns aus dem 14. Kapitel des Römerbriefes:
10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.«
12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum laßt uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, daß niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.
Liebe Gemeinde!
Etwas als richtig zu erkennen und dieses dann auch umsetzen - das sind zweierlei Dinge. Vom Kopf her geben wir dem Paulus doch alle recht. Den Bruder oder die Schwester zu richten, ihn oder sie gar zu verachten,- das ist unchristlich. Ist gegen alles, was Jesus Christus gelebt und gesagt hat. Doch in unserer kirchlichen Wirklichkeit sieht das etwas anders aus.
Das schönste Hobby unter hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern in Kirchenvorständen und Synoden ist das Schimpfen auf „Darmstad“,- gemeint sind die Kirchenverwaltung und -leitung. Seit Geldmangel die innerkirchliche Diskussion um die Gestaltung der Zukunft bestimmt, ist in Gang, was Paulus so verurteilt. Und das auf allen Ebenen.
Die Mittel für den Kirchenchor werden gekürzt. Wieso bei uns? Die Disco im Jugendkeller verursacht so viele Kosten - und im Gottesdienst sieht man die nie.
Die Geschenke für Jubiläumsbesuche bei älteren Gemeindegliedern werden bescheidener. Ausgerechnet bei denen, die ein Leben lang zur Gemeinde standen, wettern die Mitarbeiterinnen des Altennachmittages.
Die Mittel für die Konfirmandenarbeit reichen nicht mehr. Das ist unsere Zukunft,- so die einen. Die werden sowieso aus der Kirche hinauskonfirmiert,- so die anderen.
Und immer werden sehr schnell andere Bereiche, andere Gruppen, andere Personen benannt. Sie tun doch nicht so viel, sind nicht so grundlegend wichtig. Sie können leichter Abstriche machen, ihnen fällt es leichter, zu verzichten.
Was letztlich hier geschieht, ist, zu urteilen, zu richten. Der Schritt, den oder die andere dabei herabzuwürdigen und verächtlich zu machen, ist sehr schnell getan.
Paulus hat ein sehr gutes Gespür dafür, daß die Ermahnung, das sein zu lassen, allein nicht ausreicht. Weder damals in Rom, noch heute in der EKHN. Wenn die Angst umgeht, nützt das Verbot allein wenig. Ich kann nur gegen und neben die Angst die Sicherheit, das Vertrauen setzen, das aus der Zusage Gottes kommt. So führt Paulus die Menschen aus der Betrachtung ihrer Gegenwart heraus. Denen, die dabei sind, im Verteilungskampf alle Solidarität über Bord zu werfen und Gegner zu werden, ruft er zu: Stop! Schaut über den Tellerrand eurer momentanen Befindlichkeit! Schaut auf den Weg, den Gott mit seinen Menschen geht und gehen wird.
Damit führt er alle am Konflikt beteiligten auf ihr menschliches Maß im Angesichte Gottes zurück. Ob Kirchenpräsident oder Kirchenvorsteher, Kerngemeindemitglied oder (sog.) Gelegenheitschrist, ob Konfirmand oder ehrenamtliche Mitarbeiterin. „So wahr ich lebe spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ Da zählt kein Amt und kein Titel. Jeder und jede muß dem Ewigen Rechenschaft geben. Muß dafür einstehen, was er oder sie getan und unterlassen hat; welche Mittel er oder sie eingesetzt hat; in welchem Bewußtsein er oder sie handelte und zu wessen Ruhm das alles geschah.
An dieser Stelle dürfen wir uns getrost die Gnadenworte in Erinnerung rufen. Ich denke nicht, daß Paulus hier drohen will, so nach dem Motto: „Wer nicht hören will, muß fühlen!“ Gott ist kein überharter Lehrer, der knallharte Kommandos gibt und die Rute zückt, wenn jemand nicht pariert. Paulus geht es darum, konkurrierende Gemeindeglieder oder Gruppen anzusprechen. Die zu Konkurrenten Gewordenen wieder in die Gemeinschaft zurückzurufen. Sie von ihren Richterstühlen, von Selbstüberhebungen herunterzuholen und zurückzuführen zu dem, was allen Christen gemeinsame Aufgabe, gemeinsames Ziel ist. Sich nebeneinander vor Gott zu beugen, sich miteinander zu Gott zu bekennen.
Das ist der gemeinsame Nenner aller Christenmenschen. Egal an welcher Stelle oder an welcher Aufgabe sich ein Mensch in der Gemeinde engagiert. Ob er für die Orgel Geld sammelt oder für ein Projekt in der 3. Welt. Ob sie bei der Konfirmandenrüstzeit kocht oder den Vorsitz des Kirchenvorstandes innehat. Sich vor Gott beugen, sich zu ihm bekennen- das macht’s zum Gottesdienst. Macht’s zum Teil des Bekenntnisses, das Sonntag für Sonntag an so vielen Orten dieser Welt gesprochen wird. Macht’s zum Teil des Bekenntnisses, das rund um die Uhr an unzähligen Orten in Worten und Taten abgelegt wird - eben einfach gelebt.
Aus diesem Bewußtsein, den Glauben an den lebendigen Gott und auferstandenen Herm miteinander zu bekennen und nebeneinander zu leben, ergibt sich ganz logisch die Schlußfolgerung: „Darum laßt uns nicht mehr einander richten; sondern richtet vielmehr euren Sinn darauf, daß niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.“
Also nicht sich durch verändernde Verhältnisse auseinanderbringen lassen und zu Gegnern werden, sondern im Bekennen verbunden bleiben. Kein Einzelkämpfertum, das im Überlebenskampf immer rücksichtsloser wird, sondern Solidarität, Gemeinschaft, die miteinander nach Wegen sucht. Die darauf achtet, daß keiner auf der Strecke bleibt.
Dazu eine kleine Geschichte. Hier erzählt einer eine kleine Episode aus seinem Leben. („Ein großes Geschenk“, aus Vorlesebuch Religion, Band 1, Seite 204ff . Die Geschichte kann durch ein ähnliches Erlebnis aus dem eigenen Leben oder dem Leben der Gemeinde ersetzt werden.)
Es ist die Grundentscheidung, vor der wir Menschen so oft im Leben stehen. Betone ich das Trennende, das das Gegenüber zum Fremden, ja Konkurrenten macht und der Angst Raum gibt - oder aber - betone ich das Verbindende, das mir das Gegenüber nahe bringt, zum Freund macht und der Liebe Raum gibt. Wieviel Trennendes hätte betont werden können: die Sprache, das Ausländersein, der Gegensatz von 1. und 3. Welt, Bildung, Kultur, die Mitverantwortung der reichen Länder am eigenen Elend...
Doch weil Christen kommen, gehen sie vom gemeinsamen Glauben aus. Von dem einen Herrn und Erlöser, den sie miteinander bekennen. Vom gemeinsamen Gott und Vater, vor dem sie sich im Gebet nebeneinander beugen. Dies macht die so ganz anderen zu Geschwistern, denen man kein Ärgernis bereitet, sondern sich freut, daß sie da sind und in einer Weise beschenkt, die beschämt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen Leben! Amen.
Ein großes Geschenk
Es ist in Indien. Draußen vor der großen Stadt Bombay wohnen die ganz Armen. Wir fahren hinaus, drei Freunde: ein Engländer, ein Amerikaner, ein Deutscher - und ein Inder, ein alter grauhaariger indischer Pastor. Er zeigt uns den Weg.
Die Sonne brennt auf das flache Land. Kein Baum weit und breit. Hitze, überall Staub, tiefe Löcher in den Wegen. Unser Auto kommt kaum voran.
Dann sind wir bei den Lehmhütten. Sie sind gelb, brüchig, staubig wie das Land, eine an der anderen, hunderte und aberhunderte. Und zwischen den Hütten Menschen über Menschen und viele, viele Kinder. Und alles überragend: die alte häßliche Fabrik.
Eine der Hütten ist größer als die anderen. Sie ist aus Brettern gebaut, fast so groß wie eine Garage. Hier treten wir ein. Als unsere Augen sich an das Dunkel gewöhnt haben, sehen wir es: lauter junge Männer, sechzehn, achtzehn Jahre alt, hocken auf der Erde - mit überkreuzten Beinen. Fünfzehn oder auch zwanzig mögen es sein. Erwartungsvoll blicken sie uns an, Sie wußten, daß wir kommen. Hinter ihnen an den Wänden liegen kleine Bündel: ein Eßnapf, etwas Werkzeug, armselige Kleidung, eine dünne Decke - ihr ganzes Hab und Gut.
Der alte Pastor redet mit ihnen - in ihrer Sprache. Dann beginnen sie zu singen. Der alte Pastor liest etwas vor - aus der Bibel. Dann fragt er sie etwas: Wen von euch habe ich getauft? Fast alle heben die Hand. Ihre Augen leuchten. Sie sind Christen.
Wir beten zusammen: „Vater unser...“, jeder in seiner Sprache.
Dann erzählen wir. Der alte Pastor übersetzt es ihnen: Wir sind aus anderen Ländern gekommen. Man hat uns eingeladen. Wir haben etwas mit Büchern zu tun. Bücher werden überall gebraucht, Bücher über die Arbeit, Bücher über die Gesundheit, Bücher über die anderen Menschen, Bücher über Gott. Wer ein Buch lesen kann, der kann sich und anderen Menschen helfen.
Die jungen Männer staunen. Sie freuen sich.
Dann reichen sie eine Pappschachtel herum. Jeder legt ein Geldstück hinein. Er verdient so wenig - in der Fabrik oder beim Steineklopfen auf der Straße. Aber er gibt ab. Es ist für den alten Pastor. Er soll davon leben. Er soll Zeit haben, daß er überall erzählen kann - von Gott und von Jesus. Alle Menschen gehören ja zu Gott, wie Kinder zu ihrem Vater. Nur: Sie wissen es noch nicht alle. Er soll es ihnen sagen. Er soll sie zu Gott holen - für immer.
Dann sind alle wie eine Familie; auch die Fremden gehören dazu, die aus England, aus Amerika, aus Deutschland.
Drei von den jungen Männern stehen auf. Jeder hat eine Flasche in der Hand, eine Flasche Coca-Cola. Sie haben viel Geld dafür ausgegeben. Dabei verdienen sie doch so wenig. Aber die Fremden haben gewiß Durst. Es ist so heiß in Indien. Die drei Männer geben den Fremden zu trinken.
Sie selbst trinken nie eine Flasche Coca-Cola. Das ist viel zu teuer. Aber für die Fremden haben sie gespart. Es ist ein großes Geschenk.
Arndt Ruprecht
Verfasser der Predigt: Pfr. Karl Hans Geil
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