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Die Gemeinde der Sünder

von Rudolf Krause (38820 Halberstadt)

Predigtdatum : 04.07.2004
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 3. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Römer 14,10-13
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Wochenspruch:

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Galater 6,2)

Psalm: 42,2-12 (EG 723)

Lesungen

Altes Testament:
1. Mose 50,15-21
Epistel:
Römer 14,10-13
Evangelium:
Lukas 6,36-42

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 172
Sende dein Licht und deine Wahrheit
Wochenlied:
EG 428
oder EG 495
Komm in unsre stolze Welt
O Gott, du frommer Gott
Predigtlied:
EG 323
Man lobt dich in der Stille
Schlusslied:
EG 221,1-3
Das sollt ihr, Jesu Jünger,
nie vergessen

10 Was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, amir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.«
12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern arichtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoss oder Ärgernis bereite.

Hinführung
Ich empfinde die Textabgrenzung zu willkürlich und nehme 14,1-3.19.21 und den Kernvers 15,7 hinzu.
„Eine überzeugende, religionsgeschichtliche Ableitung der Praxis der Schwachen ist nicht möglich“ (Schnelle, Einleitung NT, 4. Auflage 02).
Allerdings ordnet gerade Schalom Ben-Chorim (Paulus, 5. Auflage 86) die Schwachen den in Rom nach dem Claudius-Edikt immer weniger werdenden Judenchristen zu, denen es verboten war, unzulässige Kost (Schweinefleisch) und rituell unzulässigen Wein (Nessach) zu genießen. Man muss sich aber hüten, den Text zum Anlass zu nehmen, um gegen jüdische (und dann katholische) oder pietistische Gesetzlichkeit zu predigen.
Die Termini „Schwache“ und „Starke“ dürfen nicht zu sehr verleiten, die Starken zu glorifizieren. Denn Paulus kritisiert ja vor allem die Rücksichtslosigkeit der Starken, natürlich dann auch schnelles Urteilen und Verurteilen der Schwachen.
Paulus hat sich gegenüber seiner Kompromisslosigkeit im Galaterbrief (4,10) weiter entwickelt. „Jeder muss selber der Zeuge seines Glaubens werden“ (Ernst Fuchs, Die Frage nach dem hist. Jesus, 1960, Seite 146).
Durch meine Texterweiterung soll u. a. zum Ausdruck kommen, dass Paulus den Streit zwischen Schwachen und Starken nicht nur in einen eschatologischen Zusammenhang (14,10 und 12), sondern auch in einen christologischen ( 15,7), ja sogar in einen israeltheologischen (15,8.9) und doxologischen Zusammenhang (Vergleiche 14,11 mit 15,9-13) stellt: Gott verfügt allein über das Monopol des Richtens, Christus ist das Vorbild und Urbild des gegenseitigen Sich-Annehmens, Juden und Heiden (und ich denke, unter beiden gibt es „Starke“ und „Schwache“) sollen Gott loben.
Die Alternative zu „richten“ (vielleicht vornehmlich die Art, besser Unart der Schwachen) und zu „verachten“ (vielleicht vornehmlich die der Starken) heißt: Den Bruder (die Schwester) wahrnehmen und ihren Glauben nicht in Verwirrung bringen (Vers 13 Gute Nachricht).
Zusammenfassend sagt unser Text: Ihr Christen in Rom, nehmt Rücksicht aufeinander. Vergewaltigt nicht das Gewissen eurer Mitschwestern und Mitbrüder (Käsemann, Römerbrief, 3. Auflage 1974).Wir stehen alle vor dem Angesicht Gottes und haben vor ihm Rechenschaft abzulegen. Nehmt daher einander an, wie Christus euch angenommen hat. Jeder glaubt auf seine Weise. So, nur so werden wir gemeinsam Gott loben können.

Liebe Gemeinde!
Christengemeinde ist das wandernde Gottesvolk, der große Treck Gottes, der durch die Zeiten zieht. Und da kommt es darauf an, dass diese Kolonne der Christen beieinander bleibt, dass nicht einige vorn davon stürmen und andere hinten abgehängt werden. Es kommt darauf an, dass dieser Treck Gottes nicht in der Mitte auseinander bricht, weil die einen zu schnell, die anderen zu langsam sind.
Es ist wie bei einem Kolonne-Fahren auf großen Strecken. Da muss jeder Fahrzeugführer wie ein Luchs aufpassen, dass er seinen Hintermann nicht verliert, dass er aber auch am Vordermann dranbleibt. Eine ganz große Hilfe ist ihm dabei der Rückspiegel, auf den er immer ein Auge wirft. Er kann mit dem Rückspiegel beobachten, ob sein Hintermann, seine Hinterfrau noch nachkommt. Der Rückspiegel ist wie das Gewissen eines Autofahrers, das anzeigt, ob er die Mitfahrer etwa verloren hat, aber auch, ob er gefahrlos überholen kann – auch das wird manchmal beim Kolonnefahren nötig sein.
Unser heutiger Predigttext stammt aus den letzten drei Kapiteln des Römerbriefes des Apostel Paulus - das letzte, was Paulus überhaupt geschrieben hat, ehe sich seine Spuren verlieren. Diese Kapitel sind wie sein Vermächtnis an uns. In ihnen ist es ihm ganz wichtig, dass wir Rücksicht aufeinander nehmen und uns gegenseitig nicht aus den Augen verlieren. Wir tragen, und das meint er im Grunde, alle einen inneren Rückspiegel in uns, der verhindert, dass wir den Bruder, die Schwester verlieren. Wir müssen uns nur seiner bedienen.
Paulus sagt das so: Lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander. Wir sollen uns nicht aneinander reiben, sondern einander weiterhelfen. Um in der Autofahrersprache zu bleiben: Bitte, nicht rücksichtslos überholen, um Spitze sein zu wollen und uns dabei gegenseitig verlieren. Paulus selbst hat es lernen müssen, nicht nach vorn zu preschen und die Schwester, den Bruder mit der langsameren Gangart außen vor zu lassen. Im Galaterbrief war er ja noch eine Art Hitzkopf und hat wenig Rücksicht genommen. Er formuliert – und das ist sozusagen seine Altersweisheit – einen wunderbaren Spitzensatz: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat – zum gemeinsamen Lob Gottes.
Ein gutes Beispiel für diese gebotene Rücksichtnahme, für diesen behutsamen Umgang miteinander, erzählt er hier. In der Gemeinde in Rom gab es zwei Parteien, die Gemüseesser und die Fleischesser. Die ersteren waren Vegetarier um des Glaubens willen. Sie scheuten sich vor Fleisch, denn es war für sie beseelte, lebendige Kost. Und auf der anderen Seite demonstrierten andere ihre christliche Freiheit und machten den Fleisch- und Alkoholverzicht und auch noch andere Gewohn- und Eigenheiten einfach nicht mit.
Diese Anwälte christlicher Freiheit lebten nach der Losung des Paulus: Alles ist euer. Ihr aber seid Christi. Christus aber ist Gottes. Paulus nennt sie, die mehr Großzügigen, die Starken. Und die anderen, die mehr Engherzigen, bezeichnet er als die Schwachen. Er weiß natürlich, dass Glaube, Liebe und Hoffnung auch bei den sogenannten Schwachen ganz stark sein kann. Aber in den für ihn nebensächlichen Fragen sind sie, die Vegetarier, eben sehr genau, übergenau, kleinlich.
Ihm liegt nun daran, dass diese beiden Gruppierungen in der römischen Gemeinde sich gegenseitig akzeptieren, dass die Starken die Schwachen nicht verachten oder belächeln – ach, ihr Gemüseesser mit euren Marotten - und dass die Schwachen die Starken nicht verurteilen – ihr, ihr Liberalen habt ja nicht den rechten Glauben. So kam es dazu, dass die Freien sich von den Asketen und dass die Asketen sich von den Freien absetzten - und sich gegenseitig immer mehr provozierten.
Wahrscheinlich kam es, um wieder in der Autosprache zu bleiben, zu gegenseitigen Überholvorgängen. Die frommen Asketen wollten immer frömmer, die Freien immer freier sein. Paulus mahnt daher: Bleibt unter Gott, der allein das letzte Urteil spricht, und nehmt es nicht vorweg. Eure Richterstühlchen sind nie und nimmer der Richterstuhl Gottes. Und bleibt beieinander, um gemeinsam Gott zu loben und euch nicht gegenseitig zu reizen und zu sticheln.
Dazu, zum Lob Gottes nämlich, ist unsere Zunge da. Vor allem: Gebraucht den inneren Rückspiegel, damit ihr die Schwester, den Bruder seht, auch seht, woran er bei euch Anstoß nimmt. Verwirrt vor allem nicht sein Gewissen. Wenn ihr in zweitrangigen Fragen anders denkt, sprecht mit ihm, diskutiert geduldig und eben nicht ungeduldig mit ihm.
Auch in unseren Christengemeinden gibt es Beispiele genug für diese geforderte Rücksichtnahme, für diesen notwendigen Rückspiegel. Drei möchte ich nennen.
Eine ökumenische Zeitschrift hat jüngst ihre Leser aufgefordert, eigene Glaubensbekenntnisse zu formulieren und einzuschicken, und sie ist dabei auf ein erstaunliches Echo gestoßen. Über 1000 Leser haben sich beteiligt und ihre persönlichen Glaubensbekenntnisse formuliert. Es sind Glaubensbekenntnisse, in denen das vorkommt, was im herkömmlichen Sonntagsbekenntnis fehlt, die Spitzenaussage der Bibel, dass Gott Liebe ist und wie sich diese Liebe nicht nur im Sterben Jesu, sondern auch in seinem Leben (z. B. in der Bergpredigt) spiegelt.
Dafür ist in diesen neueren Bekenntnissen wenig oder gar nichts gesagt über die harten Brocken des alten Bekenntnisses, z. B. Jungfrauengeburt oder Himmelfahrt, die manchem von uns schwer über die Lippen kommen. Ein ganz kurzes Credo sei hier zitiert, das in den Begriff der Liebe den versteckt, den wir Gott nennen und den wir mit Jesus Christus kennen.
Ich glaube, dass Liebe der Ursprung der Welt ist.
Ich glaube, dass wir alle der Liebe unser Dasein verdanken.
Ich glaube, dass nur durch die Liebe die Welt
heil und friedvoll werden kann.
Ich glaube, dass Liebe, auch wenn sie nicht angenommen
und an’s Kreuz geschlagen wird, am Ende doch siegen wird.
Ich glaube, dass letztlich unsere Sehnsucht
nur in der Liebe erfüllt werden kann,
zu der wir wieder zurückkehren.
Das apostolische, weltweite Glaubensbekenntnis aller Kirchen, das ja alle Kirchen zusammenhält, soll nicht ersetzt werden. Aber es könnte für kritische Christen erklärt werden. Könnte nicht ein solches oder anderes persönliches Bekenntnis an das allgemeine Glaubensbekenntnis angeschlossen werden? Vielleicht mit den Worten: Ein Christ / Eine Christin versteht das alte Glaubensbekenntnis heute so... Paulus würde sich über eine solche Variationsbreite, die sich gegenseitig erträgt, gewiss freuen. Das wäre gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Christen mit ihren verschiedenen Gangarten, mit ihren verschiedenen Frömmigkeitsstilen.
2. Beispiel. Augenblicklich wird heiß diskutiert, ob homosexuelle Paare kirchlich gesegnet werden dürfen und ob ein homosexueller Pfarrer z. B. Bischof werden darf. Es ist ganz natürlich, dass da die Meinungen hart aufeinander prallen, die einen, die „Starken“ berufen sich auf Jesus von Nazareth, der keine Diskriminierung, keine Herabwürdigung zuließ, andere zitieren Bibelstellen im Alten Testament und bei Paulus, die Homosexualität scharf verurteilen. Es kommt auch hier auf das feine Gespür füreinander an – und auf den inneren Rückspiegel.
Letztes Beispiel: der ökumenische Kirchentag vor einem Jahr und die Debatte um das Abendmahl. Paulus würde ganz selbstverständlich prinzipiell keine getrennten Abendmahlstische dulden. Aber er würde den leider nun getrennten Kirchen raten: Nehmt Rücksicht auf die katholischen Schwestern und Brüder (und auch manche evangelische Mitchristen), die nicht so schnell umdenken können und immer noch das getrennte Mahl bevorzugen.
Und er würde sagen: Provoziert euch nicht gegenseitig. Der Zug des wandernden Gottesvolkes darf nicht in der Mitte auseinanderbrechen. Ihr Schnelleren, habt Geduld mit den Langsameren in der Schar der Wandernden. Denn es ist ganz wichtig, dass wir einmal gemeinsam Gott loben, die Starken mit den Schwachen, die katholischen Schwestern und Brüder mit uns evangelischen Christen, ja, Paulus sieht sogar einmal die Juden mit den Christen, die Christen mit den Juden auf Gott ein Loblied anstimmen. Amen.

1. Anmerkung: Ursprünglich hatte ich ein längeres Credo in meinem Beispiel zwei, aber es erschien mir doch zu lang und im 3. Artikel nicht gut genug formuliert. Ich füge auf alle Fälle den Text bei:
Eine ökumenische Zeitschrift hat jüngst ihre Leser aufgefordert, eigene Glaubensbekenntnisse zu formulieren und einzuschicken. Und diese Zeitschrift – sie heißt Publik-Forum – war erstaunt, auf welches Echo diese Bitte gestoßen ist. Über 1000 Leser haben sich beteiligt und ihre persönlichen Glaubensbekenntnisse formuliert, Glaubensbekenntnisse, in denen vor allem wesentliche Aussagen der Bergpredigt vorkommen, die ja im apostolischen Glaubensbekenntnis fehlen. Es sprudelt in ihnen nur so von Aussagen über den Glauben heute. Mag einigen dieser Glaubensbekenntnisse der innere Rückspiegel fehlen, die meisten dieser neuen Bekenntnisse lehnen sich an Hauptaussagen des üblichen Gottesdienstbekenntnisses an und bleiben im Gespräch mit eher konservativen Christen. Nur eines aus dem reichen Schatz neuen Nachdenkens über unseren Glauben soll hier zitiert werden, eines, das manche schwierige Aussagen des herkömmlichen Bekenntnisses wie Jungfrauengeburt oder Himmelfahrt übergeht und die Aussage über die Allmacht Gottes, über die wir allzu oft stolpern, sehr geschickt umformuliert
Ich glaube an Gott, den tragenden Grund in meinem Leben. Ich kann seine Spuren entdecken in der Schöpfung, in der Stille, im Guten im Menschen, in allem Geheimnisvollen, das uns übersteigt.
Ich glaube an Jesus, unseren Befreier. Durch seine Lebensfreude, seine kämpferische Solidarität und seine heilende Zuwendung kann ich erfahren, wie Gott mit uns umgeht. Er erlöst uns von den Allmachtsphantasien, alles selber machen zu müssen.
Ich glaube an die Kraft der Freundschaft, die sich in der lebensspendenden Hoffnung der Freundin Geist erfahren lässt. Sie bewegt uns zur Zärtlichkeit und zum Aufstand für das Leben. Sie führt uns zusammen, um die Kirche zu erneuern im Engagement für ein Leben vor dem Tod für alle, und in der Hoffnung auf ewiges Leben.
Das nur ein Beispiel. Manche Versuche sind poetischer, manche noch moderner, manche ausführlicher, manche viel persönlicher. Aber alle bezeugen: Glaube lebt, auch in heutiger Zeit. Und warum sollte nicht deshalb hin und wieder das übliche Glaubensbekenntnis im Gottesdienst durch ein solches ganz persönliches Zeugnis ergänzt werden? Etwa im Sinne des „Was ist das?“, mit dem Martin Luther die drei Artikel erklärt hat? Wichtig ist nur, dass wir mit diesem inneren Rückspiegel sensibel werden für die Mitchristen rechts und links neben uns, die bei diesen zeitgemäßen Glaubensbekenntnissen Bedenken haben.

2. Anmerkung : Das zitierte Credo könnte auch nach dem Apostolikum eingeschoben werden, etwa mit den Worten: Ein Christ unserer Tage hat sich diese Gedanken über unseren Glauben gemacht. Dann müsste der Predigttext darauf Bezug nehmen.

Verfasser: Pfr. i. R. Rudolf Krause, Kirchweg 3, 38820 Halberstadt

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