Die große Krankenheilung
von Gabriele Dietzel
Predigtdatum
:
22.08.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Gedenktag der Zerstörung Jerusalem
Textstelle
:
Apostelgeschichte 9,1-9.(10-20)
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Wochenspruch:
"Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen." (Jesaja 42, 3)
Psalm: 147, 1 - 3.11 - 14 a oder 113 (EG 745)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 29, 17 - 24
Epistel:
Apostelgeschichte 9, 1 - 9 (10 - 20)
Evangelium:
Markus 7, 31 - 37
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 455, 1 – 3
Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang
Wochenlied:
EG 289
Nun lob, mein Seel, den Herren
Predigtlied:
EG 365, 1.3.4
Von Gott will ich nicht lassen
Schlusslied:
EG 347
Ach bleib mit deiner Gnade
1) Sonderbares Wesen des menschlichen Herzens
Mit Schnauben, Drohen und Ermächtigungsbriefen verfolgt Saulus die Christen, liebe Gemeinde.
Dies erinnert an den Pharao, der mit Schnauben und Drohen das Volk Israel verfolgte.
Das erinnert an die Inquisitoren des Mittelalters, die jeden und jede, der oder die von der Dogmatik abwich, mit Schnauben, Drohen und Ermächtigungsbriefen verfolgten.
Und: das erinnert an alle Fundamentalisten aller Zeiten sowie an alle totalitärem Systeme an allen Orten der Welt und in allen Jahrhunderten.
Menschen werden bekämpft.
Oder: „die neue Lehre“, heißt es bei Saulus.
Also: das, was die eigene Existenz bedroht.
Alles, was Menschen rasend bekämpfen, hat mit ihrem eigenen Innern zu tun. Der Pharao spürte ja etwas von der Macht des Gottes Israels. Dagegen verhärtete er sein Herz.
Saulus muss in seinem Herzen von dieser neuen Lehre, die er verfolgte, getroffen oder angerührt oder angekratzt gewesen sein – dagegen wehrt er sich mit aller Macht, bekämpft, was ihn irgendwie, unbewusst anspricht.
Die Inquisitoren des Mittelalters fürchteten Kopernikus und Galilei, fürchteten fähige Frauen, weil sie um ihre feste Dogmatik fürchteten. Weil sie um ihre Macht fürchteten. Und rasend verfolgten und mordeten sie Kopernikus, Galilei und Frauen als Hexen sowie Theologen, die kritisch dachten.
Die tiefste Angst ist die Angst, Macht zu verlieren. Das gilt übrigens auch für unsere Beziehungen, für Freundschaftsbeziehungen, Kollegenbeziehungen, besonders für Paar-Beziehungen.
Dabei helfen andere Menschen und andere Gedanken zur Vertiefung, helfen zur Infragestellung und Klärung, eventuell Veränderung der eigenen Haltung.
Oder es begünstigen solche Einschnitte und Krisen eine Wende. Die Auseinandersetzung mit neuen Gedanken lässt einem selbst reifen und wachsen als Mensch. Sie macht das Leben reicher.
Der Pharao wäre von Gott gesegnet worden, hätte er Gottes Stimme gelten und das Volk Israel ziehen lassen. Aber sein Herz blieb verstockt. Und er starb im Meer. So wird es erzählt im AT. Die Inquisi-toren hätten großen Gewinn gehabt von Galilei, Kopernikus, von den Theologen, die kritisch dachten, und von den Frauen, die einfach begabt und anziehend waren, eine besondere Ausstrahlung hatten oder heilkundig waren oder sonstige Künste beherrschten.
Sonderbares Wesen des menschlichen Herzens: Es wehrt sich gegen etwas mit Händen und Füßen und mit aller Macht, was eigentlich gut tun würde.
Vielleicht kennen wir es ja auch von uns selbst: dass wir unser Herz verhärten. Wenn einer, mit dem wir Streit haben, Versöhnung anbietet oder zumindest eine Aussprache. Und wir machen uns hart. Wenn wir uns irgendwo unnachgiebig zeigen und im Grunde selbst darunter leiden. Wenn wir uns immer wieder das Negative von jemandem vor Augen führen und das Positive ausblenden, nicht wertschätzen möchten. Wenn wir uns von Armut oder Not nicht berühren lassen. Wenn wir uns sperren gegen Veränderungen, die das Leben mit sich bringt – Kinder loslassen, Ehepartnern Freiheit geben, nötige Veränderungen im Betrieb, in der Gesellschaft erkennen und bejahen...
„Wer sich verhärtet, den bestraft das Leben.“
Vielleicht können wir, liebe Gemeinde, jede/r für sich, überlegen, ob und in welchen Bereichen dies für uns zutreffen könnte.
Verhärten wir unser Herz – an irgendeiner Stelle in unserem Leben?
2) Bekehrung
Wer sich verhärtet, ist immer der Verlierer.
Denn wer sich verhärtet, sperrt das Lebendige aus seinem Herzen aus. „Heute, wenn ihr Gottes Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht.“ (Ps 95 und Hebr. 13), heißt es darum im Alten und im Neuen Testament.
Und, nicht wahr: so ist es doch auch: dass wir eine andere Stimme brauchen, um aus Verhärtung herauszufinden. Eine Stimme, die wir eben nicht in unserem Herzen haben.
Und wenn das geschieht, dass eine Stimme von außen – Menschenstimme oder Gottes Stimme – die Verhärtung aufbricht, etwas löst, das Leben in unser Herz wieder einströmen kann, wir vom Schnauben und Drohen lassen können – da geschieht Bekehrung – in unserem Alltag, eine Nummer kleiner als bei Paulus, nicht so spektakulär. Nicht so dramatisch. Aber genau das ist Bekehrung. Eine Art/ Facette der Bekehrung. Wer das Leben einlässt, lässt Gott ein. Oder umgekehrt: Wo Gott einen Menschen erreicht, wird Leben, wird etwas lebendig.
Wie war es mit der Bekehrung von Saulus zu Paulus? Da umleuch-tete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“
Wir sehen an dieser Geschichte: Bekehrung können wir nicht machen. Bekehrung widerfährt uns. Sie ist keine Gedankenleistung, keine geistige Großtat. Kein „Muss“. Bekehrung ist passiv – sie trifft uns. Es geschieht etwas mit uns.
Es geht jedoch auch nicht ohne uns – wir müssen irgendwie „auf Empfang“ geschaltet sein. Sei es als lebendige, leidenschaftliche Menschen - wie Saulus es war, sei es als ruhigere, noch aufzuwek-kende Menschen, aber irgendwie müssen wir auf Empfang geschaltet sein. Mit Herz und Verstand.
Wir sehen an dieser Geschichte: wo große Gefahr und keine Hoffnung war – für die damaligen Christen – da kommt Licht. Gegen allen Augenschein geschieht eine gute Wende.
Unverhofft treffen Worte ins Herz, die etwas lösen.
„Saul, was verfolgst du mich?“
So kennen wir es aus allen bekannten, großartigen Bekehrungsgeschichten: bei Franz von Assisi, bei Martin von Tours – dem Heiligen Martin, bei Albert Schweitzer und Mutter Teresa.
Immer sind es Licht und Worte, die erschütternd einen Menschen treffen. Und dann eine entscheidende Veränderung bewirken. Und sicher ist das so auch bei vielen unbekannten Bekehrungen.
Ob wir für uns so etwas wollten? Da ist die Sehnsucht, Gott zu finden. Seiner gewiss zu werden. Die Hoffnung auf Erleuchtung. Gera-de, wenn Menschen einen großen Schmerz erleiden, wird es oft er-sehnt, Gott zu erfahren, zu spüren. Einen Sinn des Schweren zu be-greifen oder zu erfahren, wie es weitergehen soll. Zu wissen, dass man nicht verlassen ist. Herauszufinden, warum alles so ist.
Endlich Gott zu finden. Zu erfahren und zu spüren, dass Gott da ist.
Ich glaube, dass doch sehr viele Menschen diese Sehnsucht fühlen.
Endlich Klarheit haben, wissen, was gut ist, wissen, welchen Weg wir gehen sollen. Wozu wir bestimmt sind. Gott möge sich doch zeigen! Kraft schöpfen aus einem solchen Bekehrungserlebnis, hinter das man ja nie mehr zurück kann.
3) Bekehrung – für uns?
Wenn Christus uns so klar in den Weg träte wie dem Saulus......
Dann gäbe es auf jeden Fall irgendeine Art von Bruch mit der Vergangenheit. Das gehört zum Wesen der Bekehrung – auch der kleinen Bekehrungen. Dass das Leben sich dann ändert.
Ob wir das wollen? Den Mut dafür haben? Niemand von uns weiß, was Gott mit uns vorhat. Christen werden wir jedoch nicht nur vor Damaskus, also durch ein einschneidendes Bekehrungserlebnis.
Christsein hat viele Anfänge.
Und wir sind immer auf dem Weg. Der so dramatisch bekehrte Paulus wird später von sich schreiben: „Nicht, dass ich´s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei. Ich jage ihm aber nach – dem Christsein – ob ich´s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Je-sus ergriffen bin.“ (Phil. 3,12) So – ähnlich – geht es uns doch auch.
Luther sagt: „Der Glaube ist weniger ein Sein als ein Werden.“ Und Luther redet von täglicher Umkehr, täglicher Bekehrung. So wie heute Morgen, wenn wir uns hinkehren zu Gott, gerade eben im Moment.
Christen zeichnet es aus, dass sie – sozusagen – „auf Empfang“ ge-stellt sind. Offen für das Licht und offen für das Wort Gottes. Und dann: Gott tun lassen. Sich Gott ausliefern. Ist nicht gerade das ein gangbarer Weg – besonders in schweren Erfahrungen? Sich Gott ausliefern? Für Sie, liebe Gemeinde, sich Gott ausliefern?
***
Orgelmusik
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4) Bekehrung ist Erlösung von sich selbst.
Nun möchte ich zum Schluss erzählen von der Bekehrung eines großen, berühmten Menschen. Sonderbarerweise ist seine Bekehrungsgeschichte ziemlich unbekannt. Dabei ist sie uns so nahe.
Da ist ein praktizierender Christ, schon viele Jahre – und bestimmt kein schlechter, so ähnlich wie wir vielleicht – und dann erlebt er den Einschnitt, die Wendung um 180 Grad.
Sagt das Gegenteil von dem, was er vorher sagte. Betet ganz anders.
Beten Sie viel – außer im Gottesdienst? Er hat kaum gebetet. Sie werden vielleicht erstaunt sein: ich rede von Dietrich Bonhoeffer.
„Dann kam etwas ganz Anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herum geworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel....Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und gepredigt – und ich war noch kein Christ geworden...Ich weiß, ich habe damals aus der Sache Jesu Christi einen Vorteil für mich selbst...gemacht. Ich bitte Gott, dass das nie wieder so kommt. Ich hatte auch nie, oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden...Das war eine große Befreiung... Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher ...leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als selbstverständlich auf. Und so ging es weiter, Schritt für Schritt. Ich sah und dachte gar nichts Anderes mehr...“
(Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, S. 249)
Selbst etwas sein wollen – die eigene Ehre, das eigene Ansehen – sagt Bonhoeffer. Ein urmenschliches Bedürfnis. Davon hat die Stimme Gottes ihn befreit. Dieselben Worte, die er schon viele, viele Male gelesen, gepredigt, gehört hat, haben sich neu eröffnet.
Bei Bonhoeffer sehen wir, dass Bekehrung immer auch ein Stück Erlösung von sich selbst ist. Genau wie bei Saulus/Paulus. Also, so könnte ich zum Schluss folgern: Bekehrung ist Erlösung von sich selbst. Und damit Befreiung. Bekehrung ist: sich Gott ausliefern. Sich Gott in die Arme werfen.
Wir wollen uns offen halten, liebe Gemeinde, für Gottes Wort und sein Licht. Es entfaltet seine Kraft immer – und manchmal auf besondere Weise. Das aber müssen wir Gott überlassen. Es liegt jedoch nicht in unserer Hand. Jede Krise und Infragestellung birgt die Chance zu guter Wende. Die Hoffnung brauchen Christen und Christinnen nie aufzugeben. Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Gabriele Dietzel
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