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Die große Krankenheilung

von Michael Heymel (64291 Darmstadt)

Predigtdatum : 14.08.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Gedenktag der Zerstörung Jerusalem
Textstelle : Jesaja 29,17-24
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Wochenspruch:

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
(Jesaja 42,3)

Psalm: 147,1-3.11-14a oder 113 (EG 745)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 29,17-24
Epistel:
Apostelgeschichte 9,1-9 [10-20]
Evangelium:
Markus 7,31-37

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 328
Dir, dir, o Höchster, will ich singen
Wochenlied:
EG 289
Nun lob, mein Seel, den Herren
Predigtlied:
EG 66
Jesus ist kommen
Schlusslied:
EG 171
Bewahre uns, Gott

17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21 welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. 22 Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. 23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände - seine Kinder - in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. 24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

(Anm. des Herausgebers: Die folgende Predigt wurde ursprünglich für das Jahr 1999 geschrieben und musste kurzfristig noch einmal aufgenommen werden. Darum konnten die Beispiele nicht aktualisiert werden.)

Auf dem Weg zur Predigt habe ich folgende Vorentscheidungen getroffen:
1. Der unmittelbar vorhergehende Kontext (Vv. 9-16) erhellt die Situation, auf die sich der Predigttext bezieht. Deswegen habe ich ihn bei der Erarbeitung der Predigt mit einbezogen.
2. Bei der Auslegung des Textes habe ich mich vor allem an Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Band 1, Stuttgart 1986, orientiert, da ich die Prophetie Jesajas zuerst als Zeugnis der Hebräischen Bibel für Israel ernst nehmen möchte.
3. Der Predigtvorschlag setzt voraus, dass im Gottesdienst das Evangelium des Sonntags (Mk 7,31-37) und der Predigttext in der revidierten Fassung der Lutherbibel von 1984 gelesen werden.
4. Die Beispiele beziehen sich auf den Prozess gegen den Hochstapler Gert Postel, der am 20. Januar 1999 in Leipzig begonnen hat, und die Debatten, die der Streit zwischen Martin Walser und Ignaz Bubis sowie die Kampagne der Unionsparteien gegen die Erleichterung der doppelten Staatsbürgerschaft von in Deutschland lebenden Ausländern ausgelöst haben.

Liebe Gemeinde!
„Morgen, morgen, morgen, morgen wird das alles vergehn. / Morgen, morgen, morgen, morgen wird das Leben endlich wieder schön.”
Worte aus einem Schlager, mit dem Ende der 50er Jahre ein jugoslawischer Sänger in Deutschland großen Erfolg hatte. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, in der die ersten Gastarbeiter kamen. Eine Zeit der Sehnsucht in die Ferne, in der Besserverdienende sich einen Urlaub in Italien leisten konnten und die Daheimgebliebenen dankbar waren für ein Lied. Ivo Robic, der Mann vom Balkan mit dem rollenden „R”, versprach die Aussicht auf ein schönes Morgen, freilich ohne genau zu sagen, wo und worin das Schöne lag. Doch man hörte es gern, wenn er sang: „Morgen, morgen / lacht uns wieder das Glück.”
Wie geringfügig und unbestimmt ein solches Versprechen auch sein mag, es weckt doch Hoffnung. Es eröffnet die Aussicht, dass sich etwas zum Besseren hin verändert, und zwar schon bald.
Wie Gott Natur und Menschen verwandelt
Unvergleichlich größer, erhabener klingt da die Verheißung des Propheten Jesaja: Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden... Landschaften und Menschen werden sich verwandeln, schneller als erwartet. Die Zukunft steht ganz im Zeichen Gottes, des Heiligen Israels.
In Landschaften zeigt sich die Schönheit des Lebens, das Er ermöglicht, und zugleich spiegelt sich darin, wie Menschen mit dem Leben umgehen. Libanon und Karmel sind schon im Altertum für Bauwerke und Schiffe abgeholzt worden – und dennoch: sie sollen herrlicher denn je aufblühen.
Das reicht weit hinaus über die Aussicht, dass das Leben „wieder schön” wird. Ein Volk, das sich von Gott entfernt hat, bekommt ein großes Versprechen: es wird sehen, wie Er mit Seinen Händen wirkt. Die Tauben werden hellhörig, die Blinden werden hellsichtig. Es wird erkennbar, wie Gott in der Geschichte wirkt, aber nur die Demütigen und die Armen werden es erkennen. Sie freuen sich, weil Gott die Natur verwandelt, weil menschliche Gebrechen ein Ende haben und weil die bösen Widersacher verschwinden.
All dies soll in Kürze geschehen – aber man sieht noch nichts davon.
Liebe Gemeinde, der Prophet macht das Unsichtbare sichtbar! Er kündigt an, was sich wandeln wird – aber wir sehen jetzt noch nichts davon. Wir sehen noch nicht, wo und wie Gott unsere Umgebung und uns selbst verwandelt, so lange wir uns in einem Zustand befinden, der dem Zustand des Volkes Israel zur Zeit des Jesaja gleicht.
Warum wir Gottes Hinweise nicht bemerken
Manchmal hat man den Eindruck: die Menschen um uns herum sind wie im Tiefschlaf, wie betäubt: blind und taub für Gottes Botschaft. Sie stehen davor wie vor einem ‚versiegelten Buch’, ohne Verständnis, ohne Einsicht. Die Worte sagen ihnen nichts. Ihr Herz ist weit weg von Gott.
Manchmal geht es mir selber so. Ich bin schläfrig und wie betäubt, so dass Gottes Wort mich nicht erreicht. Ich bewege mich im Schlaf, so sicher wie ein Schlafwandler. Aber was wirklich ist, bemerke ich nicht.
Geht es Ihnen manchmal auch so? Dass Sie keine Augen für das haben, was wirklich ist? Dass Sie nicht verstehen, was Gott Ihnen zu sagen und zu zeigen hat? Oft sind wir so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir nicht hören, wenn Gott uns ruft.
„Die meisten Leute schlafen, ohne es zu wissen” (Anthony de Mello). Sie tun alles im Schlaf, ohne jemals wach geworden zu sein. Die Propheten nennen diesen Zustand ‚Verblendung’. Man ist blind und taub für die Wirklichkeit, für alle Hinweise auf Gottes Gegenwart. Ein ganzes Volk kann derart verblendet sein.
Was muss geschehen, damit wir „aus dem Schlaf der Sicherheit” (EG 263,2) aufwachen? Wodurch werden wir derart angerührt, dass wir hellsichtig und hellhörig werden für die Wunder, die der Herr allen Lebens an uns tut?
Wie wir mit Gott in Berührung kommen
Jesus hat offenbar die erstaunliche Fähigkeit gehabt, Menschen für Gottes Gegenwart die Sinne zu öffnen. Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend (Mk 7,37). Er handelt schöpferisch wie Gott, der alles gut und schön gemacht hat. Und selbst ein Taubstummer kann, nachdem Jesus ihn berührt hat, auf einmal hören und sprechen. Eine wunderbare Verwandlung! Jesus hat ihm ermöglicht, mit allen Sinnen Mensch zu sein, und ihm einen ganz neuen Zugang zur Welt eröffnet. Dabei geht den beteiligten Augen- und Ohrenzeugen auf: hier ist Gott am Werk, hier ist Er gegenwärtig!
Die Prophetenworte wecken eine tiefe Sehnsucht nach dem, was in der Begegnung mit Jesus geschieht: dass sich alle meine Sinne für Gott öffnen, meine Ohren, dass ich Seine Stimme neu vernehme, meine Augen, damit sie in meinem Leben und in allem Leben um mich herum Seine Spuren entdecken. Gott kann die Natur und den Menschen umformen. Wo Er eingreift, da wandelt sich etwas. Da blüht neues Leben auf, und da werden Menschen wach, hörend und sehend für Seine Gegenwart.
Die Propheten Israels haben ein besonderes Gespür, ja geradezu eine Leidenschaft dafür, wie ihr Volk, zu dem sie gehören, sich zu Gott verhält. Sie leiden darunter, wenn dieses Volk für Seine Gegenwart blind und taub ist.
Zur Zeit des Propheten Jesaja muss es jedenfalls in Israel so gewesen sein. Jesaja nimmt wahr, dass die Menschen für Gottes Botschaft buchstäblich keinen Sinn haben. Sie verhalten sich so, als ob Gott nicht da wäre, als ob Er nicht zu ihnen spräche. Woran ist das zu sehen? An dem, was in der Gesellschaft, im alltäglichen Leben vorgeht. Beschämend ist, was da geschieht!
Was uns beschämen müsste
Da gibt es Leute, die unterdrückt und gedemütigt werden. Da gibt es Brutale und Leute, denen nichts heilig ist, Unheilsstifter, die nur darauf aus sind, anderen eins auszuwischen, Verführer und Fallensteller, die den Unterschied zwischen Recht und Unrecht verwischen, Arglistige und Lügner, die Unschuldige täuschen und ins Nichts verdrängen.
In diesen Tagen läuft vor dem Landgericht Leipzig der Prozess gegen einen 40jährigen Mann, der 16 Jahre lang Behörden und Verwaltungen in ganz Deutschland mit gefälschten Papieren überzeugend glauben gemacht hat, er sei ein promovierter Arzt auf Stellensuche. Der gelernte Briefträger Gert Postel schaffte es ohne Medizinstudium und Doktortitel, sich an einem Krankenhaus für Psychiatrie eineinhalb Jahre lang als Oberarzt auszugeben, ohne dass seine Kollegen und Vorgesetzten ihn als Hochstapler durchschauten.
Wer überzeugend auftritt, Papiere vorlegt, die wie echte Dokumente und Urkunden aussehen, hat dem Anschein nach keine Mühe, anderen vorzuspiegeln, er sei Arzt. Wie viel Vertrauen wurde hier missbraucht, wie viel Leichtgläubigkeit schamlos ausgenutzt! Genügt es in unserer Gesellschaft, dass man in einem verantwortungsvollen Beruf nur eben glaubwürdig seine Rolle spielt, ohne dafür ausgebildet zu sein, ohne sich zuvor irgendeiner fachlichen Prüfung gestellt und praktisch bewährt zu haben? Wie kommt es, dass ein Hochstapler wie der falsche „Dr. Postel” lange Zeit so leichtes Spiel hatte?
Mit solchen Vorgängen wird es ein Ende haben. Der Mann, der Behörden und Ämter lächerlich gemacht hat, stellt bloß, wie sehr unsere Mitmenschen und wir selbst dazu neigen, Dinge im Schlaf zu tun, ohne genau hinzusehen und hinzuhören. Wie leicht wir bereit sind, blind zu vertrauen, bereit, uns von Titeln und amtlichen Papieren täuschen zu lassen. Aber auch, wie schnell wir uns mit dem bloßen Augenschein zufrieden geben. Mit alledem wird es ein Ende haben.
Was uns zur Freude bewegen kann
Es dauert nur noch eine kleine Weile, und etwas wird geschehen, was uns die Sinne öffnet. Gerade diejenigen, die schon viele Demütigungen und Entbehrungen hingenommen haben, wird es dazu bewegen, sich an Gott zu freuen. Das Leben wird „wieder schön”, wo gerade die, die ganz unten sind, auf das aufmerksam werden, was sich wandelt. Durch Wandlungen in der Landschaft, die uns umgibt, können unversehens Worte des Buches, Bibelworte, für deren Sinn wir zuvor taub und blind waren, lebendig werden zur Stimme, die uns anspricht.
Gott kann mitten unter uns in einer Weise eingreifen, dass es uns wie Schuppen von den Augen fällt und wir mit einem Mal aus Dunkel und Finsternis sehen, was zuvor nur undeutlich verschwommen oder überhaupt nicht erkennbar war: dass Er jetzt in unserem Leben handelt und uns ermöglicht, uns in Seiner Gegenwart an diesem Leben zu freuen.
Mitten unter Seinem Volk wird Gott den Anstoß dazu geben, dass Sein Name geheiligt wird. Darum spricht der Herr, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.
Es kann Eltern manchmal schmerzen, sehen zu müssen, was aus ihren Kindern wird. In Israel leben die Stammväter Abraham und Jakob weiter, und jede Generation ist diesen Vätern und ihrem Erbe verpflichtet. Deswegen ruft die Stimme Gottes uns ins Gedächtnis, von wem wir herkommen, in welcher Geschichte wir stehen. Als getaufte Christen gehören wir zu Jesus, dem Mann „aus Jakobs Stamm” (EG 70,1). Durch ihn sind wir verwurzelt in einer Geschichte, die mit den Verheißungen an die Stammväter Israels beginnt. In dieser Geschichte wird uns nicht nur unbestimmte Aussicht auf ein „Morgen” eröffnet, an dem das Leben „wieder schön” wird, sondern die Aussicht auf „Jakobs Gott und Heil” (EG 302,2).
Ehrfurcht vor dem Heiligen
Es wird geschehen, dass wieder Ehrfurcht vor dem Heiligen geweckt wird, die sich in allen sozialen Beziehungen auswirkt. Gott selbst wird einen Gesinnungswandel auslösen unter denen, die auf Ihn hören und nach Ihm schauen. Denn was heißt, den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten? Dass wir Recht und Gerechtigkeit üben! Durch das, was wir im Umgang mit anderen Menschen tun, wird Gott entweder geheiligt oder entehrt. Indem wir unsere Verantwortung wahrnehmen, uns mit Bosheit und Lüge nicht abfinden, sondern uns erinnern, wozu wir durch das Erbe der Stammväter Israels verpflichtet sind, heiligen wir den Namen Gottes.
Liebe Gemeinde, kann die Aussicht auf einen solchen Gesinnungswandel nicht unseren Glauben stärken? Den Glauben daran, dass schon bald jene irrenden Geister Verstand annehmen, die sich heute noch schwer damit tun, mit Nachbarn jüdischen und muslimischen Glaubens in Frieden zusammenzuleben. Den Glauben daran, dass in Kürze sich auch die belehren lassen, die murren über zu viele Ausländer in Deutschland. Die Würde jedes Einzelnen zu respektieren, ihn oder sie als Person zu achten und ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: das ist die gemeinsame Verpflichtung, an die das Prophetenwort uns erinnert. Auch Juden und Muslime sind bereit, sich darauf ansprechen zu lassen, wenn sie sehen, dass der Name Gottes unter uns geheiligt wird.
Den Anstoß dazu gibt Gott, und der Wandel wird erfolgen. Zuerst bei denen, die ganz unten sind und sich daran gewöhnt haben, jeden Tag den Schmerz der Demütigung und der Diskriminierung zu erdulden. Gerade bei ihnen fängt der Sinneswandel an, und die Brutalen und Rücksichtslosen, die Arglistigen und Lügner werden die Verlierer sein. Amen.

Verfasser: Pfr. Dr. Michael Heymel, Bahnstraße 2, 69483 Wald-Michelbach (1999)

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