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Die große Krankenheilung

von Felizitas Muntanjohl (65549 Limburg)

Predigtdatum : 10.09.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Gedenktag der Zerstörung Jerusalem
Textstelle : Apostelgeschichte 3,1-10
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Wochenspruch:

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. (Jesaja 42,3)

Psalm: 147,1-3.11-14a oder 113 (EG 745)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 29,17-24
Epistel:
Apostelgeschichte 9,1-9 [10-20]
Evangelium:
Markus 7,31-37

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 324,1-7
Ich singe dir mit Herz und Mund
Wochenlied:
EG 289
Nun lob, mein Seel, den Herren
Predigtlied:
EG 638
Ich lobe meinen Gott
Schlusslied:
EG 638
Wir strecken uns nach dir

1 Petrus und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. 2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. 4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 8 er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. 10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Liebe Gemeinde!
Kein Wunder, dass die Leute Staunen und Entsetzen packt. Denn das ist ja etwas, was gar nicht in unser Vorstellen und Denken passt: dass da jemand gesund wird, weil Gottes Wort ihn trifft.
Nein, das würden wir auch nicht wollen, so sehr wir jedem Gesundheit wünschen. Aber stellen wir uns das nur vor: da säße jemand Tag für Tag vor der Kirchentür, lahm, und bettelte. Und jeder, der vorbeigeht, sieht ihn sitzen. Jeder, der spazieren gehen oder auf dem Friedhof Blumen gießen will, sieht ihn sitzen. Wie peinlich berührt würden wir uns vorbeidrücken. Oder auch eine Kleinigkeit geben, weil er uns leid tut. Wenn er lange genug da sitzt, hätten wir uns wohl auch an den Anblick gewöhnt, so wie er auch zur Fußgängerzone in Wiesbaden (oder anderswo) dazugehört. Und es hat sich herausgebildet, wer was gibt und wer nicht. Aber jedenfalls – eine andere Aussicht hat der Bettler nicht: der eine gibt eine Mark, der andere nicht, einer vielleicht auch ’ne Zigarette oder ein Bier oder ein paar nette Worte – das wär’ schon viel.
Aber dann stellen Sie sich vor, da kämen zwei auf dem Weg zum Gottesdienst, die sagten: Wir haben kein Geld oder Zigaretten, aber wir sagen dir im Namen Jesu: Steh auf und geh! Und er könnte!
Nein, nicht wahr, das könnte nicht sein! Wir würden sagen, er hat die Lahmheit nur gespielt. Und wenn einer bestätigt, dass er ihn von Kind auf als Lahmen kennt, dann muss das wohl ein psychischer Schock gewesen sein oder so was Ähnliches.
Ach, was hätten wir alles für Erklärungen, weil es nicht wahr sein kann, nicht wahr sein darf. Denn es kann ja nicht einfach dieses Wort gewesen sein, dieser Name, und diese zwei Männer. Es kann das einfach nicht geben.
Wir würden auch staunen und erschrecken. Auch dann, wenn wir auf dem Weg in die Kirche sind und schon etwas anfangen können mit dem Namen Jesu. Wir erwarten schon etwas: ein wenig Trost, ein bisschen Ermunterung, vielleicht auch ein paar kluge Gedanken. Sozusagen Almosen erwarten wir. Almosen für unser mühsames Leben. Dass es nicht mehr ganz so schwer, nicht mehr ganz so ängstlich, nicht mehr ganz so haltlos sein soll. O ja, so groß ist unser Glaube schon noch, dass wir von der Kirche etwas erwarten: ein wenig Hilfe, ein wenig Trost. Das ist schon viel in einer Zeit, die sich so mächtig vorkommt, dass sie Gott als überholt betrachtet. Nein, so klug und so ehrlich sind wir noch, dass wir wissen, dass unsere Kraft nicht weit reicht und wir Gott brauchen, wenn unser Leben einigermaßen gelingen soll. Da brauchen wir seine Hilfe, ohne ihn bleibt uns nichts.
Unsere ehemalige Küsterin (bzw. Die Küsterin einer Taunusgemeinde...) hat es einmal wunderbar treffend gesagt – und ich habe sie bewundert für ihr deutliches Wort: Sie traf einen Bauern, der zur Gottesdienstzeit seine Ernte einholte. Der fragte sie, wo sie hinginge. “In die Kirche”, sagte sie, “Könntest auch mal wieder hinkommen.” “Nein”, wehrte er entrüstet ab, “mir hilft ja auch keiner bei der Arbeit.” “Doch”, sagte sie, “der in der Kirche ist, der hilft dir. Sonst hätt’st du nämlich überhaupt keine Ernte, die du einholen könntest.”
Genau so ist es. Schon in den ganz elementaren Dingen brauchen wir ihn. Dass das wächst, was unsere Nahrung ist; dass die Menschen leben, die wir lieben. Und wenn er seine Hand einen Moment von uns abzieht, dann liegt unser Leben in Trümmern.
Wer das erkannt hat, der hat schon eine Menge erkannt. Der kommt hierher, nicht aus Gewohnheit, nicht aus Altertümlichkeit, sondern weil er weiß, wie viel Grund wir haben, dankbar zu sein, dankbar für jeden Tag, dankbar für Gesundheit, dankbar für den Partner, für jedes Kind, für jeden Freund.
Und doch stehn wir, die wir das verstanden haben, noch immer erst am Anfang des Glaubens. Wir sind noch immer die, die an der Tür sitzen und uns an allen kleinen oder auch großen Gaben freuen, die wir bekommen. Wir bitten um Almosen, weil wir darum wissen, wie sehr wir von der Güte Gottes leben.
Aber was dem Lahmen widerfährt, das ist noch etwas anderes. Er soll nicht länger mehr geduckt hocken und warten. Da kommen Petrus und Johannes und sagen: Sieh uns an! Und er spürt: Jetzt geschieht mehr als normal. Er staunt, dass er gesehen wird. Nicht nur so nebenbei als Bedürftiger, der im Weg sitzt, sondern jetzt endlich ganz als Person, als er selber, als ganz besonderer Mensch. Das ist das, was geschieht, wenn Gott uns ansieht, wenn Gott uns ruft. Da sind wir nicht mehr ein Mensch unter Millionen, da sind wir endlich dieser eine ganz besondere Mensch und Gott sieht uns als dieser eine, dieser unersetzliche.
(Bei einem Taufgottesdienst:)
Das ist das, was in der Taufe geschah, und was Sie später Ihrem Kind sagen sollen: Gott hat dich da angeschaut und dir, ganz speziell dir, seine Nähe versprochen. Er sieht dich mit den Stärken, die wir als Eltern nicht erkennen, mit den Traurigkeiten, die wir nicht verstehen, mit den Ängsten, die wir nicht vertreiben können. Er sieht dich als der Mensch, der du wirklich bist, so wie auch dein bester Freund dich nicht kennen wird. Darum brauchst du dich nie ganz einsam oder ganz hilflos zu fühlen. Dieser eine sieht dich immer und versteht dich.
Aber er sieht uns nicht nur, sondern er ruft uns auch: Aber nicht, wie der Bettler meint und wir selber meinen, für ein Almosen, für Silber und Gold. Nein, nein, den Wohlstand verspricht er uns nicht. Aber auch nicht ein Almosen, wie die Kirche es uns geben kann: ein bisschen Kraft, ein wenig Trost. Das ist das, was wir Menschen, wenn wir nicht ganz verkümmert sind, uns gegenseitig geben können und sollen.
Wenn Gott uns ruft, dann will er uns mehr geben als so ein Almosen. Dann will er, dass wir wieder auf unseren Beinen stehen können und dass wir gehen können, wo wir vorher lahm waren.
Gott will, dass sein Wort uns trifft. Dass wir plötzlich mit Staunen entdecken: da ist ja Kraft dahinter. Das Wort ist wahrer als alles, was ich sehen und greifen kann. Gottes Wort, das ist so umwerfend, dass alles, was bisher normal war, jetzt wie nichts ist. Und dass ich plötzlich eine Wahrheit entdecke, die alles Schwere von mir nimmt und mir das Gefühl gibt, frei zu sein, frei von allem, was mich lähmt, was mich bedrückt, was mich ängstet. Es ist, als hätte der graue Himmel ein Loch geöffnet und ich sehe die Sonne dahinter. Es ist, als hätte mir einer die Ketten von den Füßen genommen und ich könnte nach jahrelangem Hocken endlich laufen und springen. Wen einmal so das Wort Gottes getroffen hat, der weiß, was ich meine.
Und doch haben wir meist Angst davor. Angst vor dem Wort, das solche Kraft hat. Angst vor dem Gott, der mit solch einem Wort unser Leben packt und uns auf die Beine stellt und sagt: Geh!
Denn dann wird unser Leben anders werden. Wir können nicht mehr hocken und das Leben laufen lassen. Laufen und Gott loben werden wir – und die Leute werden uns den Vogel zeigen. Wir werden erkennen, wie nah wir an der Sinnlosigkeit waren – und erschrecken. Und jedenfalls – Gott lässt sich von da an nicht mehr abschütteln. So oft wir das versuchen. Er wird uns mit seinem Wort noch öfters reichlich lästig auf die Pelle rücken. Er wird uns noch oft zum Gehen schicken, wo wir lieber still säßen und uns mit Almosen zufrieden gäben.
Kein Wunder, dass wir erschrecken und nichts wissen wollen von Gottes mächtigem Wort.
Ein Wunder, wenn es uns doch trifft. Ein unglaubliches, ein schweres – und ein wunderschönes Wunder! Denn dann erst beginnt das Leben! Amen.

Verfasserin: Pfrn. Felizitas Muntanjohl, Theodor-Bogner-Str. 20, 65549 Limburg

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