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Die große Krankenheilung

von Doris Joachim (Zentrum Verkündigung der EKHN)

Predigtdatum : 26.08.2007
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Gedenktag der Zerstörung Jerusalem
Textstelle : Markus 8,22-26
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Wochenspruch:

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

(Jesaja 42,3)

Psalm: 147,1-3.11-14a oder 113 (EG 745)

Lesungen

Altes Testament:

Jesaja 29,17-24

Epistel:

Apostelgeschichte 9,1-9 [10-20]

Evangelium:

Markus 7,31-37

Liedvorschläge

Eingangslied:

EG 328

Dir, dir, o Höchster, will ich singen

Wochenlied:

EG 289

Nun lob, mein Seel, den Herren

Predigtlied:

EG 66

Jesus ist kommen

Schlusslied:

EG 171

Bewahre uns, Gott

Hinführung

„Glauben Sie an Wunder?“ Immer mal wieder fragen mich meine Schüler danach. Und es beschäftigt sie, ob Jesus tatsächlich Blinde, Taubstumme oder Lahme geheilt hat. Mich beschäftigt das auch, wenn ich Heilungsgeschichten lese. Und ich frage mich: Warum gibt es solche Heilungen heute nicht mehr? Eine blinde Freundin sagte mir: „Meine Augenkrankheit lässt sich nach dem Stand heutiger Medizin noch nicht heilen. Aber die Blindheit der Seele lässt sich heilen. Davon handelt diese Heilungsgeschichte. Und das habe ich erfahren.“

Der Ansatz meiner Auslegung orientiert sich an Eugen Drewermanns tiefenpsychologischer Deutung der Bibel (vgl. Eugen Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Band II, Olten 1985). Dabei verzichte ich darauf, nach den rein historischen Tatsachen zu fragen. Mir geht es eher um die Frage, welche Bedeutung die Blindenheilung für uns Heutige haben kann. Ich möchte mit dieser Geschichte gleichzeitig werden (im Sinne des Philosophen Sören Kierkegaard). Darum verstehe ich Blindheit symbolisch als Blindheit der Seele. Von solcher Blindheit geheilt zu werden, ist für mich allerdings ein Wunder, vielleicht sogar ein größeres als eine physische Heilung. Dass Menschen sich ändern, dass sie aus der Dunkelheit ihrer Seele herausfinden, ist nicht nur ein psychologischer Vorgang. Es ist die Nähe Gottes, die sie heilt. Da berühren sich Himmel und Erde...

22 Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. 23 Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? 24 Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. 25 Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. 26 Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf!

Liebe Gemeinde,

Spucke ist ein besonderer Saft. Spucke kann heilen. Spucke kann Menschen einander näher bringen oder voneinander trennen, je nachdem.

Zweimal heilt Jesus mit Spucke, einen Taubstummen (Mk 7,31-37) und einen Blinden. Da bringt man Menschen zu ihm. Er soll ihnen die Hand auflegen. Aber Jesus tut mehr als das. Den Blinden nimmt er bei der Hand und führt ihn heraus vor das Dorf. Dann tut er Speichel auf seine Augen.

Mich berührt das seltsam. Von der Spucke eines anderen berührt zu werden - das ist etwas sehr Intimes. Dass Spucke heilen kann, ist eine Volksweisheit. „Mach Spucke drauf“, sagte meine Oma immer, wenn ich mir das Knie aufgeschürft hatte. Aber der Blinde heilt sich nicht mit seiner eigenen Spucke. Jesus tut ihm seine auf die Augen.

Eine Szene, die Sie vielleicht kennen: Man sieht es dem 8 jährigen Mädchen an. Es ist ihr unangenehm. Die Mutter spuckt in ein Taschentuch und wischt ihr den schokoladenverschmierten Mund ab. Ein 3 jähriges Kind empfindet das sicher anders als ein 8 jähriges. Nur manche Mütter merken nicht immer, wann sie ihrem Kind gegenüber mehr auf Abstand gehen müssen, um nicht seine Intimsphäre zu verletzen.

Jemanden mit seinem Speichel zu berühren - das ist eben etwas sehr Intimes.

Wenn zwei sich küssen, dann macht es ihnen nichts aus, wenn sie vom Speichel des anderen berührt werden. Im Gegenteil - sie suchen diese Nähe, eine Nähe, die anders ist als der Geschlechtsakt. Prostituierte weigern sich in der Regel, sich küssen zu lassen. Merkwürdig, nicht wahr? Aber wirkliche Nähe, vertrauensvolle Zuwendung und Hingabe gibt es nicht im Geschlechtsakt, sondern im Küssen.

Spucke ist wirklich ein besonderer Saft.

Und nun tut Jesus dem Blinden Spucke und danach die Hände auf die Augen. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Zauberritual. Und in der Tat gibt es in der Antike auch andere Wunderheiler, von denen berichtet wird, sie hätten mit Spucke geheilt. Wichtig ist aber nicht das Zauberritual. Wichtig ist mir, dass Jesus einen Menschen dadurch heilt, dass er ihm nahe kommt. Dafür steht der Speichel.

Aber es gehört noch mehr dazu, damit der Blinde geheilt wird. Bevor Jesus ihm den Speichel auf die Augen tut, nimmt er ihn bei der Hand und führt ihn weg von den Zuschauern hinaus vor das Dorf. Er selbst führt ihn. Dabei gab es offensichtlich auch andere, die ihn hätten führen können: die Freunde des Blinden, die ihn zu Jesus gebracht hatten. Aber Jesus nimmt ihn selbst bei der Hand - wie ein Kind.

Wer schon mal einen blinden Erwachsenen geführt hat, weiß: Da entsteht eine Nähe, die man außer zu guten Freunden normalerweise nicht so einfach hat. Und es ist wichtig, das richtige Maß an Nähe und Distanz zu finden, damit sich der Blinde nicht zu klein, nicht zu abhängig fühlt. Behutsamkeit ist da gefragt – und Achtung.

Und nun steht der Blinde allein vor Jesus. Ich stelle mir das vor: die Erwartung, die Hilflosigkeit, vielleicht auch Angst. Was wird geschehen? Ich spüre in der Erzählung die Nähe zwischen den beiden, eine liebevolle, eine unaufdringliche Nähe, die von Jesus ausgeht. Sie überwältigt nicht. Ein dichter Augenblick. Die Augen des Blinden können die Liebe Jesu nicht sehen, aber doch spüren.

Der Blinde lässt sich diese Liebe gefallen. Das ist nicht selbstverständlich. Denn nicht wahr: Sich lieben zu lassen ist manchmal genau so verwirrend oder schwierig, wie einen anderen zu lieben. Der Blinde lässt Jesu Liebe nahe an sich heran. Die Intimität dieser Handlung tut ihm gut. Er erlebt einen besonderen Augenblick, einen verdichteten Moment, in dem er Gott begegnet, durch Jesu Hände.

Wir sagen ja oft: „Gott ist bei uns“ oder: „Gott ist in uns“. Das stimmt ja auch - irgendwie. Aber hier wird Gottes Nähe sinnlich erfahrbar, mit der Spucke auf den Augen. Solche Sinnlichkeit irritiert mich. Und ich weiß nicht genau, wie ich das finden soll. Denn diese Nähe Gottes ist ja auch ambivalent. Sie lässt mich spüren, wie verletzlich ich bin. Jesus legt seinen Speichel auf die blinden Augen wie auf eine offene Wunde. Er berührt die schwächste Stelle des Blinden. Aber er tut das mit behutsamer Achtsamkeit.

Ich stelle mir vor: Wenn nun Gott mich an meiner schwächsten Stelle berührt? Ich bin nicht blind. Aber diese Geschichte ist auch mir erzählt. Und meine Schwachstellen sind eben andere.

Da wird mir der Blinde zum Vorbild. Denn er lässt es sich gefallen, von Jesus berührt zu werden. Er weicht nicht zurück, er versteckt sich nicht, wie ich das vielleicht tun würde.

Es heißt ja oft, wir müssen an unseren blinden Flecken arbeiten. Wir müssen unsere Schwachstellen erkennen und uns verändern. Dabei müssen wir gar nichts, jedenfalls nichts Aktives tun. Wir dürfen uns einfach von Gott berühren lassen - wie der Blinde. Das kann man nicht machen. Das kann man sich nur gefallen lassen. Diese Nähe zulassen. Diese unglaubliche Nähe, symbolisch ausgedrückt durch die Spucke auf den Augen.

Und wenn das geschieht, wenn ein Mensch Gottes Nähe zulässt, wenn ein Mensch seine Verletzlichkeit, die offenen Wunden seiner Seele von Gott berühren lässt, dann kann das Wunder geschehen, dass er heil wird. Solche Wunder gibt es manchmal, vielleicht nicht so spektakulär wie in der Bibelgeschichte. Manchmal braucht die Heilung der verletzten Seele Zeit, bis die trüben Augen klar sehen können. Denn darum geht es ja heute: nicht dass ein medizinisch nachweisbar blinder Mensch wieder sieht. Es geht darum, dass jemand, der sehenden Auges blind ist, heil wird.

Manchmal begegne ich Menschen, deren Augen trübe sind, trübsinnig. Die ins Leere starren, unfähig, die Freude zu sehen, das Schöne, das Helle. Menschen, denen die Welt dunkel erscheint, denen schwarz vor Augen ist. Melancholie, Schwermut - wörtlich übersetzt: Schwarzgalligkeit. Wessen Gemüt so schwarz ist, der braucht Zeit, bis er wieder Augen für das Leben hat. Auch der Blinde sieht nicht sofort klar. „Siehst du etwas?“ fragt Jesus, nachdem er dessen Augen mit Speichel berührt hatte. Der Blinde sieht zwar, aber noch nicht richtig. Er sieht die Menschen, als sähe er Bäume umhergehen. Und geduldig legt Jesus abermals die Hände auf die Augen. Und der Mensch kann klar sehen. Er wird wieder zurecht gebracht, heißt es.

Das kann die geduldige Nähe Gottes: uns zurechtbringen und uns die Augen öffnen für das Leben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, behüte und bewahre unsere Herzen und Sinne. Amen.

Verfasserin: Pfarrerin Doris Joachim, Adenauerring 3, 67547 Worms


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