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Die Kirche des Geistes

von Kurt Rainer Klein (55288 Schornsheim)

Predigtdatum : 15.05.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Exaudi
Textstelle : Johannes 16,5-15
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Wochenspruch:

Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth. (Sacharja 4,6)

Psalm: 118,24-29 (EG 747)

Lesungen

Altes Testament:
4. Mose 11,11-12.14-17.24-25
Epistel:
Apostelgeschichte 2,1-18
Evangelium:
Johannes 14,23-27

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 166,1-4
Tut mir auf die schöne Pforte
Wochenlied:
EG 125
oder EG 136,1-4+7
Komm, Heiliger Geist, Herre Gott
O komm, du Geist der Wahrheit
Predigtlied:
EG 130
O Heilger Geist, kehr bei uns ein
Schlusslied:
EG 168,4-6
Wenn wir jetzt weitergehen

5 Jesus sprach zu seinen Jüngern: Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

Vorüberlegungen
Jesus offenbart seinen Jüngern, dass er sie bald verlassen wird. Das stürzt sie in Trauer, wie er voraus ahnt. Aber er ist auch der Meinung, dass es gut für sie ist. Sie werden den Tröster (griechisch: Paraklet) geschickt bekommen, der das Vakuum füllt. Dieser wird ihnen die Augen auftun und ihren Blick schärfen. Der Tröster ist auch der Geist der Wahrheit, der Jesu Leben, Reden und Wirken den Jüngern verdeutlichen wird.
Die Predigt nimmt unsere Abschiedserfahrungen auf und thematisiert die zwei Seiten einer Medaille: Einerseits kann uns der Abschied von einem für uns bedeutenden und wichtigen Menschen in eine Krise stürzen, andererseits aber setzt das entstandene Vakuum neue Kräfte, eigene Initiative, überraschende Ideen frei. Was zunächst als ein Alleingelassenfühlen aussieht, kann ein Entlassen in die Selbständigkeit sein, die Möglichkeit zum Wachsen und Reifen. Dabei wird das, was uns geprägt hat, trotz neuer Beziehungen und Verknüpfungen, seinen weiteren Einfluss ausüben.
Dieser Geist wird uns weiterhin im Leben begleiten und uns Wahrheiten lehren, die uns auf unserem Weg getrost gehen lassen. Das Beispiel des Herrn von Ribbeck mag helfen, das Abstraktum „Geist“ verständlicher zu machen. Was sich hinter „der Birne“ verbirgt, ist der Geist des Herrn von Ribbeck, der zurückbleibt. Was den „Tröster“ bei Johannes ausmacht, der uns in die Wahrheit führt, ist Jesu Geist, der sich in den Evangelien offenbart und mit uns geht.
Die vorliegende Predigt bemüht sich, Johannes 16,5-15 den HörerInnen anhand nachvollziehbarer Lebensvollzüge nahe zu bringen.

Liebe Gemeinde!
Wenn wir mit einer Situation zufrieden sind, dann meinen wir, es müsste immer so weiter gehen. Innerlich schleicht sich irgendwie die Gewissheit ein, dass dies auch so sein wird. Wir verschwenden keinen Gedanken an eine Veränderung. Warum auch? Wo doch alles bestens ist und wir beruhigt und gelassen der Zukunft entgegen sehen können. Um so überraschter sind wir dann, um so eher fallen wir aus allen Wolken, wenn wir erkennen müssen, dass alles seine Zeit hat - und die Zeiten sich ändern können, manchmal schlagartig, von heute auf morgen, von jetzt auf gleich.
Aber hätten wir das nicht wissen können?! So naiv sind wir doch nicht mehr. Längst haben wir begriffen, dass wir dem Wandel der Zeiten unterliegen. „Wer meint, alles müsse so bleiben, wie es ist, bleibt nicht“, sagt der Volksmund. In der Tat kann sich niemand auf das Bleiben, wie es ist, versteifen. Es gehört zur Kunst des Lebens, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen. Wer sich auf das Althergebrachte versteift, droht zu zerbrechen. Ich denke dabei unweigerlich an die Flügel eines Flugzeuges. Sie sind in gewisser Weise elastisch und schwingen mit. Wären sie völlig steif, würden sie bei allzu großer Belastung abbrechen und das Flugzeug könnte sich nicht mehr in der Luft halten, um sein Ziel zu erreichen.
Tagtäglich erleben wir überraschende Veränderungen. Wir können es nicht verhindern. Es geschieht. Ohne unser Zutun. Ohne dass wir es verhindern könnten. Wir müssen uns darauf einstellen und damit zurechtkommen. Je schneller uns das gelingt, desto besser kommen wir mit der neu eingetretenen Situation klar. Nach vorne schauen und nicht zurück - weder im Zorn noch in weinerlicher Anhänglichkeit. Was war, war, und die Gegenwart können wir nur gestalten mit einem Blick in die Zukunft. Das Loslassen des Gestern macht uns frei für das Heute. Und es schenkt eine Vision für das Morgen, die uns mutig unsere Schritte gehen lässt.
Wo immer Menschen, die einen großen Einfluss ausgeübt haben, abtreten, uns verlassen, tritt eine Irritation ein. Wir sind irritiert, weil die vertraute Gewohnheit einem Vakuum weicht. Worauf wir uns verlassen konnten, hat uns verlassen oder verlässt uns. Die Ausstrahlung, das Charisma solch eines Menschen, die Aura, die ihn oder sie umgeben hat, wird uns fehlen. Je nachdem, wie stark wir beeindruckt waren, bemächtigt sich die Traurigkeit unser. Vielleicht mischen sich da auch noch andere Gefühle hinein, die schwer voneinander zu trennen sind. Und wir fragen, wie es ohne ihn oder sie weiter gehen wird. Diese Irritation kann bis in eine Tiefe vordringen, wo es darum geht, was das weitere Leben für einen Sinn ohne diesen Menschen macht?
(An dieser Stelle kann ein aktuelles Beispiel eingefügt werden, das die PredigthörerInnen vor Ort nachvollziehen können: Z.B. Langjährige Leiterin der Frauenhilfe hat sich verabschiedet - Neuorientierung anschließend nötig.)
Aber gibt es da nicht auch diese andere Seite? Das Vakuum, das entstanden ist, wird als große Chance verstanden. Hinter der Irritation tritt eine neue Freiheit hervor. Die eigene Verantwortung ist gefragt. Wo auch Bevormundung und Gehorsam waren, wird jetzt die Selbständigkeit wachsen und eigenen Gedanken und Ideen Raum geben. Es ist, als würde ein Kind erwachsen und seinen eigenen Weg gehen. Also ein ganz natürlicher Prozess, der dazu führt, auf eigenen Beinen zu stehen, das Heft in die Hand zu nehmen und sein Leben selbstverantwortlich zu gestalten.
Dass dabei ganz neue Sichtweisen entstehen, versteht sich von alleine. Wenn Kinder sich von ihren Eltern abnabeln und ihre Schritte eigenverantwortlich lenken, setzen sie sich auch neuen Einflüssen aus. Ihre Umgebung verändert sich, und neue Beziehungen hinterlassen ihre Prägungen. Die eingetretene Distanz zu dem, was für längere Zeit bestimmend und maßgebend war, gibt Raum für kritische Anfragen, für neue Wertschätzungen, für Horizonterweiterungen. Das sind spannende Lebensphasen, die zu einer Durchmischung von Althergebrachtem und Neugelerntem führen. Lebensabschnitte, die von Spannungen geprägt sind und manchmal erst nach zähem Ringen zu Klärungen führen. Meist wird das erst im Nachhinein deutlich, dass solche Zeiten - die wir oft als schwierig verstehen - uns weiter gebracht haben. Dass sie uns reifen ließen. Dass wir danach mit sicheren Füßen auf dem Boden stehen.
Jesus gibt seinen Jüngern zu verstehen, dass seine Zeit gekommen ist, Abschied zu nehmen. Er weiß um deren Traurigkeit, er weiß um den Schock, den er ihnen damit versetzt. Sie werden ohne ihn zurecht kommen müssen, ob sie wollen oder nicht. Aber er weiß auch, dass es gut ist für seine Jünger, dass er weggeht. Er gibt ihnen die Freiheit, ihr Leben selbst zu gestalten. Er gibt ihnen die Möglichkeit, seine Botschaft in ihrem Leben umzusetzen. Und es liegt an ihnen zu beherzigen, was Jesus ihnen bisher mit auf den Weg gegeben hat. Doch so ganz allein lässt Jesus sie nun auch wieder nicht. Er will ihnen den Tröster senden, der sie in seinem Geiste begleitet und sie stärkt und lehrt und ermutigt und tröstet.
Jesus spricht von seinem Abschied. Doch er verspricht den Jüngern, dass sie nicht allein gelassen werden. Es wird kein Vakuum zurückbleiben, das sie in die Leere stürzt. Jesus schickt ihnen seinen Geist, der sie immer wieder an die gemeinsamen Jahre und seine Worte erinnern wird. Dieser Geist wird ihnen in der Anfechtung begegnen, wenn sie mutlos werden und aus den Augen verlieren, was er ihnen kundgetan und offenbart hat. Dieser Geist wird in ihnen wach halten, was sie mit Jesus zu seinen Lebzeiten erlebt und erfahren haben. Dieser Geist wird ihnen immer wieder vor Augen führen, dass die Sache Jesu weiter geht mit den Menschen, die in seinem Geist leben und wirken. So wird die Verbindung zwischen ihnen und Jesus nicht abreißen. Auch wenn er nicht mehr sichtbar unter ihnen ist, wird er unsichtbar bei ihnen sein und sie werden ihn spüren und „begeistert“ sein.
Bei aller Traurigkeit, die wir bei Abschieden verspüren, ist es gut zu wissen, dass uns die gemeinsame Zeit, die wir gehabt haben, bleiben wird. Die gemeinsame Zeit ist prägend gewesen und hat manchen Impuls gegeben. Und darum wird eine Beziehung, die uns wert und wichtig gewesen ist, mit dem Abschied nicht abbrechen und zu Ende sein. Sie wird weiter dauern, weil der Geist dieser Beziehung uns auch weiterhin begleiten und erinnern wird. Daraus mögen wir Mut schöpfen und Kraft, die uns stärkt, wenn wir das Gefühl des Alleinseins empfinden. Nein, wir sind keine Alleingelassenen. Wir sind Getröstete, die unseren Weg gehen können im Geiste dessen, dem wir einst begegnet sind, der uns begeistert hat und der mit uns weiterhin auf unserem Wege ist.
Kennen Sie das wundervolle Gedicht von „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ von Theodor Fontane? Es wird uns helfen, ein wenig besser zu verstehen, was Jesus seinen Jüngern zu seinem Abschied erzählt und meint.
(Man kann das Gedicht an dieser Stelle ganz zitieren oder zusammenfassend erzählen:)
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenns Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: „Junge, wist’ne Beer?“
Und kam ein Mädel, so rief er: „Lütt’ Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb’ ’ne Birn.“
So ging es viele Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende, ’s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit,
Da sagte von Ribbeck: „Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.“
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner, mit Feiergesicht,
Sangen, „Jesus, meine Zuversicht“,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
„He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?“
So klagten die Kinder. Das war nicht recht.
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,
Der neu freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt,
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Misstrauen gegen den eigenen Sohn,
Der wusste genau, was damals er tat,
Als um eine Birn ins Grab er bat.
Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprössling sprosst heraus.
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtets wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung übern Kirchhof her,
So flüsterts im Baume; „Wiste ’ne Beer?“
Und kommt ein Mädel, do flüsterts: „Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew di’ ’ne Birn.“
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
(Theodor Fontane)
Herr von Ribbeck, der den Buben und Mädels als wohlgesonnen bekannt war, weil er immer „’ne Beer“ für sie hatte, hat Abschied aus dieser Welt genommen. Aber nicht, ohne dafür zu sorgen, dass sein Geist der Freigiebigkeit in dieser Welt zurück bleibt. Also hat er sich „’ne Beer“ mitgeben lassen, die Wurzeln schlug und einen Birnbaum auf seinem Grab hervor brachte. Und so oft ein Junge oder ein Mädel vorbei kommt, flüstert der Baum: „Wiste ’ne Beer?“ Und erinnert an den alten Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Und dieser Geist des alten Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, der in diesem Baum sich zeigt, führt in die Wahrheit, die von Ribbeck zu Lebzeiten gelebt hat und der (scil. Geist der Wahrheit) die Geister scheidet: Wir können weiterhin von dem leben, was uns geschenkt wird. Dafür steht die Birne in Fontanes Gedicht, die die Geizigen entlarvt und von Ribbeck lebendig gegenwärtig sein lässt. Dafür steht der Geist in Jesu Abschiedsrede, den er seinen Jüngern verspricht und der sie zu wunderbar Beschenkten macht. Amen.

Verfasser: Pfr. Kurt Rainer Klein, Pfaffenwaldstraße 21, 55288 Schornsheim

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