Die Kirche des Geistes
von Jürgen Reichel-Odié (60596 Frankfurt)
Predigtdatum
:
12.05.2008
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Pfingstsonntag
Textstelle
:
Apostelgeschichte 2,22-23.32-33.36-39
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Wochenspruch:
Es soll nicht durch Herr oder Kraft geschehen, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr Zebaoth. (Sacharja 4, 6)
Psalm: 100 (EG 740)
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 11, 1 – 9
Epistel:
1. Korinther 12, 4 – 11
Evangelium:
Matthäus 16, 13 – 19
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 135
Schmückt das Fest mit Maien
Wochenlied:
EG 129
Freuet euch, ihr Christen alle
Predigtlied:
EG 133,1.5-7
Zieh ein zu deinen Toren
Schlusslied:
EG 503,14-15
Mach in mir deinem Geiste Raum
22 Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst - 23 diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht. [ 24 Den hat Gott auferweckt und hat aufgelöst die Schmerzen des Todes, wie es denn unmöglich war, dass er vom Tode festgehalten werden konnte. 25 Denn David spricht von ihm (Psalm 16,8-11): »Ich habe den Herrn allezeit vor Augen, denn er steht mir zur Rechten, damit ich nicht wanke. 26 Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge frohlockt; auch mein Leib wird ruhen in Hoffnung. 27 Denn du wirst mich nicht dem Tod überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe. 28 Du hast mir kundgetan die Wege des Lebens; du wirst mich erfüllen mit Freude vor deinem Angesicht.«
29 Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden von dem Erzvater David. Er ist gestorben und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag. 30 Da er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott verheißen hatte mit einem Eid, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen sollte, 31 hat er's vorausgesehen und von der Auferstehung des Christus gesagt: Er ist nicht dem Tod überlassen, und sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen. ] 32 Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen. 33 Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr hier seht und hört. [ 34 Denn David ist nicht gen Himmel gefahren; sondern er sagt selbst (Psalm 110,1): »Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, 35 bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.« ] 36 So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.
37 Als sie aber das hörten, ging's ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? 38 Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des heiligen Geistes. 39 Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung, und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.
Vorbemerkung:
Eine Predigt ist immer auf einen historischen Kontext bezogen, auch wenn sie, wie im Fall unserer lukanischen Petruspredigt (dem für Pfingstmontag vorgesehenen Predigttext), stark dogmatischen Inhalts ist. Es ist m. E. unumgänglich, den Kontext der Petruspredigt nicht außen vor zu lassen. Deshalb habe ich wenigstens die Verse vor und nach der vorgeschlagenen Perikope mit in den Predigttext aufgenommen. – Mir widerstrebt es, biblische Erzählungen und Geschichten in erklärende Essays zu verwandeln. Schließlich haben die biblischen Schriftsteller nicht ohne Grund die Form von Erzählungen und Geschichten gewählt, um von Gottes befreiendem Handeln zu berichten. Deshalb habe ich versucht, narrativ den Text der Apostelgeschichte Kap. 2 als Predigt wiederzugeben. Ich habe dafür verschiedene tatsächliche Erlebnisse und Situationen zu einer neuen Erzählung zusammengefügt – zu einer theologischen Geschichte, die zwar erzählerische Fiktion ist, dennoch geistliche Wahrheit beansprucht. – Da es zu dieser Art der Predigt schlecht passt, den Predigttext unmittelbar vor der Predigt zu lesen, schlage ich vor, ihn als Lesungstext nehmen.
EG 129 „Freut euch, ihr Christen alle“ (Wochenlied)
Liturgie nach Agende zum Pfingstmontag
Lesung: Apg. 2, 14-18.22-23.32-33.36-42 (Predigttext)
EG 556 „Zu Ostern in Jerusalem“
Predigt
EG 589 „Komm, bau ein Haus“
Schlusslied EG 555 „Unser Leben sei ein Fest“ oder:
EG 557 „Ein Licht geht uns auf“
Liebe Gemeinde, manchmal tut es richtig gut, Menschen aus der weltweiten Christenheit zu treffen und sich erzählen zu lassen. Das weitet den Blick, das stärkt das Herz, das kräftigt den eigenen Glauben. So eine Geschichte, dazu um drei Ecken herum, hat mich vor einiger Zeit erreicht.
Erzählt wurde sie von drei Frauen aus einer der vielen afrikanischen Gemeinden, wie sie es seit langem in England gibt und inzwischen auch in großstädtischen Gebieten bei uns. Diese Frauen sind Mitglieder einer Pfingstkirche – einer ganz kleinen Kirche, einer sehr kleinen Gemeinde, in der jeder jede kennt; – in der die Gemeindemitglieder regelmäßig zu Zweidrittel am Gottesdienst teilnehmen, also von den etwa 120 Mitgliedern sonntäglich etwa 70 bis 80 Menschen; – in der besonders das Gebet und die Auslegung der Bibel durch die ganze Gemeinde gepflegt werden, so dass an jedem Gottesdienst immer ganz viele aktive beteiligt sind; – wo viel und laut gesungen und heftig getanzt und unablässig mit den Händen geklatscht wird – mit einem Satz: eine Gemeinde, die fast ganz das genaue Gegenteil ist von unseren Gemeinden. Sie waren, durch Vermittlung des „Zentrums für schwarze und weiße christliche Partnerschaft“ in Birmingham, zu einem interkulturellen Austausch nach Frankfurt am Main gekommen. Und abends beim Kaffee nach dem Essen wurde dann viel und lange erzählt.
Eine Geschichte hat mich besonders beeindruckt, obwohl (oder vielleicht sogar: weil) sie nicht in ihrer schwarzen Pfingstkirche spielt, sondern in einer anglikanischen – also einer mit unseren Gemeinden durchaus vergleichbaren Gemeinde, zu der sie über jenes „Zentrum für schwarze und weiße christliche Partnerschaft“ Kontakte haben. Die möchte ich Ihnen gerne zu Pfingsten erzählen.
In einem der südlichen Stadteile Birminghams, in Saxon Corner, steht die Church of the Resurrection of Christ – auf Deutsch: die Christi-Auferstehung-Kirche. Kaum 100 m von der Kirche entfernt liegt ein Brachgrundstück – eine jener Freiflächen, die durch die Maschen einer ansonsten gerne allmächtigen Stadt- und Verkehrsplanung geschlüpft sind und seit Jahren vergeblich darauf warten, doch noch zugebaut zu werden. Inzwischen ist das Grundstück über und über zugewachsen – selbst Rosen und Flieder finden sich dort – und dient den Kindern aus der Nachbarschaft als herrlich romantischer, tausend und ein Abenteuer versprechender Spielplatz. Irgendwelche Väter haben vor Jahren ein Hüttchen errichtet, das heute noch da steht. Jemand hat einen ausrangierten LKW deponiert, auf dem die Kinder nach Herzenslust herumturnen. Immer wieder sieht man Mütter mir ihren Kleinkindern sich dort treffen – obwohl der Stadtteil gar nicht so weit vom Stadtrand entfernt ist mit seinen Wiesen und Wäldern –, und längst bieten Sozialarbeiter vom nächstgelegenen Nachbarschaftszentrum Ferienspiele im Sommer an und kümmern sich auch sonst um dieses Grundstück. So war aus einem vergessenen Brachland unmerklich und doch unübersehbar eine Kinderidylle geworden.
Diese Idylle geriet dann eines Tages doch in Gefahr.
Der Strom der Autopendler aus dem Umland hatte – wie überall – zugenommen und drängte auch durch diesen Teil Saxon Corners. Irgend jemand hatte herausgefunden, dass die dieses Brachgrundstück begrenzende Straße, obwohl sonst in gutem Zustand, nicht mehr irgendwelchen Euro-Normen entsprach und zu schmal geworden sei, und hatte sich an die alten Ausbaupläne erinnert, nach denen die Straße verlegt und verbreitert werden sollte: genau dorthin, wo inzwischen die Kinder herumtollten und auf Abenteuer ausgingen. Und da diese alten Pläne auch schon rechtskräftig beschlossen worden waren (bevor sie in Vergessenheit gerieten), sah die Stadtverwaltung keinen Grund, sie nicht bei passender Gelegenheit zügig in die Tat umzusetzen, schnell noch ergänzt durch eine Stadtbahntrasse, die eine vorhandene und nur mäßig genutzte Buslinie ersetzen sollte.
Im Juni letzten Jahres war es dann soweit: die passende Gelegenheit war gegeben durch einen Brückenausbau ganz in der Nähe und die Planierraupen rückten an.
Doch als sie dann am Montagmorgen ihre alles plattmachende Arbeit aufnehmen wollten, sahen sie sich einem unerwarteten Hindernis gegenüber. Das Brachgrundstück wimmelte von Menschen, bereits morgens um Sieben. Kinder tobten herum – die Schule konnte warten –, Frauen bereiteten ein üppiges Frühstück vor, Männer sägten und hämmerten an einer zusätzlichen Hütte. Zelte wurden aufgeschlagen oder standen schon halbfertig, ein Feuer flackerte rauchig. Und zwischen allen spazierten die drei Pfarrer der Christi-Auferstehung-Kirche herum – der eine von ihnen schämte sich noch nicht einmal, im Talar seinen Morgenkaffee zu schlürfen. Zu allem Überfluss waren Jugendliche dabei, eine wattstarke Musikanlage zu installieren, während andere den stockenden Autopendlerverkehr noch weiter stauten, indem sie Handzettel verteilten, auf denen sie für den Erhalt dieses Kinderparadieses warben. Andere sammelten lautstark (etwas reichlich unpassend, wie viele meinten) Geld für das Projekt „Ferien vom Krieg“ im ehemaligen Jugoslawien, das serbische und kroatische und bosnische und albanische Kinder gemeinsam Ferien machen lässt an der Adriaküste – sie hatten davon in der Schule gehört und meinten, dass es denen noch schlechter ginge als ihnen, selbst wenn man ihnen den Abenteuerspielplatz zubetonieren sollte.
Kurzum: es herrschte Volksfeststimmung. Das Gelände zu planieren erwies sich als unmöglich. Und recht bald erschien die Polizei auf dem Plan, lautstark und heftig unterstützt von manchen Anwohnern und vielen Pendlern, von denen manche etwas ratlos waren und untereinander darüber diskutierten, was das wohl alles werden wolle, andere aber lauthals spotteten und meinten: Die spinnen! Die ham’se wohl nicht mehr alle!
Da trat der Vorsitzende des Kirchenvorstandes – der übrigens geschlossen anwesend war zusammen mit seinen drei Pfarrern – vor, ein älterer Mann, der früher auf Fischkuttern zur See gefahren war und nun in der kirchlichen Gemeindeverwaltung saß, mit Namen Peter Simon. Er hob das Megaphon an den Mund, damit alle ihn deutlich hören konnten, und sagte:
Liebe Leute – ihr alle, die ihr in Birmingham lebt und arbeitet. Hört mir bitte einen Moment zu! Diese Leute hier spinnen nicht und sind auch sonst nicht durchgedreht – schließlich ist es Montagmorgen und reichlich früh. Sondern hier passiert, was von dem Propheten Joel so formuliert worden ist – ihr werdet mir‘s nachsehen, dass ich als Christ, der zu Christen spricht: schließlich sind die meisten von euch ja wohl getauft – dass ich also deshalb mich auf die Bibel berufe: „Und es soll geschehen, spricht Gott, da will ich von meinem Geist auf alles Fleisch ausgießen; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jugendlichen sollen Visionen sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen und die Zeichen der Zeit deuten.“ Und genau das passiert hier!
Liebe Mitchristen, erinnert euch: Jesus von Nazareth, auf dessen Namen die meisten von euch getauft sind und auf dessen Namen die meisten von euch ihre Kinder haben taufen lassen – erinnert ihr euch?: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht!“ – diesen Jesus von Nazareth bringt ihr doch noch mal um, wenn ihr hier die Kinder durch eure Autos und überflüssigen Stadtbahngleise vertreiben lasst! Jesus der Kinderfreund – aber eure Autos und Bahnen verjagen alle Kinder – wie passt das zusammen? – ist das nicht erneuter Mord an Jesus?
Doch diesen Jesus hat Gott auferweckt – das bezeugen wir hiermit. Er ist das Lebensprinzip, nach dem – wie Gott will! – die Welt gestaltet werden soll. Und so bezeugen wir den Willen Gottes: Sein Geist ist lebendig unter uns Menschen auch heute, wie ihr hier seht und hört. Das sollt ihr alle, liebe Mitchristen, wissen: dass Gott diesen Jesus, den ihr mit eurer Kindervertreibung ein weiteres Mal kreuzigen wollt, zum Lebensprinzip und Maßstab für die ganze Welt gemacht hat.
Als das die inzwischen ganz ansehnliche Menge hörte, ging’s doch vielen durchs Herz, und es wurden Stimmen laut in Richtung auf Peter Simon und die anderen Kirchenvorsteher: Ihr habt gut reden, ‚liebe Schwestern und Brüder‘, aber was sollen wir denn tun?
Da sagte Peter Simon zu ihnen: Ganz einfach – kehrt um. Erinnert euch an eure Taufe und an die eurer Kinder – wie Jesus die Kinder zu sich kommen ließ und überhaupt allen, die zu ihm kamen, ihr verfehltes Leben verzieh – erinnert euch daran, so werdet auch ihr von seinem Geist erfüllt werden. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung, und allen, wie fern sie auch sein mögen und doch Gottes Stimme hören.
So redete Peter Simon und redete, jeden Einwand und Zuruf geduldig aufnehmend, und ermahnte sie, indem er mit immer neuen Wendungen ausführte: Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!
Die nun sich von diesen Worten anrühren und überzeugen ließen, nahmen teil an dem Platzbesetzerfest oder unterstützten doch nachdrücklich die Forderungen der Christi-Auferstehung-Gemeinde, so dass Polizei und Bauarbeiter unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten an diesem Montagmorgen im Juni letzten Jahres. Dreitausend Leute sollen es schließlich gewesen sein, die sich dazu gesellt hatten. –
So erzählten die Gäste aus Birmingham. Als die Zahl dreitausend ein wenig angezweifelt wurde, lächelten sie und meinten, wohl ein wenig übertrieben zu haben, aber schließlich habe die Unterschriftenliste für den Erhalt dieses Kinderparadieses im Laufe der Zeit dann doch fast so viele Unterschriften erhalten. Außerdem sei die Straße heute immer noch nicht gebaut worden und bestünden realistische Aussichten, dass die Stadtverwaltung die Existenz dieses Abenteuerspielplatzes nun ganz offiziell festschreiben würde: als Modellprojekt für weitere Stadtplanungen.
Ich denke, diese Geschichte ist ein schönes Beispiel dafür, wie der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, Herzen und Sinne, bewahrt in Christus Jesus.
Möge er es auch mit uns so halten! Das wünsche ich uns allen zu diesem Pfingstfest! Amen.
Verfasser: Pfr. Jürgen Reichel-Odié, Dekan, Ev. Maria-Magdalena-Gemeinde, Waidmannstr. 27, 60596 Frankfurt am Main
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