Die Kirche in der Welt
von Manfred Günther (35325 Mücke)
Predigtdatum
:
03.11.2002
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
22. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
1. Mose 18,20-21.22b-33
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Wochenspruch:
Dem König aller Könige und Herrn aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, dem sei Ehre und ewige Macht!
(1. Timotheus 6, 15b.16a.c)
Psalm: 33,13-22
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 18,20-21.22b-33
Epistel:
Philipper 3,17 (18-19) 20-21
Evangelium:
Matthäus 22,15-22
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 324
Ich singe dir mit Herz und Mund
Wochenlied:
EG 275
In dich hab’ ich gehoffet, Herr
Predigtlied:
EG 145
Wach auf, wach auf, du deutsches Land
Schlusslied:
EG 421
Verleih uns Frieden gnädiglich
20 Der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind. 21 Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse.
22 Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN 23 und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? 24 Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären? 25 Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten? 26 Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben. 27 Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. 28 Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben.
29 Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen. 30 Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun. 31 Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen. 32 Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen. 33 Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.
Liebe Gemeinde!
Das ist schon ein ziemlich starkes Stück, das sich Abraham hier leistet: Er belehrt Gott über das, was in seinen Augen „Gerechtigkeit“ wäre. Ja, schlimmer noch: Er wirft Gott vor, er wäre ungerecht, oder doch nahe daran, es zu werden: Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, so dass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten? Aber sehen wir auch das: Gott lässt es sich gefallen! Er weist Abraham nicht zurecht. Allenfalls am Ende der Geschichte haben wir das Gefühl, es wäre Gott nun wirklich genug, mit diesem unverschämten Menschen zu verhandeln: Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden...
Aber was nehmen wir nun mit von diesem Streitgespräch Abrahams mit seinem Gott? Liegt hier irgendeine Lehre darin, die wir ziehen können? Wozu ermutigt uns das Verhalten des Abraham? Was daran kann uns ein Hinweis sein, ein Anstoß - besonders wenn wir auf den Ausgang der Geschichte schauen, und da meine ich nicht, dass Gott aufhört mit Abraham zu sprechen und weggeht, sondern dass er am Ende doch Feuer vom Himmel regnen lässt und Sodom zerstört.
Erfolg hat Abraham also nicht gehabt - mit seiner Unverschämtheit. Er konnte Gott nicht umstimmen. Vielleicht aber war es ja auch so, dass wirklich weniger als zehn Gerechte in Sodom wohnten? - Noch einmal: Was lernen wir aus dieser Geschichte?
Für mich ist die Mitte dieser Verhandlung zwischen Gott und Abraham einmal der Mut, dann aber auch die „Barmherzigkeit“, nämlich die echte Anteilnahme eines Menschen am Schicksal anderer! Warum ist Abraham nicht still, warum überwindet er die innere Angst, die er doch gewiss gehabt hat, den großen Gott so hart anzugehen? Und könnten wir nicht wirklich fragen, was Abraham das eigentlich angeht, dass Gott diese abgrundtief verderbte Stadt zerstören will? Vielleicht wollte er seine Verwandten, Lot und seine Familie, die zu Sodom wohnten, retten? Dann aber hätte er es doch sagen können: Herr, verschone meine Leute! Oder er hätte sie warnen können: Verlasst die Stadt, denn Gottes Gericht wird über sie kommen. Aber nein, er lässt sich auf einen Streit mit Gott ein. Und dabei ist er wahrhaftig nicht zimperlich. Und es geht doch nicht einmal um ihn selbst.
Liebe Gemeinde, mal ganz ehrlich: Könnten wir uns das vorstellen, dass wir uns so verhalten? - Das ist jetzt zu weit hergeholt, meinen sie, das mit „Sodom“ und „dem Feuer vom Himmel“? Und wer kann sich auch nur denken, Gott kündigte ihm vorher an, was er zu tun beabsichtigt, welches Strafgericht er über eine Stadt oder einen Menschen plant?
Ja, das ist wirklich nicht einfach, solche Gedanken zu denken. - Darum beschränken wir uns darauf, uns zu fragen, wie sehr wir bereit wären, für andere zu bitten, für sie einzutreten und mit allem, was uns zu Gebote steht, böses Schicksal von ihnen abzuwenden. Und suchen wir uns dazu ganz konkrete Beispiele - und solche aus unseren Tagen:
Ein Mann aus unserer Umgebung ist erkrankt, eine sehr schlimme Sache. Es heißt, er hätte nicht mehr allzu lang zu leben. Der Mann aber ist noch jung, er hat eine Frau und drei Kinder und ist der alleinige Ernährer seiner Familie. Wir sind sehr bestürzt, als wir es hören. Er ist doch ein so netter Mensch, denken wir...wirklich schlimm...warum gerade er? –
Werden wir nun noch eine zeitlang betroffen sein und das auch dem einen oder anderen sagen, dann aber nach und nach wieder verdrängen und vergessen, wie schwer das Geschick diesen Mann geschlagen hat? Oder werden wir mehr fertigbringen? - Ja, was denn, fragen sie? - Ich könnte mir vorstellen, dass wir Tag für Tag unsere Hände für diesen Menschen falten, dass wir wieder und wieder vor Gott bringen, wie traurig und hart wir das finden, was er diesem Mann auferlegt, dass wir Gott um Heilung anflehen, ihm die Kinder und die Frau in unseren Gebeten vor Augen stellen und die Verheißung, seine Menschen zu segnen, zu beschützen und zu bewahren. Das wäre mehr als bloß davon zu hören, mehr als Neugier oder im günstigeren Fall: Interesse. Das wäre ehrliches, herzliches Erbarmen über einen Menschen. Das wäre ein Aufwand, der uns Geduld und Ausdauer kostet.
Eine andere Geschichte - sie spielt nur zwischen uns Menschen, aber sie passt auch hier hin: Uns ist zu Ohren gekommen, dass unser Nachbar, unsere Kollegin oder sonst ein Bekannter im Ort oder im Betrieb ausgetragen wird. Und wir wissen sogar, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, und wir können mit Sicherheit sagen, dass es jeder Grundlage entbehrt. –
Aber werden wir das sagen? Es gibt ja immer einiges, was dagegen spricht, sich in solche Dinge einzumischen: „Alle, die der üblen Nachrede aufgesessen sind, kann ich ja ohnehin nicht erreichen!“ - „Wenn ich etwas sage, sieht das ja vielleicht so aus, als wäre ich der Verursacher des üblen Geredes und wollte mich jetzt nur reinwaschen.“ - „Am Ende wird mir noch angehängt, ich wollte den, von dem die Gerüchte gehen, doch nur in Schutz nehmen, um mich bei ihm einzuschmeicheln.“
Ja, und dann schweigen wir doch lieber mit der festen, leider aber nur stillen Hoffnung, die Sache würde sich irgendwann ja von selbst aufklären. - Den Mund aufzumachen, scheuen wir meist. Wenn es zum Schwur kommt, ziehen wir uns lieber in die Menge der bloßen Zuschauer zurück. Denn Farbe bekennen kostet Mut. Mit dem, der Unrecht leidet, solidarisch zu sein, braucht Einsatz von Kraft und Nerven. Und es stimmt ja: Leicht geraten wir selbst in die Schusslinie. Schnell bleibt auch bei uns etwas vom bösen Gerücht hängen.
Und noch ein drittes Beispiel will ich ansprechen, es ist ganz alltäglich, scheinbar ganz unbedeutend und allgemein, beileibe nichts besonderes. Es sind die vielen kleinen Gelegenheiten über Tag, die wir haben, vom Leben und Schicksal unserer Nächsten nur zu hören oder mit unserem Herzen daran teilzunehmen: Wenn den Leuten schräg über die Straße ein Unfall passiert ist, wenn das Kind aus der Klasse unseres Enkels abends nicht nach Hause gehen will, wenn die Frau, die uns oft beim Einkaufen begegnet, immer wieder verweinte Augen hat, wenn wir spüren, dass der alte Mann im Nachbarhaus unendlich einsam ist und jemanden zum Reden braucht... Immer können wir sagen, was geht das mich an. Immer gibt es tausend gute Gründe, dass wir uns heraushalten. Niemand kann uns einen Vorwurf machen, wenn wir uns entziehen. Die anderen machen es schließlich genau so!
Liebe Gemeinde, immer gibt es aber auch die Möglichkeit, dass wir uns an Abraham orientieren: Dass wir Mut fassen, für andere in die Presche springen, uns auf Wortwechsel, ja, vielleicht Streit einlassen, dass wir barmherzig mit denen sind, die sich selbst nicht verteidigen oder helfen können, oder einfach nur solidarisch sind mit denen, die sonst allein dastehen. Und immer gibt es dabei die Chance, dass wir wirklich etwas für andere erreichen, dass eine bewahrt wird, glücklicher oder fröhlicher und dass einer aus seiner Isolation herauskommt und wieder an die Menschen glauben kann!
Und wenn wir uns nicht überwinden können, uns ins Schicksal oder das Leid unserer Mitmenschen einzumischen, dann finden wir aber ganz sicher die Kraft, Gott in unserem Gebet für sie zu bitten und nicht abzulassen, bis er uns hört und antwortet. Aber selbst wenn seine Antwort am Ende ausfällt, wie bei Abraham, wenn wir also nicht erreichen, was wir erbitten, kommt hier doch viel vom guten Geist der Liebe, der Gemeinschaft und der Solidarität unter die Menschen.
Wenn ich noch einmal an die Fürbitte des Abraham für Sodom denke, dann scheint mir ganz gewiss, dass es Gott imponiert hat, wie dieser kleine Mensch ihn angegangen und über sich hinausgewachsen ist! Darum bin ich auch ganz sicher, dass Gott sich über uns heute freut, wenn wir all unseren Mut zusammennehmen und uns für die Menschen einsetzen und nicht locker lassen. Amen.
Verfasser: Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35235 Mücke
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