Die Kraft des Glaubens
von Simone Carstens-Kant (38855 Wernigerode)
Predigtdatum
:
27.09.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
15. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Matthäus 15,21-28
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Wochenspruch:
„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1. Johannes 5, 4)
Psalm: 25, 8 – 15 (EG 713)
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 49, 1 – 6
Epistel: Römer 10, 9 – 17 (18)
Evangelium: Matthäus 15, 21 – 28
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 302 Du meine Seele, singe
Wochenlied: EG 346 Such, wer da will, ein ander Ziel
Predigtlied: EG 247 Herr, unser Gott, lass nicht zuschanden werden
Schlusslied: EG 157 Lass mich dein sein und bleiben
Liebe Gemeinde,
ein Prinzipienreiter ist Jesus nicht! An vielen Stellen hat er das gezeigt. Erinnern Sie sich daran, wie Jesus mit seinen Jüngern an einem Sabbat Ähren ausreißt? Sie hatten Hunger und wollten sich stärken. „Das geht doch gar nicht“, sagen die Schriftgelehrten. „Heute ist Sabbat – der heilige Tag in der Woche! Alle Arbeit soll ruhen, um Gott die Ehre zu geben!“
Und Jesus? Wie reagiert er? „ Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht. Und nicht der Mensch um des Sabbat willen. Wir haben Hunger und wir tun etwas dagegen.“
Das gefällt mir an Jesus: Er sieht immer den konkreten Menschen vor sich. Und er weiß, was jetzt dran ist. In diesem Moment und nicht irgendwann.
In unserem heutigen Predigttext sieht das erst einmal ganz anders aus. Da achtet Jesus auf seine Prinzipien. Aber hören Sie selbst:
21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel ge-plagt.
23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.
24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Ist das der Jesus, der sich beim Ährenraufen über die Schriftgelehrten hinweggesetzt hat? Eine Frau läuft schreiend zu ihm. Sie ist in Not. Und er? Erst reagiert er gar nicht. Als wäre sie Luft. Seine Jünger drängen ihn. „Sag doch was zu ihr! Sonst hört sie nicht auf zu schreien!“
Doch Jesus verstärkt nur seine Ablehnung, indem er klar macht: „Ich bin nicht für die Ungläubigen da! Nicht für diese Frau und auch für keinen anderen Nichtjuden!“ Kann er nicht jedenfalls mal fragen: „Wieso flehst du mich an?“, denke ich. Was ist denn daran schlimm, wenn er sich diesen kurzen Moment Zeit nimmt?!
Jesus enttäuscht mich an dieser Stelle. Hat er nicht gesagt: „Das Gesetz ist nicht dafür da, um es zwanghaft zu erfüllen. Das Gesetz soll dem Miteinander von Menschen dienen.“ Doch Jesus lehnt es ab, zu helfen, weil die Frau nicht dem jüdischen Glauben angehört. „Ich bin nicht gesandt zu den Fremden – aus anderen Ländern, mit einem anderen Glauben.“, sagt er.
„Aber diese Frau braucht Hilfe!“ möchte ich rufen. Würde sie denn sonst zu einem gehen, der auch ihr fremd ist? Wie viele Priester hat sie schon aufgesucht! Wie viele Wunderheiler! Doch keiner konnte ihr helfen. Sie ist am Ende. Ihre Trostlosigkeit kann sie schon nicht mehr in wohlgeformten Sätzen vorbringen. Sie schreit, sodass jeder sie hören kann. Sodass viele vielleicht schon entnervt sind. „Die mit ihrem Geschrei immer!“
Die fremde Frau, der Jesus nicht helfen will. Wissen Sie, welche Bilder mir nicht aus dem Kopf wollen? Bilder vom Beginn des Jahres. Als tausende Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen sind, um gegen die Islamisierung des deutschen Volkes zu demonstrieren.
Aber wo waren die, gegen die da demonstriert wurde? Sie spielten in der Berichterstattung kaum eine Rolle. Vermutlich hatten sich viele von ihnen stillschweigend in ihren Notunterkünften verbarrikadiert. Ein Zurück in ihr Herkunftsland gab es nicht mehr. Der Weg in die Zukunft auch ungewiss. Andere, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben und arbeiten, verstanden die Welt nicht mehr. Wen hatten sie gestört?
Ich denke an den Bürgermeister in Tröglitz, einem kleinen Dorf im südlichen Sachsen-Anhalt. 40 Flüchtlinge sollten in einem leer stehenden Haus untergebracht werden. Doch die Rechten und mit ihnen etliche Sympathisanten protestierten dagegen. Der Bürgermeister legte im März sein Amt nieder, weil er im Landkreis keine spürbare Unterstützung fand. Im Gegenteil, er musste sich mit seiner Familie bedroht fühlen.
Ich sehe sie noch, die schwarz-rot-goldenen Kreuze mit Lichterketten geschmückt, inmitten der Pegida- und Legida-Züge.
Ja, wenn die biblische Geschichte so zu Ende gegangen wäre, wie eben gelesen, dann wäre das vielleicht zur Botschaft geworden: Menschen von woanders und mit einem anderen Glauben haben von uns keine Hilfe zu erwarten. Wäre die Geschichte so zu Ende gegangen, hieße die Botschaft vielleicht: Es ist gut, sich gegen alles Fremde abzugrenzen. Es ist richtig, dass jeder für sich selber sorgt. Wir haben genug mit uns zu tun und mit unseren Landsleuten, die Hilfe benötigen.
Die kanaanäische Frau in unserer Geschichte weiß keinen Ausweg mehr für ihre kranke Tochter. Es kann nicht mehr schlimmer werden. Also legt sie ihre ganze Verzweiflung und ihre letzte Hoffnung in die Worte an Jesus: „Herr – hilf – mir!“
26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brotsamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Höre ich das richtig? Jesus vergleicht die Frau mit einem Hund? Mich hätte das zutiefst gekränkt. Nach dem ersten Entsetzen hätte ich mich abgewendet und wäre gegangen. Und ich hätte bei mir gedacht: Was die Leute nur immer von diesem Jesus erzählen …! Ich kann keine Menschenfreundlichkeit bei ihm entdecken.
Doch an der Frau scheint dieser unerhörte Vergleich mit einem Hund abzuprallen. Wahrscheinlich wurde sie schon oft so beschimpft und verjagt.
Und die Frau? „Was soll mir noch passieren!“, wird sie sich fragen. „Ja, dann bin ich eben eine Hündin, wenn doch nur einfach meinem Kind geholfen wird! Alles andere ist mir egal.“ Und so drängelt sie weiter: „Nur das Kind, Herr! Nur mein armes Töchterchen! Bitte! Hilf doch!“
Wenn ein Mensch so fleht – kann man sich dann verweigern? Auch wenn er von ferne kommt, wenn er einen anderen Glauben hat? Wenn er einfach ein Mensch in äußerster Not ist? Und wenn man sich nichts vergibt, wenn man ihm hilft? „Jesus! Bitte, hilf meiner Tochter!“, fleht die Frau.
28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
Ich bin erleichtert. Danke, Jesus, dass du geholfen hast. Dass du dich erweichen lässt, deine Meinung änderst.
Diejenigen, die diese Geschichte aufgeschrieben und erzählt haben, wollten deutlich machen: Diese Geschichte ist keine Wundererzählung in dem Sinn: Wenn du nur richtig glaubst, wird dir ein Wunder geschehen. Das Wunder ist hier ein ganz anderes: Ich muss an meiner vorgefertigten Meinung nicht um jeden Preis festhalten. Wer A sagt, so hat es Bert-olt Brecht formuliert, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.
Diese Wundergeschichte von Jesus ist so wohltuend anders. Uns begegnet hier weniger der unerreichbare Gottessohn als vielmehr der uns so ähnliche Menschensohn. Der sich irrt. Und der sein Denken verändert. Die Geschichte vom Sabbat scheint hier durch. Ist ein Mensch in Not, dann müssen auch mal Vorschriften fallen gelassen werden. Dann muss mein Herz ran, mein Gefühl. Weniger mein Verstand. Es ist nichts Unerreichbares, was da über Jesus erzählt wird. Eigentlich kann ich da schon jetzt mitmachen.
Und ein letztes: Habe ich nicht auch schon erlebt, dass Menschen ihr Tun unterbrochen haben, um mir zu helfen? Erlebe ich nicht immer wieder, dass Fremde mir offen begegnen? Wenn ich im Urlaub vom Hotelpersonal freundlich behandelt werde. Wenn der Vietnamese im Obstladen noch eine besonders schöne Orange für mich einpackt.
Wenn nur genug Menschen den Mut haben, ihr Denken zu ändern, dann wächst eine Kultur der Mitmenschlichkeit. In ihr bleibe ich aufgehoben, selbst wenn ich in Not gerate, wenn ich womöglich selbst zum Flüchtling werde. Ich hoffe auf Menschen, die aufeinander achten und sich vom Leid der anderen bewegen lassen. Die keine Prinzipienreiter sind, sondern die Freundlichkeit und Liebe Gottes leben. Es geht!
Amen
Verfasserin: Pfarrerin Simone Carstens-Kant
Andreaskirchplatz 11, 06295 Eisleben
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