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Die Kraft des Glaubens

von Manuela Rimbach-Sator (55276 Oppenheim)

Predigtdatum : 04.10.2020
Lesereihe : II
Predigttag im Kirchenjahr : 17. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Matthäus 15,21-28
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Wochenspruch: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. (1. Johannes 5,4c)

Psalm: 138

Predigtreihen

Reihe I: Josua 2,1-21
Reihe II: Matthäus 15,21-28
Reihe III: Römer 10,9-17(18)
Reihe IV: Jesaja 49,1-6
Reihe V: Markus 9,17-27
Reihe VI: Galater 3,26-29

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 441 Du höchstes Licht
Wochenlied: EG 346 Such, wer da will
Predigtlied: EG 397, 1+2 Herzlich lieb hab ich dich
Schlusslied: EG 625 Wir strecken uns nach dir

Predigttext Matthäus 15, 21 – 28

Die kanaanäische Frau

21 Und Jesus ging weg von dort und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.
23 Er aber antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.
24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!
26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brotsamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Liebe Gemeinde,

am Ende der Geschichte ist die Tochter gesund. Wie gut. Wie erleichternd. Für alle Beteiligten. Auch für uns.

Denn bis dahin, bis wir von dem guten Ausgang der Ge-schichte hören, ist es ein Bibeltext, der uns einiges zumutet: Die Verzweiflung einer Mutter und ein rätselhafter Jesus; Ortsangaben, die von Bedeutung zu sein scheinen; Jünger, die sich einmischen und ein bizarrer Vergleich von Hunden mit Menschen. 

Es ist die Geschichte mehrerer Grenzüberschreitungen. Und deshalb ist es eine Geschichte, die zu uns spricht, wenn wir an unsere Grenzen kommen.

Der Evangelist Matthäus jedenfalls will offenbar seine Lese-rinnen und Hörer dabei mitnehmen, will mindestens die mitnehmen, die ihren Jesus gerne für sich gehabt hätten, die es sich nicht vorstellen konnten, dass der Sohn Gottes sich mit denen abgibt; mit denen aus Kanaan, mit denen aus Tyrus und Sidon, wo die Heiden wohnen, die nicht an den jüdischen Gott glauben. Wo die Reichen wohnen, die den armen Galiläern das Korn vor der Nase wegkaufen. Unvorstellbar, dass Jesus mit offenen Armen und Wohlwollen, gar mit Heil auf diese Leute zugegangen sein sollte. 

Matthäus hat eine Geschichte zu erzählen von der Heilung des Kindes einer Frau, deren Namen er nicht kennt. Er weiß nur: Sie kommt aus Kanaan. Es ist die erste Frau in seinem Evangelium, die er in wörtlicher Rede sprechen lässt. 

„Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ – das schreit sie Jesus entgegen.
Die Szene spielt sich ab in der Gegend von Tyrus und Sidon, den Küstenstädten ganz im Norden des Landes, im Grenz-gebiet Nordgaliläas, wo der heutige Libanon beginnt.
Hier wohnen nur vereinzelt Juden, umso mehr aber Heiden, die Israels Glauben an den einen und wahren Gott nicht teilen. Andere Götter werden hier verehrt und in kraftvollen Kulten angebetet.
Die Juden mieden den Umgang mit den Ungläubigen.

Jesus war in diesem Gebiet unterwegs, nachdem er zuvor mit einigen Pharisäern wegen der Auslegung des Sabbatgebots aneinandergeraten war.

Matthäus schreibt:
„Jesus ging weg von dort und entwich in die Gegend von Tyros und Sidon.“ Das klingt, als ob Jesus sich zurückzieht aus der Konfrontation mit den eigenen Leuten, als wollte er seine Ruhe haben. Und auch in dem Streitgespräch, das sich entwickelt, geht es ja um das Verhältnis, das Jesus zu den eigenen Leuten und den Fremden hat.
Die erste Grenzüberschreitung in der Geschichte unternimmt Jesus selbst, indem er dorthin geht, wo nur noch ganz wenige Juden wohnen.

Bis heute ist das die Herausforderung auch für uns als Christen. Wie gehen wir mit denen um, die anders sind? Die von woanders herkommen, die anders denken, die anders fühlen und leben, die anders glauben. Dass Jesus auf andere zugeht, ja dass Fremde ihn manchmal besser verstehen als die eigenen Leute, das müsste uns eigentlich ermutigen und inspirieren. Oder es müsste uns doch jedenfalls erkennen lassen, dass es unsere Beziehung zu Jesus nicht kleiner macht. Mit Jesus gemeinsam wagen wir in dieser Geschichte einen Weg aus dem vertrauten Gelände hinaus.
Und nun entdeckt ihn eine kanaanäische Frau, eine Heidin also.

In diesem Moment geschieht etwas Außergewöhnliches: Die Frau weiß, wen sie vor sich hat. Sie sieht, sie erkennt etwas, was andere (vergl. Matth 28, 54) erst sehr viel später verstehen: Dieser Jesus ist der Davidssohn; er ist der, auf den sich alle Hoffnung und alle Sehnsucht des Volkes Israel bezieht.

Wir erfahren nicht, weshalb sie erkennt, dass er in göttlicher Vollmacht handelt. An anderer Stelle in der Bibel wird solche Erkenntnisfähigkeit durchaus als Wirkung des Heiligen Geistes beschrieben. So weit will Matthäus offenbar nicht gehen. Erst einmal schildert er die Frau aus Kanaan vor allem als eine Person mit einer großen Sorge.

Unter großem Leidensdruck wendet sie sich schon von ferne an Jesus und sie schreit: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!"

Auf Griechisch heißt das: Kyrie eleison.
„Erbarme dich meiner, denn meine Tochter wird von einem Geist übel geplagt!"

Herr, erbarme dich – kyrie eleison. Das erklingt in jedem unserer Gottesdienste. Es ist ein fester Bestandteil dessen, was die Gemeinde in jedem Gottesdienst als Antwortgesang anstimmt. Manchmal singen wir es sogar auf Griechisch: Kyrie eleison – Herr, erbarme dich.

So rief man in der Antike dem Herrscher entgegen. Es ist Hilferuf und Ehrerbietung zugleich.
In jedem unserer Gottesdienste reihen wir uns mit der Liturgie ein in die Reihe derer, die Jesus als den Gottessohn verehren und die Gott um sein Erbarmen bitten. Jeder unserer Gottesdienste ist deswegen einen Moment lang auch ein Rin-gen mit Gott. Auch wenn uns das in den seltensten Fällen vollkommen bewusst ist. In jedem Gottesdienst nehmen wir für einen Moment die Haltung dieser Frau ein und bitten ihn für unsere ganz persönliche Situation um Erbarmen.

„Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“
Ob es tatsächlich eine geistige, das heißt eine psychische oder eine Nerven-Erkrankung ist, die die Tochter hat, können wir offenlassen. Für die Beschreibung der Not ist es nicht wichtig, ob heutiges medizinisches Wissen von Epilepsie reden würde und ob tatsächlich eine Dämonenaustreibung hier Abhilfe schaffen soll. Entscheidend ist, dass die Mutter mit ihrer Not nach Jesus ruft und ihm zutraut, dass er helfen kann. Auch das ist nicht selbstverständlich. 

Wir können denken, sie hat schon alles versucht, was ihr möglich war und Jesus wäre sozusagen der letzte Ausweg. „Herr, hilf mir“, sagt die Mutter. Die Krankheit der Tochter ist das Leid der Mutter. Und so sehr sie sich wünschen mag, dass der Tochter geholfen wird, ist es ihr persönliches Leid, mit dem sie sich Jesus vor die Füße wirft. Jeder von uns, der die Krankheit eines geliebten Menschen erlebt als eigene Ohnmachtserfahrung, der kann sich vorstellen, wie ver-zweifelt diese Frau ist. Manche Menschen macht solche Not bitter oder stumm oder wütend. Matthäus erzählt uns von einer Frau, die in ihrer Verzweiflung eine Grenze überschrei-tet und den Fremden, den sie als Davidssohn erkennt, für sich (!) um Erbarmen bittet.

Er aber antwortete ihr kein Wort.“ Schreibt Matthäus jetzt. Wieder eine Grenzüberschreitung. Würde man nicht erwarten können, dass Jesus wenigstens freundliche Anteilnahme zeigt? Irgendeine Geste des Mitleids, der Zuwendung?

Das Schweigen Jesu an dieser Stelle ist schwer auszuhalten. Manche Ausleger dieser Stelle suchen nach Erklärungen, um Jesu Schweigen zu rechtfertigen. Dass Gott schweigt, ist in den Psalmen immer ein Ausdruck für die umso größere Not des Menschen (vergl. Ps 35, 22 u. ö.)

Ich weiß von Menschen, die in einer Not einen schweigenden Gott als besondere Qual empfunden haben. Wie gut, wenn sie dann selbst nicht schweigen und verstummen, sondern vielleicht umso beharrlicher Antwort verlangen von Gott.

Schauen wir uns um, an welcher Stelle Jesus noch schweigt, dann führt uns Matthäus auf die Spur der Leidensgeschichte Jesu (vergl. Matth 26, 63 und 27, 12 - 14). Jesus begegnet seinen Anklägern mit Schweigen. Dreimal betont der Evangelist das ausdrücklich.

Das könnte ein Indiz dafür sein, dass Jesus auch in unserer Geschichte ja längst auf der Seite der verzweifelten Frau steht. Die Krankheit der Tochter nimmt dieselbe Stelle ein wie einige Kapitel später die Ankläger, die seine Gottessohnschaft in Zweifel stellen. Jesu Schweigen wäre dann ein Erdulden, ein Mitleiden, ein Herausgefordert-Sein. Er hat sich längst ihrer erbarmt im wörtlichen Sinne: Ihr Leid ist schon zu seiner Sache geworden.  

Für die Jünger sieht das anders aus. Sie halten das Schreien der Frau und das Schweigen von Jesus kaum aus: „Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach“, sagen sie zu Jesus. Und diese Bitte ergibt nur einen Sinn, wenn sie Jesus auf der Seite der Frau sehen. Lass sie doch gehen, verlangen sie. Aber womit hält Jesus sie fest? Doch damit, dass sie weiß, wen sie vor sich hat: den, der bei ihr ist mit seinem Erbar-men.

Nun folgt ein theologisches Fachgespräch, das seltsam befremdlich wirkt in dieser Szenerie. Jesus spricht zu den Jüngern über seine Zuständigkeit. Aber es sind nicht die Jünger, die mit ihm diskutieren, sondern die Frau. In beeindruckender Schlagfertigkeit widerlegt sie Jesus anscheinend mit seinen eigenen Mitteln. Sie liegt vor ihm auf den Knien und argumentiert doch auf Augenhöhe mit ihm.  

Jesus spricht von Kindern, die man den Hunden allemal vor-zuziehen hat. Spricht er von den Israeliten, die den Heiden vorzuziehen sind? Wie geringschätzig wäre das, angesichts der Not dieser Mutter, ihre kranke Tochter mit den Hunden zu vergleichen. Deshalb höre ich diesen Wortwechsel in einem anderen Zusammenhang und viel eher als die Stimme des Evangelisten, der rechtfertigt, was Jesus hier vorhat: Er wird dieser Frau helfen mit der Kraft seiner göttlichen Vollmacht. Und es wird ihm egal sein, wo die Frau herkommt. Und alle, die Anstoß daran nehmen könnten, dass Jesus hier eine Grenze überschreitet, die werden ihrerseits in ihre Schranken verwiesen: Es ist nicht recht, dass man dem Kind die Hilfe verwehrt.

Am Ende der Geschichte ist das Kind gesund und Jesus nennt den Glauben der Frau „groß“. Hüten wir uns vor dem Miss-verständnis, dass nur ein „großer Glaube“ große Hilfe bewirke. Im Umkehrschluss würde das heißen, dass dort, wo keine Hilfe kommt, der Glaube nicht groß genug war. Was für ein schlimmes Missverständnis (und ganz und gar unevangelisch!). Nicht die Größe des Glaubens der Frau, nicht ihre Lautstärke, nicht ihre Schlagfertigkeit und nicht ihre Beharr-lichkeit machen die Tochter gesund, sondern die souveräne Hinwendung Jesu zu ihr. Es ist eine Begegnung mit dem Kyrios, dem Davidssohn, der hier nicht nur geografische Grenzen überschreitet und Religionsgrenzen, sondern der die Grenze des angefochtenen Lebens überwindet und Heilung und Heil hat für die, die an den Grenzen des Lebens ihm begegnen.

Amen

Verfasserin: Pfarrerin Manuela Rimbach-Sator, Merianstraße 6, 55276 Oppenheim


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