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Die Kraft des Glaubens

von Michael Tönges-Braungart (61348 Bad Homburg )

Predigtdatum : 12.10.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 15. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Epheser 4,1-6
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Wochenspruch:
„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1. Johannes 5, 4)

Psalm: 25, 8 – 15 (EG 713)

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 49, 1 – 6

Epistel: Römer 10, 9 – 17 (18)

Evangelium: Matthäus 15, 21 – 28


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 452, 1 - 5 Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied: EG 346, 1 - 3 Such, wer da will
Predigtlied: EG 251, 1.2.7 Herz und Herz vereint
Schlusslied: EG 157 Lass mich dein sein und bleiben

Liebe Gemeinde,

„Seid euch einig, streitet euch nicht!“ Wer hat diese Mahnung nicht schon gehört - meistens als Kind von den Eltern. Oder wer hat nicht selber schon einmal anderen diese Mahnung mitgegeben. Streit, Uneinigkeit – den allermeisten von uns ist das zuwider. „Ich will keinen Streit!“, heißt es oft – in den Familien oder am Arbeitsplatz oder auch in der Kirchengemeinde. Und wenn doch Uneinigkeit und Streit entstehen, dann leiden wir darunter, und wir sehnen uns nach Frieden und Harmonie. Deshalb „Seid euch einig, strei-tet euch nicht!“

Auf der anderen Seite wissen wir auch: Diese Mahnung be-wirkt meistens nur sehr wenig. Wo unterschiedliche Mei-nungen und Überzeugungen aufeinander prallen, wo gegen-sätzliche Interessen einander gegenüberstehen, wo sich un-terschiedliche Temperamente begegnen, da geht es nicht ohne Streit ab; da hilft es nichts, immer die Zähne zusam-men zu beißen und still zu halten um des lieben Friedens willen. Und wo solche Unterschiede oder Gegensätze und Konflikte ständig unter den Teppich gekehrt werden, da brechen sie an anderer Stelle immer wieder auf; ja da kön-nen sie manchmal ganz unerwartet und beim völlig falschen Thema oder einer völlig falschen Person regelrecht explodie-ren.

So steckt in uns beides: Die Sehnsucht nach Harmonie und Frieden – und das Wissen darum, dass es manchmal ohne Streit und Uneinigkeit eben nicht abgeht – auch nicht unter Christen.

Das war offenbar schon immer so. Schon zu der Zeit, als der Epheserbrief entstand. Und so ist sein Hauptthema: Die Einheit der Christenheit, die Einheit der Kirche – bei aller Verschiedenheit, bei aller Auseinandersetzung; bei allem Streit. Und wie es gelingen kann, diese Einheit zu leben.

Dem Epheserbrief geht es vor allem um die Einheit zwischen Heiden- und Judenchristen. Diese Frage ist für uns kein Thema mehr. Die Frage nach der Einheit der Christenheit aber umso mehr.

Dass es so viele verschiedene christliche Kirchen und Ge-meinschaften gibt – wer hätte sich nicht schon einmal ge-fragt: „Muss das so sein? Wäre es nicht viel besser, wenn die Christen einheitlicher auftreten würden und mit einer Stimme sprechen würden? Gerade in einer Zeit, in der es für viele Menschen nicht mehr selbstverständlich ist, zu einer Kirche zu gehören; in der vielen Menschen auch der christliche Glaube fremd geworden ist; gerade in einer Zeit, in der die Kirchen Profil zeigen und nach außen erkennbar sein müssen, um überhaupt noch wahrgenommen zu wer-den?“

Und wir protestantischen Christen schauen manchmal fast ein wenig sehnsüchtig auf unsere katholischen Geschwister. Die haben einen Papst, die haben ein Lehramt, das verbind-lich den christlichen Glauben heute auslegt; das klar er-kennbar und deutlich auch nach außen die Position der Kirche vertritt. Ganz gleich, ob sie nun im einzelnen Position, die der Papst vertritt, nun teilen oder nicht: Für viele ist der Papst wenigstens einer, der sagt, was Sache ist.

Wir Protestanten dagegen – uns fällt es doch schwer zu sa-gen, was „die Kirche“ zu diesem oder jenem Thema sagt. Da gibt es immer ganz unterschiedliche Auffassungen von verschiedenen Leuten aus der Kirche. Und da gibt es keinen, der einfach sagen kann: „So ist das jetzt! Und das gilt! Ende der Debatte!“ Da sehnen wir uns manchmal schon nach mehr Einheit und Einheitlichkeit auch innerhalb unserer evangelischen Kirche.

Aber auf der anderen Seite sind wir natürlich auch Protes-tanten im wahren Sinn des Wortes. Und wir wissen genau: Wollte uns eine Kirche oder eine Kirchenleitung oder wer auch immer vorschreiben, was wir zu glauben und wie wir zu leben haben – wir würden uns das nicht gefallen lassen. Zumindest dann nicht, wenn es unserer Überzeugung widerspräche. Wir würden uns in kein Korsett zwingen las-sen. – Und den allermeisten katholischen Geschwistern geht es im Blick auf ihre Kirche und den Papst genauso.

Wie ist das also mit der Einheit der Christen? Offenbar war sie ein Problem, solange es Christen gibt. In unserem Pre-digttext wird dieses Problem beleuchtet. Er versucht Antwort zu geben auf die Frage: Was macht die Einheit der Christen aus; und wie kann sie gelebt werden? Und er gibt diese Antwort mit einer griffigen Formel: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“

„Wir glauben doch alle an denselben Gott!“ Diesen Satz hört man oft, wenn es um die Vielzahl christlicher Kirche und Gemeinschaften geht. Und er stimmt ja auch. Das Problem ist nur, dass wir das auf so unterschiedliche, ja manchmal gegensätzliche Art und Weise tun. Fragt sich also, was uns eint.

Da ist in der Tat der Glaube an den einen Gott, wie ihn uns die Bibel im Alten und Neuen Testament vorstellt. Dass wir uns diesem Gott anvertrauen, dass wir darauf vertrauen, dass unser Leben aus seiner Hand kommt und in seiner Hand steht und in seine Hand wieder einmal zurückkehrt – das eint uns als Christen.

Da ist die Taufe, die uns verbindet. Ganz unterschiedlich wird sie in den verschiedenen Kirchen vollzogen; an Kindern oder Erwachsenen; am Taufstein oder im großen Taufbecken. Aber überall geschieht sie mit Wasser und auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und von wenigen Freikirchen abgesehen, die unsere Kindertaufe nicht akzeptieren, wird die Taufe quer durch alle Kirchen anerkannt. Tritt ein getaufter evangelischer Christ zur katholischen Kirche über oder umgekehrt, wird er selbstverständlich nicht noch einmal getauft. Die Taufe ge-schieht einmal und ein für allemal. Durch die Taufe werden wir jeweils Glieder einer ganz bestimmten Kirche und Ge-meinde vor Ort; aber zugleich Glieder der weltweiten Chris-tenheit; Glieder am Leib Jesu Christi, der viel größer ist, als wir das erahnen und uns vorstellen können.

Über uns ist Christi Namen ausgerufen worden in der Taufe; wir gehören zu ihm; wir tragen seinen Namen; wir sind seine Brüder und Schwestern – das verbindet uns als Christen über alle Unterschiede und Gegensätze hinweg.

Ein Herr – damit ist das noch einmal ausdrücklich gesagt. Als Christen verbindet uns, dass wir uns eben nach diesem einen Herrn nennen, wie wir ihn aus dem Neuen Testament kennen und wie wir ihn in unserer Gemeinschaft als lebendig erleben. Uns verbindet, dass wir Jesus Christus unseren Herrn nennen und ihm nachfolgen und nicht anderen Herren dienen; dass wir uns an ihm ausrichten und von ihm her die grundlegende Orientierung für unser Leben bekommen und nicht von anderen Personen oder Ideen oder Ideologien.

Und schließlich heißt es: ein Glaube. Da wird’s sicher am schwierigsten. Denn das ist ja gerade das Problem, dass wir als Christen so unterschiedlich glauben und unseren Glauben auch so unterschiedlich leben.

Ein Glaube? Ja, ein Glaube, sofern damit gemeint ist, dass wir unser Vertrauen auf den einen Gott setzen und Jesus Christus als unseren Herrn bekennen und uns nach ihm aus-richten, so wie ich das eben zu beschreiben versucht habe.
Ja, sofern Glaube eine Haltung meint, eine grundlegende Ausrichtung; eine ganz tiefe Gewissheit; die Haltung eines unbedingten Vertrauens auf unseren Herrn Jesus Christus.
Ein Glaube? Nein, sofern damit Einheitlichkeit in den einzel-nen Glaubensinhalten gemeint ist und kein Platz mehr bleibt für die Vielfalt der Glaubensweisen; sofern mit dieser Formel alle in ein Korsett gezwängt werden sollen oder alle die gleiche „Glaubensuniform“ tragen sollen.
Immer wieder haben Christen sich bemüht, neu zu formulie-ren, was denn Kerninhalte ihres Glaubens sind – unser Glaubensbekenntnis, das wir in jedem Gottesdienst spre-chen, ist da ein wichtiger Maßstab. Aber immer wieder neu wird zwischen Christen darüber diskutiert und auch gestrit-ten, was das denn konkret bedeutet; wie denn unser Glaube heute aussehen kann; und wie wir als Christen heute, in unserer Zeit, unser Leben gestalten können. Diese Diskussi-on – manchmal auch dieser Streit – ist so alt wie die Chris-tenheit. Und er gehört zu ihr. Und noch mehr: Er hebt ihre Einheit nicht auf. Die Einheit der Christenheit liegt in Gott begründet, der der Vater aller ist; in der Taufe, in der uns seine Liebe zugesagt und der Name Christi über uns ausge-rufen wird; in Jesus Christus, den wir unseren Herrn nennen und der immer noch mehr und anders ist, als wir das erwarten; der immer wieder die Bilder sprengt, die wir uns von ihm machen. Darin besteht die Einheit der Christenheit. Und wir müssen sie nicht erst selber herstellen.

Manchmal ist sie mit bloßen Augen zu erkennen und mit Händen zu greifen und mit dem Herzen zu erspüren. Auf den großen Kirchentagen zum Beispiel; oder wenn wir mit katholischen Geschwistern zusammen Gottesdienst feiern; oder da, wo wir mit anderen, vielleicht ganz fremden Chris-ten, deren Sprache wir gar nicht verstehen, Gottesdienst feiern und gemeinsam singen und beten und spüren: wir gehören zusammen. Wenn die anderen in ihrer Sprache beten, verstehen wir die Worte nicht. Und trotzdem singen und beten wir gemeinsam, beten jeweils in unserer Sprache das Vater Unser und empfangen am Ende des Gottesdiens-tes den Segen. Da wird die Einheit spürbar – bei aller Ver-schiedenheit. Und spürbar wird sie auch überall dort, wo wir mit anderen Christen aus verschiedenen Kirchen zusammen handeln und arbeiten für eine bessere Welt, für Gerechtig-keit und Frieden.

Wenn wir uns z. B. gemeinsam die Frage nach der wach-senden Armut und nach der Gerechtigkeit in unserer Gesell-schaft stellen; wenn wir uns mit unseren katholischen Ge-schwistern um Flüchtlinge in unserer Mitte kümmern; wenn Diakonie und Caritas da gemeinsam Zeichen setzen und etwas tun – dann ist da die Einheit der Christenheit spürbar – bei allen Unterschieden.

Manchmal ist die Einheit der Christenheit aber auch nicht zu erkennen; ja manchmal nicht einmal die Einheit einer Kirche oder einer Gemeinde. Manchmal sehen wir die Vielfalt und können und daran freuen, wie bunt und verschieden doch das Volk Gottes ist; wie viele unterschiedliche Gewächse Platz haben in Gottes Garten. Und ein andermal leiden wir an der Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Chris-ten; daran, dass wir andere und ihre Art zu glauben und zu leben, nicht verstehen und dass wir von ihnen nicht ver-standen werden; daran, dass die Christen auch dann nicht mit einer Stimme sprechen, wenn wir es so für nötig halten. Da scheint dann alles gegen eine Einheit der Christen zu sprechen. Und da muss die Einheit, die verborgene Einheit, die in Gott liegt, geglaubt und erhofft und erbeten werden.
Hält die Einheit der Kirche solche Unterschiede, ja solche Gegensätze aus? Und halten sich Christen gegenseitig aus, die so unterschiedlich glauben, denken und leben?

„Ertragt einer den andern in Liebe!“ heißt es in unserem Predigttext. Weil Einheit der Christen eben nicht Einheitlich-keit oder gar Gleichheit bedeutet; weil einzelne Glaubensin-halte und auch einzelne Maßstäbe für die Lebensführung unter Christen immer wieder umstritten sind; weil es immer wieder Unterschiede und Gegensätze zwischen ihnen gibt, deshalb müssen sich Christen mitunter auch gegenseitig ertragen. Das Fremdwort für dieses Ertragen ist: Toleranz. Und in diesem Ertragen steckt beides: dass wir darunter leiden, dass andere Christen so anders glauben und leben als wir; dass uns das im Herzen weh tut oder uns auch furchtbar aufregt; und zugleich: dass wir das aushalten; dass wir deswegen nicht unsere Überzeugungen aufgeben oder gleichgültig werden oder alles gleich gültig sein lassen; aber dass wir die anderen als unsere – vielleicht manchmal fremden - Schwestern und Brüder im Herrn akzeptieren und so beieinander bleiben; schweren Herzens vielleicht. Dass wir einander nicht absprechen, dass wir alle – so verschieden wir auch sind – zu dem einen Herrn gehören. Und dass wir dabei das nicht vergessen, was uns über alle Grenzen miteinander verbindet: die eine Taufe, durch die wir Glieder am Leib Christi geworden sind; und das Vertrauen auf den einen Herrn, zu dem wir gehören. Und dass wir den nicht vergessen, der uns über alle Grenzen miteinander verbindet und der uns alle miteinander so erträgt und aushält, wie wir das untereinander auch manchmal müssen: der eine Herr und der eine Gott und Vater, der da ist über allen und durch alle und in allen. Amen.

Verfasser: Dekan Michael Tönges-Braungart
Heuchelheimer Str. 20, 61348 Bad Homburg

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