Die neue Geburt
von Tilman Pape (69434 Hirschhorn)
Predigtdatum
:
23.04.2006
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Ostermontag
Textstelle
:
Kolosser 2,12-15
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Wochenspruch:
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.
(1. Petrus 1,3)
Psalm: 116,1-9 (EG 746)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 40,26-31
Epistel:
1. Petrus 1,3-9
Evangelium:
Johannes 20,19-29
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 111
Frühmorgens, da die Sonn aufgeht
Wochenlied:
EG 102
Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand
Predigtlied:
EG 398
In dir ist Freude
Schlusslied:
EG 116
Er ist erstanden, Halleluja
Liebe Schwestern und Brüder!
Der heutige Predigttext stammt aus einem Brief an die junge christliche Gemeinde in Kolossae.
Das war damals eher eine unbedeutende kleine Stadt, die allerdings durch sehr gute Straßenverbindungen in Richtung Sardes und Ephesus bzw. Tarsus mit wichtigen Zentren der damaligen Welt verbunden war. Sie liegt in der heutigen Türkei, in der Nähe von Laodicea und Hierapolis im Südwesten Phrygiens, am oberen Lykos.
Der Brief versucht deutlich zu machen, was Christsein bedeutet. In den Versen 12 bis 15 wird im zweiten Kapitel eindrücklich beschrieben, was sich für uns durch Jesus ändert:
12 Mit Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. 13 Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. 14 Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet. 15 Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.
Liebe Schwestern und Brüder!
Sechs Briefe flattern mir ins Haus. Das passiert nicht selten. Meistens kommt nicht einer alleine, sondern manchmal sind es bis zu zehn und vieles davon ist Dienstpost oder Werbung.
Aber einer dieser Briefe ist anders (Brief hochhalten). Blanker weißer Umschlag. Absender: Jesus! Sonst nichts - kein Nachname, keine Straße, keine Postleitzahl und kein Wohnort – nur JESUS! Auch keine Briefmarke drauf und als Adresse lediglich die zwei Worte: an Tilman.
Wer hat den Brief bei mir eingeworfen und wann? Hat sich da jemand einen Spaß erlaubt? Ich überlege mir, ob ich den Umschlag gleich ungeöffnet wegwerfe, aber dann siegt doch meine Neugier (Brief öffnen und Brief herausholen und auffalten). Eine handgeschriebene DINA-4-Seite kommt zum Vorschein, und ich fange an zu lesen:
Tilman, weißt du eigentlich, dass jeden Tag Menschen sterben, weil du dich nicht einsetzt im Kampf gegen Armut, Ungerechtigkeit und Gewalt in dieser Welt.
Ist dir klar, dass jeden Tag Tiere sterben, ja ganze Tierarten ausgelöscht werden, weil du nicht aufstehst gegen die Ausbeutung und den Raubbau an der Natur? Wie schaffst du es zu verdrängen, dass sich die Atmosphäre um diesen wunderschönen blauen Planeten erhitzt, weil du nicht bereit bist, deinen Energieverbrauch einzuschränken und weniger mit dem Auto zu fahren.
Au weia – schon nach diesen wenigen Zeilen vergeht mir eigentlich die Lust weiterzulesen. Welcher Moralapostel hat mir diesen Brief eingeworfen? Wer will mir hier ein schlechtes Gewissen einreden? Wer missbraucht den Namen Jesus für seine Ideologie?
Mir fällt der psychisch Kranke ein, der mir schon oft mit besoffenem Kopf mitten in der Nacht irgendwelche Bibelsprüche auf das Band meines Anrufbeantworters gequatscht hat. Und doch, irgendwas lässt mich weiterlesen:
Menschen in deiner Nähe warten auf deinen Besuch. Du könntest sie aus ihrer Einsamkeit rausholen. Kranke sehnen sich nach deiner Hand, die ihnen, wenn nicht Heilung, so durch zumindest Trost angedeihen lassen würde. Wie gehst du mit deinen Nachbarn um? Wie wichtig ist dir deine Familie? Siehst du nicht, dass auch da Not ist?
Es nervt mich, aber irgendwoher kenne ich diese Stimme, die da in dem Brief spricht. Ab und zu höre ich sie, und ich möchte am liebsten meine Ohren verschließen. Ich kenne diese Sätze, aber noch nie habe ich das schriftlich bekommen. Wer hat sich da hingesetzt und mir unter Jesus Namen diesen Brief geschrieben? Der Psychopath jedenfalls nicht, denn hier scheint irgendjemand ernsthafter sich mit mir beschäftigen zu wollen. Ich lese weiter…
Tilman, du bist nicht nur nach außen hin schuldig, du Narr. Schau dich an, wie gehst du mit dir selbst um? Ist dir klar, dass dein Körper der Tempel ist, in dem deine Seele wohnt? Wie sorgst du für deinen Körper? Was tust du dafür, dass er eine schöne Wohnung ist, in der sich Geist und Seele gerne aufhalten? Pflegst du ihn oder lässt du ihn verkommen?
Und kümmerst du dich um deinen Geist, deinen Verstand? Ist dir klar, wie viele Angebote zur systematischen Verdummung heute auf dem Markt sind? Komm schon, wie oft findest du dich selbst vor einem Bildschirm wieder? Und bilde dir nicht ein, das bilde dich, auf die bewegten Bilder zu schauen!
Was ist mit deiner Seele, wo findet sie Raum und Zeit, in Stille vor Gott zu sein? Wo ist die Tankstelle, die ihr den nötigen Kraftstoff schenken kann? Wie steht deine Leitung zu Gott? Keine Flatrate, keine ständige Verbindung kann ich bei dir erkennen. Oder hast du vielleicht sogar die Nummer vergessen und weißt gar nicht mehr, wie du Gott erreichen kannst?
Eigentlich möchte ich diesen ganzen Kram nicht lesen, und doch - in vielen Punkten fühle ich mich ertappt und manchmal habe ich schon den Eindruck, der Verfasser dieses Briefes muss mich kennen. Ich bin ja tatsächlich oft unzufrieden und leide darunter, dass ich nicht so lebe, wie ich eigentlich leben sollte. Aber wie soll ich das ändern?
Tilman, du bist tot! Du hast dein Leben verwirkt, du bist so ein jämmerlicher Couchpotato geworden, dass es mich anwidert, wenn ich dich sehe. Meinst du, dafür habe ich mich ans Kreuz schlagen lassen, dass du dich jetzt auf billiger Gnade ausruhen kannst? Glaubst du wirklich, du lebst, nur weil du noch nicht klinisch tot bist? Ich schreibe dir diesen Schuldbrief, um dich aufzuwecken…
Jesus
Kopfschüttelnd betrachte ich mir die letzten Zeilen noch einmal, dann lege ich den Brief weg. Das ist mir jetzt doch zu heftig. Lebendig für tot erklärt zu werden. Und irgendwie für alles Leid und Elend in der Welt verantwortlich gemacht zu werden. Wer in aller Welt schreibt mir so einen Quatsch? Vielleicht klärt sich das alles ja bald von selber auf, denke ich, während ich mich den anderen fünf Briefen zuwende, die sich auch noch im Briefkasten gefunden haben.
Das alles ist mehrere Wochen her. In der Vorbereitung zu dieser Predigt ist mir der Brief aber dann wieder eingefallen. Ein Wort kam mir schon in diesem mysteriösen Brief komisch vor und hier taucht es wieder auf: „Schuldbrief“. Vers 14 in unserem Predigttext: „Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.“
Ich hole noch mal meinen Brief hervor und lese noch einmal die letzte Zeile: „Ich schreibe dir diesen Schuldbrief, um dich aufzuwecken…
Jesus“
Der Predigttext fängt an mit den Worten: „Mit ihm seid ihr begraben worden“, und in dem komischen Brief hieß es doch auch, dass ich im Grunde genommen schon tot sei. Lebendig und doch schon tot? Kann das sein? Und wenn ja, wäre das das Ende oder gibt es Hoffnung?
Der Sonntag heute heißt Quasimodogeniti. Das ist lateinisch und heißt: wie die neugeborenen Kinder. Traditionell sind an diesem auch weißen Sonntag genannten Feiertag viele Taufen vollzogen worden. Menschen werden weiß, werden rein von Schuld, werden wie die neugeborenen Kinder.
Ja, vielleicht liegt in der Taufe das Geheimnis von Tod und neuem Leben: In der Taufe werde ich zunächst hinabgerissen in die Wasserfluten und ersäuft. Über mir schlagen die Wogen zusammen all meiner verschütteten Hoffnungen, all meiner verloren gegangener Zuversicht und Glaubensgewissheit, all meiner Sorgen um meine Existenz und die meiner Familie, meiner Depressivität und Verzweiflung, aber auch der von mir nicht wahrgenommenen Verantwortung gegenüber der Schöpfung Gottes, der Gerechtigkeit auf der Welt und der Bewahrung des Friedens in mir und um mich herum. All dies schlägt über mir zusammen und begräbt mich unter sich. In dieses selbstgeschaufelte Grab werde ich – wenn auch symbolisch – durch die Taufe hinabgestoßen, wenn ich im Wasser untertauche oder wie bei uns als Überbleibsel, wenn ich dreimal mit Wasser besprengt werde.
Doch ich bleibe nicht unten in den bedrohlichen Fluten, sondern ich steige aus der Taufe als ein anderer hervor – quasimodogeniti – wie die neugeborenen Kinder, reingewaschen, der Dreck ist ab. Nicht mehr muss mich lähmen, was mich vorher festgehalten hat. Nicht mehr bin ich gebunden an Mächte und Gewalten, wie es in der Bibel heißt, die meinem Leben nur schaden wollen. Mit Jesus darf ich auferstehen aus dem Tod mitten im Leben.
Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.
Meinen Schuldbrief will ich heute ans Kreuz nageln als Zeichen und Erinnerung dafür,
* dass Jesus mir meine Sünden vergeben hat,
* dass Jesus mich aus dem Tod holt, auch schon in diesem Leben,
* und dass Jesus alle Menschen, Mächte und Gewalten in ihre Schranken gewiesen hat, die mich erneut zurückholen wollen in ein Leben, das diesen Namen nicht verdient.
(Brief an ein vorbereitetes Kreuz nageln)
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Amen.
Verfasser: Pfr. Tilman Pape, Alleeweg 6A, 69434 Hirschhorn
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