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Die neue Schöpfung

von Barbara Alt (35423 Lich)

Predigtdatum : 11.05.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Miserikordias Domini
Textstelle : Apostelgeschichte 17,22-28a.(28b-34)
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Wochenspruch:
"Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden." (2. Korinther 5, 17)

Psalm: 66, 1 - 9

Lesungen
Altes Testament: 1. Mose 1, 1 - 4 a .26 - 31 a. 2, 1 - 4 a

Epistel: 1. Johannes 5, 1 - 4

Evangelium: Johannes 15, 1 - 8

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 276, 1+2+5 Ich will, solang ich lebe
Wochenlied: EG 108, 1 - 3 Mit Freuden zart
Predigtlied: EG 165, 1+5+ 6+8 EG 346, 1+2+4 Gott ist gegenwärtig Such, wer da will
Schlusslied: EG 99 Christ ist erstanden

Liebe Gemeinde,
der Mann steht auf einer hölzernen Trittleiter und redet auf ein paar Passanten ein, die neugierig oder belustigt stehen geblieben sind. Er spricht engagiert, hat die Arme hoch erhoben, in der linken Hand eine aufgeschlagene, zerlesene Bibel. Gegen die Sonne hat er sich mit Tropenhut und Sonnenbrille geschützt. Sein langer grauer Bart hängt herunter auf einen Überwurf mit der Aufschrift „Jesus is alive“ (Jesus lebt).

London, Hyde Park, Speakers Corner – ein Ort, an dem man aussprechen kann, was unbedingt Gehör finden soll: Politische Überzeugungen, Glaubensbekenntnisse, philosophische Gedanken. Wer sich als Spaziergänger nicht dafür interessiert, setzt seinen Weg fort, manchmal kopfschüttelnd.

Das antike Athen des heutigen Predigttextes ist nicht das London der Gegenwart, aber es gibt verblüffende Ähnlichkeiten:
(Textlesung Apg. 17, 22-34)

Nicht auf eine Trittleiter, sondern auf den Gerichtsplatz unterhalb der Akropolis hat der Evangelist Lukas – zugleich Autor der Apostelgeschichte – den Heidenmissionar Paulus gestellt. Schöner könnte man die Kulisse nicht wählen; sie ist geradezu filmreif! Und nicht als versponnener Sekten-prediger tritt Paulus auf, sondern als souveräner Vertreter einer neuen religiösen Bewegung, die an Vertrautem anknüpft, aber darüber hinausführt. So hat damals das junge Christentum seine Anhänger gefunden. Die Apostel sind auf die Straßen und Plätze, in Privathäuser und an bekannte Versammlungsorte gegangen und haben von Jesus, dem Christus, gesprochen, den der Tod nicht festhalten konnte, weil Gott zu ihm und seiner Verkündigung, zur Botschaft einer unbedingten Menschenliebe, ja gesagt hat.

Die Szene atmet die Begeisterung des Anfangs und ehrt Paulus als den Mann, dem es gelang, Kopf und Herz vieler Menschen für das Evangelium zu gewinnen. Wir kennen die Namen der zahlreichen Gemeinden, die er mit begründete, durch seine Briefe. Als Lehr-, Trost- und Mahnschreiben erreichten sie u.a. die griechischen Städte Thessaloniki, Philippi und Korinth. In den Briefen charakterisiert Paulus sich selbst eher als schlechten Redner und wenig eindrucksvolle Persönlichkeit – Originalton 1. Kor. 2,1ff:

Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. – Lukas dagegen stilisiert Paulus in der Apostelgeschichte als geschickten und gebildeten Rhetoriker, der überzeugen will.

Wie macht er das? Er beachtet eine Regel, die auch für alle Kanzelrednerinnen und –redner heute von Bedeutung ist – er weckt Interesse, indem er die Zuhörenden in ihrer eigenen Vorstellungswelt abholt, sich auf sie einlässt. Sie, das sind die selbstbewussten, philosophisch argumentierenden Athener Bürger, neugierig und aufgeschlossen, aber auch unerbittlich im Urteil, wenn eine Idee nicht ankommt. Der Redner Paulus bewundert zunächst die eifrige Götterverehrung in Athen und hebt hervor, dass er nichts anderes verkündigen will, als den Gott, dem in weiser Vorahnung bereits ein Tempel in der Stadt gebaut wurde. Dieser Tempel ist dem unbekannten Gott gewidmet, der aber braucht einen solchen irdischen Wohnsitz gar nicht. Er hat die Welt geschaffen, bestimmt ihre Geschicke und hat den Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten aufgegeben, nach Gotteserkenntnis zu streben. Wie schon Dichter und Denker der Antike formuliert haben, ist dieser Gott nicht ferne von uns; in ihm leben, weben und sind wir, ja wir sind von seiner Art!

Dann aber kommt das Neue: Nicht durch Kunst und Philosophie als menschliche Werke geschieht wahre Gottesverehrung, sondern durch Buße und Umkehr zu dem, der Recht und Gerechtigkeit schafft durch den Mann, der dazu bestimmt wurde. Zum Zeichen seiner Glaubwürdigkeit hat Gott ihn vom Tod auferweckt. Kein Wort weiter über diesen Mann – nicht einmal der Name Jesus von Nazareth wird genannt. Sein Wirken und sein schmähliches Ende scheinen nicht geeignet, die Athener zum Glauben zu bringen.

Die Paulus-Briefe klingen da ganz anders: Mahnend und für Christus werbend, enttäuscht oder begeistert, folgerichtig oder aus dem Gefühl heraus spricht er darin die Gläubigen an und erreichte, dass seine Worte gehört wurden, nicht nur einmal und an dem Ort, für den sie bestimmt waren, sondern in vielen Gemeinden und über seinen Tod hinaus. Nicht geschliffene Rede oder packende Sprache macht den Erfolg der Verkündigung aus. Brillant und bestechend ist oft die Sprache der Demagogen, der Volksverführer, denen man auf den Leim geht, ohne es zu wollen und zu bemerken. Wirklich überzeugend ist nur jemand, der mit seinem Leben hinter dem steht, was er sagt, dem man Betroffenheit und inneres Engagement abspürt.

Doch zurück zu Paulus in Athen: Was fangen wir damit an, dass Lukas „seinen“ Paulus so anders predigen lässt, als wir in Wirklichkeit vermuten dürfen? Ist es nicht so, dass beide großen Theologen, Lukas wie Paulus, Zeugnis über ihren Glauben an Gott, den Vater Jesu Christi, ablegen, jeder auf seine Weise? Dabei scheint Lukas uns heutigen Zeitgenossen recht nahe zu stehen: Verehren wir nicht weithin den „unbekannten Gott“, irgendetwas, ein höchstes Wesen, etwas, das es einfach geben muss, damit uns die Zusammenhänge unseres Lebens sinnvoll erscheinen? Bei einem Elternabend im Kindergarten unter dem Thema „Religiöse Erziehung“ sollte gemalt werden, was einem zu dem Wort Gott einfällt. Die entstandenen Bilder erinnern sehr an die Gedanken aus der Areopag-Rede: Gott ist gegenwärtig in der Schöpfung, er ist in allem und für uns unfassbar. Wo uns Liebe, Vertrauen, Güte und Menschlichkeit, Freude und Hoffnung begegnen, da haben wir es mit Gott zu tun. Er wirkt an uns durch Menschen, die uns die Glaubwürdigkeit seiner Liebe und Zuwendung durch ihr Verhalten nahebringen. In jedem von uns steckt ein göttlicher Funke, ein guter Kern. Wie die gebildeten Athener sind wir über Götterbilder erhaben. Wir stellen uns Gott nicht mehr ernsthaft als alten Mann mit Bart vor, der vom Himmel herab alles übersieht – das ist allenfalls noch eine liebgewordene Vorstellung aus der Kinderzeit, die wie auch andere Bilder zeichenhaft für etwas stehen, das wir mit Worten schlecht ausdrücken können.

Trotz der Vielfalt dieser Beschreibungen, was Gott sei, bleibt er ein „unbekannter“ Gott, so vage und unbestimmt, dass er in unserem Leben nur in tieferen Schichten unserer Seele eine Rolle spielt. In Krisensituationen, bei Krankheit oder Tod greifen wir nach ihm, aber oft ist er auch nur eine Quelle des Zweifels, etwas, wogegen man sich sträubt.

Ich bin mit der ausschließlichen Verehrung eines solchen „unbekannten Gottes“ nicht zufrieden und Paulus war es mit Sicherheit auch nicht. Als Christinnen und Christen reden wir doch gerade davon, dass Gott sich uns bekannt gemacht hat, und zwar dadurch, dass er Mensch wurde. In Jesus Christus hat das, was eine Idee war, Gestalt angenommen. Er hat mit seinem Leben gezeigt, was Liebe ist. Er hat auch ihre unausweichlichen Folgen auf sich genommen, nämlich den Weg ins Leiden, der ihm am Ende den Tod brachte. Für Paulus liegt hier der entscheidende Punkt: Jesus Christus ist der Herr, der sich den Mächten des Todes ausgesetzt und sie damit bezwungen hat. In dem Gekreuzigten und Auferstandenen liegt unser Heil, im Glauben an ihn gewinnen wir das Leben.

Mag sein, dass sich mit der Theologie des Paulus neue Rätsel ergeben, die uns Gott wiederum in unbegreifliche Ferne rücken. Wie gelingt es, Gott heranzuholen und erfahrbar zu machen? Ich kann es nicht anders tun, als auf den Menschen Jesus von Nazareth zu verweisen, an dem Gottes Liebe offenbar wurde. Er ruft uns bis heute in die Nachfolge, sein Reden und Handeln stachelt uns an, wo wir träge und gleichgültig sind. Er mutet uns zu unbequem zu sein, wo es die Menschlichkeit gebietet. Wer Jesus begegnete, für den war Gott keine leere Formel mehr, sondern seine Wirklichkeit war erfahrbar geworden. Da, wo wir ihm in Wort und Tat nachzufolgen versuchen, können wir alle den unbekannten Gott für andere zu einem bekannten machen!

Diese Verkündigung findet weniger in den Kirchen und Gemeindehäusern statt, sondern auf der Straße, beim Einkaufen, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Seniorenzentrum, beim Besuch in der Nachbarschaft, im politischen und gesellschaftlichen Engagement. Wir brauchen dazu kein Rednerpult und keine Bibel in der Hand, aber im Herzen die Gewissheit: Jesus ist unter uns lebendig. Amen.

Verfasserin: Dekanin Barbara Alt
Bahnhofstraße 4 B, 35423 Lich

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