Die neue Schöpfung
von Frieder Liebrich (38820 Halberstadt)
Predigtdatum
:
03.05.2009
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Miserikordias Domini
Textstelle
:
Johannes 15,1-8
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Wochenspruch:
Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Korinther 5, 17)
Psalm: 66, 1 - 9 oder 118 (EG 747)
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 1, 1 – 4a.26 – 31a. 2, 1 – 4a
Epistel:
1. Johannes 5, 1 – 4
Evangelium:
Johannes 15, 1 – 8
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 279
Jauchzt, alle Lande (dafür entfällt die Psalmlesung Ps 66)
Wochenlied:
EG 108
Mit Freuden zart
Predigtlied:
EG 501
Wie lieblich ist der Maien
Schlusslied:
EG 434
Schalom chaverim
Hinführung des Herausgebers:
Der Verfasser nimmt das Bild von Christus als dem Weinstock auf und interpretiert es als Bild für die Lebens- und Kraftquelle, das die johannäische Christengemeinde nach ihrer Trennung von der jüdischen Gemeinde gebraucht habe.
Dazu sollte man wissen, dass dieses Bild nicht beliebig gewählt, sondern der prophetischen Tradition Israels entnommen ist: die Propheten sprechen vom Volk Israel als dem von Gott gepflanzten Weinberg (Jesaja 5,1-7) bzw. Weinstock (Jeremia 2,21), um es an seine Würde und Berufung als Volk Gottes zu erinnern. Jesus bezeichnet in Joh 15 demnach sich selbst als den wahren Repräsentanten Israels, der in Gott verwurzelt ist, und seine Jünger (die Reben) werden damit ins Bild gesetzt, was es heißt, zu ihm zu gehören.
1 Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Liebe Gemeinde,
der Text des heutigen Evangeliums geht uns gut ins Ohr. Es ist ein starkes Bild, das da vom Weinstock, dem Winzer und den Reben spricht. Damit hat das Bild genau erreicht, wofür es gut ist: Es spricht mich mit etwas an, was ich kenne. Daraus werden anschauliche Vergleiche gezogen. Das prägt sich ein in das Gedächtnis und in das Herz.
Aber nun mal ehrlich: Können Sie sich einen Winzer vorstellen, der nur einen Weinstock hat? Und: wie soll das vor sich gehen, dass sich eine Rebe selbst vom Weinstock trennt.
Bilder haben also ihre Grenzen. Die gilt es herauszufinden und zu beachten. Bilder sprechen Menschen in einer konkreten Situation an. Wie mussten oder konnten diese Menschen vor fast zweitausend Jahren das Bild verstehen?
Damit sind wir bei den Personen, die in unserem Bild auftreten, fast wie in einem Schauspiel:
Zuerst spricht mit dem starken „Ich bin“ Jesus, so wie er uns in der Zeit des Evangelisten Johannes erscheint.
Dann ist da der Winzer. Eigentlich bleibt er ganz im Hintergrund. Aber es dreht sich alles um ihn. Er ist der Vater, der Schöpfer, die Quelle des Heils und das Ziel aller Verehrung. Und nicht zuletzt, als der, der trennt und sondert, ist er der Richter.
Direkt angesprochen werden die Reben, die Glieder der Gemeinde zur Zeit des Johannes. Sie werden angesprochen, aber handelnde Personen sind sie eigentlich auch nicht.
Da sind dann aber noch die Reben, die abgeschnitten werden. Wer mag damit gemeint sein?
Damit sind wir bei einer Schwierigkeit von Bildreden. Wir rätseln, was gemeint sein mag. Den Hörern oder Lesern vor zweitausend Jahren war das klar, vielleicht aber auch nicht. Das Bild sprach sie in ihrer Situation an. Jedenfalls konnten sie nachfragen. Das können wir nicht.
Das ist nun noch ein Aspekt, der ganz wichtig ist. Hier werden die Gemeindeglieder direkt angesprochen. Wie lebten sie? Was waren ihre Probleme? Mit der Ansprache sollten sie Zuspruch erhalten.
Wichtig ist es, wenn irgend möglich, zu beachten, in welcher Situation Schreiber und ursprüngliche Leser eines biblischen Textes waren.
Die christliche Gemeinde zur Zeit des Evangelisten Johannes war aus dem Synagogenverbund ausgewiesen worden. Vieles bei Johannes wird erst deutlich, wenn man das beachtet. Die Synagogengemeinde war nicht nur eine religiöse Größe. Viele Lebensvollzüge waren in ihr organisiert und geregelt: Sorge für Witwen und Bedürftige, für Kranke. Dazu zu gehören bedeutete fast so etwas wie eine Lebensversicherung. Nun gehörte die junge christliche Gemeinde nicht mehr dazu. Vieles war neu zu bedenken und zu regeln. Es muss ein sehr starker Einschnitt gewesen sein.
Auf Ablehnung durch die Synagogengemeinde reagiert nun ihrerseits die christliche Gemeinde mit Abgrenzung und Beschimpfungen. Den Juden wurde nun durch die Gemeinde die Zugehörigkeit zum Volk Gottes, zum Heil abgesprochen. Die Gemeinde beanspruchte die Abrahamskindschaft für sich. Zugleich sprach sie den Juden das Recht ab, sich Kinder Abrahams zu nennen. Ausgrenzung steht gegen Ausgrenzung. Wir erleben den Anfang einer Entwicklung, die knapp zweitausend Jahre später schlimmste Folgen haben sollte. Feindschaft gegen die Juden finden wir beim Kirchenvater Augustin wie bei Luther. Antisemiten aller Couleur, sonst eher kirchenfern, haben sich gern auf Kirchenvertreter berufen. Doch alles hat einen Anfang. Einen Anfang finden wir in der christlichen Gemeinde damals zur Zeit des Johannes.
Nach dem Einschnitt brauchte die Gemeinde eine Lebensquelle. Dafür bot sich das Bild vom Weinstock an. Jesus, der Weinstock. Der Vater, der Winzer. Zugleich wird von Schneiden und Trennen gesprochen. Als erstes werden die Reben genannt, die keine Frucht bringen. Sie werden abgeschnitten, gesammelt und verbrannt. Wenn es nicht bei Johannes stünde, ein normaler Vorgang. Mich schaudert, wenn ich die Worte „sammeln und verbrennen“ lese!
Der Schreiber des Johannesevangeliums konnte nicht ahnen, wie seine Worte aufgenommen wurden und was alles daraus wurde. Wir leben aber heute nach dem größten Gottesfrevel aller Zeiten, der Shoa. Juden wurden „gesammelt und verbrannt“. Wie können wir Christen nach Auschwitz noch von Gott reden? Ich weiß es nicht. Wir können nur immer wieder neu nach Worten ringen und um Worte bitten. Vor allem müssen wir deutlich sagen, die Juden sind und bleiben Gottes auserwähltes Volk. Die Zusage seines Segens wurde nie und an keiner Stelle zurückgenommen.
Die Gemeindeglieder werden allesamt als gereinigte Reben angesprochen. Sie haben durch ihre Verbindung zur Lebensquelle, dem Weinstock, alle in gleicher Weise Anteil an Heil und Leben. Unterschiede in der Gemeinde scheint es nicht gegeben zu haben. Sollte es in diesen Gemeinden so viel anders gewesen sein als zum Beispiel in Korinth? Nein, hier wird vielmehr gesagt: Eure Unterschiede, auch die sozialen, sind unbedeutend gegenüber eurer Verbindung mit Jesus als Lebens- und Kraftquelle.
Wir sind heute angesprochen. Wir sind zum Gottesdienst gekommen, Frauen und Männer, ältere und jüngere. Schon in einer Gemeinde sind die Lebenssituationen gänzlich unterschiedlich.
Verstehen die Älteren, was Jugendliche bewegt?
Im arbeitsfähigen Alter sind zum einen Menschen, die sich vor Arbeit kaum retten können. Haben wir etwas zu sagen, dass sie am Sonntag den Weg unter die Kanzel suchen, etwas, was ihnen im Arbeitsalltag hilft?
Die nächsten sind von der Arbeit ausgeschlossen. Dafür gibt es viele Gründe, zu alt, unterqualifiziert, überqualifiziert, allein erziehende Mutter, und ... und ... und ….
Wieder die Frage: Haben wir etwas zu sagen, dass sie am Sonntag den Weg unter die Kanzel suchen, etwas, was ihnen im Lebensalltag hilft?
Und dann ist da der Schatz unserer Gemeinden, die Senioren. Auch bei ihnen gibt es sehr unterschiedliche Lebensformen und Lebenseinstellungen.
Wir alle leben also häufig in völlig unterschiedlichen Situationen.
Aber nicht nur das. Wissen Sie, was Ihr Arbeitskollege nach der Arbeit tut? Wer weiß in einem Miethaus schon etwas vom anderen?
Auch das eigene Leben teilt sich in einzelne Bereiche auf. Da ist die Arbeitswelt. Da ist der Freizeitbereich. Da ist die Familie. Da ist der Verein. Und schließlich, da ist die Gemeinde. Manches findet dazu noch an völlig unterschiedlichen Orten statt. Wir sprechen von einer mobilen Gesellschaft, in der auch die Lebensbereiche auseinander driften.
Wie schön ist es da, von einem Weinstock zu hören. Der steht fest verwurzelt im Boden seines Weinberges. Die Reben leben einzig davon, mit diesem fest verwurzelten Weinstock in Verbindung zu stehen. Ein schönes Bild. Aber ich finde mein Leben in diesem Bild nicht wieder.
Ich stehe heute hier in der Gemeinde, um Gottesdienst zu feiern. Morgen sitze ich am Schreibtisch, konzipiere Arbeitsabläufe, ermittle Preise oder erarbeite Konstruktionsdaten.
Das sagt Ihnen nichts? Dafür weiß ich nichts von den Problemen einer Verkäuferin oder einer Krankenschwester oder einer alleinerziehenden Mutter.
Heute hier, morgen dort. Morgens mit den einen zusammen. Nachmittags mit völlig anderen Menschen. Zu Hause angekommen wird häufig kaum von dem einen oder von dem anderen gesprochen. Mir hilft da das Bild vom Weinstock und den Reben nicht so recht weiter. Da ist alles statisch, fest verbunden. Wo bleibt da Veränderung, Dynamik?
Aber das heißt noch lange nicht, das schöne Bild vom Weinstock beiseite zu legen und zur Tagesordnung überzugehen.
Wir dürfen nur nicht unser Lebensfeld außer Acht lassen. Das ist genau so wichtig, wie die ursprüngliche Situation des Lesers, des Hörers oder des Schreibers zu beachten
Ach, wie armselig wäre das Leben, wenn nur ich und mir Gleichgesinnte das Leben hätten. Die Gemeindeglieder werden als fruchtbringende Reben angesprochen. Keine Rebe kann es sich aber aussuchen, ob sie am Weinstock wächst. Schön, zu hören, dass man dazu gehört.
Ich mag nicht glauben, dass meine Arbeitskollegen, meine Freunde, mit denen ich wandere, die Mitglieder des Musikvereins nutzlose Reben sein sollen.
Schon gar nicht kann ich glauben, dass das Volk, das unter dem Segen Gottes an Abraham steht, ein für alle mal als nutzlose Reben verworfen sein soll. Nein, Gottes Segen gilt unverbrüchlich. Die Juden sind und bleiben Gottes Volk. Es ist wunderbar, dass wir durch Leben, Tod und Auferstehung des Juden Jesus zu Gottes Volk hinzugezählt sind.
Ich will mich von Herzen freuen, dass ich Rebe sein darf, dass ich mit der Lebensquelle verbunden bin. Jedoch andere vom Heil auszuschließen, ist nicht unsere Sache und schon gar nicht unsere Aufgabe. Ich bin gespannt, am Tag der Ernte zu erfahren, welche Weinstöcke und Reben der Winzer noch hat. Wir werden erstaunt sein, was für Trauben sich in der Kelter finden. Bis dahin ist aber noch viel Zeit, Zeit zum Wachsen und zum Reifen.
So bleibt es für ein geistliches Wachstum wichtig, mit der Kraftquelle in Verbindung zu bleiben.
Vielleicht hilft uns dazu ein Bild aus unseren Tagen, das Bild der Tankstelle.
Ohne Auftanken läuft nichts. Es muss auch die richtige Sorte sein, sonst ist die Fahrt bald zu Ende. Jeder Autofahrer achtet sorgfältig darauf, wie lange der Sprit noch reicht. Tun wir das als Christen auch? Da ist der Sonntagsgottesdienst. Da gibt es Bibelkreise. Da ist der Seniorenkreis. Da ist die Junge Gemeinde. Da ist die Kantorei oder der Posaunenchor. Das alles sind gute Gelegenheiten, aufzutanken.
Eine weitere Kraftquelle ist die Heilige Schrift. Das Erstaunliche an diesem Buch ist es, dass man nie mit Lesen fertig wird. Welcher Kraftquell liegt in diesem Buch! Und vor allem, wie Sie es immer auch lesen mögen, es ist und bleibt das Wort Gottes.
Aber rastlos fährt kein Auto, und auch jeder Fahrer braucht Pausen. Wer einen Unfall durch Übermüdung hinter sich hat, weiß, Pausen sind lebensnotwendig. Das gilt auch für jeden Christen. Jedem Auto gönnen wir eine Durchsicht. Nur wir meinen häufig, ohne Pausen im Einsatz sein zu können.
Wie wertvoll ist ein gutes Gespräch. Wie schön ist ein gemeinsam gesungenes Lied.
Wie belebend ist es, in anderen Ländern oder Städten zu erleben, wie dort Gott gepriesen wird.
Liebe Gemeinde, die Aufzählung, wo wir Kraft schöpfen können, muss unvollständig sein. Gerade heute, am Sonntag Jubilate, steht im Mittelpunkt, wie groß die Werke Gottes sind. Gott, der Schöpfer, ist Ursprung und Ziel des Lebens, und er ist unser Kraftquell.
Aber es braucht schon wache Sinne und ein offenes Herz, staunen zu können. Ob im Garten oder in der freien Natur, es ist immer wieder aufs Neue schön, aufsprießendes Leben wahrzunehmen. Wem kommt da nicht das Lied auf die Lippen: „Wie lieblich ist der Maien …“?
Dieses Staunen aber kann nicht den Gottesdienst ersetzen. Es gehört stets das gemeinsam gehörte Wort dazu. Es gehört stets die Gemeinschaft am Tisch des Herrn bei Brot und Wein dazu.
Wer durch das Wort Gottes feinfühlig geworden ist, für den erwacht nicht einfach die Natur, der sieht seinen Gott am Wirken. So führt Staunen zu Lob und zum Dank. Deshalb beginnt unser Tagespsalm mit dem Ausruf: „Jauchzet Gott, alle Lande!“
Das Wort ist es, dass uns Gottes Wirken als Kraftquell unseres Lebens erschließt. Dieses Wort will gelesen sein, und es will gehört sein. Und das Gehörte will erinnert sein.
Gott begleitet die Seinen durch die Geschichte. Rettung und Bewahrung sind immer wieder seine Taten. Das wird unsere Bibel nicht müde zu verkünden. Gottes Zuwendung, sein Segen galt weit vor uns in der Geschichte. Gottes Zuwendung, sein Segen gelten uns heute und sie gelten unseren Kindern und Enkeln.
Für uns sind Natur und Geschichte keine anonymen Mächte. In beiden ist unser Gott am Werke.
Unser Werk ist es, ihn zu loben und ihm zu danken, sei es mit der Weitergabe seines Wortes, sei es mit Gebet oder sei es mit einem fröhlichen Lied. Lob Gottes ist es bestimmt auch, an der Stelle, an die man gestellt ist, zuverlässig und mit den Gaben, die man erhalten hat, seinen Teil zu tun.
Von Gott kommt Kraft und Lebensfülle. Wir dürfen und wir sollen daran teilhaben. Wir sollen und wir dürfen Frucht bringen. Unser Tun und Wirken ist, Gott sei Dank, nicht umsonst. Selbst, wenn es uns manchmal so scheint.
Amen.
Verfasser: Prädikant Frieder Liebrich, Mozartstraße 2, 38820 Halberstadt
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