Wochenspruch: "Ist jemand in Christus, so ister eine neue Kre-atur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden." (2. Korinther 5,17)
Psalm: 66,1-9
Reihe I: Sprüche 8,22-36
Reihe II: Johannes 15,1-8
Reihe III: Apostelgeschichte 17,22-34
Reihe IV: 1. Mose 1,1-4a(4b-25)26-28(29-30)31a(31b);2,1-4a
Reihe V: Johannes 16,16-23a
Reihe VI: 2. Korinther 4,14-18
Eingangslied: EG 317 Lobe den Herren
Wochenlied: EG 110 Die ganze Welt, Herr Jesu Christ
Predigtlied: EG 504 Himmel, Erde, Luft und Meer
Schlusslied: EG 506, 1.3.6 Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht
22 Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
23 Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.
24 Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
25 Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren,
26 als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
27 Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe,
28 als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe,
29 als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte,
30 da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
31 ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
32 So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten!
33 Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind!
34 Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
35 Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN.
36 Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.
Liebe Gemeinde,
in L‘viv, heute im Westen der Ukraine, dem ehemaligen Lemberg war vor dem 2. Weltkrieg jeder dritte Bewohner jüdischen Glaubens. Heute erinnert erschreckend wenig an die Männer, Frauen und Kinder, die dort lebten. Die jüdischen Stadtteile, die Synagogen, Krankenhäuser, Schulen- sie sind verschwunden oder kaum noch als solche zu erkennen. Wo sind die Häuser aus denen die Menschen vertrieben, abgeholt wurden? Man versucht, die schöne Stadt neu zu belebe. Doch manchmal trifft, wer aufmerksam durch die Straßen geht, auf ein Detail, dass von damals erzählt: Hier hat eine jüdische Familie gelebt. Hier war ihr Zuhause.
Es kann geschehen, wenn man die eindrückliche Stadt besucht, durch die Straßen läuft, dass man plötzlich vor einem Hauseingang steht: Einige, wenige Stufen führen zur Haustür, ins dunkle Hausinnere. Da sind Klingeln, Schilder im Eingang, im Türrahmen - und eine kleine, merkwürdige, leicht schräg liegende Vertiefung. Was ist das? könnte man fragen: Hier, genau an der Stelle war eine Mesusa wäre die Antwort. Die jüdische Familie, die hier gelebt hat, hat sie mitgenommen.
Wir wissen, die Mesusa, der kleine Behälter ist ein Bestandteil jüdischen Lebens. Wie eine kleine Himmelsleiter erinnert sie, beim Weggehen und Wiederkehren an die Verbindung zum Ewigen und Einzigen, dessen Name heilig ist. Sie erinnert an den Segen der mitgeht.
In ihr befinden sich die ersten beiden Abschnitte des Schma`Jisrael: „Höre, Israel, Adonaj ist unser Gott, Adonaj allein.“
Es gibt mehrere Erklärungen dafür, dass der Behälter leicht schräg, nach innen links geneigt, angebracht wird. Eine Erklärung heißt: Nur bei Gott allein sind die Dinge ausgerichtet, geradegestellt. Nur bei Gott sind sie an ihrem Platz. Unser Blick ist immer etwas schräg. Nur Gott kennt die Wahrheit.
Die letzten Wahrheiten sind wie etwas Einzigartiges, das für sich bleibt. Manches, was geschieht, entzieht sich dem Sagbaren und bleibt schmerzhaft unergründlich.
Andererseits fehlen uns auch oft die Worte zu beschreiben, wie wunderbar das Leben sein kann.
Beides bringt uns an Grenzen, an denen wir uns an Gott richten, eine Verbindung glauben und spüren, zu dem, der hinter dem Geschehen vor unseren Augen liegt.
Im heutigen Predigttext spricht die Weisheit zu uns, als die personifizierte große Verbindung, als die Mittlerin zwischen Gott, der Schöpfung und seinen Menschen.
Wir hören den Predigttext: Lesung Sprüche 8, 22 - 36
Was für ein großes, festlichen Lied der Weisheitsliteratur Israels an dem heutigen Sonntag, dessen Leitgedanke die neue Schöpfung ist! Wir nehmen uns Zeit für die biblischen Bilder von der Erschaffung des Lebens und der Weisheit, die der Schöpfung innewohnt. Um nicht weniger als unseren eigenen Zugang, unseren eigenen Platz in diesem großen Geschehen geht es dabei.
Es bleibt in dem Textabschnitt, den wir gehört haben, wie in der Schwebe, wo alles herkommt, vor dem Anfang der Wege war er, heißt es. Und es bleibt auch in der Schwebe wer sie, die Weisheit eigentlich ist, wo ihre Herkunft liegt: ich bin eingesetzt von Ewigkeit her. Der Platz dieser weiblichen Gestalt (die Weisheit ist auch im Hebräischen weiblich) ist neben dem Schöpfer, sie ist Teil der Schöpfung.
Plötzlich sind sie da, Gott, der Schöpfer und die Weisheit, fast wie ein verliebtes Paar, das seine Lust hat an dem, was es gemeinsam entstehen lässt. Er liebt es, sie an seiner Seite zu haben, er braucht sie. Sie ist glücklich mit dem, was er so wunderbar vor ihren Augen erschaffen wird, mit ihr gemeinsam.
Wir können die unendliche Weite, die Schönheit dieser Welt, in ihrer Entstehung sehen. Federleicht und schwingend scheint dieser gigantische Entstehungsprozess, findet die Fülle den Platz, an dem sie sich auffächert zu einer Ordnung. Wie weise hast du alle Werke geordnet, heißt es an anderer Stelle in Psalm 104.
Atemberaubend klingt dieses Schöpfungslied von der Entstehung des Raumes, vor dem Strömen, dem Bewegen der Elemente, die noch ohne Grenze sind, die in eine Beziehung gesetzt werden.
Wie kann man sich die Weisheit vorstellen, sie, die vor dem Schöpfer spielt, tanzt, die ihn inspiriert und ihm Ruhe schenkt, das Werk zu vollenden?
Wie eine lebenserfahrene, kluge und faszinierend schöne Frau? Wie eine der wunderschönen Interpretinnen jiddischer Lieder, die beziehungsstark vom Glück und vom Schmerz zu singen wissen? - Vielleicht.
Wortwörtlich kann man Vers 31 übersetzen: Ich spielte auf der Erde (tevel), seiner Erde (eretz). Das Wort für Harfe (nevel) ist dem Wort für Erde sehr ähnlich, ein Wortspiel? Die Erde ist das Instrument, dem die Weisheit die zauberhaften Melodien entlockt. Die Erde, die Schöpfung in ihren Zusammenhängen ist ein Wunder, für das uns wirklich die Worte fehlen. Was für ein Leben für uns! In die Elemente selbst - Erde, Wasser, Luft - hat sich die Weisheit eingebracht, wunderbar erschaffen wirbt sie um den Erhalt, die Bewahrung.
Nicht nur die Menschen, die auf Pilgerwegen in den Landschaften unterwegs sind, sie spüren manchmal einen Abglanz, hören die Töne, die die Weisheit seit dem ersten Schöpfungstag angestimmt hat. Sie verbinden sich selbst damit, können mitunter ganz plötzlich in die großen Worte der Psalmisten einstimmen.
Das ist eine Weisheit, die Zuwendung heißt, Güte und Weite, Fülle, Vielgestalt und Ruhe, Vertrauen und Kraft. Schönheit.
Fraglos ist der Platz der Weisheit in der Schöpfung in den Nachthimmeln , in den Wäldern, in der Grünkraft, die Hildegard von Bingen beschreibt, in den Tiefen der Meere, in den Tänzen der Bienen, im Bewegen der Elemente und in der Verbindung, die alles zueinander hat, wie in einem großen Tanz.
Die Weisheit, die aus Sprüche 8 zu uns redet, sie ist zutiefst ein Teil der Schöpfung und sie ist engagiert für diese Schöpfung. Ab Vers 32 unseres Textes hören wir eine eindringliche, mahnende Stimme: Wie ein Bruch im Text, ein Sprung in eine andere Kenntnis. Was ist passiert? Mit den Menschen, an denen sie Lust hat? Was lässt die Weisheit so drängend werden? Was hat die Menschen zu Fremden gemacht?
Das Bild eines Tores, taucht vor uns auf: dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore. Eine Begrenzung! Ein Innehalten ist damit verbunden. Ein Gewahr werden.
So eindringlich redet die Weisheit mit uns Menschenkindern. Wir, Sie, die Hörerinnen und Hörer, liebe Gemeinde, denken möglicherweise: Warum haben wir nicht auf sie gehört? „Weisheit, warum haben wir nicht auf dich gehört?“ Sollte es besser heißen: „Warum haben wir dich nicht in uns gehört? Was haben wir in uns verstellt?“
Leicht schräg hängt die Mesusa im Türrahmen. Aber wie schwer sind für mich Gott, deine Gedanken, wie ist ihre Summe so groß? (Psalm 139, 21)
Längst sind viele Tore niedergerissen, Tore der Begrenzung. Tore des Lebens. Tore der Weisheit. Und es sind die Kreuze aufgestellt. Die Schöpfung verwildert, vertrocknet, ertrinkt. Kreuze der Zerstörung. [Geschrieben wird diese Predigt in den heißen Sommertagen 2018]
Was sollen wir tun, Weisheit? An deinem Tor? Und was bedeutet es, dass sich der Auferstandene zu euch gesellt hat?
Die Dreifaltigkeit: Der Schöpfer, der Auferstandene Menschenbruder, die heilige Geistkraft als Frau - so sehen wir sie auf vielen Abbildungen.
Mit dem Auferstandenen sind wir geerdet im Menschsein. Er ist das Zeichen des Segens, das Zeichen von Schuld und Vergebung, von Solidarität. Die neue Schöpfung ist die Schöpfung nach dem Sündenfall, der stattgefunden hat, ohne dass wir wirklich wüssten, wo sein Beginn war.
Menschen sind ein Teil dieses großen Schöpfungsliedes, zutiefst verbunden damit, das spüren wir in uns, wenn wir diesem Lied lauschen. Wir können die Verbundenheit mit allem, die Nähe erleben, erfahren, die Ruhe, und die Dynamik, die Weisheit, die der Schöpfung inne ist, Diese Weisheit ist ein Teil des Gesanges unseres eigenen Wesens. Weisheit ist ein Teil von mir. Sie liegt in uns.
Das Bewusstsein dafür neu zu finden, auch in unserem christlichen Glauben, wäre vielleicht der Beginn eines Weges, den wir neu gehen müssen: Die Weisheit in uns selbst zu achten, ihr Zeit zu geben, uns von ihr helfen zu lassen, die Torheiten, die Fremdheiten in uns zu erkennen.
Zu fragen, worauf wir in der Zukunft verzichten können. Was wir suchen sollen. Was zum Leben hilft. Dorothee Sölle schrieb einmal:
Du hast mich geträumt gott
Wie ich den aufrechten gang übe
Und niederknien lerne
Schöner als ich jetzt bin
Glücklicher als ich mich traue
Freier als bei uns erlaubt
Hör nicht auf mich zu träumen gott
Wenn wir an den Toren des Lebens stehen, dann, so mag es uns der Predigttext zurufen, sollen sie uns erinnern, dass wir zutiefst verbunden sind, mit dem Traum Gottes von uns, mit einer Schöpfung voller Weisheit, in der wir geborgen sind, lebendig und zum Jubel schön. Dafür sollen wir Sorge tragen und kreativ bleiben.
Amen
Allmächtiger Gott,
der du in der Weite des Alls gegenwärtig bist
und im kleinsten deiner Geschöpfe,
der du alles, was existiert,
mit deiner Zärtlichkeit umschließt,
gieße uns die Kraft deiner Liebe ein,
damit wir das Leben und die Schönheit hüten.
Überflute uns mit Frieden,
damit wir als Schwestern und Brüder leben
und niemandem schaden.
Gott der Armen,
hilf uns die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde,
die so wertvoll sind in deinen Augen,
zu retten.
Heile unser Leben,
damit wir Beschützer der Welt sind
und nicht Räuber,
damit wir Schönheit säen
und nicht Verseuchung und Zerstörung.
Lehre uns den Wert von allen Dingen zu entdecken
und voll Bewunderung zu betrachten;
zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind
mit allen Geschöpfen
auf unserem Weg zu deinem unendlichen Licht.
Danke, dass du alle Tage bei uns bist.
Ermutige uns bitte in unserem Kampf
für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.
Amen
Verfasserin: Pfarrerin Christiane Kahlert, Sondershäuser Straße 6, 99310 Arnstadt
Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
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Pfarrer Dr. Matthias Rost
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