Die Ordnungen Gottes
von Michael Tönges-Braungart (61348 Bad Homburg )
Predigtdatum
:
17.10.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
19. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
1. Thessalonicher 4,1-8
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Wochenspruch:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6, 8)
Psalm: 119, 101 – 108 (EG 748)
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 8, 18 – 22
Epistel:
1. Thessalonicher 4, 1 – 8
Evangelium:
Markus 18, 2 – 9 (10 – 16)
Liebe Gemeinde,
"Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden,
nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung.
Wir sind's noch nicht, wir werden's aber.
Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und Schwang.
Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.
Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles."
So hat’s Martin Luther auf den Punkt gebracht. Ein Christ ist immer im Werden. Ein Christ ist nie fertig. Ein Christ ist immer auf dem Weg. Das verbindet uns alle miteinander: den 13jährigen Konfirmanden und die treue 80jährige Gottesdienstbesucherin. Jede und jeder von uns hat ein Stück Wegs hinter sich und ein mehr oder weniger langes Stück vor sich. Sicher, die eine ist weiter und reifer, weil sie viel mehr Lebenserfahrung hat, weil sie das Leben schon viel mehr gelehrt hat. Und der andere ist noch nicht so weit, weil er noch mitten im Suchen und in der Entwicklung steht.
Weiter oder noch nicht so weit - auf dem Weg sind wir alle miteinander. Wir sind noch nicht fertig. Wir haben im Glauben noch nicht ausgelernt. Dieser Weg hat einmal begonnen ohne unser Zutun. Er hat begonnen mit unserer Taufe. Da hat uns Gott sozusagen auf den Weg gesetzt. Und dann haben wir im Glauben Laufen gelernt. Wir hatten Menschen, die uns an die Hand genommen haben, die uns Vorbilder gewesen sind. Hoffentlich! Irgendwann haben wir dann auch die ersten selbständigen Schritte getan. Und immer noch sind wir unterwegs.
Das Ziel dieses Weges ist, dass wir uns immer mehr dem annähern, wie Gott uns haben will; dass wir immer mehr dem Bild gleich werden, das er als der Schöpfer von uns hat. Wir sollen Menschen werden. Menschen in dreifacher Beziehung: Menschen für uns selbst, Menschen für den Mitmenschen, Menschen für Gott. Der große Pädagoge Jan Amos Comenius hat gesagt: „Wer als Mensch geboren wird, muss erst lernen, als Mensch auch zu leben.“ Gottes Wille für uns ist: Wir sollen Menschen werden.
Und wir sind Menschen, die schon ein gutes Stück Wegs gegangen sind, aber doch immer noch Fortschritte machen können und sollen. So spricht Paulus die Gemeindeglieder in Thessalonich und heimlich auch uns an. „Liebe Schwestern und Brüder, ihr habt von uns empfangen, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut. So bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus, dass ihr darin immer vollkommener werdet.“
Positiv fängt er an: mit einem Lob, mit einer Aufmunterung, nicht mit dem drohenden Zeigefinger. Schon am Anfang des Briefes: „Wir danken Gott allezeit für euch…..und denken…..an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe…“ Positiv fängt Paulus an. Er nimmt die Thessalonicher – und uns – ernst als Christen, die ihren Glauben schon leben und denen das auch schon gelingt. Er tut nicht so, als hätten sie – und wir – vom Tuten und Blasen keine Ahnung und müssten von Grund auf belehrt werden. Aber er nimmt sie – und uns – zugleich ernst als Menschen, die damit noch nicht fertig sind, die immer noch auf dem Weg sind, die immer noch lernen können und auch lernen müssen.
Und deshalb erinnert er an die Gebote Gottes, die er ihnen weiter gegeben hat. Gottes Gebote wollen ja nicht einschränken und gängeln, sondern wollen dazu helfen, im Leben ernst zu machen mit dem Glauben. Sie geben Antworten auf die Frage: Was heißt das denn nun konkret, als Christ zu leben? Welche Konsequenzen hat das für meinen Alltag? Und schließlich sollen die Gebote Gottes dazu helfen, dass wir Menschen in Frieden und Würde miteinander auskommen.
"Wir bitten und ermahnen euch", schreibt Paulus. Denn er weiß genau: Befehlen kann man das nicht, dass ein Mensch mit dem anderen christlich umgeht. Man kann nur herzlich dazu einladen. Da nützen keine Drohungen und keine Moralpredigten, da nützt auch kein Verweis auf die heutzutage immer wieder eingeforderten Werte. Sondern da hilft nur, die Christen an ihren Glauben zu erinnern. Und ihnen Mut zu machen, ihn auch umzusetzen in ihren alltäglichen Beziehungen.
An zwei Beispielen aus dem Alltag, an zweien der Zehn Gebote macht Paulus klar, was es heißt, Fortschritte zu machen im christlichen Umgang miteinander: verantwortlich umgehen mit dem anderen Geschlecht und verantwortlich handeln im Geschäftsleben. Warum Paulus gerade auf das sechste und auf das siebte Gebot eingeht, weiß ich nicht. Vielleicht deshalb, weil die Versuchungen im Bereich „Sexualität“ und im Bereich „Geld“ besonders groß sind.
„Ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Dass ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.“
Paulus sagt nichts gegen das Zusammensein von Mann und Frau; er sagt nichts gegen die Sexualität. Sie gehört von Anfang an zu Schöpfung, in der Gott den Menschen geschaffen hat, dass er fruchtbar sein und sich vermehren soll. Und die Kirche hat nicht gut daran getan, in früheren Zeiten Sexualität abzuwerten oder gar als etwas Böses hinzustellen.
Aber auch und gerade in diesem Bereich geht es für Christen darum, die Regeln der Nächstenliebe ernst zu nehmen. Man könnte meinen, dass sich das doch von selber versteht, wenn es um Liebe geht. Aber so ist das nicht. Es gibt durchaus die – wie Paulus es nennt - heidnische, gottlose und lieblose Begierde, die den anderen nur besitzen will; die den anderen haben will wie eine Sache, die man nehmen, kaufen und auch wegwerfen kann. Denn das ist die große Versuchung im Bereich der Sexualität: Dass ich mein Gegenüber nur unter dem Blickwinkel sehe: Welchen Gewinn habe ich in unserer Beziehung? Was bringt’s mir? Wie komme ich auf meine Kosten? Werden meine Wünsche und Bedürfnisse befriedigt?
Was geschieht, wenn diese Haltung in der Sexualität auf die Spitze getrieben wird, das verfolgen wir mit Erschrecken, z.B. in Berichten über Missbrauch von Kindern. Aber was da auf die Spitze getrieben wird und was – Gott sei Dank – ja die schreckliche Ausnahme bleibt, das fängt viel früher an in unseren Köpfen und Herzen. Da, wo wir andere Menschen als unseren Besitz betrachten oder sie zumindest so behandeln, als wären sie unser Besitz, als hätten wir ein Recht auf sie; als wären sie dazu da, uns das Leben zu erleichtern und unsere Wünsche zu erfüllen. Menschen können sich aber nicht besitzen. Ehepartner können sich nicht besitzen. Freunde und Freundinnen können sich nicht besitzen, so wie man eine Sache besitzt. Eine Sache hat man und behält man, solange sie ihren Dienst tut, solange sie einem gefällt. Bei Nichtgefallen gibt man sie zurück; und wenn sie ihren Dienst getan hat oder nicht mehr ganz neu ist und vielleicht nicht mehr so funktioniert, wie man will, dann wirft man sie weg und besorgt sich eine neue. Wir sind eine Wegwerfgesellschaft – im Blick auf Sachen. Und das ist schon problematisch genug. Aber eine Wegwerfgesellschaft im Blick auf Menschen dürfen wir nicht sein. Um Gottes willen und um der anderen und um unserer selbst willen. Paulus erinnert und mahnt uns Christen: Achtet darauf, dass Ihr Menschen – und gerade Eure Ehepartner/innen, Euren Freunde/innen – nicht unter dem Aspekt: „Was bringt er mir, was bringt sie mir? Welchen Nutzen habe ich von unserer Beziehung?“, betrachtet.
Das zweite Beispiel, wo es für viele ans Eingemachte geht: wenn es ums Geld geht oder ums Geschäft. „Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel ...“
Beim Geld hört die Freundschaft auf, sagt ein altes Sprichwort. Wenn das bedeutet, dass man in Gelddingen gerade im Freundeskreis und in der Familie ganz korrekt sein soll, dann hat dieses Sprichwort eine tiefe Wahrheit und leuchtet ein. Gerade weil wir in Gelddingen schnell empfindlich sind. Gerade weil sich an finanziellen Angelegenheiten schnell Eifersucht und Neid, Zerwürfnisse und Feindschaft festmachen – gerade im Familien- und Freundeskreis.
Aber wenn das Sprichwort eine andere Bedeutung gewinnt, so nach dem Motto: Wenn es ums Geschäft oder ums Geld geht, ist auch der eine oder andere Trick erlaubt, dann sieht das schon anders aus. Heißt das, dem Finanzamt gegenüber muss man nicht alles sagen? Heißt das, man darf getrost seinen eigenen Vorteil suchen, auch wenn dabei ein anderer übervorteilt wird? Die Bedienung im Lokal, die sich zu ihren Ungunsten verrechnet hat; der Handwerker, der auf pünktliche Bezahlung seiner Rechnung angewiesen ist; der Autokäufer, der davon ausgeht, dass der Gebrauchtwagen unfallfrei und der Tachostand korrekt ist.
Das wichtigste Wort in diesem Satz des Paulus ist wahrscheinlich das Wort "Bruder": "Dass keiner seinen Bruder übervorteile." Das heißt doch: In den Augen Gottes ist der andere genauso viel wert wie ich. Hört ein Mensch auf, Bruder oder Schwester zu sein, Mitmensch zu sein, sobald er mein Konkurrent oder mein Geschäftspartner ist?
Wie wichtig und wie ernst es Paulus an diesem Punkt ist, zeigt, dass er zwar freundlich, einladend und werbend beginnt, aber dann doch auch knallhart sagt, was Sache ist: „ ... denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.“
Gott hat ein Auge auf die Schwächeren. Er hat ein Auge auf die Angeschmierten. Er hat ein Auge auf die, denen man die Liebe und die Gerechtigkeit schuldig bleibt. Er steht auf der Seite derer, die in ihrer Ehe oder Partnerschaft ausgenutzt oder betrogen werden; auf der Seite derer, die im Geschäftsleben skrupellos übervorteilt werden. Ist diese Frohbotschaft für die Benachteiligten eine Drohbotschaft für die anderen? Wenn man’s so lesen will…. Auf jeden Fall aber ist sie eine ernsthafte Mahnung, eine Erinnerung daran, dass Gott nicht unparteiisch ist, sondern klar Position bezieht. Und dass er uns dazu herausfordert, das auch zu tun.
Doch weil Drohen im Allgemeinen so wenig hilft, sagt es Paulus auch noch auf andere Weise. Er versucht zu erklären, wozu Gottes Gebote gut sind: das sechste vom sexuellen Umgang miteinander und das siebte vom Geschäftsleben. Sie sind auch, aber nicht nur dazu da, den Schwächeren vor dem Stärkeren zu schützen. Sie sind auch dazu da, mich vor mir selber zu schützen. Mich davor zu schützen, dass ich mir selber meinen Wert und meine Würde als Menschen beschädige. „Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht nur Menschen, sondern auch Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt.“
Heiligung, heilig werden ist nicht so sehr eine Sache eigener Anstrengung und Bemühung. Heilig sind wir von Gott her, sagt Paulus, weil Gott uns in der Taufe seinen heiligen Geist geschenkt hat. Gottes Heiliger Geist, Gott selber nimmt Wohnung in uns. Deswegen ist unser Leben, deswegen sind wir selber durch und durch wertvoll.
Erkämpfen müssen wir uns das nicht, aber verscherzen können wir es schnell und leicht: Missachten wir also unseren Mitmenschen, so missachten wir damit auch Gott und in letzter Konsequenz auch uns selber. Wir nehmen uns selbst die Würde. Bis zu einem Punkt gar, wo wir uns selber nicht mehr in die Augen blicken können, wo wir uns selber nicht mehr guten Gewissens im Spiegel anschauen können, es sei denn, wir hätten alle Skrupel und alle Maßstäbe verloren.
Als Christen sind wir, solange wir leben, auf dem Weg zum Menschsein: Menschsein für den Mitmenschen, Menschsein für Gott, und auch Menschsein für uns selbst. Was das heißt, hat uns Christus vorgelebt. Amen
Verfasser: Dekan Michael Tönges-Braungart, Kolberger Weg 23, 61348 Bad Homburg
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