Die Ordnungen Gottes
von Jürgen Sauer (36304 Alsfeld)
Predigtdatum
:
17.10.1999
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
19. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
1. Mose 8,18-22
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Wochenspruch:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
(Micha 6,8)
Psalm: 119,101-108 (EG 748)
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 8,18-22
Epistel:
1. Thessalonicher 4,1-8
Evangelium:
Markus 10,2-9 (10-16)
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 445
Gott des Himmels und der Erden
Wochenlied:
EG 295
Wohl denen, die da wandeln
Predigtlied:
EG 449,8-12
Alles vergehet, Gott aber stehet
Schlußlied:
EG 640
Laßt uns den Weg der Gerechtigkeit gehn
18 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, 19 dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen. 20 Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. 21 Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Liebe Gemeinde,
Noah geht aus der Arche. Noah dankt seinem Gott für die Rettung. Noah hört die Verheißung des treuen und mitgehenden Gottes. Ein Neuanfang wird ihm ermöglicht nach der Katastrophe. Nicht nur die Arche, auch der Glaube hat sich bewährt und als tragfähig erwiesen. Noah weiß einmal mehr: Gott war ihm gnädig, hat ihn bewahrt in der Zeit der Bedrängnis; er wird ihm auch in Zukunft zur Seite stehen.
Was Noah erlebt hat, das erleben Menschen bis heute. Ich will davon erzählen in vier kleinen Beispielen.
1.
Die Kinder des Kindergottesdienstes sitzen in einem großen Kreis um ein Kartoffelfeuer. Sie stochern mit Stöcken in der Glut. Ungeduldig warten sie, bis die Kartoffeln endlich gar sind. Dann werden sie vorsichtig geschält und probiert. Sie schmecken ausgezeichnet.
Zuvor hatten die Kinder mit einem freundlichen Landwirt die Kartoffeln selbst gelesen. Furche für Furche wurde der alte Roder vom kleinen Schlepper durch das Feld gezogen. In hohem Bogen flogen die reifen Früchte zur Seite. Mit großem Eifer lasen die Kinder die Kartoffeln in Eimer und Körbe. Einige schwitzten, andere lachten. Erde klebte an Schuhen und Händen. Eine ganz neue Erfahrung für die Stadtkinder! So bewahrt Gott das Leben: indem er Menschen pflanzen und ernten läßt, indem er Früchte wachsen läßt, die satt machen.
Nach dem Essen der heißen Kartoffeln wird um das Feuer herum ein Kindergottesdienst gefeiert. Auf einem großen Plakat steht der Satz:
“Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.”
Aufmerksam und mit großer innerer Beteiligung sprechen alle diesen einen Satz mehrfach gemeinsam. Man merkt den Kindern an, welche Lebenszuversicht ihnen dieses eine Wort der Bibel gibt. Heute haben sie etwas begriffen von der Treue Gottes zu seinen Geschöpfen.
2.
Arm in Arm geht das junge Paar nach Hause. Der Schnee knirscht unter ihren Füßen. Es ist eine sternklare Silvesternacht. Die beiden hatten mit guten Freunden diesen Abend gefeiert. Es war nur wenig getrunken worden. Dafür hatten sie heiß diskutiert. Alle Probleme der Welt kamen zur Sprache, alles, was junge Leute bewegt, die das Leben vor sich haben. Es tat gut, so beieinander zu sitzen, die Meinung der anderen zu hören und sich daran zu reiben. Es tat gut, zu albern und zu lachen. Es tat gut, Argumente auszutauschen und zu bedenken.
Erst war es um diesen und jenen im Dorf gegangen, um Lehrer und Schule, um Zukunftsaussichten und wirtschaftliche Entwicklung. Dann drehte sich das Gespräch um Politik, um Krieg und Frieden, um die zahllosen Ungerechtigkeiten in der Welt. Die Stimmung war nachdenklicher geworden angesichts der vielfältigen Schwierigkeiten und Gefahren, die sie alle da vor sich sahen auf ihrem Weg in die Zukunft. Aus dieser leicht bedrückten Stimmung am Jahresende befreite sie die Uhr. Kurz vor zwölf gingen sie ins Freie, erhoben das Glas, wünschten sich ein gutes neues Jahr, bestaunten das Feuerwerk und verabschiedeten sich bald voneinander.
Nun sind die beiden auf ihrem Weg nach Hause. Welche Überraschungen hält das neue Jahr für mich bereit? - so fragt sich der junge Mann. Ja, wie wird mein Weg weitergehen? Bleibt das Glück der Liebe? Werde ich die Ausbildung erfolgreich abschließen und eine Stelle finden? Und was, wenn alles nicht klappt? Wenn die Träume vom Leben Träume bleiben?
“Schau dir den Sternenhimmel an”, mit diesen Worten reißt ihn die Freundin weg von seinen Gedanken. Er folgt ihrer Aufforderung und läßt seine Augen vom Schnee vor den Füßen hinaufwandern in den Himmel. Unglaublich, dieses Glitzern im schwarzen Meer. Er mag überhaupt nicht mehr wegschauen. Wie klein bin ich, wie groß ist das Universum? Und wie groß erst der, der das alles geschaffen hat? Engumschlungen stehen sie da. Dauert es einen Moment, dauert es eine Ewigkeit? Schließlich gehen sie schweigend weiter. Als sie an der Kirche vorbeikommen, fällt ihm das Wort ein, das in großen Buchstaben über dem Altarraum steht:
“Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.”
In allen Unsicherheiten des Lebens gibt es also etwas, auf das man sich verlassen kann: Eine der Welt und dem Leben von Gott eingestiftete Ordnung, ein Raum, in dem Leben möglich bleibt, solange Gott es will. Plötzlich fühlt sich der junge Mann Gott so nahe, bei ihm so aufgehoben wie nie zuvor im Leben. Nein, er wird diesen Augenblick niemals mehr vergessen. An ihn will er sich in Zukunft erinnern, wann immer ihn der Lebensmut zu verlassen droht.
3.
Weiß blühen die Kirschbäume. Die alte Frau sitzt auf einer Bank im Garten. Unzählige Male hat sie hier im Frühjahr schon gesessen. Und noch immer hat sie sich nicht satt gesehen an der Blütenpracht. Je älter sie wird, um so mehr genießt sie diesen Anblick. Dankbarkeit steigt in ihr auf und wandelt sich in ein Gebet: Guter Gott, du läßt mich noch einmal diese ersten warmen Strahlen der Märzsonne auf meiner Haut spüren. Ich darf mich noch einmal daran freuen, wie alles grünt und blüht, noch einmal das Wunder der Schöpfung mit eigenen Augen sehen. Wie tröstlich ist das in all dem Auf und Ab des Lebens! Werden und Vergehen, Wachsen und Reifen, Blühen und Verwelken, welch ein großartiges Abbild des eigenen Lebens das ist. In allen Wechselfällen kehrt Vertrautes wieder. Das beruhigt. Das ist mir mein Leben lang ein Zeichen deiner Treue gewesen. Die Farben des Lebens wechseln, Trauer und Glück, Bedrängnis und Befreiung, Hoffnung und Niedergeschlagenheit lösen einander ab. Du aber bleibst mein treuer Begleiter, deine Barmherzigkeit ist alle Morgen neu. Sie trägt mich heute wie sie mich mein ganzes bisheriges Leben getragen hat.
Wenn ich zurückblicke, staune ich, wie oft ich davongekommen bin, wie oft das Leben noch einmal begann, obwohl ich nicht mehr daran geglaubt habe. Damals am Ende des Krieges, als der Mann nicht mehr heimkam, hätte ich nicht gedacht, daß es für mich noch ein Leben nach der Katastrophe gibt. Damals war mir alles so egal, schien alles so sinnlos. Doch es ging weiter. Du hast mir mit den Kindern eine Aufgabe gestellt, die bewältigt sein wollte. Ich konnte mich nicht ins Selbstmitleid zurückziehen, mich gehen lassen, sondern mußte zupacken, um die Kinder durchzubringen. Heute sehe ich, wie sehr das meinen Lebensmut angespornt und mir geholfen hat, innerlich zu reifen und zu wachsen. Ich habe das Loslassen gelernt, und das war eine der wichtigsten Lektionen in meinem Leben. Dafür danke ich dir, mein Gott.
4.
Die Wellen schlagen gleichmäßig ans Ufer. Es ist heiß. Endlich Urlaub! Wie lang schon hat er sich darauf gefreut. Kein Telefon, keine Besprechung, kein Termin. Nun ist es soweit. Er liegt am Strand, döst, schaut dem bunten Treiben zu, hört einzelne Wortfetzen und durch alles hindurch lauscht er dem Kommen und Gehen der Wellen. Mit unglaublicher Regelmäßigkeit wogt das Wasser heran und zieht sich wieder zurück, ohne daß einer es anhalten oder in Bewegung setzen kann. Und das - so denkt er - schon seit Tausenden von Jahren. Kommen und Gehen, immer wieder Kommen und Gehen ohne jede Unterbrechung, Tag und Nacht, Jahr für Jahr. Manchmal so sanft und beruhigend wie heute, dann wieder wild und bedrängend. Unablässig in Bewegung - eine ewige Ordnung, die alles überdauert.
Was immer auch sonst in der Welt geschieht, ob Menschen sich streiten oder sich vertragen, ob sie weinen oder lachen, ob sie aufbauen oder zerstören, der Rhythmus der Wellen bleibt derselbe. Merkwürdig, denkt er, daß es das noch gibt in unserer Welt: Etwas, das so sanft und zart sein kann wie diese Wellen und doch durch nichts aus der Bahn zu werfen ist? Indem er den Wellen lauscht und sich seinen Gedanken überläßt, brechen plötzlich Fragen auf, die er sich sonst nicht stellt: Wer bin ich eigentlich im Meer der Zeit? Woher komme ich und wohin bin ich unterwegs?
Szenen aus vergangenen Tagen leuchten vor seinem inneren Auge auf, Stationen des Erfolgs, Stunden der Niedergeschlagenheit, unbeschwerte Kindheitserinnerungen und Momente, in denen er versagt hat, Verletzungen der Seele, die brennen bis in diese Stunde hinein. Und er spürt im Kommen und Gehen der Zeiten die Sehnsucht nach Beständigkeit, in den Wirren seines Lebens die Suche nach Orientierung, im Angesicht von Schuld und Bedrängnis die Bitte um Entlastung. Er staunt über das Wunder des Lebens und streckt sich aus nach einer Hoffnung, die auch im Sterben trägt.
Wie gut täte es ihm, wenn er hören könnte auf die Worte des treuen und mitgehenden Gottes, die verheißungsvollen, ermutigenden Worte, die Noah gesagt werden und mit ihm uns allen:
“Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.” Amen.
Verfasser: Pfr. Dr. Jürgen Sauer, Bantzerweg 1, 36304 Alsfeld
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Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
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