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Die singende Gemeinde

von Eberhard Schmidt (37085 Göttingen)

Predigtdatum : 28.04.2002
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Jubilate
Textstelle : Offenbarung 15,2-4
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Wochenspruch:

Singet dem Herrn ein neues Lied; denn er tut Wunder. (Psalm 98,1)

Psalm: 98 (EG 739)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 12,1-6
Epistel:
Kolosser 3,12-17
Evangelium:
Matthäus 11,25-30

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 279
Jauchzt alle Lande, Gott zu Ehren
Wochenlied:
EG 243
oder EG341
Lob Gott getrost mit Singen
Nun freut euch, lieben Christen g’mein
Predigtlied:
EG 287
oder EG 375
Singet dem Herrn ein neues Lied
Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht
Schlusslied:
EG 201
Danket Gott, denn er ist gut

2 Ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen 3 und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. 4 Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

Exegetische Anmerkungen:
Der Seher Johannis schreibt in der Zeit einer schweren Christenverfolgung, wahrscheinlich in der Zeit des römischen Kaisers Domitian (81-96). Er selbst ist von seiner Gemeinde in Ephesus getrennt und befindet sich auf der Insel Patmos im Zwangs-Exil oder in Einzelhaft. Er hat seine Vision an einem Sonntag (1,10), wahrscheinlich zu der Zeit, in der seine Gemeinde zum Gottesdienst versammelt ist. Er weiß sich mit ihr verbunden. Er weiß sich zugleich vereint mit dem himmlischen Gottesdienst der Vollendeten, die im totalitären Machtanspruch Roms widerstanden, die Anbetung des Kaisers verweigert und dafür den Märtyrertod erlitten haben. In der Zeit der Gewaltherrschaft bedient man sich gern einer verschlüsselten Sprache. So steht hier das Tier (V.2) und sein Bild für den römischen Kaiser. Vor den in den Provinzen aufgestellten Kaiserbildern (vgl. 13,15; 14,9 u. 11) ist nach staatlicher Anordnung die Anbetung zu vollziehen. Bei der „Zahl seines Namens“ (V.2) ist an die 13,18 genannte Zahl 666 gedacht. Zahlen stehen in den biblischen Sprachen oft für Buchstaben. Die gängigste Deutung führt zu den Namen Nero (54-68 Kaiser) oder Domitian. Das sind aber die beiden römischen Kaiser im 1.Jahrhundert, die besonders grausam gegen die Christen vorgegangen sind.
Mit dem Lied des Mose ist wohl an Exodus 15 zu denken oder an Psalmen, die das Schilfmeer-Ereignis erinnern, z.B. Ps. 66 (bes. V.6) und an Ps. 114.
Mit dem Lied des Lammes dürfte an das Knecht-Gottes-Lied Jes. 53 gedacht sein, auf das im NT vielfältig Bezug genommen wird, z.B. Joh. 1,29; Apg. 8,32.
In dem Hymnus V.3b und 4 wird Gott als Pantokrator (= Allmächtiger) gepriesen. Derselbe Würdename wird in Offb. Joh. 1,8; 4,8 und öfter für Christus gebraucht. Gott siegt auf eine ganz andere Weise, als Domitian zu siegen versucht. Christus siegt auf dem Wege bewussten, gewaltfreien Leidens und Sterbens für die gerechte Sache Gottes. Das Lamm ist der konkurrenzlose Sieger.
Der Hymnus endet mit dem Ausblick auf die Wallfahrten der Völker, die kommen, um vor dem Thron Gottes den Heiligen anzubeten. Wir werden an die Völkerwallfahrt von Jesaja erinnert.

Liebe Gemeinde!
Dieser Text voller geheimnisvoller Bilder beginnt mit den Worten: „Und ich sah...“ Manche große Entdeckung ist so zustande gekommen. Manches große Kunstwerk ist so entstanden. Der Dichter, der Maler, der Komponist, der Ingenieur - sie hatten eine große Vision. Sie sahen auf einmal ganz neue Farben. Sie hörten auf einmal ganz neue Klänge. Dann ging der Maler an seine Staffelei, der Komponist an seinen Schreibtisch und schrieb und malte und rechnete und zirkelte unter Aufbietung aller seiner erlernten Fähigkeiten, bis das Kunstwerk stand. Wo Menschen Visionen haben, dort geht Geschichte vorwärts; dort ist Zukunft. Freilich können wir Visionen nicht „machen“, sie werden geschenkt. So auch hier in dem visionären Buch der Offenbarung Johannis. „Und ich sah...“. Der Seher nimmt uns mit in eine andere Welt. Das ist eine heilsame Unterbrechung unseres Alltags. Wir schauen die himmlische Stadt, den himmlischen Gottesdienst.
Freilich, die Bilder der Offenbarung Johannis sind weit weg von unseren Erfahrungen. Aber da ist ein Anknüpfungspunkt für musikliebende Christen. Johannes sieht eine große Schar von Bekennern, „die hatten Gottes Harfen und sangen“. Im himmlischen Gottesdienst wird gesungen, und der Gesang wird durch Instrumente begleitet. Das Neue Testament ist sonst sehr sparsam mit der Nennung von Instrumenten. Hier ist erstaunlicherweise von „Gottes Harfen“ die Rede. Es muss also ein Instrumentalspiel geben, das eine große Nähe hat zu dem heiligen Gott.
Und nun zeigt der Seher auf das Notenblatt. Sie sangen „das Lied des Mose, des Knechtes Gottes“ und sie sangen „das Lied des Lammes“. Diese beiden Lieder sind das Urgestein christlicher Liturgie. Wenden wir uns den beiden Liedern im einzelnen zu:
Das Lied des Mose ist das Lied der Befreiung unmittelbar nach der Stunde tödlicher Bedrohung. Wir denken an die abgrundtiefen Ängste des alten Gottesvolkes am Schilfmeer. Das schwer bewaffnete Heer der Verfolger rückt immer näher. Da ist kein Entrinnen. Aber dann kommen die leichtfüßigen Israeliten unbeschadet durch die Untiefen; doch die schweren Panzerwagen der ägyptischen Elite-Armee bleiben rettungslos stecken im Schlamm und versinken in den Sümpfen. Da sangen Mose und Mirjam und Israel dies Lied: „Ich will dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan. Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt...“.
Für den Vorgang, der anschaulich im 2. Buch Mose geschildert wird, gibt es heute viele einsichtige Erklärungen. Für Israel war es das überraschende Wunder der Befreiung. Wieder und wieder hat Gottes Volk in bedrohlicher Stunde Befreiungsgeschichten erlebt. Immer wieder haben sie dann das Lied des Mose, das Lied der Befreiung angestimmt. Auch wir Deutschen haben in unserer neueren Geschichte Befreiungsgeschichten erlebt, schmerzlich 1945, überraschend 1989. Wir sollten diese Befreiungsgeschichten nicht zu schnell vergessen!
Der Seher reicht uns das Notenblatt mit dem Lied des Mose weiter. In der Geschichte abendländischer Musik gibt es immer neue Dichtungen und Vertonungen des Liedes des Mose. Luthers Ballade „Nun freut euch lieben Christen gmein“ ist ein solches Befreiungslied. Georg Friedrich Händels Oratorien „Israel in Ägypten“, „Judas Makkabäus“, „Der Messias“ sind Vertonungen dieses Liedes der Befreiung in großer Form. Aber wir denken auch an das Spiritual unserer schwarz-amerikanischen Brüder und Schwestern „Go down Moses“, zu deutsch: Geh nun Moses, sage dem Pharao: Lass mein Volk ziehen! Sie sangen und sie singen „das Lied des Mose, des Knechtes Gottes“ in großer und in kleiner Form.
Aber auch das andere Lied steht auf dem Notenblatt: „Das Lied des Lammes“. Mehrfach erscheint in den Visionen der Offenbarung das Lamm mit der blutenden Wunde am Hals. Für viele Zeitgenossen ist das ein unverständliches Bild. Für uns Christen ist es ein Symbol für unseren leidenden und sterbenden Erlöser, „der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wird“. Auch er wird als Sieger gerühmt und besungen. Doch sein Sieg ist verborgen. Sichtbar ist sein Erliegen, sein Tod. Dass er durchhielt für Gottes gerechte Sache, das war sein Sieg. Dass er gewaltfrei durchhielt, ohne zurückzuschlagen, ohne Gefühle und Taten der Rache, das war sein wundersamer Weg zum Frieden. Und so singen sie: „Groß und wundersam sind deine Werkte, gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.“
In jedem Abendmahlsgottesdienst singen wir „das Lied des Lammes“ in knappster Form: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, gib uns deinen Frieden!“ Immer wieder haben Menschen beim Anblick des sterbenden Erlösers um neue Worte und Klänge gerungen, um das Lied des Lammes zu singen: Paul Gerhardt in seinem „O Haupt voll Blut und Wunden“, Johann Sebastian Bach in seiner Matthäuspassion.
Das Lied des Mose und das Lied des Lammes, sie gehören zusammen. Und beide Lieder sind Lob aus der Tiefe menschlicher Angst.
Jetzt schauen wir uns die Personen an, die mit Harfen vor Gottes Thron stehen. Der Seher bezeichnet sie als die, „die den Sieg behalten haben gegenüber dem Tier“, d. h. doch: es sind die Bekenner, die dem Cäsar die Anbetung verweigert haben, die sich der totalitären Macht nicht gebeugt haben und dafür in den Tod gegangen sind. Der Seher sieht die Märtyrer der Kirche von Stephanus an bis zu Dietrich Bonhoeffer und zu Martin Luther King.
Vielleicht entdecken wir unter den Harfespielern aber auch Bekenner, die eines natürlichen Todes gestorben sind, die aber in ihrem Leben und Sterben auf das Lied des Mose und das Lied des Lammes gesetzt haben. Wir denken an Bischof Ambrosius, an Martin Luther und Heinrich Schütz, an Paul Gerhard und Johann Sebastian Bach, und wie die Sänger des Glaubens alle heißen. Vielleicht stehen dort auch unsere vollendeten Mütter und Großmütter, die mit das Abendlied sangen, als wir noch klein waren. Sie alle haben uns gelehrt, in guter und in schwerer Zeit das Lied der Befreiung und das Lied des Lammes zu singen.
Jetzt wollen wir noch ein Stück näher herankommen an die himmlische Szenerie, die der Seher schaut, an den Thronsaal. „Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt“. In der Nähe Gottes ist das Völkermeer klar und durchsichtig. Die Weltgeschichte gibt uns so viele Rätsel auf. In Gottes Nähe aber wird alles glasklar sein. Gottes Herrlichkeit wird sich wie der rote Ball der aufgehenden Sonne in diesem Völkermeer spiegeln. Dort also stehen die Vollendeten und singen das Lied der Befreiung und das Lied vom leidenden Gottesknecht.
Sie singen: „Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege. Wer sollte dich nicht fürchten? Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir.“ Alle Völker! In diesem himmlischen Gottesdienst geht es nicht nur um die Rettung der Getreuen. Der Aktionsradius dieses Gottesdienstes ist universal. Es geht auch um die Heilung der Völker. Kirchenmusik richtet sich auch an die Menschen. Kirchenmusik wendet sich an alle Menschen, die in unserm Land und in unseren Nachbarländern wohnen, an Glaubende und Nichtglaubende, an Suchende und Gleichgültige, an alles Volk. Es ist noch nicht sechs Wochen her, da füllten sich unsere Dome und Stadtkirchen. Menschen kamen in Scharen, um das Lied des Lammes in der Vertonung unserer großen Komponisten zu hören.
Freilich stehen wir mit unseren Chören und mit unseren Orgeln noch nicht am gläsernen Meer, sondern das Schiff der Kirche schwimmt mitten im tobenden ungestümen Meer dieser Welt. Tägliche Hiobsbotschaften von Konkursen, Entlassungen und neuen nötigen Sparmaßnahmen beunruhigen uns. Ängste vor neuen Terroranschlägen bedrücken uns.
Doch wir können durchhalten, wenn wir hin und wieder einen Blick tun in den himmlischen Gottesdienst. Und dieser himmlische Gottesdienst spiegelt sich ja auch in unserm irdischen Gottesdienst, so bescheiden er auch aussehen mag. Der Blick in die himmlische Stadt stiftet Hoffnung. Wir können nicht leben ohne Hoffnung. Kirchengesang, Kirchenmusik ist gesungene Hoffnung. Amen.

Verfasser: Propst i.R. Dr. Eberhard Schmidt, Beethovenstr. 25, 37085 Göttingen

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