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Die singende Gemeinde

von Hansjürgen Günther (64342 Seeheim-Jugenheim)

Predigtdatum : 24.04.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Jubilate
Textstelle : Matthäus 21,14-17.(18-22)
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Wochenspruch:

Singet dem Herrn ein neues Lied; denn er tut Wunder. (Psalm 98,1)
Psalm: 98 (EG 739)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 12,1-6
Epistel:
Kolosser 3,12-17
Evangelium:
Matthäus 11,25-30

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 286
Singt, singt dem Herren neue Lieder
Wochenlied:
EG 243
oder EG 341
Lob Gott getrost mit Singen
Nun freut euch, lieben Christen g’mein
Predigtlied:
EG 328
Dir, die, o Höchster, will ich singen
Schlusslied:
EG 99
Christ ist erstanden

14 Es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie. 15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich 16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«? 17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.
[18 Als er aber am Morgen wieder in die Stadt ging, hungerte ihn. 19 Und er sah einen Feigenbaum an dem Wege, ging hin und fand nichts daran als Blätter und sprach zu ihm: Nun wachse auf dir niemals mehr Frucht! Und der Feigenbaum verdorrte sogleich. 20 Und als das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und fragten: Wie ist der Feigenbaum so rasch verdorrt? 21 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird's geschehen. 22 Und alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubt, so werdet ihr's empfangen.]

Liebe Gemeinde,
ist Kinderjubel nicht etwas Wunderbares? Wenn etwa kirchliche MitarbeiterInnen eingeführt oder verabschiedet werden, darf das Ständchen von Kinderchor oder Kindergarten nicht fehlen. Es berührt uns Erwachsene eigenartig tief, nicht wahr? Vielleicht verstehen die Kinder gar nicht immer, was sie singen, aber wir spüren die Echtheit, Herzlichkeit und Natürlichkeit ihrer ungeschminkten Fröhlichkeit.
Auch in unserem Predigttext geht es um Kinderjubel, wahrscheinlich der Grund für die Auswahl des Textes am Sonntag Kantate. Das heißt ja auf Deutsch „Singet!“, und dieses „Singet“ steht ja auch am Anfang des Wochenpsalms 98: „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Damit ist das Thema des Sonntags, aber auch das Leitmotiv unseres Predigttextes zusammengefasst.
Bevor wir den Text genauer betrachten, wollen wir sehen, was der Evangelist Matthäus unserer Geschichte voranstellt und was folgt, denn das ist für das Verständnis nicht ohne Belang:
Jesus ist in Jerusalem auf einem Esel reitend eingezogen und die Menschen waren ihm entgegen geeilt und hatten gerufen: „Hosianna, dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Viel hatte man schon gehört von diesem Rabbi aus Nazareth: dass er die kleinen Leute ernst nahm, dass er Menschen heilte, dass er sie aus den Schuldgefühlen befreite, die fromme Autoritäten bei ihnen erzeugt und gepflegt hatten. Er lud sie ein zu aufrechtem Gang, nicht mehr Knechte von Menschen zu sein, sondern Gotteskinder.-
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten mochten wohl schon damals nicht mitgejubelt, sondern skeptisch beiseite gestanden haben, weil sie ahnten, dass hier jemand einzog, der ihre Autorität erschüttern könnte. – Ihre Skepsis wurde nicht bloß bestätigt, sondern steigerte sich zu Empörung und Hass, als Jesus den Tempel betrat und die Tische der Händler und Wechsler umstieß. „Mein Haus soll ein Bethaus sein“, ist seine biblische Begründung. „Ja, was bildet sich dieser Mensch denn ein“, werden sie gezischt haben. Im übrigen war die Familie des Hohenpriesters am erträglichen Geschäft im Tempelhof beteiligt. Hier untergrub einer nicht bloß ihre religiöse Autorität, sondern auch ein lukratives Geschäft!-
Nach der Geschichte von der sog. „Tempelreinigung“ folgen unsere Predigtverse vom Heilen der Blinden und Lahmen und vom Lobpreis der Kinder. Im Anschluss berichtet Matthäus, Jesus habe sich darauf nach Betanien zurückgezogen. Als er am nächsten Morgen hungrig nach Jerusalem zurückkehrt, findet er an einem Feigenbaum keine Früchte. Der Baum muss in tiefer Symbolik verdorren! Menschen unterschiedlichster Art, ja sogar die Natur bekommen hier zu spüren, dass in diesem Rabbi aus Nazareth eine Kraft und Autorität wirksam ist, der man sich glaubend anschließen kann oder deren Vernichtung man von nun an betreiben wird. Ganz folgerichtig steht in den anderen Evangelien an dieser Stelle der Todesbeschluss über Jesus fest.-
Unsere kleine Szene, die mit den wenigen Versen unseres Predigttextes beschrieben wird, spielt also im Tempel von Jerusalem, dem heiligen Ort, wo Menschen um Gesundung von Krankheit und Vergebung von Schuld beten. Kinder hatten im Tempel eigentlich nichts zu suchen. Waren sie durch das Durcheinander angelockt, das beim Umstoßen der Wechseltische entstanden war? Und Behinderte waren in den Augen vieler Frommer selbst Schuld an ihrem Schicksal. Jesus nimmt sich ihrer an und heilt sie. Die Kinder werden gerufen haben: „Guck mal, der lahme Sepp, der steht auf eigenen Füßen!“ Und der stadtbekannte Blinde behauptet, er könne sehen, fällt auf die Knie und hat Tränen in den Augen! Die Kinder freuen sich sofort mit und jubeln und plappern vielleicht nach, was sie von den Erwachsenen vor Tagen gehört haben: „Hosianna, dem Sohn Davids!“ –
Mitfreude wäre angesagt, die Kinder spüren das unmittelbar, Lobpreis Gottes wäre die allzu natürliche Reaktion unverbogener Menschen. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer sind dazu nicht in der Lage. Sie können das Geschenk der Gnade, die Freude der Geheilten, das Gottesereignis gar nicht sehen. Sie sind empört über den, der sich über ihre Einteilung in Fromme und Gesindel hinwegsetzt, der sie in ihren Geschäften stört, der ihre Autorität untergräbt und der die kleinen Leute aufwertet.
So einer muss weg! So einer verwischt den Unterschied zwischen gut und böse, zwischen fromm und gottlos, die Basis ihrer Macht und Ordnung. Und war Religion nicht dazu da, Macht und Ordnung aufrecht zu erhalten?! Und dieser Wanderprediger zitiert dann noch aus der Bibel, zitiert Psalm 8 und stellt sich gegen sie auf die Seite dieser plappernden, unwissenden Kinder!-
Vor vier Jahren wurde ein Film in Palästina gedreht über ein aufregendes Experiment: Jüdische und palästinensische Kinder wurden wiederholt und über Jahre zusammengebracht, feierten, diskutierten und spielten miteinander. Sie wurden schließlich Freunde. Die ganzen Vorurteile der Erwachsenen erzählten sie sich gegenseitig und hörten gespannt zu, wenn die angeblichen Feinde und Monster erzählten, worunter sie selber leiden. Schließlich gab es Tränen, als die Erwachsenen ihnen beibrachten, dass ihre Freundschaft keine Zukunft hatte und dass die angebliche Wirklichkeit ganz anders aussah…
Ich musste an diesen Film denken, als ich diesen Predigttext meditierte. Kinder sind zwar unwissend und unerfahren in vielen Lebensbereichen, aber sie haben ein gutes Gespür für Echtheit, Güte und ungeschminkte, herzliche Zuwendung. „Kindermund tut Wahrheit kund“, sagt der Volksmund. Etikette, Vorurteile und Berechnung spielen für Kinder keine Rolle. Deswegen wirkt es oft so erfrischend, entwaffnend, wenn Kinder den Mund auftun, gelegentlich auch peinlich wie bei des Kaisers neuen Kleidern. Aber es ist die Wahrheit, die sie aussprechen! – „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob zubereitet.“
Jesus zitiert – vielleicht lacht er die Pharisäer dabei verschmitzt an – einen wohlbekannten Vers aus Psalm 8 und lässt die verdutzten Gesetzeshüter und Moralprediger einfach stehen.
(Übrigens übersetzt Jörg Zink unseren Vers sehr schön: „Wenn Kinder dich anrufen, ja wenn eben Geborene schreien, rühmen wir dein Werk und freuen uns deiner Macht. Da sind uns leeres Geschwätz die Reden der Mächtigen, die nichts wissen als das Gesetz ihres Hasses und das Gesetz ihrer Rache.“)
Es ist ja merkwürdig, dass die Schriftgelehrten Jesu heilendes Tun nicht angreifen. Nur die Kindersprüche und der Kinderjubel regen sie auf. Sie wollen am liebsten selbst bestimmen, wem hier zugejubelt werden darf.
„Hörst Du, was diese rufen?“, fragen die Schriftgelehrten empört. „Hosianna“, wörtlich: „Ach, hilf doch – du Sohn Davids“. Hier rufen Kinder eine Parole, die in der damaligen Zeit nur einem galt: Dem Messias! Diese Lobeshymne, angestimmt für diesen Mann aus Nazareth, ist für sie eine Lästerrede – es sei denn: er ist der Messias! Der Disput wird nicht fortgesetzt. Jesus lässt sie mit dem Hinweis auf das Psalmwort stehen. Der Tempel bleibt ohne seinen Heiland zurück. Jesus wird außerhalb der Stadt sein Heilswerk fortsetzen. Er ist das Heil für die Welt und wird sich nicht darum kümmern, wie die bisher für Heil und Ordnung Verantwortlichen darüber denken…
Liebe Gemeinde, Martin Luther soll einmal gesagt haben: „Wo du ein Kind siehst, begegnest du Gott auf frischer Tat.“ Und wo Kinderjubel laut wird, da ist allemal Gott am Werk.
Gebe es Gott, dass wir seine Wunder neu mit Kinderaugen sehen lernen und davon singen und darüber jubeln können. Nicht bloß am Sonntag Kantate, sondern so lange wir leben! Amen.

Verfasser: Pfr. Dr. Hansjürgen Günther, Villastr.8, 64342 Seeheim

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