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Die singende Gemeinde

von Christoph Eichert (Halle)

Predigtdatum : 03.05.2015
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Jubilate
Textstelle : Matthäus 11,25-30
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Wochenspruch:
"Singet dem Herrn ein neues Lied; denn er tut Wunder." (Psalm 98, 1)

Psalm: 98 (EG 739)

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 12, 1 - 6

Epistel: Kolosser 3, 12 - 17

Evangelium: Matthäus 11, 25 - 30

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 286 Singt, singt dem Herren neue Lieder
Wochenlied: EG 243 Lob Gott getrost mit Singen
Predigtlied: EG 363
Oder 270 Kommt her zu mir
Herr, unser Herrscher
Schlusslied: EG 306 Singt das Lied der Freude



Grafik von Zbigniew Jujka
aus: "Werkstatt für Liturgie und Predigt", Heft 2/ 1998 S. 49



Liebe Gemeinde,

wer ist hier eigentlich verrückt? Diese Frage stellt sich einem, wenn man das Bild betrachtet, das Sie alle be-kommen haben. Überall steht es geschrieben, auf allen Hauswänden ist es zu lesen: Zwei mal zwei ist gleich fünf. Das ist die Wahrheit, die gilt. Das ist die Formel fürs Glück. Ein Narr, wer etwas anderes behauptet! Also wird dieser Eine, dieser Rechthaber und Protestierer, eingefangen und in die Psychiatrie gebracht. Denn dort gehört er schließlich hin. Dort kann ihm geholfen werden.

Oder ist es doch die große Mehrheit, die falsch liegt? Ir-gendwo regt sich ja auch Sympathie für diesen Mann. Irgendwann, wir erinnern uns dunkel an unsere Schulzeit, haben wir doch gelernt, dass zwei mal zwei vier ist.

Liebe Gemeinde, wer ist hier eigentlich verrückt? Diese Frage stellt sich auch, wenn wir an das Evangelium denken, das wir vorhin gehört haben und das heute Predigttext ist. Da stellt sich Jesus doch tatsächlich hin und sagt: „Die Weisen und Klugen haben nichts begriffen. Wenn ihr wissen wollt, worauf es ankommt, haltet euch an die Unmündigen, an die, deren Wort nichts gilt, denen hat Gott sich offen-bart.“ Die Weisen und Klugen: Das waren zurzeit Jesu die Pharisäer und die Schriftgelehrten. Sie waren die Fachleute für Religion und Lebenskunst und Recht. Hochangesehene Leute waren das damals, und ihre Meinung galt viel.

Aber Jesus stößt nicht nur die Schriftgelehrten vor den Kopf. Er wiegelt auch noch die Menschen auf, wenn er ruft: „Kommt alle her, die ihr mühselig und beladen seid!“ Was soll denn das für ein Auflauf werden? Mal ehrlich, liebe Gemeinde, da gibt‘s nur eins: Man muss ihn einfangen und zum Schweigen bringen. Auf die Geschlossene mit ihm oder, wenn es sein muss, auch ans Kreuz! Wo kommen wir denn sonst hin, schließlich ist zwei mal zwei immer noch fünf.

Oder hat er doch recht, der Unruhestifter aus Nazareth mit dem überzogenen Selbstbewusstsein? Denn irgendetwas, tief unten in der Bauchgegend, sympathisiert mit diesem Mann und seiner ausgefallenen Ideologie: Wie er von Gott redet, so fröhlich und warm! Wie er einem ins Herz sieht und erkennt, was mich quält! Und nicht urteilt. Und keinerlei Vorwürfe macht. Sondern versteht. Und wie lässig er ab-streift, was einen einengt und die Kehle zuschnürt. All die Vorschriften und Regeln, die man damals brauchte, um Gott zu gefallen. Und all die Ansprüche und Forderungen, die Menschen heute erfüllt sehen wollen, bevor sie bereit sind, uns wertzuschätzen. Und, mindestens genauso schlimm, all den Druck, den ich mir selber mache, um mit mir endlich einverstanden zu sein. – Hat er am Ende doch recht, dieser Freund der Lastenträger und Lebensmüden, der Leidenden und der Gequälten? Stimmt am Ende doch seine Formel vom Lebensglück?

Liebe Gemeinde, wer ist hier eigentlich verrückt? Diese Frage stellt sich auch sonst oft genug im Leben: Da verhö-kern Banken Milliarden und Abermilliarden, mal in Deutsch-land und mal anderswo, und der Staat, also am Ende wir, schüttet immer neue Unsummen in das Loch, das da entstanden ist. Und unsere Kinder zahlen die Zinsen dafür. „Das muss so sein. Das geht jetzt nicht anders!“, sagen die Politiker und sagt einem vielleicht auch die eigene Vernunft. Aber irgendwo regt sich auch tiefe Wut: Wer den Schaden verursacht hat, noch dazu mutwillig, der muss doch auch dafür aufkommen. Recht muss doch immer noch Recht blei-ben. Zwei mal zwei ist doch immer noch vier!

Da gibt es immer neue und immer bestürzendere Fakten zum Klimawandel, aber auf den alljährlichen Konferenzen wird um den CO2-Ausstoß gefeilscht wie auf einem orien-talischen Basar. Als ginge es nicht um die Zukunft der Erde, sondern um ein Spiel im Kaufmannsladen. Und wenn einer laut zu sagen wagt, die Wirtschaft könne nicht endlos wach-sen und man müsse überlegen, welcher Lebensstandard noch verträglich sei, dann kann es ihm leicht ergehen, wie dem Mann auf unserem Bild.

Da werden immer neue erschütternde Details bekannt, wie unser Land von US-Geheimdiensten ausgespäht wird. Doch derjenige, der die Wahrheit mutig auf den Tisch gepackt hat, ist in Deutschland immer noch nicht willkommen. Stattdessen wird an einem Bild von Freundschaft festge-halten, das von amerikanischer Seite, falls es je bestanden hat, längst nicht mehr gilt. Erstaunlich, wie hoch der Druck ist, die Wahrheit zu verbiegen und zu verleugnen!

Aber auch im Persönlichen kann einen die Frage umtreiben, was noch normal ist und was nicht. Da gibt es Menschen, denen man nichts Schlimmes anmerkt. Äußerlich geht es ihnen gut, sie haben gelernt, die Fassade aufrechtzuerhal-ten. Aber innerlich haben sie schon lange kapituliert und wissen nicht, wohin mit ihrer Not.

Der Junge, der in der Schule gehänselt wird, weil er so stot-tert und in Sport nichts taugt. Dass er gut in Mathe ist und ein richtig guter Freund sein könnte, will keiner wissen.

Und die Frau, die sich oft überfordert fühlt allein mit ihren zwei Kindern. Sie macht sich hart, um alles zu schaffen. Manchmal rutscht ihr die Hand aus, wie sie sagt, und sie macht sich hinterher Vorwürfe.

Und der Mann, der es zu etwas gebracht hat und in leiten-der Stellung tätig ist: Er ist immer auf dem Sprung, ist im-mer bereit, sein voller Terminkalender jagt ihn durch die Woche. Nur in den seltenen Momenten der Ruhe über-kommt ihn eine große Leere, und er fragt sich, wofür er das alles macht.

„Du musst halt stark sein“, liest man überall, „nur dann bist du etwas wert! Du musst cool sein und flexibel und leis-tungsbereit!“ So steht es – unsichtbar, aber riesengroß – an den Wänden der Klassenzimmer und in den Fluren der Ar-beitsagenturen und in den Büros der Chefetagen geschrie-ben.

Liebe Gemeinde, wie heilsam ist da, gegen diese Art von Normalität, die Verrücktheit Jesu! Jenes Mannes, der viel-leicht gar kein überzogenes Selbstbewusstsein hatte, son-dern nur ein besonders hohes Maß an Menschenfreundlich-keit. Und dessen Ideologie am Ende gar nicht ausgefallen ist, sondern einfach nur einleuchtend!

Denn man kann es drehen und wenden wie man will, zwei mal zwei ist am Ende wohl doch vier. Auch wenn manche das nicht für praktikabel halten. Auch wenn sogenannte Sachzwänge ins Feld geführt werden und eingefahrene Gleise kein Abweichen zu dulden scheinen.

Schauen wir uns die Verrücktheit Jesu also ruhig etwas ge-nauer an: Wir hören von der Wertschätzung der Geringen und ihrer Anerkennung durch Gott. Diese Einstellung ist heilsam, im wahrsten Sinne des Wortes, und sie kann auch uns guttun. Sei es, weil wir uns selber gering fühlen, uns zu wenig wertschätzen. Sei es, weil wir von dem Zwang befreit werden, immer zu den Klugen und Weisen gehören zu müs-sen und immer nur Spitzenleistung zu bringen.

Und die Einladung an diejenigen, die schwer tragen an ihrem Leben, die „Mühseligen und Beladenen“, wie Luther übersetzt – auch die kann nur Balsam für uns sein: Zu meinen Schwächen stehen und sie nicht verleugnen. Zu meinen Sorgen. Zu meiner Angst. Und wissen, ich werde dafür nicht ausgelacht, sondern verstanden. Das zu erfah-ren, tut gut. Das gibt mir Kraft. Das lässt die Last leichter werden und die Lebenslust wachsen. Hier begegnet uns die Mathematik Gottes, und wir finden, wer weiß, vielleicht sogar die Formel für das Lebensglück.

Liebe Gemeinde, wenn man diesen Standpunkt einmal ein-nimmt, dann wird vieles, was normal scheint, unerträglich. Und manches, was auf den ersten Blick verrückt wirkt, ent-wickelt sich zu einem lohnenswerten Ziel. Die Maßstäbe ver-schieben sich, und man wechselt allmählich die Seiten. Man sieht die Welt dann nicht mehr nur mit den Augen des Marktes und des Erfolges. Und man folgt nicht mehr den Losungen, die viele für selbstverständlich halten.

Wenn wir eintauchen in die Normalität Jesu, dann sehen wir die Welt mit den barmherzigen Augen Gottes, und wir be-ginnen, anders zu rechnen. Ob wir dieses sanfte Joch auf uns nehmen? Mag sein, dass uns manche für verrückt hal-ten, wenn wir so die Seiten wechseln und die Normalität Gottes von uns Besitz ergreift. Das müssen wir dann aus-halten. Das gehört zu dem Joch und zu der Last, von der Jesus spricht. Aber Gott braucht solche Verrückten, und die Welt braucht sie auch – damit zwei mal zwei vier bleibt und die Formel für das Lebensglück nicht verlorengeht.

Amen.


Verfasser: Pfarrer Christoph Eichert
Georg- Cantor- Straße 21, 06108 Halle

Herausgegeben vom

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