Die singende Gemeinde
von Hans Peters (68649 Groß-Rohrheim)
Predigtdatum
:
02.05.1999
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Jubilate
Textstelle
:
Matthäus 21,14-17.(18-22)
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Wochenspruch:
Singet dem Herrn ein neues Lied; denn er tut Wunder. (Psalm 98,1)
Psalm: 98 (EG 739)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 12,1-6
Epistel:
Kolosser 3,12-17
Evangelium:
Matthäus 11,25-30
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 103
Gelobt sei Gott im höchsten Thron
Wochenlied:
EG 243
oder EG 341
Lob Gott getrost mit Singen
Nun freut euch, lieben Christen g'mein
Predigtlied:
EG 302
oder EG 287
Du, meine Seele singe
Singet dem Herrn ein neues Lied
Schlußlied:
EG 170
Komm, Herr, segne uns
14 Es gingen zu Jesus Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. 15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich 16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«? 17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.
[18 Als er aber am Morgen wieder in die Stadt ging, hungerte ihn. 19 Und er sah einen Feigenbaum an dem Wege, ging hin und fand nichts daran als Blätter und sprach zu ihm: Nun wachse auf dir niemals mehr Frucht! Und der Feigenbaum verdorrte sogleich. 20 Und als das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und fragten: Wie ist der Feigenbaum so rasch verdorrt? 21 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird's geschehen. 22 Und alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubt, so werdet ihr's empfangen.]
Hinführung
Im Mittelpunkt des Sonntags Kantate steht die Musik, vielfältig dargeboten durch Menschen, die glauben und verstanden haben, auf diese Weise Gott loben und danken zu können. So wird der Schwerpunkt in der Predigt auch auf Kantate gelegt und nicht auf die Auseinandersetzung von Jesus mit den Schriftgelehrten oder auf die Akzeptanz der Behinderten durch uns.
Singen ist Ausdruck des Glaubens, dabei kommt es nicht auf die Qualität des Singens an, sondern nur auf den Wunsch zum Singen und die dadurch zum Ausdruck gebrachte Lebensfreude.
Liebe Gemeinde,
“wer singt, der betet doppelt”, so sagte der Kirchenvater Augustinus. In dieser Tradition haben Chöre und gottesdienstliche Gemeinden schon immer ihre liturgische Funktion zur Ehre Gottes ausgeübt, zur Erbauung der Menschen gesungen. In jeder Gemeinde unserer Kirche wird die gute Nachricht von Gottes Menschwerdung in Jesus Christus ausgerufen. Choräle und Chormusik nehmen diese Verkündigung auf ihre Weise auf. Unser kirchliches Leben, unser Dasein als Christinnen und Christen ist so sehr mit menschlichen Unzulänglichkeiten und Mißverständnissen behaftet, daß wir für das Ausrufen der guten Nachricht das Loben und das Danken brauchen. Im Singen der Gemeinden und auch der Chöre wird das Rufen deutlich.
Viele unter uns wissen mit dem Singen im Gottesdienst wie mit den großen Werken der Kirchenmusik wenig anzufangen. Aber diese Geschichte im Tempel von Jerusalem kann uns die Augen, die Ohren und den Mund öffnen: Weil Jesu Stunde gekommen ist, muß man von ihm sagen und singen. Und es mag wohl sein, daß Singen und Musik die einzig angemessene Weise sind, die für uns künftige Herrlichkeit Jesu schon heute auszusagen. Dazu gehört freilich auch, daß wir in der Nachfolge Jesu in unserm Verhalten dem Nächsten gegenüber das Künftige bereits vorwegnehmen.
Mit diesen Worten gibt Jesus dem unbeschwerten, absichtslosen Singen, ja sogar dem Brabbeln und nervenaufreibenden Schreien der Säuglinge eine große Bedeutung: All das dient zum Lob Gottes. Auch Erwachsene dürfen in dieses unwillkürliche Lob mit einstimmen. Wir brauchen keine gewählten Worte, müssen keine anspruchsvollen Melodien komponieren, damit Gott uns zuhört.
Wir dürfen es, aber wir müssen es nicht. In allem, was singt, spielt, summt, brummt, pfeift, zwitschert, raunt und rauscht, schwingt etwas mit, dem Gott ein Lob zu seiner Ehre abzulauschen vermag. Diese selbstvergessene Art, Gott zu loben, ist in unserer Gesellschaft – auch unter Christinnen und Christen – dünn geworden. Wer singt schon noch selbst, mit eigener Stimme, aus eigenem Antrieb für sich? Denke ich an Klassen, die ich unterrichte, dann gibt es kaum Schülerinnen und Schüler, die sich irgendwo im Chor engagieren. Viele haben es regelrecht verlernt zu singen. Dabei öffnet der Gesang die Herzen, er bringt Menschen in Kontakt miteinander. In den Odenwald-Gaststätten sind die Stunden am schönsten und bleiben im Gedächtnis, in denen Menschen sich zum Singen zusammenfinden. Daran erinnere ich mich auch gerne. Und wie schön ist es, wenn einer oder eine dabei ist, der oder die noch die Texte von Volksliedern kennt und sie weitersagt.
Schauen wir auf die Geschichte, in die das Singen zum Lobe Gottes eingebettet ist. Jesus heilt die Blinden und Gelähmten und die anderen und fügt sie damit wieder in die Gesellschaft ein, er macht sie wieder lebenstüchtig. Selbst wenn Jesus “nur” dies vollbracht hätte, nämlich Menschen durch Heilung in die Gemeinschaft zu integrieren, so wäre er ein Großer unter den Menschen und sein Beispiel hätte Vorbildcharakter. Auch heute ist es doch so, daß Schwache, Kranke und Alte eher ausgeschlossen sind von der Gesellschaft. Das ist schon daran zu erkennen, wie schwer es Rollstuhlfahrer haben, aus eigener Kraft in öffentliche Gebäude zu kommen. Jesus verhält sich da ganz anders. Er geht auf die Menschen zu, auch auf unansehnliche Menschen, er hilft ihnen durch Integration. Mit ausgestreckter Hand geht er ihnen entgegen.
Für jüdisches Empfinden ist Jesu Verhalten unerträglich. Denn die Blinden und Lahmen befinden sich im Tempel, und Jesus heilt sie gerade dort. In 2. Sam. 5 gibt es ein Wort, das besagt: “Kein Blinder und kein Lahmer darf ins Haus des Herrn, in den Tempel.” Warum dürfen behinderte Menschen nur in den Vorhof, nicht aber in den Tempel selbst? Nach jüdischer Auffassung ist eine Krankheit die Strafe Gottes für eigene oder fremde Schuld. Der Tempel ist Inbegriff der Heiligkeit Gottes, er darf nicht entheiligt werden durch den Besuch von unheiligen Menschen. Für uns heute eine ganz fremde Vorstellung, aber im Judentum war sie mit großem religiösen Ernst verbunden.
Jesus jagt die Gewerbetreibenden aus dem Tempel und läßt die Blinden und Lahmen zu. Er heilt sie und macht sie dadurch fähig, am Kult teilzunehmen. Jesus verhält sich so und nicht anders, weil er deutlich machen will: Jetzt, hier bricht die Herrschaft Gottes an, wenn gegen alle Tradition die Blinden und Lahmen Einlaß in den Tempel erhalten, wenn sie geheilt und integriert werden. Daran läßt sich erkennen: Gott selbst stößt das Gesetz um, damit der Mensch erfährt: Ich bin akzeptiert und kann vor Gott bestehen. Das gibt Mut zum Leben.
Jesu Verhalten im Tempel ruft widersprüchliche Reaktionen bei den Menschen hervor. Die Kinder jubeln und singen: “Hosianna dem Sohne Davids!” Kinder spielen in den Evangelien eine große Rolle, ebenso auch die Frauen. Frauen und Kinder lebten damals am Rande der Gesellschaft. Was hier geschah, das war in den Augen der Gesetzeslehrer verwerflich. Jesus wird von ihnen aufgefordert, es zu verbieten. Das jedoch tut er nicht.
Gesang zum Lobe Gottes, der ist nun einmal nicht zu verbieten. Denn Menschen, die in dieser Situation anfangen zu singen und zu jubeln, das sind seine Leute. Im Gesang sehen sie die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Wer singt, gibt eine Botschaft weiter, die ihn erreicht und überzeugt hat. “Er betet doppelt”, wie Augustinus es formuliert.
Und was die schönste Erfahrung werden kann: Beim Singen trifft man Menschen, die auch fröhlich sind – und Menschen, die begriffen haben, daß die Musik auch Wunden heilen kann, wenn Worte allein es nicht mehr vermögen. Nehmen wir den Sonntag Kantate als Anlaß, diese Form des Glaubenszeugnisses aufs neue für uns zu lernen. Damit wird unser Leben reicher, weil wir es mit anderen Menschen teilen.
Amen.
Verfasser: Dekan Pfr. Hans Peters, Speyerstr. 5, 68649 Groß-Rohrheim
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