Die singende Gemeinde
von Andrea Hertel (Trockenborn)
Predigtdatum
:
29.04.2018
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Jubilate
Textstelle
:
Apostelgeschichte 16,23-34
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Wochenspruch:
"Singet dem Herrn ein neues Lied; denn er tut Wunder." (Psalm 98, 1)
Psalm: 98 (EG 739)
Lesungen
Reihe I: Matthäus 11, 25 - 30
Reihe II: Kolosser 3, 12 - 17
Reihe III: Matthäus 21, 14 – 17 (18 – 22)
Reihe IV: Apostelgeschichte 16, 23 - 34
Reihe V: Jesaja 12, 1 - 6
Reihe VI Offenbarung 15, 2 - 4
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 286 Singt, singt dem Herren neue Lie-der
Wochenlied: EG 243 Lob Gott getrost mit Singen
Predigtlied: EG 383 Herr, du hast mich angerührt
Schlusslied: EG 340 Ich will dem Herrn singen mein Leben lang
Predigttext Apostelgeschichte 16, 23 – 34
Paulus und Silas im Gefängnis
23 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu be-wachen.
24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.
25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen.
26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öff-neten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab.
27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen.
28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier!
29 Der aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen.
30 Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?
31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!
32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren.
33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen
34 und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
Liebe Gemeinde,
der Predigttext des heutigen Sonntages Kantate steht in der Apostelgeschichte im 16. Kapitel.
Lukas, der die Apostelgeschichte aufgeschrieben hat, erzählt in dem Kapitel wie Paulus und Silas nach Europa kommen und in Philippi die erste Gemeinde auf europäischem Boden gründen. Sie sind noch nicht lange in Philippi, als sie unter falscher Anklage ins Gefängnis kommen.
[Lesung Apg 16,23-34]
Wenn sie das Glück haben, in Griechenland Urlaub machen zu können und dabei einmal Philippi besuchen, können sie noch heute die Mauern des Gefängnisses besichtigen, in dem Paulus und Silas gefangen saßen.
Wenn man nur diese dicken Mauern des Gefängnisses be-trachtet, wird einem klar, was es für Paulus bedeutet hat, dort eingesperrt zu sein. Mission hieß für Paulus ständige Gefahr, Verfolgungen, Schläge und Verhaftungen. Er berich-tet davon in seinen Briefen.
Vielleicht, wenn wir jetzt dort stünden, hätten wir auch ein plastischeres Bild vor uns, von dem Kontrast zwischen der Finsternis, den dicken Wänden, den Fesseln, den schmer-zenden Wunden auf der einen Seite und dem Lobgesang der misshandelten Missionare auf der anderen.
„Sing einfach ein Lied, dann wird alles wieder gut!!“
Dass das nicht funktioniert, weiß jeder. Und wäre das die Botschaft unserer Geschichte von Paulus und Silas im Ge-fängnis in Philippi, bräuchten wir uns gar nicht mit ihr zu be-schäftigen. Denn das hätte nichts mit uns zu tun.
Aber: nirgendwo erzählt die Bibel, dass Gott für seine Leute in jeder Notlage ein Wunder parat hat, um sie aus ihren Ge-fängnissen zu befreien. Ob mit Gesang oder ohne – auch Paulus und Silas, sind keine Helden. Und wenn sie es wären, wenn sie selbst im Gefängnis und geprügelt wie sie sind, in bester Stimmung wären, dann hätte mir die Geschichte uns wenig zu sagen. Die halten das durch, immer getrost und fröhlich zu sein, aber ich doch nicht!
Doch ich denke, der Gesang aus dem Loch hat vorsichtig und zitternd geklungen. Und Lukas, der uns die Apostelgeschichte erzählt, weiß wie wir: Auch mit Lobliedern auf den Lippen kommen wir um Dunkelheiten nicht herum.
Und doch beginnt mit einem Lied eine Geschichte, die voller überraschender Wendungen, voller Wunder ist.
Mit biblischen Geschichten ist es manchmal wie mit einem Rubbelbuch: die Bilder sind unter einer Farbschicht verbor-gen, und man muss sich die Geschichte sozusagen von Sze-ne zu Szene freirubbeln. Und vor jedem Bild kann man sich fragen: Was wird jetzt kommen? Jede neue Szene ist über-raschend, nichts geht zu, wie man es erwarten würde.
Das erste Bild in dem Buch hat Paulus und Silas im Kerker gezeigt. Unüberwindlich, eng und finster muss es da gewe-sen sein. Und es würde nicht überraschen, wenn dort um Mitternacht Klagen zu hören wären, Klagen von fruchtloser Mühe, von Enttäuschungen, von bitteren Erfahrungen. Das alte Lied, das keinen Ausweg kennt, das wir aber gut ken-nen.
Aber was dort in Philippi zu hören ist, klingt ganz anders: Wenn man Lukas, der diese Geschichte in griechischer Spra-che aufgeschrieben hat, wörtlich nimmt, dann singen die beiden in der Nacht Lobpsalmen. Leise und behutsam viel-leicht, aber es sind Lieder von der Befreiung Israels aus der ägyptischen Gefangenschaft.
Aber was dann geschieht, ist hier wie in Philippi schwer vor-stellbar: Die Erde bebt, alle Türen tun sich auf, die Fesseln fallen ab. Gott hat eingegriffen.
Ich weiß nicht wie es ihnen damit geht, ich komme mit die-sem Wunder nur schwer zurecht. Da öffnen sich Türen, Fes-seln fallen ab - ein wunderschönes Bild für Freiheit.
Aber was dann? Wo greift Gott heute so gewaltig ein, wo doch Wunder oft bitter nötig wären, hier bei uns und überall auf der Welt, wo die Mauern von Problemen so hoch gebaut sind, dass nur ein Wunder sie einreißen kann.
Und jedem von uns würden wohl schnell Probleme einfallen, an denen sie sich müde gedacht und geschafft haben, wo eigentlich nur noch ein Wunder helfen kann.
In der Geschichte ist das Wunder aber gar kein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil: Für den Kerkermeister ist es eine Ka-tastrophe. Wir wissen nicht, welche Strafe ihn bei der Flucht von Gefangenen erwartet, er stellt sich seine Zukunft jeden-falls so finster vor, dass er den Tod vorzieht.
Paulus und Silas sitzen unschuldig im Gefängnis, sie sind ge-prügelt und gefesselt worden. Nicht einmal ein Gerichtsver-fahren hat man ihnen zugestanden. Und sie bekommen die Möglichkeit zur Flucht.
Die Rollen sind verteilt, der Ausgang klar, für uns und auch für den Kerkermeister. So könnte die Geschichte an dieser Stelle zu Ende sein. Wir würden vielleicht noch vom Jubel des Paulus und des Silas über die wunderbar geschenkte Freiheit hören, die Tränen in der Familie des toten Kerkermeisters würden wahrscheinlich mit Schweigen übergangen werden.
Des einen Freud´ ist des anderen Leid. Das kennen wir, so geht es zu in der Welt. Das alte Lied.
Und dazu sagt die Geschichte "Nein". Nein, denn es kommt alles ganz anders. Paulus und Silas sind nicht geflohen. Der Kerkermeister kann gar nicht glauben, was er da hört. Er besorgt sich Licht und steigt in die Zelle hinab. Und sie sind tatsächlich noch da, seine freien Gefangenen.
Und auch hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Der Ker-kermeister legt die Fesseln schnell wieder an, riegelt die Tür wieder zu und setzt sich aufatmend davor, gerade noch einmal der Katastrophe entronnen. Und alles wäre beim Al-ten.
Aber wiederum sagt die Geschichte Nein, denn das kann der Kerkermeister jetzt nicht mehr. Er, der sich umbringen woll-te, steht vor seinem Wunder. Gegen alle Erwartungen sind Paulus und Silas nicht geflohen und haben ihn nicht seinem bösen Schicksal überlassen. Er war Paulus und Silas nicht gleichgültig.
Und nun tut der Kerkermeister, was keiner erwarten würde: Da fällt er vor ihnen auf die Knie, berichtet die Geschichte. Verkehrte Verhältnisse: Der Kerkermeister liegt seinen Ge-fangenen zu Füßen, statt umgekehrt. Und dann führt er sei-ne Gefangenen aus dem Kerker. Einsperren kann er sie jetzt nicht mehr. Und so fragt er seine Gefangenen: "Was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ – "Glaube an den Herren Jesus", bekommt er zu Antwort. "Ich glaube an den Herren Jesus Christus", ist die kürzeste Fassung des Glaubensbe-kenntnisses.
Uns bedeutet das sehr viel. Doch was kann es dem Kerker-meister bedeuten, der von Jesus nie gehört hat? Paulus und Silas erzählen ihm davon. Sie erklären, was Glaube bedeu-tet. Diese Predigt steht aber nicht im luftleeren Raum. Er wird nicht beredet, nicht überredet, wo er gar nicht hören will. Er hat ja gerade erlebt, was dieser Glaube bewirken kann. Paulus und Silas haben vorgelebt, was sie nun erklä-ren. Er will es wissen: "Woher nehmen die beiden die Kraft so zu handeln? Warum retten sie mich, den sie doch hassen müssten?" Nicht die Predigt allein überzeugt ihn. Nicht Pau-lus und Silas Tun allein. Sondern beides zusammen. So kann er das Glaubensbekenntnis mitsprechen und sich taufen las-sen.
Für uns liegen Taufe und das erste Glaubensbekenntnis weit zurück. Für die meisten von uns so weit, dass wir uns nicht mehr daran erinnern können. Unser erstes Glaubensbe-kenntnis haben stellvertretend für uns andere gesprochen, unsere Taufpaten und die Gemeinde. Das war ein erster Schritt.
Aber Zeit unseres Lebens, bleiben wir auf der Suche nach solchen Erlebnissen, die in das alte Lied von Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit einen neuen Ton bringen. Wo eine Zentnerlast von mir abfällt und ich endlich wieder frei atmen kann, als wäre der Strick gerissen, der Knoten endlich ge-platzt.
Dem Kerkermeister ist etwas geschehen, das ihn zu neuem Leben befreit. Paulus und Silas haben von ihrer Freiheit kei-nen egoistischen Gebrauch gemacht. Sie haben nicht sich selbst, sondern ihren Kerkermeister befreit. Befreit zu neu-em Denken und Handeln.
Die Freiheit die der Kerkermeister früher kannte, war die Freiheit der Egoismen, die Freiheit, die den anderen zerstört, weil sie Ihn nicht kennt, sondern nur sich selbst. Was er wusste von Freiheit, das war: Gewinnen, wo und wie immer ich kann. Und am Ende war er tiefer gefangen in Zwängen und Ängsten, als die Gefangenen, die in Ketten liegen. Seine Freiheit ließ ihm nur einen Weg: den Tod.
Paulus und Silas hatten diese egoistische Freiheit nicht nötig. Selbst gefesselt im Kerker wissen sie sich in Gottes Nähe. Das macht sie frei, an ihren Nächsten zu denken. Frei von zerstörendem Tun.
Uns passiert das heute vielleicht nicht so gewaltig. Aber sol-che Freiheit zeigt sich ja nicht erst dort, wo es um Leben und Tod geht.
Oft sind es ja gerade die kleinen Gesten, die das Leben ver-giften können oder aber zum Zeichen werden, das Kraft gibt, selbst neu zu handeln.
Wenn mir jemand ein gutes Wort sagt, wo ich nur Härte er-wartet konnte. Wenn mir jemand Zeit und Kraft opfert, ob-wohl für ihn nichts dabei herausspringt. Oder wenn ich mer-ke, dass ich für jemanden wichtiger bin als die Gesetze und Ordnungen, an die er sich zu halten hat, wenn er sie für mich großzügig auslegt. Wenn einer, an dem ich schuldig geworden bin, mir verzeiht.
Da stehe auch ich vor meinem Wunder. Da bebt die Erde nicht, und doch öffnet eine geheimnisvolle Macht Türen und Fesseln.
Der Kerkermeister beginnt sein neues Leben im Glauben mit Zuwendung an die Gefangenen. Er wäscht ihnen die Wunden aus und bittet sie zu Tisch. Sein Glaube ist Bekenntnis und Tat. Vor allem aber ist es Freude.
Davon berichtet die Geschichte am Ende. Er und sein ganzes Haus, seine Großfamilie also, freuten sich, dass er zum Glauben gekommen war. Die Geschichte die mit Schlägen und im einen finsteren Kerker für Silas und Paulus begann, die den Kerkermeister fast in den Selbstmord getrieben hät-te, endet in den frühen Morgenstunden mit einem Freuden-mahl im Haus des ehemaligen Bedrückers. Der Lobpreis Got-tes, der um Mitternacht aus dem finsteren Kerker zu hören war, mag auch jetzt in den frühen Morgenstunden aus dem Haus des Kerkermeisters erklingen.
Der heutige Sonntag, der Sonntag Kantate, lädt uns ein, in das Gotteslob mit einzustimmen: Singet dem Herren ein neues Lied, denn er tut Wunder - auch die ganz persönlichen Befreiungswunder.
Amen
Verfasserin: Pfarrerin Andrea Hertel
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