Wochenspruch: "Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." (Galater 6,2)
Psalm: 42,2-6
Reihe I: Lukas 6,36-42
Reihe II: Römer 12,17-21
Reihe III: 1. Mose 50,15-21
Reihe IV: Johannes 8,3-11
Reihe V: 1. Petrus 3,8-17
Reihe VI: 1. Samuel 24,1-20
Eingangslied: EG+ 143, 1-4 Behutsam leise
Wochenlied: EG 428, 1-5 Komm in unsere stolze Welt
Predigtlied: EG 625, 1-3 Wir strecken uns nach dir
Schlusslied: EG+ 39, 1-3 Segne uns mit der Weite des Himmels
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
39 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?
40 Ein Jünger steht nicht über dem Meister; wer aber alles gelernt hat, der ist wie sein Meister.
41 Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?
42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.
Unserem Predigttext geht die Berufung der Jünger voraus, und damit beginnt eine neue Stufe in Jesu öffentlicher Wirksamkeit. Nun sammeln sich unterschiedliche Zuhörer um Jesus.
Der Textabschnitt ist Teil der sogenannten „Feldrede“ Jesu im Lukasevangelium. Es geht um das alltägliche, schnelle und lieblose Urteilen über andere. Dabei lebt jeder von der Barmherzigkeit Gottes. Deshalb soll sich keiner für moralisch besser halten und andere für ihre Fehler verurteilen.
Bei Matthäus findet der Text seine Entsprechung in der „Bergpredigt“. Der Bibeltext gehört somit zur Lehre Jesu an seine Zuhörer. Mit seinen Reden ruft er zu einem Leben in seiner Nachfolge auf.
Lukas beschreibt dort ein Idealbild der künftigen Gemeinden. Er rechnet nicht mit einer baldigen Wiederkunft Christi, sondern geht von einer Zeit der Ausbreitung des Christentums aus. Denn seit Jesu Zeiten sind schon zwei Generationen vergangen.
Deshalb möchte Lukas die Grundlagen sichern und deutlich machen, woher die christliche Lehre kommt. Ihm sind wohl schon Überlieferungen seiner Vorgänger bekannt, aber er will alles „in guter Ordnung“ aufschreiben. Es ist sein Anliegen, dass das Evangelium weitergegeben wird.
Hinführung zur Predigt
Eine Predigt über diesen Text gerät schnell in die Gefahr den moralischen Zeigefinder zu erheben. In diesem Jahr gab es schon viele Predigttexte, die an das Gewissen der Gottesdienstbesucher und -besucherinnen appelliert und immer wieder Handlungsanweisungen für das „richtige“ Zusammenleben angegeben haben. Als Predigerin lauert die Versuchung, sich selbst aus der Gemeinde herauszunehmen und „den anderen“ zu sagen, „wie christliches Verhalten geht“.
Außerdem will ich die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht mit immer wiederholten oder neuen Ratschlägen und Empfehlungen für ihr Leben ermüden.
Deshalb möchte ich die intrinsische Motivation stark machen. Vielleicht fühlen sich die Zuhörerinnen und Zuhörer angespornt, in die Fußspuren Jesu zu treten.
Die Stimme des Rufers in der Wüste
Wir können anderen Menschen nur so begegnen, wie wir es im Leben gelernt und erfahren haben
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.
„Ganz der Vater“ – und wer bin ich?
Liebe Gemeinde,
„Ganz der Vater“. Hat diesen Satz auch schon einmal jemand zu Ihnen gesagt? Wie ging es Ihnen damit? Waren Sie stolz? Oder haben Sie sich geärgert?
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die diesen Satz gar nicht leiden können.
„Ganz der Vater“. Ist man denn etwa keine eigenständige Person? Und was soll diese Bemerkung? „Ganz“ – natürlich ist man nie „ganz“ ein anderer. Für Manchen ist es schon schwer zu ertragen, überhaupt in Familienzusammenhänge eingeordnet zu werden. Je nachdem, wie man das Leben der Eltern bewertet, mit welchen Augen man es betrachtet.
Bei meinen Kindern gab es eine Zeit, da war es ihnen sehr wichtig, dass wir Eltern nicht peinlich sind. Denn wir Eltern sollten sie ja vor den Freunden nicht blamieren. (Eigenes Beispiel eintragen)
„Ganz der Vater.“. Es gibt Menschen, die aus gutem Grund gegen diesen Satz rebellieren. Sie wollen selbst gesehen werden. Sie wollen nicht immer verglichen und eingeordnet werden. Das ist zum einen dann der Fall, wenn die Eltern Fehler begangen haben, mit denen sie nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollen.
Oder im anderen Fall, wenn die Eltern scheinbar fehlerlos waren: Dann bleibt nur die Angst vor der eigenen Unzulänglichkeit, weil man selbst nie so fehlerlos wie die Eltern sein kann.
Es gibt Menschen, die sich ihr Leben lang an diesen Vergleichen mit dem Vater oder der Mutter abarbeiten oder aufreiben. Das ist schwer und das tut weh.
„Ganz der Vater.“ Die Feststellung kann aber auch Freude und Stolz auslösen. Man kann den Satz nämlich auch als Lob oder Kompliment hören. Ich kenne auch Leute, die sich darum bemühen, den Eltern nachzueifern. Das ist oft dann der Fall, wenn Familientraditionen aufrechterhalten werden.
Heute wird uns mit dem Predigttext nahegelegt „ganz wie der Vater“ zu sein und gute Familientraditionen aufrechtzuerhalten und weiterzuführen.
So steht es bei Lukas im 6. Kapitel: (Lk 6, 36 - 42)
Jesus sprach: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?
Der Jünger steht nicht über dem Meister; wer aber alles gelernt hat, der ist wie sein Meister.
Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?
Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.
Liebe Gemeinde,
gute Familientraditionen kenne ich von Familien, in denen bestimmte Wertvorstellungen weitergeben werden. Da treten die Kinder in die Fußspuren der Eltern. So ist es heute noch in einigen Handwerksbetrieben.
Da gibt es einen gewissen „Ehrenkodex“, der weitergegeben wird. Zum Beispiel, Ehrlichkeit gegenüber dem Kunden, oder Qualität der Arbeit oder auch Engagement für die Gemeinschaft. Oder in Pfarrfamilien, oder in Familien, in denen Musik und Kunst eine große Bedeutung hat. (Eigene Beispiele eintragen)
Es gibt auch berühmte Männer und Frauen, bei denen mir ganze Familienzusammenhänge einfallen. Familien, die Wert- und Lebensvorstellungen weitergegeben haben, an denen man sie erkannt hat.
An die Familie Bonhoeffer denke ich, an die Familie Scholl oder an die von Dohnanyis, an die von Weizäckers. Dort herrschte ein freier Geist, eine politische, eine christliche Haltung, die mit Verantwortung einherging.
Der Vater der Geschwister Scholl war selbst in der Zeit des Nationalsozialismus inhaftiert. Seine Kinder spielten vor dem Gefängnisfenster auf der Flöte das Lied „Die Gedanken sind frei“. Sie folgten der Spur des Vaters. Später bezahlten Hans und Sophie Scholl dann für die Freiheit der Gedanken mit ihrem Leben.
Dietrich Bonhoeffer stammte ebenfalls aus einem liberalen Elternhaus, in dem die Wurzeln für sein späteres Handeln und Denken gelegt wurden.
„Ganz der Vater“ – das ist dann eine Ehrenbezeichnung. Man hat es geschafft, die Prinzipien des Vaters zu verinnerlichen. Das, was ihm wichtig war, hat man selbst übernommen. Ja es ist sogar zu einem eigenen Wesenszug geworden. Es ist mehr als eine Handlungsanweisung. Es ist einem in Fleisch und Blut übergegangen. Es ist zu einem Teil der eigenen Persönlichkeit geworden.
Sind Sie, ganz der Vater? Kann man erkennen, woher Sie kommen? Wollen Sie, dass man erkennt, woher Sie kommen? Welche Einstellungen, welche Werte, welche Grundsätze, prägen Sie?
Einige dieser Grundsätze, Werte und Einstellungen spricht Jesus in seiner Rede an: „Richtet nicht“. „Verdammt nicht“. „Gebt“.
Aber so, wie ich die Aufforderungen jetzt ausspreche, stehen die Sätze nicht in der Rede. Denn jede dieser Handlungsanweisungen ist in einen größeren Zusammenhang gestellt. Wir stehen alle in diesem größeren Zusammenhang und damit auf keinen Fall über den Dingen.
So schnell, wie wir über andere geurteilt haben, so urteilen auch andere über uns. Ein schneller Blick, eine kurze Einschätzung und schon haben wir oft unser Gegenüber beurteilt.
Wie z. B. den Bettler an der Straße, der wahrscheinlich selbst schuld ist an seiner Situation, oder den Kranken, der zu ungesund gelebt hat.
Wie schnell sind wir oft mit unserem Urteil, wie hart und wie endgültig.
Wie unbarmherzig, wenn andere so über uns urteilen würden, oder?
Selbsterkenntnis gehört zu einer Haltung dazu, die die eigenen Verhaltensweisen und Handlungen in einen größeren Zusammenhang stellen kann. Selbsterkenntnis, dass man selbst ja auch Fehler hat und Fehler macht. Nobody is perfect. Nicht einmal ich selbst. So ungern ich das auch zugebe.
Und ganz ehrlich, wie oft gehen andere mit unseren Fehlern barmherzig um?
Die Kinder, die elterliche Macken verzeihen, der Lebenspartner, der einen dann einfach in den Arm nimmt. Die Kollegin, die einen Fehler nicht an die große Glocke hängt, sondern einfach ausbügelt. (Eigene Beispiele eintragen)
Selbsterkenntnis gehört dazu, um den eigenen Blick zu schärfen und um einen anderen auf Fehler hinzuweisen.
„Ganz der Vater“ – das sagten die Menschen auch bei Jesus. Er verurteilte die Ehebrecherin nicht. Er sagte: Geh hin und sündige nicht mehr.
„Ganz der Vater“ – das sagten die Menschen, als er den Gelähmten heilte, als er Lazarus zum Leben erweckte, als er bei Zachäus einkehrte, als er Wasser in Wein verwandelte, als er das Brot vermehrte.
„Ganz der Vater“ – in Jesus haben die Menschen Gott erkannt.
Ja, so ist Gott. Gott ist barmherzig. Mit diesem Adjektiv wird Gott von Anfang an beschrieben. Gott wendet sich den Menschen zu. Er heilt, er verzeiht, er stärkt die Schwachen, er richtet die Niedergedrückten auf, den Armen verhilft er zu ihrem Recht.
Und weil Gott ein barmherziger Gott ist, deshalb sollen auch wir barmherzig sein. Wie das geht? Jesus hat es uns vorgemacht. Wie es sich anfühlt, haben die Menschen erfahren, die es erlebt haben.
Wenn wir ebenfalls so handeln, dann werden vielleicht die Menschen, die uns erleben auch sagen „Ganz der Vater“.
Gibt es ein besseres Erkennungszeichen für uns Christen?
Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Verfasserin: Pfarrerin Maike Kniese, Hauptstraße 7, 65626 Birlenbach
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