Die verheißene Erlösung
von Bettina Klünemann (Mainz)
Predigtdatum
:
05.12.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
2. Advent
Textstelle
:
Matthäus 24,1-14
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Wochenspruch:
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ (Lukas 21, 28)
Psalm: 80, 2 – 7.15 – 20
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 63, 15 – 16 (17 – 19 a) 19 b; 64, 1 – 3
Epistel: Jakobus 5, 7 – 8
Evangelium: Lukas 21, 25 – 33
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 1, 1 + 2 + 5 Macht hoch die Tür
Wochenlied: EG 6, 1 - 3 Ihr lieben Christen, freut euch nun
Predigtlied: EG 10, 1 - 3 Bereitet doch fein tüchtig
Schlusslied: EG 7, 1 - 5 O Heiland, reiß die Himmel auf
Der Predigttext ist eine weitere "Bergpredigt" Jesu. Da die Verse nur den Beginn dieser Rede auf dem Ölberg darstellen, ist es unerlässlich, die gesamte Rede zu lesen und beim Predigen im Blick zu behalten.
Apokalyptische Texte zu predigen und sie für Menschen heute zum Sprechen zu bringen, ist nicht leicht. Meine Gegenüberstellung von bekanntem Adventskalender und der Sicht auf den Text als Gottes Adventskalender versucht, die Kernbotschaft griffig und verständlich zu übersetzen. Die Beispiele, die ich dazu verwenden musste, können sicher durch parallele Erfahrungen des Predigers/der Predigerin ohne Probleme ausgetauscht oder aktualisiert werden und machen es dadurch auch leicht möglich, die Predigt persönlich und gemeindebezogen zu gestalten. Sicher besteht auch so viel Freiraum in dieser Form der Predigt, den einen oder anderen Gedanken stärker auszubauen und anderes dafür zu kürzen.
Das Taschenbuch von Klaus Berger "Wie kommt das Ende der Welt?", das mittlerweile im modernen Antiquariat erhältlich ist, kann hilfreich sein, sich mit der Apokalyptik und der Frage, wie solche Texte gepredigt werden können, vertieft auseinander zu setzen.
Gnade sei mit euch von Gott, unserem Vater und dem Herrn, Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
von der Adventszeit – davon erzählt heute unser Predigttext aus dem 24. Kapitel des Matthäusevangeliums.
Aber - es ist nicht die Adventszeit gemeint, die uns alle Jahre wieder zum Weihnachtsfest führt. Nein, es geht Jesus darum, seine Jüngerinnen und Jünger auf sein Kommen am Ende der Zeit vorzubereiten, seinen Advent. Jesus erzählt ihnen, was sie erwartet. Und was er sagt, sind Worte, die erschrecken – und die doch von so viel mehr sprechen:
"Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen. Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen."
1. Zwei völlig verschiedene Adventskalender
Liebe Gemeinde,
Sie kennen alle Adventskalender – mit Schokolade oder Spielzeug, Mini-Geschenken oder schönen Texten und Fotos. Tag für Tag werden Türen geöffnet oder Päckchen aufgepackt, Seiten umgeblättert. Jeden Tag eine kleine Freude, eine Überraschung, ein Denkanstoß.
Vorfreude und Momente des Besinnens auf dem Weg zum Fest. Und klar ist: Am 24.12. sind wir angekommen, Heiligabend, Jesu Geburt. Es darf gefeiert werden.
Stellen Sie sich nun vor, es gäbe einen Adventskalender für den Advent, von dem Jesus eben gesprochen hat. Einen Kalender für sein Kommen am Ende der Welt. Wie könnte, wie müsste dieser Kalender aussehen?
Auf jeden Fall wäre es keiner, den wir alle Jahre wieder an die Wand hängen, sondern einer, der bis ans Ende aller Zeiten reicht. Es wäre auch kein Kalender, an dem wir Tage und Jahre ablesen oder markieren könnten, sondern einer, der uns nur an das eine erinnert: an das Ende und Ziel der Zeit, nämlich: dass Gott uns entgegenkommt.
Ich stelle mir vor, dass es unzählige Türen in diesem Adventskalender gibt, die wir öffnen oder verschlossen halten können. Ungezählte Seiten, die wir aufschlagen oder unberührt lassen dürfen.
Schokoladig süße Botschaften wird er weniger enthalten, und aufbauende Worte werden vermutlich selten sein. Denn Jesus sagt – in meinen Gedanken ausgedrückt: „Wenn ihr in dieser Welt lebt und erwartet, dass ich wiederkomme am Ende der Zeit, dann müsst ihr die Zeichen erkennen. Lasst euch nicht verführen oder täuschen. Und seid bereit, Türen zu öffnen, Neues zu erfahren, auch wenn es traurig ist, euch wütend macht oder euch enttäuscht.“
In unserer Welt lesen, wie in einem Adventskalender? Leben und erwarten: Gott kommt? Eine seltsame Vorstellung! Aber ich werde neugierig, tatsächlich alles einmal aus dieser ungewöhnlichen Perspektive zu betrachten: Was hinter den „Türen“ dieses besonderen Kalenders steckt, was ich vielleicht erkennen und lesen kann. Ich will es ausprobieren. Dahinter schauen und erzählen, was ich sehe.
2. Zwei Türen in Gottes Adventskalender
Ich öffne die erste Tür, noch vorsichtig. Und ich erkenne die Menschen dahinter sofort wieder: eine afghanische Familie, Asylbewerber. Beinahe drei Jahre dauerte es, bis sie als geduldete Flüchtlinge anerkannt wurden. Eine quälend lange Zeit! Und was für ein Kampf, oft allein das Nötigste zu bekommen. Haben Menschen unterschiedlichen Wert? Unsere Gesetzgebung für Asylbewerber, die ganze Verwaltung – auf mich wirken sie menschenverachtend! –
Doch es steckt noch mehr dahinter, hinter dieser Tür - ich erschrecke nicht nur über unseren Staat, die Schicksale, die Wunden der Flüchtlinge; hinter dieser Tür verbergen sich auch andere Menschen, in Liebe und Solidarität. Mit Händen und Füßen sprechen sie, geben von dem, was sie haben. Und kämpfen – für Respekt und Menschenwürde. Es sind mehr, als ich es zuerst sehen kann: Denen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, die anpacken, protestieren. Und je länger ich hinschaue, desto mehr werden es.
Ich öffne eine zweite Tür und mir schlagen Nachrichten und Bilder entgegen. Ich höre von Menschen in Pakistan, sehe Bilder der Flüchtlinge der Flut, 20 Millionen – ich sehe viele – und trotzdem: ich kann mir das nicht vorstellen. So viele Menschen und ihre Welt, ihre Heimat – untergegangen. Kein Essen, kein sauberes Trinkwasser, kein Dach über dem Kopf. Ob die Hilfe reicht, die viele auf den Weg geschickt haben? Wen erreicht sie? Bilder über Bilder, Menschen kämpfen um das Essen, das verteilt wird! Ich spüre, wie mich solche Katastrophen verleiten, nicht mehr hinzuschauen. So genau will ich es gar nicht wissen. Spenden ja, aber dann? … Ich entdecke: Trotz all dieser Menschen ist noch viel Platz hinter dieser Tür des Adventskalenders. Platz für meine Gedanken! Platz zum Umdenken?
Was will ich wirklich wissen von diesen Menschen? Ich höre zu. Frage nach! So weit weg liegt Pakistan – und trotzdem merke ich, wie die kritischen Fragen immer lauter werden. Was haben wir hier in Deutschland damit zu tun, dass solche Katastrophen passieren?
Andere winken bereits ab, denn vieles wissen wir doch noch nicht so genau. Abholzung und Raubbau durch westliche Industrie in Pakistan? Alles Spekulationen! - Wirklich? - Vom wem lasse ich mich verführen?
3. Es reicht – genug Katastrophen!
Schon wieder eine neue Tür! Will ich überhaupt wissen, was dahinter steckt? Anstrengend ist dieser Kalender. Jetzt warte ich lieber mal ab, vielleicht öffnet sich die Tür von alleine. Ich muss ja nicht immer diejenige sein, die sich für andere interessiert. Sollen die anderen doch mal den ersten Schritt tun. -
Das Telefon klingelt. Die Nummer auf dem Display erkenne ich. Weiß, wer mich erreichen will – für den habe ich jetzt echt keine Nerven, geht es mir durch Kopf,. Ich hab´ schon genug Probleme gewälzt, jetzt reichts. –
Überhaupt: An manchen Tagen scheinen sich die schlechten Nachrichten zu überschlagen – im Fernsehen und persönlich. Dann schalte ich ab, nicht nur den Apparat. Nützt nur nicht wirklich etwas. Eine Insel der Seligen, die gibt es nicht, auch wenn wir sie uns manchmal wünschen. Abschalten und Rückzug in die heile Welt – auf Dauer klappt das nicht!
4. Ein neuer Anlauf – die dritte Tür
„Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei!“ prophezeite Jesus und es stimmt. Es dringt überall durch, auch wenn ich mich allen Nachrichten und keine Zeitung mehr lese. Ob es jemals einen Tag keinen Krieg gab – einen Tag völligen Friedens auf der ganzen Erde? Bekannte erzählten mir von ihrem Neffen, der nun zum zweiten Mal mit einem Bundeswehreinsatz nach Afghanistan geht. „Sein Argument ist: Das Geld kann ich gut gebrauchen! Aber wir – wir machen uns wieder vom ersten bis zum letzten Tag Sorgen!“
Jesus sagte: „Seht zu, dass euch niemand verwirrt und lasst euch nicht täuschen!“ Leicht gesagt, Jesus, wem sollen wir denn noch glauben. An was sollen wir glauben? Kann Krieg nicht doch ein Weg sein, Frieden zu stiften? So viele meinen das und sind überzeugt davon.
Doch: „Lasst euch nicht verwirren! Seid wachsam und achtet auf die Zeichen!“ entgegnet Jesus uns. – Und ich lese weiter in unserer Welt, in Gottes Adventskalender. Lehne mich nicht nur abwartend zurück, schaue genau hin, gehe auf andere zu.
Was ist nun hinter der Tür, deren Klinke ich schon eine Weile in der Hand halte? Ich sehe viele Menschen, einen großen Tisch, ein gemeinsames Essen – ein Haus in meinem Heimatdorf – ein Haus für die, die Betreuung brauchen und Pflege, die nicht mehr alleine zu Recht kommen. Wie eine große Familie leben alle, das war auch der Traum der Frau, die dieses Haus gegründet hat mit ihrem Mann. Zusammen leben mit Alten und Betagten, keine Pflege im Minutenrhythmus, sondern nah bei den Menschen und dem, was sie am meisten brauchen: Zuwendung, Zeit und Liebe. Ein kleines Projekt, gestartet mit viel Gottvertrauen.
Sicher, ich weiß auch, dass viele anders alt werden, kenne Häuser für alte Menschen, in denen es anders zugeht. Ich lese auch das in dem großen Adventskalender, den Jesus mir präsentiert. Hinter anderen Türen, auf anderen Seiten.
Ich lese … weiter und weiter … von großen und kleinen Katastrophen auf dieser Erde, von öffentlichen und ganz persönlichen, von den Erdbeben und Stürmen und all den Ereignissen, die persönliche Lebensschicksale ins Wanken bringen. Und ich erkenne nicht zuletzt, wo ich ratlos stehenbleibe, weil ich denke, dass es so nicht mehr weitergehen kann.
Ja, weiterlesen, Türen öffnen. Ich lasse mich nicht täuschen, schaue hin und sehe, wo die Hoffnung stirbt und vor allem auch, wo sie wächst.
5. Nicht „Wie lange noch?“, sondern „Es geht weiter! Dein Reich komme!“
Ich schaue auf meinen kleinen Adventskalender an der Wand und kann ohne Zweifel sagen, dass wir noch mehr als die Hälfte des Advent vor uns haben – bevor wir endlich Weihnachten feiern dürfen.
Der Blick auf Gottes Adventskalender verrät mir nicht, wie lange wir noch darauf warten müssen, dass Jesus endlich wiederkommt und unsere Erde verwandelt. Wie lange es noch dauert, bis ein Frieden alles umfasst, Kriegsgeschrei überall verstummt, bis Kinder nicht mehr als Soldaten missbraucht werden, wie lange es noch dauert, bis alle Menschen teilen und satt werden. Wie lange noch? Die Ungewissheit müssen wir aushalten.
Aber: Gottes Adventskalender sagt mir, dass es trotz aller Katastrophen und Kriege weiter geht. Und das ist viel, denn manchmal ist selbst das kaum zu glauben. Das ist viel, wenn einem Menschen die Welt gottverlassen erscheint oder - sich einer gottverlassen fühlt. Dann ist es viel zu wissen: Es geht weiter.
Und ich habe hier eine Aufgabe, das macht mir Gottes Adventskalender eindrücklich klar: Hinschauen statt wegsehen! Die sehen, die mich brauchen. Nicht verwirren lassen, nicht täuschen. Hinschauen statt wegsehen! Keine schlechte Nachricht und keine Schreckensmeldung sollen mich davon abbringen.
Genau hinschauen! – Denn hinter den Türen des großen Adventskalenders nehme ich auch die Menschen wahr, die bereit sind, Jesus in seinen Spuren entgegenzugehen. Die Liebe säen und mit Phantasie die eisige Atmosphäre, die manchmal herrscht, erwärmen. Sie geben mir eine Ahnung, jetzt und hier, auf was ich mich freuen darf am Ende des großen Advent.
Eigentlich … sind sie doch gar nicht so verschieden, der kleine und der große Adventskalender. Auch Gottes Adventskalender bringt mich zur Besinnung und lässt meine Vorfreude wachsen.
Sie haben noch keinen kleinen Adventskalender für dieses Jahr zuhause? – Nicht schlimm, denn Sie haben ja bereits einen großen. Diesen ganz besonderen! Gottes Adventskalender! Geschenkt …
… aber sicher nicht umsonst. Trauen Sie sich! Machen Sie die Türen auf! Lassen Sie uns gemeinsam hinschauen. Und bitten wir gemeinsam: „Dein Reich komme.“ Ja, dein Reich komme – Herr.
Und der Friede des kommenden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, behüte und bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Bettina Klünemann, Altbachgasse 1, 67593 Westhofen
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