Wochenspruch:
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ (Lk 21, 28)
Psalm: 80, 2 – 7.15 – 20
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 63, 15 – 16 (17 – 19 a) 19 b; 64, 1 – 3
Epistel:
Jakobus 5, 7 – 8
Evangelium:
Lukas 21, 25 – 33
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 7
O Heiland, reiß die Himmel auf
Wochenlied:
EG 6
Ihr lieben Christen freut euch nun
Predigtlied:
EG 16
Die Nacht ist vorgedrungen
Schlusslied:
EG 66
Jesus ist kommen
Hinführung
Die Predigt bezieht sich nicht nur auf den kleinen Abschnitt (Jak 5, 7 + 8), sondern auch auf den Jakobusbrief als ganzen. Denn diese Aufforderung zur Geduld steht in einem Kontext, der unbedingt dazu ge-hört. Darüber hinaus beziehe ich mich auch noch auf Vers 9, indem ich das Bild vom Richter, der vor der Tür steht, aufnehme.
Predigt
Gnade sei mit euch von Gott, unserem Vater und dem Herrn, Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für den heutigen 2. Advent steht im Jakobusbrief, im 5. Kapitel:
So seid nun geduldig, liebe Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.
Liebe Gemeinde,
normalerweise ist Jakobus nicht gerade zimperlich. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Geht mit seinen Mitchristen hart ins Gericht. Dabei stellt er sich eindeutig auf die Seite der Armen. Und die hatten’s nötig. Denn das gab es auch unter den ersten Christen: Die Reichen, die Schicken und Angesagten wurden hofiert, bekamen im Gottesdienst die besten Plätze. Die Armen wurden verachtet und mussten stehen.
Und noch schlimmer: Die Reichen leben auf Kosten der Armen, schlemmen und prassen und mästen ihr Herz, so sagt Jakobus kurz vor unserem Predigttext. Sie zahlen ihren Arbeitern keinen gerechten Lohn. Und die Armen haben keine Chance. Wer so etwas tut, darf sich kein Christ nennen. Gott wird diese Unbarmherzigen unbarmherzig richten.
Harte Worte zu harten Zeiten. Wer würde sich heute so etwas trauen? Dabei sind heute auch harte Zeiten.
Ja, dieser Jakobus ist unbequem. So unbequem, dass Martin Luther seinen Brief am liebsten aus der Bibel heraus geworfen und mit dem Papier ein Feuer angezündet hätte. Hat er aber nicht gemacht, sondern brav auch den Jakobusbrief übersetzt und im Neuen Testament gelassen. Gott sei Dank! Denn Jakobus erinnert uns daran, dass Christsein auch eine anstrengende Seite hat. Natürlich hören wir gern, dass Gott uns rechtfertigt allein aus Glauben und dass Er uns annimmt so wie wir sind. Das heißt aber nicht, dass wir immer so bleiben sollen. Zum Christsein gehört auch die Tat, der Einsatz für eine gerechte Welt, hier und jetzt.
Darum brauchen wir solche Propheten wie den Jakobus, die uns aufrütteln, warnen und mahnen. Aber Jakobus ist kein Revoluzzer. Er ruft nicht dazu auf, die Verhältnisse umzustürzen, sondern er mahnt zur Geduld. „So seid nun geduldig, liebe Brüder und Schwestern.“ Das sagt er zu denen, die unter Ungerechtigkeit seufzen. Denen, die wieder so wenig in der Lohntüte haben, dass sie nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.
Seid nun geduldig – ihr Hartz IV - Empfänger. Seid geduldig, ihr allein erziehenden Mütter. Seid geduldig, ihr Kinder, die ihr morgens kein Schulbrot mit auf den Weg bekommt, weil eure Eltern sich nicht kümmern.
Ich denke an einen kleinen Hauptschüler aus der 5. Klasse. Er kam morgens oft zu spät zur Schule, weil seine Mutter bis Mittag ihren Rausch ausschlief. Alles musste der kleine Kerl mit seinen 10 Jahren selbst regeln. Sein Schulranzen war ein einziges Chaos, so wie seine junge Seele. In der Schule kam er schlecht mit, konnte kaum schreiben. Wenn er was von der Tafel abschreiben sollte, malte er hingebungsvoll langsam – viel zu langsam – seine Buchstaben in sein Heft - wenn er gerade eins hatte.
Die Hänseleien der Mitschüler ertrug er geduldig, als nähme er sie gar nicht wahr. Eines Tages kommt er zu seiner Lehrerin und sagt, nein flüstert: „Ich komme jetzt für 8 Wochen nicht zur Schule. Ich muss in eine Klinik. Wissen Sie, ich habe nämlich Depressionen.“ Das sagt er in seiner ergebenen Art, als würde er mitteilen, dass er die Masern hat. Depressionen! 10 Jahre alt! Was für eine Verlorenheit! Dieses Kind, die Geduld in Person, ist zerbrochen – aber nicht zerstört! Ganz allein war er zu seinem Kinderarzt gegangen. Und der hat erkannt, was los ist, und hat ihm einen Platz in der Kinderpsychiatrie verschafft.
Sei geduldig, kleiner Junge? Ja, aber im Sinne von: Gib die Hoffnung nicht auf, dass sich dein Leben ändern kann! Denn Geduld heißt eben nicht: Leg die Hände in den Schoß! Duck dich nieder und nimm alles widerspruchslos hin, wie es kommt. Die Geduld des Jakobus lehrt nicht das Kriechen, sondern das Ausharren.
Dieser Junge konnte seine Mutter nicht ändern. Er konnte nicht einfach raus aus diesem System von Vernachlässigung und Kälte. Er musste ausharren und abwarten. Er hat hingenommen, was er nicht ändern konnte. Das ist grausam und schwer zu ertragen. Aber so ist das, wenn einem eine solche verbrecherische Ungerechtigkeit geschieht. Da kommt man auch durch größten Aktionismus nicht so einfach raus.
Und dann, als die Zeit reif war, als er alt genug war, hat er einen Weg gefunden, ist zum Arzt gegangen. Ein erster Schritt zur Veränderung.
Geduld ist nichts Passives. Kein Fatalismus. Im Griechischen heißt Geduld „makrothymia“. Viele übersetzen das mit Langmut. Wörtlich könnte man auch übersetzen: lange oder große Leidenschaft. Da steckt viel Kraft drin. Kraft, die Leiden erträglich macht und die Hoffnung nicht sterben lässt. Hab solche leidenschaftliche Geduld und leg deine Hände nicht in den Schoß, sondern in die Hand Gottes. Denn du musst nicht endlos Geduld haben, sondern nur bis zum Kommen Gottes.
Aber was heißt hier „nur“? Wie lange ist das eigentlich, bis Gott kommt? Die Armen zur Zeit des Jakobus haben das nicht mehr erlebt - das Kommen Gottes, jedenfalls nicht die erwartete Wiederkunft Jesu. Ist also die Rede vom Kommen Gottes eine billige Vertröstung für die Unterdrückten und Ausgebeuteten, damit sie ihr Los ertragen und nicht aufmucken? Eine Vertröstung auf ein Jenseits, damit man das ungerechte Diesseits klaglos erträgt und nichts daran ändert?
So hat man’s oft verstanden. Es galt in den letzten Jahrhunderten als besonders fromm, Leiden geduldig und ohne Klage zu tragen, egal worum es sich handelte. Die Frage, ob an dem Bedrängenden und Quälenden etwas zu verändern wäre, durfte nicht gestellt werden. Das galt als unchristlich. Martin Luther zum Beispiel hat versucht, die aufständischen Bauern zur Raison zu bringen. Sie sollten sich geduldig in ihr von Gott auferlegtes Los schicken, sagte er ihnen, statt sich zu wehren und nach weltlichen Dingen zu streben.
Karl Marx hat das Christentum genau an diesem Punkt kritisiert. Die Religion festigt mit ihrer Vertröstung auf ein Jenseits die ungerechten Verhältnisse. Und damit vergrößert sie das Elend der Armen, weil die Reichen keinen Aufstand befürchten müssen. Darum, so Marx, müssen die Menschen die Ketten der Religion abwerfen und die Verhältnisse umstürzen.
Aber Jakobus ruft nicht zum Umsturz auf, sondern zur leidenschaftlichen Geduld, die die Hände nicht in den Schoß, sondern in die Hand Gottes legt. Und er sagt: Guckt euch diese Geduld bei dem Bauern ab. Der wartet, bis die Erde die kostbare Frucht hervorbringt. Er kann den Acker pflügen, düngen und Unkraut jäten. Aber es hilft nichts, wenn er an den zarten Pflanzen rumzupft. Davon wachsen sie auch nicht schneller. Und es hilft nichts, wenn er vor lauter Ungeduld die Pflanzen ausreißt. Damit zerstört er alles.
Geduld heißt: Sein Leben in Gottes Hand legen und leidenschaftlich darauf hoffen, dass Gutes daraus wächst. Das ist keine Vertröstung auf das Jenseits, sondern Trost in der Gegenwart. Denn Gott kommt nicht erst nach dem Tod, sondern jetzt, heute. Und sein Reich wächst, wir müssen nur genau hinsehen.
Ich weiß, das ist schwer. Wenn ich Kinder sehe wie diesen kleinen Jungen mit seinen Depressionen, dann verliere ich manchmal Mut und Geduld. Und wenn ich selbst Leiden und Ungerechtigkeit erfahre, dann fehlt mir das Vertrauen, dass Gott wirklich kommt und Gutes aus meinem Leben wachsen lässt. Und wenn ich heute nach Israel und Palästina sehe, dann fehlt mir jegliche Geduld mit den Menschen, aber auch mit Gott, der diesem Krieg so scheinbar tatenlos zuschaut. (Hier müsste evtl. ein anderes aktuelles Beispiel genannt werden.)
Der Theologe Eberhard Jüngel sagt: „Geduld ist der lange Atem der Leidenschaft, nicht leidenschaftslose Resignation oder Ergebenheit.“ Langer Atem der Leidenschaft – das ist tätige Geduld, die aushält, was nicht zu ändern ist; die aber beharrlich Wege sucht nach dem besseren Leben für sich und für andere.
Langer Atem – woher kriegt man langen Atem, wenn einem die Puste auszugehen droht? Wenn einem das Leben den Atem verschlägt? Jakobus schreibt: „Stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herrn ist nahe.“ Und gleich drauf: „Siehe, der Richter steht vor der Tür.“ So etwas klingt fremd, gerade jetzt in der Adventszeit, wo wir eher meinen, dass Weihnachten vor der Tür steht. Jakobus meint das durchaus als Drohung für die ungerechten Reichen der Gemeinde. Aber gleichzeitig ist es ein Trost für die Gequälten. Gott wird richten. Es wird eine Gerechtigkeit geben, die alles Leiden ausgleicht. Wie das geschehen wird, das wissen wir nicht. Ist auch besser so. Denn immer wenn Menschen zu genau zu wissen meinten, wie Gott richtet, spielten sie sich selbst zu Richtern auf. Nur eines können wir sagen: Wenn Gott richtet, dann tut er das in Gestalt eines Kindes, das ein König ist, der Friedefürst genannt wird. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte der belohnen, so richtet er die Welt.“ So dichtet Jochen Klepper (EG 16,5).
Gott wird richten. Ein Trost ist das und die Ermunterung: Seid geduldig, liebe Brüder und Schwestern. Legt eure Hände in die Hand Gottes. Denn er kommt.
Und der Friede des kommenden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, behüte und bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Doris Joachim, Zentrum Verkündigung, Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main
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