Die Wahrheit wird euch frei machen
von Jörg Stähler (Biedenkopf)
Predigtdatum
:
31.12.2006
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle
:
Johannes 8,31-36
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Wochenspruch:
Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte
(Psalm 103, 8)
Psalm: 121 ( EG 749 )
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 30, ( 8 – 14 ) 15 – 17
Epistel: Römer 8, 31b – 39
Evangelium: Lukas 12, 35 - 40
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 329 Bis hierher hat mich Gott gebracht
Wochenlied: EG 64 Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied: EG 346 Such wer da will, ein ander Ziel
Schlusslied: EG 65 Von guten Mächten
Johannes 8, 31 - 36
31 Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger 32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. 33 Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden? 34 Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. 35 Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. 36 Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 65 Von guten Mächten
Wochenlied: EG 59 Das alte Jahr vergangen ist ODER 64 Der du
die Zeit in Händen
Predigtlied: EG 534 Alles ist eitel, du aber bleibst (Kanon)
Schlusslied: EG 170 Komm Herr, segne uns ODER 490 Der Tag ist um
Hinführung
In Predigten über Johannes 8, 31-36 wird oft der scheinbar vorhan-dene johannäische Antijudaismus zum Thema gemacht. In diesen Versen aber handelt es sich meines Erachtens mehr um eine innerchristliche Diskussion zwischen Heiden- und Judenchristen. Deswegen wende ich mich hauptsächlich einem anderen Themenaspekt des Predigtworts zu.
Im Bibeltext geht es ganz zentral um die Deutung der Sohnschaft im Verhältnis zu Gott und Jesus und den Menschen: »Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr richtig frei« (Johannes 8, 38). Diese wichtige Deutung bringe ich mit dem Kasus des Jahreswechsels zu-sammen und verbinde sie mit dem neutestamentlichen Konzept der Kinder Gottes, die im Gegensatz zu Knechten frei sind. Im Vertrauen auf dieses bleibende Gottesverhältnis können Menschen, die sich vom Wort Gottes ansprechen lassen, gelassen in die Zukunft blicken und die Botschaft des Predigttextes als Zuspruch der Freiheit der Kinder Gottes verstehen, denn »ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen« (Johannes 8, 32).
Liebe Gemeinde,
Auf der Schwelle zu einem neuen Jahr denke ich zurück. Und es ist gut, zwischendurch mal innezuhalten, zu sich selbst zu kommen. Wie war es, das vergangene Jahr 2006? Was liegt alles hinter mir? Welche Erfahrungen habe ich in den vergan-genen 12 Monaten gemacht? Was ist mir geschenkt worden? Was wurde mir genommen? Wo habe ich andere verletzt? Wo bin ich selbst verletzt worden? Was nehme ich mit in den letz-ten Abend des alten Jahres und in das neue Jahr: Erfolge und das Wissen, wie es geht, Verluste und Niederlagen, die ich nicht verstehe und die einen Schatten über mein Leben werfen?
Aber ich schaue ja nicht nur als Individuum zurück, sondern auch als Mensch, der in Gemeinschaft mit anderen lebt. Und so frage ich im Blick auf unsere Kirchengemeinde, unser Land und unsere Welt: Was liegt alles hinter uns? Was hat das vergangene Jahr gebracht? Was waren die Höhepunkte? Wo lagen die Probleme, die uns auch in der Zukunft herausfordern wer-den?
Und das kommende Jahr? Was wird es uns bringen? Wir wis-sen es nicht - alles ist möglich.
Fragen über Fragen. Da ist es gut, zu wissen, dass die Zeit in Gottes Hand liegt. Da ist es gut zu wissen, dass Gottes Verheißungen uns aus dem alten in das neue Jahr begleiten werden. So hören wir den für heute Abend vorgesehenen Predigttext aus Johannes 8, 31-36:
(Text)
Liebe Gemeinde, »Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei«, sagt Jesus in unserem Predigttext aus dem Jo-hannesevangelium. Das hört sich auf den ersten Blick einfach und einleuchtend an.
Aber dieser scheinbar einfache Satz wurde von seinen damali-gen Zuhörern erst einmal gar nicht verstanden. Vielmehr frag-ten sie zurück, und man kann den Unterton des Widerspruchs heraus hören: »Die Wahrheit wird uns freimachen? Warum das denn? Wir gehören doch zum Volk Gottes. Wir sind keine Knechte. Wir sind von niemandem abhängig. Warum sagst du: Ihr werdet frei werden?«
Scheinbar geht es Jesus nicht um Äußerlichkeiten, nicht um eine soziale und politische Dimension von Freiheit. Ihm geht es um ein tieferes Verständnis von Freiheit und Abhängigkeit: »Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.« Auf uns heute wirkt diese Wortwahl relativ fremd: Knecht, Sünde, Sohn, frei … Aber im neuen Testament kommt diese Wortwahl öfters vor und sie verdeutlicht etwas ganz Wesentliches.
Nach dem Neuen Testament sind wir Söhne und Töchter, Kin-der Gottes, die im Gegensatz zu Knechten frei sind. Ein Knecht wird gemessen an dem, was er leistet. Ein Knecht muss gehorchen. Deshalb entscheidet sich seine Zukunft an seiner Vergangenheit.
Ganz anders liegt der Fall bei den Kindern Gottes. Sie gehören zu Gott und diese Bindung ist eine, die durch alle Zeiten besteht. Selbst wenn der Sohn oder die Tochter einmal weglaufen sollten, so das Gleichnis vom verlorenen Sohn, wenn sie zurückkehren, werden sie mit offenen Armen empfangen. Dieses Verhältnis zwischen Vater und Kindern ist eine Beziehung, die nicht abhängig ist von Leistung und Lohn, sondern von der Liebe Gottes lebt und durchträgt durch alle Zeiten.
»Wenn euch der Sohn frei macht, dann seid ihr wirklich frei«. Der Philosoph Erich Fromm hat den Unterschied geprägt zwischen Haben oder Sein. »Haben« entspricht dem, wo wir herkommen und was wir mitbringen. Für mich wäre es ein Armutszeugnis, könnte ich mich nur auf das verlassen, was ich habe, was ich mitbringe. Und dann wäre ich abhängig, wie es Jesus in unserem Predigtwort sagt, wäre wie ein Knecht, ein Sklave, ein Gefangener. Und »der Knecht bleibt nicht ewig«. Anders aber der Sohn. Durch ihn sind wir Kinder Gottes. Das heißt: nicht das ist wichtig, was wir haben, sondern das, was wir sind. Was auch immer passiert ist und was auch immer passieren wird, eines verändert sich nicht: Gott ist der Vater unseres Lebens und durch Jesus sind wir Kinder Gottes.
»Wenn ihr bleiben werdet in meinem Wort, so seid ihr wahr-haftig meine Jünger und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.« Bei allen Veränderungen auch im Wechsel der Jahre gibt es etwas Bleibendes. So können wir das alte Jahr mit einem guten Schuss Gelassenheit beenden und mit Gottvertrauen dem neuen Jahr entgegensehen. Auch im neuen Jahr wird es sicherlich beides geben: Momente der Kraft, des Glücks. Aber wir werden auch müde werden, es wird Angst und Tränen geben. Manchmal werden wir uns über Siege freuen können, aber ebenso werden wir Niederlagen einstecken müssen. Bei alledem, was das Leben bringen wird, wir dürfen uns darauf verlassen, dass Gottes Leben schaffendes Wort uns, dich und mich begleitet. Gott bleibt und er in uns und wir in ihm.
Hanns Dieter Hüsch hat dieses Gottvertrauen in einem Gedicht schön gesagt:
Amen.
Ich bin vergnügt Erlöst
Befreit
Gott nahm in seine Hände
Meine Zeit
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit
Was macht, dass ich so fröhlich bin
In meinem kleinen Reich
Ich sing und tanze her und hin
Vom Kindbett bis zur Leich
Was macht dass ich so furchtlos bin
An vielen dunklen Tagen
Will mich durchs Leben tragen.
Was macht dass ich so unbeschwert
Und mich kein Trübsinn hält
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
Wohl über alle Welt.
Für diese letzten Abend des alten Jahres und das neue Jahr, das vor uns liegt, wünsche ich Ihnen Gottes reichen Segen
Der Hüsch-Text ist entnommen aus: Hanns Dieter Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, 1997/4 © tvd-Verlag, Düsseldorf, 1991, Seite 45):
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