Wochenspruch: "Christus spricht: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle." (Offenbarung 1,18)
Psalm: 118,14-24 (EG 747 verkürzt)
Reihe I: Johannes 20,11-18
Reihe II: 1. Korinther 15,(12-18)19-28
Reihe III: 2. Mose 14,8-14.19-23.28-30a;15,20-21
Reihe IV: Markus 16,1-8
Reihe V: 1. Korinther 15,1-11
Reihe VI: 1. Samuel 2,1-8a
Eingangslied: EG 455 Morgenlicht leuchtet
Wochenlied: EG+ 19,1-5 Wir stehen im Morgen
Predigtlied: EG 116 Er ist erstanden, Halleluja
Schlusslied: EG 593 Licht, das in die Welt gekommen
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein
12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte.
13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen.
16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.
18 Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.
Liebe Gemeinde,
manchmal trügt uns unsere Wahrnehmung!
Ich meine, nicht im Sinne einer fata morgana, wie Bilder, die aufgrund von Luftspiegelungen entstehen. Nein, ich meine schlicht, die Tatsache, dass so manches, was uns umgibt, was uns begegnet, es nicht bis in unser Bewusstsein schafft. Vieles wird einfach nicht von unserem Gehirn gespeichert, besonders, wenn unsere Sinne auf etwas ganz anderes fokussiert sind.
„Die intensive Konzentration auf eine Aufgabe kann Menschen tatsächlich blind machen für Reize, die normalerweise ihre Aufmerksamkeit erregen würden.“
Es gibt schöne Experimente, die diese Effekte verblüffend anschaulich verdeutlichen.
„Die spektakulärste Demonstration dafür lieferten zwei amerikanische Wissenschaftler in ihrem Buch Der unsichtbare Gorilla. Sie produzierten einen kurzen Film über zwei Mannschaften, die sich Basketbälle zuspielten. Ein Team trug weiße Hemden und das andere schwarze. Die Betrachter des Films wurden aufgefordert, die Zahl der Ballwechsel der weißen Mannschaft zu zählen und die schwarzen Spieler zu ignorieren.
Das ist eine schwierige Aufgabe, die volle Konzentration verlangt.
Ungefähr in der Mitte des Videos taucht eine Frau auf, die als Gorilla verkleidet ist. Sie überquert das Spielfeld und verschwindet wieder. Der Gorilla ist neun Sekunden lang zu sehen.
Tausende Menschen haben sich das Video angeschaut. Etwa der Hälfte von ihnen fällt nichts Ungewöhnliches auf. Ursache dieser Blindheit ist die Zählaufgabe - und insbesondere die Anweisung, eines der Teams zu ignorieren. (…)
Tatsächlich sind die Filmbetrachter, die den Gorilla nicht gesehen haben, zunächst fest davon überzeugt, dass er nicht da war. Sie können sich nicht vorstellen, dass ihnen ein so auffallendes Ereignis entgangen ist.
Die Gorilla-Studie verdeutlicht zwei wichtige Tatsachen über mentale Prozesse:
Wir können gegenüber dem Offensichtlichen blind sein, und wir sind darüber hinaus blind für unsere Blindheit.“
„Unsichtbare Gorillas“ lauern auch im Auferstehungsbericht des Johannes im Neuen Testament. Diese eindrucksvolle Ostererzählung führt uns hinein in einen wunderbaren und vielversprechenden Garten!
Im Morgenlicht des frühen Ostertages geht Maria aus Magdala hinaus vor die Stadt Jerusalem zum Grab Jesu. Sie ist gefangen in ihrer Trauer und enttäuscht über die Kreuzigung Jesu. All ihre Hoffnungen sind dahin, ihre Augen, blind vor Tränen. Maria sucht ihr Leben bei den Toten. Sie ist jetzt nur noch auf eine einzige Aufgabe konzentriert: sie will den Leichnam Jesu salben, ihrem Meister einen letzten Dienst erweisen! Sie erwartet, seinen Leichnam verborgen hinter einem großen Stein zu finden. Doch der Stein ist weg gerollt und der Leichnam ist nicht da!
Für Maria ein gänzlich trostloses Bild.
Ich lese den Predigttext aus dem Johannes Evangelium, Kapitel 20, die Verse 11 bis 18. Achten Sie beim Hören bitte darauf, was Maria wahrnimmt und was ihr entgeht.
11 Maria stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab
12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Geschwistern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
18 Maria von Magdala geht und verkündigt den Jünger*innen: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Zitatende
Die beiden Gestalten in weißen Gewändern sind die ersten beiden „Gorillas“, die Maria nicht wahrnimmt. Sie spricht zwar mit ihnen, aber Maria zeigt keinerlei Verwunderung oder Furcht. Alles deutet darauf hin, dass sie die Engel als solche gar nicht erkennt. Maria ist einzig auf ihre Aufgabe konzentriert. Sie denkt an Umbettung, nicht an Leichenraub oder gar Auferstehung!
„Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Mehrere „Wendungen“ sind nötig, um Maria ihre eigene Blindheit vor Augen zu führen!
Weil sie den Toten sucht, ist sie blind für die Lebenden!
Der dritte „Gorilla“ tritt auf und Maria wendet sich ihm zu. Aber dennoch sieht sie das Offensichtliche nicht, ist immer noch tränenblind. In ihrem Gedankenkontext sucht sie allein nach denen, die den Leichnam fortgeschafft haben. Passend zum gartenartigen Bestattungsort, zwar banal, aber kontextuell durchaus plausibel, identifiziert sie den Auferstandenen mit dem Gärtner.
16 Spricht Jesus zu ihr: Maria!
Nicht Sehen, sondern Hören, das Hören ihres Namens – Maria – Miriam - ausgesprochen vom Auferweckten – erst die persönliche, namentliche Zuwendung führt zu der Wendung Mariens, die Erkenntnis bringt!
Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! Lehrer!
Mit der Botschaft seine Auferstehung sendet Jesus Maria zurück zu den Jünger*innen, hinaus in die Welt!
Gott hat seinen Sohn Jesus Christus von den Toten auferweckt und er sendet auch seine Tochter Maria Magdalena zurück ins Leben. Sie wird zur ersten Zeugin, zur Apostelin der Apostel!
Und jetzt kommt die Überraschung!
Ich glaube ja, dass sich noch ein vierter „Gorilla“ in diesem Text versteckt!
Er trifft den blinden Fleck unserer christlichen Tradition: Generationen von Theologen und Pfarrern haben sich auf die Aufgabe konzentriert, das Neue Testament als eine Art Überbietung gegenüber dem Alten Testament zu predigen.
Was dabei nicht gesehen wird, ist der innere Zusammenhang zwischen den Testamenten. Seit Jahrtausenden sind Christ*innen so sehr auf die „Überlegenheit“ des Christentums gegenüber dem Judentum programmiert worden, auf den „liebenden Gott des Neuen Testaments“ gegenüber dem „strafenden Gott des Alten Testaments“, dass wir Ausdrücke Jesu aus der Bergpredigt (ab Mt 5, 22) wie „ich aber sage euch“ nur noch als Bestätigung dessen lesen können. Vielen ist bis heute der Blick verstellt, dass es sich bei dieser rhetorischen Sprachfigur um eine gebräuchliche rabbinische Methode der Textauslegung handelt.
Andere Sätze im Neuen Testament dagegen fallen durch unser Bewusstseinsraster hindurch. Die erste große Rede Jesu, die Bergpredigt, hat den Rang einer Grundsatzerklärung. In aller wünschenswerten Klarheit sagt sie, in welchem Kontext das Auftreten und Wirken Jesu einzig zu verstehen ist:
Denkt nicht, ich sei gekommen, die Tora oder die prophetischen Schriften außer Kraft zu setzen! Ich bin nicht gekommen, sie außer Kraft zu setzen, sondern sie zu erfüllen. Wahrhaftig ich sage euch: Bevor Himmel und Erde vergehen, wird von der Tora nicht der kleinste Buchstabe und kein einziges Häkchen vergehen, bis alles getan wird. (Mt 5, 17 – 18)
Zitatende
Was bedeutet diese Erkenntnis aber nun für den heutigen Predigttext?
In traditioneller Textauslegung spielte die Identifizierung Jesu mit dem Gärtner kaum eine Rolle. Häufig wurde sie sogar nur als „Missverständnis“ der törichten Maria abgetan! Die „Programmierung auf die Aufgabe“, das Alte Testament für überholt zu erklären und die „eigentliche Heilsgeschichte“ im Neuen Testament zu lesen, hat uns vielleicht „blind gemacht“ für die Transparenz hin auf den ersten Garten, den Garten Eden, den der „große Gärtner“, den Gott für die Menschen schuf!
Wenn wir jetzt noch in Betracht ziehen, dass das Johannes Evangelium in erstaunlichem Maße nahezu durchgängig an das Alte Testament angelehnt, ja aufgrund unzähliger Zitate und Paraphrasen mit der Schrift formuliert ist, scheint es geradezu geboten zu sein, nach der Bedeutung Christi als Gärtner zu fragen.
Christus als Gärtner - Verstehen wir Marias Verwechslung also als „produktives Missverständnis“, das uns zu einer neuen Erkenntnisbewegung führt. Christus ist dann nicht nur der Gärtner, sondern zugleich der, der den Toten weggeschafft hat.
Sein Garten ist der Ort des Lebens.
Das war schon zu seinen Lebzeiten so. Ein Garten war der bevorzugte Rückzugsort Jesu und seiner Schüler*innen. Gärten spielen in der Passionsgeschichte des Johannes Evangeliums eine bedeutende Rolle: Nach dem Selbstverständnis der Jünger*innen heißt „Mit Jesus sein“: mit Jesus im Garten sein!
In den johanneischen Garten-Räumen wiederholt sich die Ambivalenz des Garten Eden: Die Gärten der Passionserzählung sind „Lebensraum Gottes für Menschen und zugleich Ort des zerrissenen und zerreißenden Lebens. Doch der Garten hat eine Wendung erfahren: Die Paradiesgeschichte im 1. Buch Mose 3, 22 - 24 endete mit der Vertreibung des Menschen aus dem Garten Eden. Ein Cherub wurde als Wächter bestellt zum Schutz des Baumes des Lebens vor dem Zugriff des schuldig gewordenen Menschen.
Dagegen ist die Garten-Begegnung des Auferweckten mit Maria Magdalena am Ostermorgen ein Hinweis darauf, dass Gott das Paradies als Ort des Zusammenseins mit den Menschen nicht aufgegeben hat. Gott hält an diesem Raum gelingenden Lebens weiterhin fest.
„Christus der Gärtner“ ist wesensgleich mit Gott, dem schöpferischen Gärtner im Garten Eden (vgl. 1. Mose 2,15). Somit kann „Christus der Gärtner“ also im heutigen Predigttext sogar im doppelten Sinne zum „Bewusstseinsöffner“ werden:
Wenn wir also – aufgrund von Wendungen unseres Lebens oder durch Erkenntnisprozesse in die Lage versetzt werden, unsere eigene Blindheit zu erkennen, kann Auferstehung geschehen - mitten im Leben!
So geschehen mitten in Bickenbach an der Bergstraße:
Da ist die alte Frau bei uns im Ort. Jahrelang war sie davon überzeugt, nicht mehr aus dem Bett aufstehen zu können. Ihr Ehemann schenkte ihr viel Zuwendung und pflegte sie. Als ihr Mann starb, ist sie wieder aufgestanden. Erst diese existentielle Wendung ihres Lebens bewegte sie zur Veränderung ihrer Sicht. Wir treffen sie jetzt häufig in unseren Straßen, im Park und auf dem Friedhof. Sie wird mit ihrem Rollstuhl geschoben und hat ein freundliches Wort für jede/n, der/dem sie begegnet. Auch in den Gottesdienst kommt sie wieder, seit der behindertengerechte Zugang zur Kirche fertig ist!
Auferstehung mitten im Leben!
Gott hat seinen Sohn Jesus Christus von den Toten auferweckt und er sendet auch seine Töchter zurück ins Leben. Die Ostererzählung gibt uns Hoffnung und Sehnsucht, einmal nicht „tränenblind“, ohne Zuversicht und Mut von den „Gräbern“ unserer eingeschränkten Sicht weggehen zu müssen!
Verfasserin: Pfarrerin Andrea Thiemann, Vorsitzende von ImDialog, Ev. Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau, Jugenheimer Straße 2, 64404 Bickenbach
Crüsemann, Frank, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, Eine neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011.
Frettlöh, Magdalene L., Christus der Gärtner, Biblisch- und systematisch-theologische, ikonographische und literarische Notizen zu einer messia-nischen Aufgabe, in: „Schau an der schönen Gartenzier…“, Über irdische und himmlische Paradiese. Zu Kult und Kulturgeschichte des Gartens, hrsg. Ebach, Jürgen, Gutmann, Hans-Martin, Frettlöh, Magdalene L., Weinrich, Michael, Gütersloh 2007, S. 161 - 203.
Jäckle-Stober, Almut, Ostersonntag: Joh 20, 11 - 18, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe V, hrsg. Studium in Israel e.V., Neuhausen 2000, S. 132 - 134.
Kahneman, Daniel (Nobelpreisträger: Wirtschaft), Schnelles Denken, lang--sames Denken, München 201112, S. 36f
Schwahn, Alexander, Ostersonntag: Joh 20, 11 - 18, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe V, hrsg. Studium in Israel e. V., Weihenzell 2006, S. 167 - 171.
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