Wochenspruch:
"Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." (Matthäus 11, 28)
Psalm: 36, 6 - 11
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 55, 1 - 3 b (3 c - 5)
Epistel: Epheser 2, 17 - 22
Evangelium: Lukas 14, (15) 16 - 24
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 156 Komm, Heiliger Geist
Wochenlied: EG 279, 1 – 3 + 7 Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren
Predigtlied: EG 593, 1 – 5 Licht, das in die Welt gekommen
Schlusslied: EG 585, 1 – 4 Ich rede, wenn ich schweigen sollte
Liebe Gemeinde,
in unseren Gottesdiensten wird geredet. So auch jetzt in der Predigt! Neben dem Gesang und dem Orgelspiel, neben Augenblicken der Stille und der Betrachtung von Zeichen und Bildern und Gegenständen ist es vor allem das gelesene und frei gesprochene Wort, das unsere Gottesdienste prägt. Gerade im evangelischen Gottesdienst geht es um das Wort – das Wort Gottes, wie es in der Bibel geschrieben steht und in der Predigt ausgelegt wird, und auch das Wort des Menschen, der im Bekenntnis und im Gebet seine Beziehung zu Gott zum Ausdruck bringt.
In unseren Gottesdiensten wird geredet. In der Regel sprechen wir dabei die Sprache, die unsere Muttersprache ist. Wer zu uns in die Kirche kommt, muss nicht befürchten, eine lateinische, griechische oder hebräische Predigt hören zu müssen. Die alten Sprachen kommen noch vor, wenn wir „Halleluja“ oder „Kyrieleis“ oder „Amen“ singen oder sagen, aber ansonsten gilt: Man spricht deutsch. Man versucht, verstanden zu werden. Man gebraucht dabei auch manchmal seltenere oder schwer verständliche Worte wie „Sünde“ oder „Gnade“ oder „ewiges Leben“, aber dazu ist ja die Predigt da, dass solche Worte erklärt werden. Ob das immer gelingt?
Verständliches, überzeugendes, gar begeisterndes Reden ist nicht jedermanns Sache. Und auch das Zuhören ist keine leichte Kunst. Das merken wir nicht nur in der Kirche. Auch Menschen, die in derselben Muttersprache zu Hause sind, können sich missverstehen, aneinander vorbeireden, sich weigern, die Worte ernst zu nehmen, die gesagt werden. Wo Verständigung nicht gelingt, droht Gemeinschaft zu zerfallen. Diese Gefahr kannten schon die ersten Christen, etwa die Christen in Korinth, denen der Apostel Paulus einen Brief schreibt, nachdem er von ihren Problemen gehört hat.
Nun wäre das ja nicht das Schlimmste, dass es auch unter Christen zuweilen Verständigungsschwierigkeiten und heftige Diskussionen über die eine oder andere Streitfrage gibt. Nichts spricht dagegen, dass auch in einem Gottesdienst mal unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen und diskutiert werden können. Aber was würden Sie davon halten, wenn unter uns das passierte, was damals in Korinth passiert ist! Da gab es Christen, die standen einfach während des Gottesdienstes auf und redeten in einer Sprache, die niemand zuvor gehört hatte, die nichts mehr gemein hatte mit vernünftigen, verständlichen Worten und Sätzen. Ein aufbrausendes Lallen, ein verzücktes Stammeln, ein sprudelndes Gemisch ungewöhnlicher Lautverbindungen, für die es kein Wörterbuch und keine Grammatik gab – so brach es aus ihnen hervor. Wenn ich jetzt meine Predigt auf Isländisch oder auf Japanisch fortsetzen würde, dann würden Sie das wohl nicht verstehen, aber es wäre immerhin isländisch oder japanisch, und ich hätte solch eine Sprache vorher gelernt haben müssen. Was für eine Sprache aber war das? Paulus nennt es das Zungenreden, und er nennt es eine Gabe des Heiligen Geistes, der – wenn er will – die Zungen und die Lippen und die Kehlen so bewegen kann, wie sie noch nie bewegt worden sind. In Pfingstgemeinden und charismatischen Bewegungen gibt es das Zungenreden auch heute noch. Es ist die total entfesselte Sprache, die keinen Gesetzen mehr gehorcht; die Sprache, die nicht fragt und nicht mitteilt und nicht antwortet, wie das sonst die Sprache tut, sondern die nur unmittelbar ausdrückt, was sich nicht länger unterdrücken lässt. Haben wir Derartiges in unseren Gottesdiensten bisher vermisst?
Wie auch immer wir das Zungenreden beurteilen mögen, eines steht fest: dem Zungenreden fehlt die Verständlichkeit. Der Zungenredner mag, wenn er aus sich herausgeht, durchaus die Nähe des Heiligen Geistes spüren; aber ob das auch seinem Nachbarn etwas bringt, bleibt offen.
In der Gemeinde zu Korinth waren nicht alle glücklich über die Erscheinung der Zungenrede. Dass in Korinth heftig gestritten wurde, das war das eine Problem; dass aber immer mehr Christen sich dem Gespräch entzogen, indem sie einfach in Ekstase gerieten und in ihrer eigenen Sprache vor sich hin sangen oder summten oder schrieben, das war das andere und fast noch gewichtigere Problem. Auch Paulus kann sich für die Zungenrede nicht erwärmen. Er hält zwar daran fest, dass sie eine Geistesgabe ist; er glaubt, dass es jenseits aller bekannten Sprachen noch eine ganz andere Sprache gibt, die Sprache Gottes und des Heiligen Geistes, die nur in Ausnahmefällen von menschlichen Zungen gesprochen werden kann. Dennoch: ein Mittel, ins Gespräch zu kommen mit den anderen Menschen und die Gemeinde aufzubauen, ist die Zungenrede nicht. Das Zungenreden hat so etwas von Geheimniskrämerei und frommer Extravaganz an sich. Es kann geradezu eine Lieblosigkeit werden; denn es beachtet den Menschen nicht, der verständnislos und verwirrt daneben sitzt und nur staunen oder den Kopf schütteln kann. Und Lieblosigkeit – das ist nach Paulus eine schwere Sünde. Nicht umsonst hat er kurz zuvor im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes ausführlich dargelegt, dass alle Begabungen und Fähigkeiten wertlos sind, wenn die Liebe dabei fehlt. Glaube, Hoffnung, Liebe – auf diese drei kommt es Paulus an; und die Liebe ist die größte unter ihnen (1. Kor. 13, 13). Wenn die Zungenrede ein zu hohes Gewicht in der Gemeinde bekäme, dann wäre das besonders lieblos gegenüber den Außenstehenden. Stellt euch vor, schreibt Paulus, eure Gemeinde kommt zusammen, und alle reden und schreien und lallen vor sich hin in einer merkwürdigen Begeisterung, und auf einmal steht ein Fremder an der Tür, der vom christlichen Glauben noch nicht viel weiß, sich aber sehr dafür interessiert – muss so einer nicht sagen: Ihr seid ja alle wahnsinnig?
Eine gute Frage, die Paulus hier stellt! Es ist die Frage nach den Menschen, die gewonnen und nicht abgeschreckt werden sollen. Auch für uns wäre das immer wieder wichtig, dass wir uns in die Lage dessen hineinversetzen, der mit Gottesdienst noch nicht oder nicht mehr viel anfangen kann. Wie wirken wir Christen auf Außenstehende? Ist unsere Gemeinschaft einladend oder abschreckend? Wird der Neuling bedauern, hier herein geraten zu sein, oder wird er sagen: Hier bin ich willkommen; hier werde ich ernstgenommen; hier kommen meine Fragen und Sorgen vor; hier finde ich Anregungen, Trost, Ermutigung – und deshalb will ich hier nicht zum letzten Mal gewesen sein, sondern werde wiederkommen? Ein unverständliches Durcheinander wäre für den Neuling genauso abstoßend wie die Friedhofsruhe von Kirchenschläfern. Ein Zur-Schau-Stellen der eigenen Frömmigkeit – etwa in der Zungenrede – wäre genauso wenig hilfreich wie ein Verhalten, das die eigene Frömmigkeit nicht erkennbar werden lässt.
Und deshalb lautet für Paulus das oberste Gebot: Verständlichkeit. Die Gabe der Zungenrede ist beeindruckend, aber die Gabe der Verständlichkeit ist besser. Was Christen sagen und tun, muss durchschaubar, offen, anziehend, verständlich sein. Sogar der Nichtchrist, der Unkundige, der im Glauben Unsichere muss verstehen können, was die Sache der Christen ist. Der Eindruck, dass Christen nur mit sich selbst beschäftigt und sich selbst genug sind, darf gar nicht erst entstehen. „Strebt nach der Liebe!“ schreibt Paulus und meint auch die Liebe gegenüber den Außenstehenden. Und er fährt fort: „Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!“ (V. 1).
Hier sagt Paulus klar und deutlich, was für ihn Vorrang hat in der christlichen Gemeinde. Die Liebe, die in Jesus Christus erschienen ist, soll sich wiederspiegeln im Verhalten der Christen untereinander und gegenüber den Fremden. Und diese Liebe ist nicht eine unverbindliche Nettigkeit, sondern sie drückt sich aus in prophetischer Rede. Was meint Paulus damit?
Prophetische Rede ist das Gegenteil von flachem Geschwätz. Propheten sind Übersetzer. Sie übersetzen die Sprache Gottes in die Sprache, die Menschen verstehen können. Sie sagen weiter, was sie von Gott wissen, und sagen es so, dass andere dadurch aufgerüttelt, ermahnt, getröstet, ermutigt werden – je nachdem, wie es gerade nötig ist. Von solchen Propheten möchte Paulus in der Gemeinde viele haben. Das mag uns erstaunen. Wir halten Propheten oft für ganz seltene Vögel und wagen es nicht, uns als „einfache Christen“ mit ihnen auf eine Stufe zu stellen. Paulus aber schreibt es allen: „Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!“
Bemüht euch! Das klingt nach Anstrengung. Wir können die unverfügbaren Gaben des Heiligen Geistes nicht herbeizwingen, können uns nicht selber zu Propheten machen, aber wir können und sollen darum beten, können und sollen uns dafür öffnen, können und sollen uns dafür bereithalten. Bemüht euch – das heißt auch: Hört genau hin! Fragt nach Gott und nach seinem Willen! Lest die Bibel und sprecht darüber mit anderen Christen! Und auch dies: Hört denen zu, mit denen und zu denen ihr sprecht. Wer reden will, muss erst einmal gehört haben und muss die Sprache gelernt haben, die der andere versteht. Nicht erst die Völker und Nationen – schon die verschiedenen Generationen im selben Dorf, schon die verschiedenen Berufsstände und die verschiedenen sozialen Schichten sprechen oft verschiedene Sprachen. Verständliches Reden setzt voraus, dass man weiß, wovon man spricht, und dass man weiß, zu wem man spricht und in welcher Sprache man den erreicht, den man ansprechen will. Solches Wissen ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, der am Pfingsttag über alle Sprachgrenzen hinweg das Wunder der Verständigung zustande gebracht hat.
Die Gabe der prophetischen Rede, des klaren, wegweisenden Wortes – nicht jeder hat sie, aber alle, die sich Christen nennen, tun gut daran, nach dieser Gabe ihre Hände auszustrecken und Gott darum zu bitten. Und wer diese Gabe hat, der merkt sehr bald, dass prophetische Rede keineswegs immer gefällige Rede ist. Mancher hört lieber eine harmlose Rede, die niemandem wehtut, eine Rede, die schmeichelt und bestätigt, eine Rede, die glatt und wohlklingend daherkommt. Mancher erschrickt und wendet sich ab, wenn etwas zu verständlich, zu eindeutig ist. Ich kenne keinen Propheten, der es allen recht gemacht hätte. Viele Propheten, einschließlich Jesus von Nazareth, haben mit ihrer Eindeutigkeit ihr Leben riskiert.
Trotzdem: das prophetische Wort ist die Kirche den Menschen schuldig. Es ist das Wort, in dem die Liebe zum Menschen und die Treue zur Wahrheit sich vereinen. Nur diesem Wort traut Paulus zu, dass es die Gemeinde aufbaut und auch Neulinge, Außenstehende dadurch in ihrem Gewissen und ihrer Suche nach der Wahrheit getroffen werden können. Laues, harmloses Geschwätz hat diese Verheißung nicht. Auch die faszinierende, aber letztlich unverständliche Zungenrede hat diese Verheißung nicht. Nur das klare und eindeutige Wort hat die Verheißung, dass es trifft. Gott schenke dieses Wort denen, die reden, und denen, die hören!
Amen.
Lasst uns beten:
Treuer Gott und Vater, im Vertrauen auf deine große Barmherzigkeit bringen wir unsere Anliegen vor dich, dankbar dafür, dass wir als deine Kinder mit dir reden dürfen. Wir bitten dich: Lass dein Wort mächtig durch die Welt gehen, öffne die tauben Ohren und wecke die schlafenden Herzen auf. Rufe die Verirrten zurück, tröste die Verzagten, richte die Gebeugten auf. Mache die Armen reich und die Betrübten fröhlich, heile die Schäden der Menschheit und schaffe Frieden.
Wir bitten dich für alle, die deinem Worte Bahn brechen. Gib ihnen Kraft und Mut, deine frohe Botschaft zu verkünden. Schenke ihnen das rechte Wort zur rechten Zeit. Lass uns, wenn wir dir die Ehre geben, auch unserem Mitmenschen dienen.
Für alle, die sprechen und schreiben, beten wir, dass ihr Wort stets aufrichtig und klar sei. Hilf uns, Sprachgrenzen zu überwinden und nicht nur an uns selber zu denken, wenn wir reden.
Lehre uns, aufeinander zu hören, uns besser zu verstehen und uns gegenseitig Antwort zu geben auf die Fragen unseres Lebens.
In der Stille gedenken wir vor dir, lieber Vater, der Menschen und der Aufgaben, die du uns besonders anbefohlen hast:
Verfasser: Dekan i. R. Rainer Staege
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Referat Ehrenamtliche Verkündigung
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Pfarrer Dr. Matthias Rost
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