Früchte des Geistes
von Ernst Standhartinger (64331 Weiterstadt)
Predigtdatum
:
29.07.2007
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
7. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Johannes 9,1-7
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Wochenspruch:
Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
(Epheser 5,8b.9)
Psalm: 48,2-3a.9-11
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 2,1-5
Epistel:
Epheser 5,8b-14
Evangelium:
Matthäus 5,13-16
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 441
Du höchstes Licht
Wochenlied:
EG 318
O gläubig Herz, gebenedei
Predigtlied:
EG 72 oder EG 572
O Jesu Christe, wahres Licht
Gottes Wort ist wie Licht
Schlusslied:
EG 168,4-6
Wenn wir jetzt weitergehen
Vom Text zur Predigt
Die vorgeschlagene Begrenzung des Predigttextes auf die Verse 1-7 ist exegetisch nicht haltbar, weil sie die Aussage des Textes verdreht. Es geht dem Johannesevangelisten nicht darum, Jesus als einen antiken Heilpraktiker darzustellen (- und als der erscheint er, wenn man nach Vers 7 einfach abbricht), sondern es geht darum, dass sich in der Begegnung mit Jesus entscheidet, wer die wirklich Sehenden und wer die Blinden sind (Vers 39). Bei der Textlesung wird man / frau sich wohl trotzdem an die vorgeschlagene Auswahl halten müssen, weil es für die GottesdienstteilnehmerInnen zu lang und zu verwirrend wäre, das ganze Kapitel vorgelesen zu bekommen. Die Predigerin oder der Prediger sollte es aber in jedem Fall für sich ganz gelesen und bedacht haben.
Auch wenn es nicht darum geht, Jesus als Heilpraktiker darzustellen, muss doch auch die Wunderheilung ernst genommen werden. Der Evangelist geht davon aus, dass sie geschehen ist, und sie ist ihm wichtig als Zeichen für Jesu Vollmacht und damit für die enge Verbindung zwischen ihm und Gott. Das Wunder darf also weder durch Spiritualisierung weginterpretiert, noch als naturwissenschaftliches Phänomen umgedeutet werden. Da ich beide Gefahren nicht nur allgemein in der Gesellschaft, sondern auch bei den PredigthörerInnen vermute, bin ich ausdrücklich auf den Unterschied zwischen antikem und heutigem Wunderverständnis eingegangen.
Der eigentliche Zielpunkt des Textes ist aber nicht das körperliche Heilungswunder, sondern die Einladung an alle Menschen - auch die sehend Geborenen – sich von Jesus aus ihrer „angeborenen“ Gottesblindheit befreien zu lassen. Wir sollen erkennen, dass und wie Jesus „das Licht der Welt“ ist, uns über die Werke Gottes, die er tut freuen und uns nach unseren Möglichkeiten und Fähigkeiten daran beteiligen.
1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren ist? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. 7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.
Liebe Gemeinde!
Eine nicht alltägliche Geschichte haben wir da gerade gehört: Jesus kommt an einem vorbei, der von Geburt an blind ist. Allerdings wird dieser Mann zunächst nur beiläufig erwähnt. Es heißt lediglich, dass Jesus im Vorübergehen diesen Menschen sah. Weder der Blinde, der Jesus vielleicht gar nicht bemerkt, noch Jesus selbst reagieren auf diese Begegnung.
Nur die Jüngerinnen und Jünger gehen darauf ein, dass da ein Blindgeborener sitzt. Aber auch sie nicht mit einem Impuls zur Hilfe, sondern nur mit einer theologischen Frage. „Rabbi, wer hat Unrecht getan: Dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“
Krankheiten und Behinderungen wurden damals nicht medizinisch oder in sonstiger Weise naturwissenschaftlich erklärt. Sie galten als das Werk dämonischer Kräfte oder als göttliche Strafe für besonders schwere Schuld. Aber auf Blindgeborene ließ sich eine solche Erklärung schlecht übertragen. Deren Gebrechen war ja schon da, als sie geboren wurden, also zu einem Zeitpunkt, an dem sie unmöglich schon schuldig geworden sein konnten. Da blieb wohl nur die Erklärung, dass hier die Eltern durch ein solches Kind bestraft werden sollen – eine Überlegung die ja, ausgesprochen oder unausgesprochen, bis heute in manchen Köpfen spukt und die zumindest insoweit ein Körnchen Wahrheit enthält als die Geburt eines schwerbehinderten Kindes in jedem Fall für die Eltern kein einfaches Schicksal darstellt.
Jesus weist die Überlegungen seiner Jüngerinnen und Jünger zurück. „Weder hat dieser Unrecht getan noch seine Eltern“. Was aber dann? Die Fortsetzung dessen, was Jesus sagt, klingt eher unmenschlich: „… sondern die Werke Gottes sollen an ihm sichtbar werden.“ Soll das heißen, dass Gott einem Menschen Jahre der Blindheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten zumutet, nur um ihn als Demonstrationsobjekt für eine unglaubliche Wunderheilung bereit zu stellen?
Doch dann fährt Jesus fort: „Wir müssen in der Welt die Werke Gottes tun, solange es Tag ist.“ Und: „Wenn“ – man kann auch übersetzen: „solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“
Jesus macht damit klar: Am Schicksal dieses behinderten Menschen sich etwas ändern, weil er, Jesus, dazu da ist, die Werke Gottes zu tun und so Licht in die Welt zu bringen.
Jesus gibt keine Antwort auf die Frage, warum Leid und Un-recht in der Welt sind und warum sie so ungleich verteilt werden – auch der Hinweis auf die Werke Gottes, die an dem Blindgeborenen offenbar werden sollen, beantwortet diese Frage nicht. Jesus erklärt uns nicht, warum manche Menschen einen Schicksalsschlag nach dem anderen erdulden müssen, während andere von allem verschont bleiben. Er sagt uns nicht, warum immer wieder Menschen mit Krieg überzogen werden, warum Kinder verhungern oder an längst heilbaren Krankheiten sterben müssen. Das Leben ist ungerecht und es ist nicht Gott, der dem einen dieses und der anderen jenes Schicksal zuteilt.
Es gibt keine alles erklärende Antwort für die Ungerechtigkeiten, die uns immer wieder belasten. Aber wir brauchen eine solche auch gar nicht. Denn wir wissen das, was wir wirklich wissen müssen, nämlich wo unser eigener Platz in diesem verwirrenden Spiel zu sein hat: „Wir müssen die Werke Gottes tun, solange es Tag ist“, sagt Jesus. Er sagt nicht „ich“, er sagt „wir“: Nicht nur er selbst, sondern alle, die zu ihm gehören, denen er zum Licht der Welt geworden ist, sind aufgerufen, die Werke Gottes zu tun.
Nachdem er das gesagt hat, zeigt Jesus, wie die Werke Gottes im konkreten Fall aussehen. Er heilt den Blindgeborenen.
Anders als in anderen Wundergeschichten heilt er dabei nicht durch Worte, sondern eher so, wie es andere Wunderheiler vielleicht auch versuchen würden. Er macht einen Brei aus Speichel und Dreck, schmiert ihn auf die Augen des Blindgeborenen und fordert ihn auf, diesen Brei im nahe gelegenen Schiloachteich wieder aus den Augen zu waschen. Und das Unglaubliche geschieht: Der, der blind geboren wurde, kommt als Sehender zurück.
Hier endet der Abschnitt, der uns für den heutigen Sonntag als Predigttext vorgeschlagen ist. Hier endet aber nicht der Zusammenhang, in dem er im Johannesevangelium steht und der unbedingt mitbedacht werden muss, wenn wir verstehen wollen, was diese Geschichte uns sagen möchte.
Zunächst aber noch eine Anmerkung zum Wunder selbst. Immer wieder stellen wir ja in Gesprächen mit Heranwachsenden oder mit Menschen, die sich vom christlichen Glauben abgewandt haben, fest: Es sind vor allem die Wunder, die sie nicht für wahr halten können und die es ihnen deshalb schwer machen, unseren Glauben zu teilen. Dabei unterliegen sie aber einem grundlegenden Missverständnis: Sie unterstellen, die Menschen der Bibel hätten dasselbe naturwissenschaftliche Weltbild wie wir. Doch das ist falsch.
Natürlich geht es dem Johannesevangelium in unserem Abschnitt darum, von der wunderbaren Kraft Jesu zu erzählen: Einer wie Jesus kann sogar einen Blindgeborenen heilen. Aber das Wunder besteht für die johannäische Gemeinde nicht darin, dass hier etwas medizinisch nicht Mögliches geschieht. Das Wunder besteht darin, dass es einen Menschen wie Jesus gibt; einen, der so eng mit Gott verbunden ist, dass er tun kann, was eigentlich nur Gott selbst möglich ist.
Dass das so gemeint ist, sehen wir aus dem Fortgang der Geschichte. Eigentlich könnten nach diesem Happyend für den Blingeborenen ja alle zufrieden sein. Ein Leidender wurde von seinem Leid befreit; ein gesellschaftlich Isolierter erhält die Möglichkeit, normales Mitglied seiner Gemeinschaft zu werden; ein zum Betteln Verurteilter kann nun seinen Lebensunterhalt selbst verdienen.
Aber statt Lob und Halleluja-Rufen erntet Jesus Zweifel und Anfeindung. Plötzlich fällt jemand auf: Heute ist ja Sabbat. Da darf man doch nichts arbeiten. Damit ist für die, die das feststellen, einwandfrei geklärt: Hier kann gar kein Wunder geschehen sein.
Ich nehme an, dass Sie, liebe Gemeindemitglieder, diese Schlussfolgerung nicht nachvollziehen können. Denn für uns ist die darin liegende Logik fremd – genauso fremd, wie den Menschen damals unser heutiger naturwissenschaftlicher Denkansatz. Deshalb etwas ausführlicher: Die Frage für die Menschen damals war nicht, ob ein Blinder in seltenen Ausnahmefällen durch ein Wunder sehend gemacht werden kann, das wurde immer wieder berichtet – die Frage war, wer die Kraft für eine solche Heilung haben kann. Und die selbstverständliche Antwort dazu lautete: Nur Gott selbst oder Menschen, die ihm so nahe sind, dass sie göttliche Kräfte besitzen, können das tun.
Wenn aber jemand die Gebote Gottes missachtet und so wie Jesus an einem Sabbat heilt, dann kann er nicht zu Gott gehören und folglich kann er auch kein Wunder vollbracht haben. Eine weitere Überprüfung ist nicht mehr nötig, die vermeintliche Wunderheilung ist ein Betrug.
Sie sind ihrer Sache so sicher, dass sie sogar den Geheilten davon überzeugen wollen. Doch der weiß schließlich, was mit ihm geschehen ist. Er sagt: „Wenn dieser nicht von Gott wäre, hätte er nichts tun können.“ Die Gegner Jesu wollen das aber nicht hören. Sie schließen den ehemals Blinden als Falschgläubigen aus ihrer Gemeinschaft aus. Damit ist der, der doch eigentlich unglaubliches Glück gehabt hatte, als er Jesus begegnete und durch ihn sehend geworden war, zurückgestoßen in die Isolierung.
Doch da tritt Jesus erneut auf ihn zu. Er fragt ihn, ob er an den gottgesandten Retter glaube und sagt ihm, dass er selbst, Jesus, dieser Retter ist. Und der ehemals Blinde antwortet: „Ich glaube und gehöre zu dir!“ Nun ist ein zweites, noch größeres Wunder geschehen: Für den Blindgeborenen beginnt ein neues Leben. Er gehört jetzt zu denen, die an Jesus glauben, für die Jesus das „Licht der Welt“ ist, die durch Jesus Gott und die Welt neu und anders sehen.
Er hat verstanden: Gott ist kein himmlischer Gesetzgeber, sondern wie ein gütiger Vater, eine gütige Mutter, die sich denen zuwendet, die sie brauchen. Gott ist so menschlich wie der kleine Wanderprediger, der vor ihm steht, den die Großen der Welt kaum zunächst kaum zur Kenntnis nahmen und dann per kurzem Prozess am Kreuz beseitigten - der aber ihn, den Blindgeborenen, sehend gemacht hat.
Und er, der ehemals Blinde, an dem Jesus Gottes Werke getan hat, gehört nun zur Gemeinschaft derer, denen Jesus zutraut, dass auch sie die Gottes Werke tun können, Werke der Liebe, der Zuwendung, der Heilung und Versöhnung. Er wird, wie es in unserem Predigtabschnitt durch die Übersetzung des Teichnamens „Schiloach“ angedeutet ist, ein Gesandter, einer der weiß, dass Gott uns sendet, damit sein Licht aufstrahlt, wo andere Dunkelheit verbreiten.
Auch wir sind in dieser Weise Jesu Gesandte, die sein Licht verbreiten sollen, und Gelegenheiten dazu gibt es viele – im Kleinen wie im Großen.
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden könnten an Mitschüler denken, die von den Klassenkameraden gedrückt und gequält werden. Wie gut, wenn es auch Christinnen und Christen in der Klasse gibt, die den Angegriffenen beistehen und keine Angst davor haben, selbst in die Isolation zu geraten.
Erwachsene könnten an so manchen Beziehungskonflikt denken, bei dem der Knoten sich nicht lösen lässt, weil niemand bereit ist, den notwendigen ersten Schritt zu tun. Wie wichtig, wenn uns dann einfällt, dass Jesu nicht die Rechthaber, sondern die Friedensstifter selig gepriesen hat.
Gelegenheiten, Gottes Werke zu tun, gibt es genauso auch im öffentlichen Bereich. Zum Beispiel, wenn wir miterleben, wie jemand mit rassistischen oder sexistischen Bemerkungen andere Menschen demütigen und klein machen will, aber niemand den Mut hat, den Opfern zu helfen. Oder wenn über die Beteiligung an Kriegen gesprochen wird, gerade so, als ob das Töten anderer Menschen normal und mit Gottes Willen vereinbar wäre. Gottes Werke können wir auch tun, wenn wir aktiv etwas für den Schutz seiner schönen Erde tun. Denn es hilft ja nichts, immer nur von anderen etwas zu fordern, es kommt darauf an, dass wir vor allem selbst das uns Mögliche tun.
Für den Blindgeborenen in unserer Geschichte beginnt ein neues Leben, weil er gleich zweimal sehend geworden ist: Einmal körperlich durch seine Heilung, zum anderen aber auch innerlich, weil er in der Begegnung mit Jesus lernt, die Welt –die er vorher nicht gesehen, aber doch aus eigener Erfahrung in ihrer ganzen Grausamkeit gekannt hat – weil er in der Begegnung mit Jesus lernt, die Welt nicht nur überhaupt, sondern gleich ganz anders zu sehen: als einen Ort, an dem es zwar viele Dunkelheiten gibt, der aber nicht dunkel bleiben muss. Jesus traut uns zu, dass wir als seine Gesandten Gottes Licht in die Welt tragen wollen und können – und es auch tun.
Amen.
Verfasser: Pfarrer i.R. Ernst Standhartinger
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