Wochenspruch: Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen. (Jeremia 17,14)
Psalm: 32,1-7 (EG 717)
Reihe I: Johannes 5,1-16
Reihe II: Epheser 4,22-32
Reihe III: Jesaja 38,9-20
Reihe IV: Markus 2,1-12
Reihe V: Jakobus 5,13-16
Reihe VI: 2. Mose 34,4-10
Eingangslied: EG 398 In dir ist Freude
Wochenlied: EG 295 Wohl denen, die da wandeln
Predigtlied: EG 383 Herr, du hast mich angerührt
Schlusslied: EG 304,5-6 Lobet den Herren, denn er ist sehr freundlich
9 Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war:
10 Ich sprach: In der Mitte meines Lebens muss ich dahinfahren, zu des Totenreichs Pforten bin ich befohlen für den Rest meiner Jahre.
11 Ich sprach: Nun werde ich nicht mehr sehen den HERRN, ja, den HERRN im Lande der Lebendigen, nicht mehr schauen die Menschen, mit denen, die auf der Welt sind.
12 Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis;
13 bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis.
14 Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!
15 Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat's getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele.
16 Herr, davon lebt man, und allein darin liegt meines Lebens Kraft: Das lässt mich genesen und am Leben bleiben.
17 Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.
18 Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue;
19 sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute. Der Vater macht den Kindern deine Treue kund.
20 Der HERR hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN!
Liebe Gemeinde,
Singen und spielen, Gott loben. Mit Leichtigkeit und Lebensfreude.
Singen und spielen, vermutlich ein Instrument spielen.
Tief ein- und ausatmen, Klänge hören. Ein Lächeln im Gesicht.
Singen und spielen, endlich wieder mit anderen zusammen, wir schauen uns in die Augen, sind im Einklang.
Das Meer ist wieder glatt. Die Verzweiflung, die Todesnähe sind vorbei.
Es ist ein anderes Singen und Spielen nach einer solchen Todesnacht, die König Hiskia erlebt hat.
Vielleicht ist seine Stimme noch nicht wieder geölt und etwas krächzend.
Vielleicht ist sein Spiel leise und verhalten.
Vielleicht bringt seine Musik Klänge hervor, die die Tiefe seiner Verzweiflung noch erahnen lassen. Sie wird nicht mehr so klingen wie zuvor. Wie auch seine Lebensfreude anders sein wird nach dieser Krankheit.
„Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn.“
In diesem Psalm schildert Hiskia im Rückblick seinen Weg durch die Verzweiflung.
Seine Klage hat königliche Ausmaße. Hiskia war König von Juda, erfolgreich, machtvoll. Es heißt, er vertraute Gott und hielt seine Gebote. Die Krankheit ist ein Schock. Der Boden unter den Füßen hat ihn immer getragen. Warum hätte er daran zweifeln sollen? Und nun ist er eingebrochen, der Grund ist zum Abgrund geworden.
Manchmal fehlen uns die Worte, wenn ein bis dahin gesunder, fröhlicher, tatkräftiger Mensch zum Sterben krank wird. Lassen Sie uns darum einmal auf diesen König Hiskia hören.
Er findet starke, bedrückende Bilder in seiner Not:
Wie einem Nomaden ist ihm das Zelt über dem Kopf zerrissen und da liegt er ohne Schutz. Bewegungslos ist er den Gefahren ausgeliefert. Die Kälte dringt in seinen Körper.
Sein Leben erscheint ihm wie das Werk eines Webers: Und nun ist es zu Ende gewebt und wird vom Webstuhl abgeschnitten. Wie leicht geht das: Den Lebensfaden abzuschneiden für immer. Wie nah ist der Tod in jedem Augenblick.
Hiskia leidet unsägliche Schmerzen. Er fühlt sich so, als ob ein Löwe ihm die Knochen zerbricht.
Der Kranke schreit wie ein Vogel, gurrt pausenlos wie eine Taube, sehnsüchtig nach Hilfe.
Ja, der Schmerz ist schlimm, aber unerträglich am Sterben ist die Trennung von den Menschen, die mit ihm auf der Welt sind. Auch die Trennung von Gott im Land der Lebendigen. Der Tod ist das Ende aller Beziehungen. So hat es Hiskia vor Augen. So klagt er.
Sein Weg durch die Krankheit ist ein Weg mit Gott. Hiskia glaubt, dass Gott der Urheber seines Leidens ist. Und so ist Gott auch der Adressat seiner Klage: Er hats getan! Gott trägt die Schuld! Er schneidet meinen Lebensfaden ab! Er zerbricht mir die Knochen! Hiskia geht auf Distanz. Um im nächsten Moment sich wieder seinem Gott zuzuwenden: Du, Gott, hilf mir.
Darf man das? Klagen, noch mehr klagen, und dann auch noch Gott anklagen?
Manche trauen sich ja gar nicht zu klagen. Beim alten Ehepaar kann man erleben, dass sie anfangen will von ihren Krankheiten zu berichten, da fährt ihr der Ehemann über den Mund: „Jetzt überleg doch mal, wie alt du bist“. Tja, dann darf wohl nicht geklagt werden.
Auf die Frage, wie sie durch die Coronazeit gekommen sind, gab es manchmal die Antwort: Ich darf nicht klagen, anderen geht es noch schlechter. Klar, anderen geht es noch schlechter.
Aber wer nie klagt, findet auch kein Gehör. Wer nie klagt, bekommt keine Hilfe.
Das möchte ich bei Hiskia lernen: richtig zu klagen! Er klagt Gott an. Das ist jedenfalls besser, als den Partner anzuklagen oder in ein um sich kreisendes Jammern zu verfallen.
Gott hört meine Klage. Gott hält das aus. Gott hat nicht irgendwann zu viel und will mich nicht mehr besuchen kommen.
Aber auch die Mitmenschen müssen wissen, wie es uns geht. Sie wollen es wissen. Wer nicht darüber spricht, wie schlecht es ihm geht, der droht einsam zu werden, was die Sache in der Regel noch schlechter macht. Auch wenn wir uns dann gemeinsam eingestehen müssen, dass es uns um Trost sehr bange ist, dass wir gemeinsam nicht wissen, wie es weitergehen soll, dass wir gemeinsam den Tod fürchten.
Wenn ich von Hiskia lernen will, wie man richtig klagt, dann möchte ich auch wissen, wie ich durch die Verzweiflung hindurch komme zum Singen und Spielen! Ganz plötzlich schlägt die Stimmung um, und Hiskia schildert die Rettung aus seiner Krankheit. War vorher alles Verzweiflung, erklingt jetzt das Lob. Auch in anderen Psalmen gibt es diesen plötzlichen Umschwung, als hätte einer den Schalter umgelegt. Das Dunkel geht vorbei und Licht und Klang werden hell und fröhlich.
Im Leben ist das meist nicht so. Eine Krankheit kann Wochen, Monate dauern, Jahre sogar, die Gesundheit sich wieder langsam ins Leben hineinschleichen, es gibt vielleicht Rückschläge. Unser Leben ist oft vom Auf und Ab geprägt. Was bei Hiskia auffällt: In seiner Beziehung zu Gott gibt es kein Nacheinander: Erst die Krankheit, in der Gott fern ist; dann die gute Zeit der Gottesnähe. Gott berührt ihn auch und gerade in der Krankheit. Ich spüre den Wert der Gesundheit. Ich spüre: mein Leben ist begrenzt und vergänglich. Ich bin auf Hilfe angewiesen, wo ich doch so gern selbstbestimmt lebe.
Ob Gott uns Krankheiten schickt, wie Hiskia das glaubt? Ich bin mir nicht sicher. Aber dass er uns Fragen stellt und Hinweise gibt in der Krankheit, das denke ich schon. Was macht mein Leben aus? Wer ist mir wichtig? Worauf kommt es letztlich im Leben an? Vielleicht doch nicht auf meine Kraft und meine Gesundheit, meine Leistung, sondern ob in meinem Leben Liebe durchscheint, Güte und Menschlichkeit.
So kann die Krankheit selbst zum Ort werden, an dem ich etwas neu vom Leben begreife und anders weitergehe. Gott geht diesen Weg mit. Zu Gottes Weg mit uns gehören auch Krankheit und Verzweiflung. Aber er führt uns auch zu neuen Aufbrüchen. In kleinen Zeichen kann ich seine Nähe spüren: In Beistand, den ich erlebe, in freundlichen Menschen, die sich mir zuwenden. Erst durch die Krankheitserfahrung kann Hiskia das sehen. Er erfährt, was das bedeutet: Gott gibt mir Halt. Gott hört mein Schreien.
Liebe Gemeinde, Hiskia klagt mächtig. Ich meine, dass auch sein Lob königliche Züge hat. Sein Klagen richtete sich an Gott. Sein Lob auch: Du, Gott gibst meinem Leben Kraft! Du Gott, hast dich meiner Seele angenommen. Gott war immer in der Nähe, auch da, als Hiskia sich von ihm distanziert hatte. Mitten in der Krankheit, mitten im Leid. Hiskia hat das nicht vergessen, jetzt, wo er wieder gesund geworden ist. Dafür lobt ihn Hiskia, singt und spielt für Gott, für den königlichen Hof und die Tempelangehörigen, singt und spielt für seine Familie und für alle, die ihn hören können.
Und auch Gott soll etwas davon haben, dass er den König von Juda geheilt hat. Wäre Hiskia nun tot, so könnte er Gott nicht loben. Dann könnte er Gott nicht rühmen, dann könnte er nicht über Gottes große Treue singen. Dann soll Gott mal schauen, wer sein Lob singt! Hiskia jedenfalls nicht.
Und trotz allen Überschwangs: Bei Hiskias Lob schwingt der Schatten mit. Ein Schatten, der das Lob heller leuchten lässt. Dieser Schatten ist Hiskias Erfahrung der Tiefe. Die fast zerschlagene Seele, der nahe Tod, oder die tiefe Verzweiflung, die kein Leben mehr kennt. Er lobt Gott dafür, dass er diesen Weg aus der Verzweiflung mit ihm gegangen ist: Aus der Finsternis wurde Tag. Die Sonne ging wieder auf, der Tau fällt, um das Land zu schmücken – Motive aus einem Lied, das von einer Heilungserfahrung singt (EG 383).
So ist der Weg Gottes mit Hiskia, so ist der Weg Gottes mit uns. Wie oft sind wir schon wieder gesund geworden! Aber es geht um mehr als eine Heilung des Körpers. Auch mitten in der Krankheit, auch wenn wir krank bleiben auf Dauer: Dann erfahren wir vielleicht Gottes Ferne, aber auch seine heilende Berührung. Krankheit und Rettung waren für Hiskia eine Gotteserfahrung. Die Beziehung erneuert sich, vertieft sich zu Gott, den er jetzt „Vater“ nennt. Und ganz bestimmt sieht Hiskia auch anders auf die Menschen, die mit ihm auf der Welt sind. Denen auch in Klage und Lob, in Krankheit und Gesundheit der Gott nahe ist, der sich unserer Seele herzlich annimmt, der uns leben lässt und uns heilt. Darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben.
Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Uta Voll
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