Gott lässt mich nicht
von Michael Tönges-Braungart (61348 Bad Homburg )
Predigtdatum
:
28.02.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Invokavit
Textstelle
:
Römer 5,1-5.(6-11)
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Wochenspruch:
„Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Römer 5, 8)
Psalm: 10, 4. 11 – 14. 17 – 18
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 5, 1 – 7
Epistel:
Römer 5, 1 – 5 (6 – 11)
Evangelium:
Markus 12, 1 – 12
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 66
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude
Wochenlied:
EG 342
Es ist das Heil uns kommen her
Predigtlied:
EG 405,1.2.6.
Halt im Gedächtnis Jesu Christ
Schlusslied:
EG 171
Bewahre uns, Gott
Liebe Gemeinde,
es gibt Worte, die wirken wie Paukenschläge: so schwer und gewichtig; vielleicht auch etwas erschreckend. So ist es wohl auch mit diesen Versen aus dem Römerbrief. Und um diesen großen Worten näher zu kommen, möchte ich mit Ihnen heute den Mann anschauen, der diese Worte geschrieben hat: den Apostel Paulus. Denn manchmal fällt es leichter, Worte zu verstehen, wenn man die Person bedenkt, die dahinter steht.
Wer war also dieser Paulus; und wie war er? Als er den Römerbrief schrieb, war er ein Mann in den besten Jahren, wie wir heute sagen würden, wahrscheinlich um die 50 herum. Er stammte aus einer frommen jüdischen Familie. Zwei Berufe hatte er als junger Mann erlernt: einmal war er Zeltmacher, und zum anderen hatte er gründlich die jüdische Bibel, unser Altes Testament, und andere jüdische Schriften studiert und war darin unterwiesen worden; im Zweitberuf war er also Schriftgelehrter, wir würden heute sagen: Theologe.
Da schlug sein Herz ganz besonders. Deshalb schloss er sich als junger Mann der Gruppe der Pharisäer an. Das waren Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen und Bevölkerungsschichten, die sich gemeinsam bemühten, ihren Glauben zu leben und sich nach Gottes Geboten zu richten.
Bei uns ist das Wort „Pharisäer“ zu einem Schimpfwort geworden, das gleichbedeutend ist mit „Heuchler“. Aber das wird den jüdischen Pharisäern nicht gerecht. Sicher, unter ihnen wird es auch Heuchler gegeben haben wie in allen Menschengruppen. Aber die allermeisten nahmen es mit ihrem Anliegen sehr ernst. Sie bemühten sich zuerst einmal darum, selber nach den Geboten Gottes zu leben. Und sie ließen sich das viel Mühe und Zeit kosten. Und nicht zuletzt auch viel Geld, da sie ganz konsequent von allen Einnahmen 10% an den Tempel in Jerusalem abführten – nebenbei gesagt: ein Mehrfaches des üblichen Kirchensteuersatzes heute. Die Pharisäer waren also nicht Leute, die Wasser predigten und selber Wein tranken. Im Gegenteil: Was sie von anderen Gläubigen erwarteten, das versuchten sie zuerst einmal selber zu tun.
Dass es ihnen so wichtig war, andere Leute zur Befolgung der Gebote Gottes anzuhalten, das hatte gute Gründe. Es gab nämlich die Vorstellung: Wenn das Volk Israel einmal einen Tag lang alle Gebote Gottes hält, dann kommt der Messias; dann bricht Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit an, dann haben Gewalt und Unterdrückung, Krieg und Hass, Elend und Not ein Ende. Einmal im ganzen Volk einen Tag lang alle Gebote halten – das muss doch zu schaffen sein. Nicht im ersten Anlauf. Aber wenn man es immer wieder ernsthaft versucht, wird es doch irgendwann klappen. So dachten die Pharisäer. Und deshalb hielten sie sich nicht nur selber an die Gebote, sondern versuchten, auch die anderen Menschen dazu zu bewegen.
Paulus war, so sagt er es selber, unter den Pharisäern ein 100%iger. Er nahm alles sehr genau. Ihm kam es darauf an, alles was er machte, gut und richtig zu machen. Keine halben Sachen – das war seine Devise. Und so legte er an sich selber – und an andere – hohe Maßstäbe an. Weil er im tiefsten Grunde davon überzeugt war: Der Mensch kann diesen Anforderungen genügen, die an ihn gestellt werden. Der Mensch kann es schaffen, Gottes Gebote zu halten Es ist eine Frage des Willens und der Übung und der Bemühung. Aber es ist zu schaffen! Der Mensch kann seinen Frieden mit Gott machen, wenn er nur will und sich genug anstrengt. Das war das Glaubensbekenntnis, nach dem Paulus lebte. Dieses Glaubensbekenntnis hat er unbarmherzig verfochten – gegenüber sich selber und gegenüber anderen. Und wie das bei Menschen oft so ist, die von ihrer Sache 100%ig überzeugt sind und die keine Zweifel kennen – Paulus wurde darüber zu einem Radikalen, der gegen alle vorging, die seine Meinung nicht teilen wollten, so auch gegen die Christen. Er war sich absolut sicher: Ich bin auf dem richtigen Weg.
Bis zu jenem Tag, als ihm auf dem Weg nach Damaskus der auferstandene Jesus selber begegnet ist. Auch später kann Paulus selber kaum in Worte fassen, was ihm da widerfahren ist. Nur einer Sache ist er sich völlig sicher: Jesus selber ist ihm begegnet. Und diese Begegnung hat Paulus zutiefst erschüttert. Für ihn ist eine ganze Welt zusammengebrochen. Alles, was er vorher für gut und richtig hielt, hatte sich auf einmal als falsch erwiesen. Was ich vorher für wichtig hielt, sagt er später selber einmal, das kam mir auf einmal vor wie der letzte Dreck. Nichts war mehr so, wie es war. Paulus musste erkennen: Ich habe mein Leben verfehlt, ich bin genau in die falsche Richtung gelaufen.
Drei Tage lang war Paulus mit Blindheit geschlagen nach dieser Begegnung mit Jesus. Drei Tage lang tappte er noch völlig im Dunkeln. Und als er dann sein Augenlicht wieder erhielt, sah er die Welt mit anderen Augen.
Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen war Paulus nicht von einem Zweifler zum Rechtgläubigen geworden. Im Gegenteil: Vorher war er rechtgläubig und sich seiner Sache absolut sicher gewesen. Er hatte genau zu wissen gemeint, was vor Gott falsch und was richtig war, was böse und was gut. Nach der Begegnung mit Jesus hat er wohl begriffen, dass Rechtgläubigkeit auf der einen und Rechthaberei und Fanatismus auf der anderen Seite oft nahe beieinander liegen. Vorher hatte er genau gewusst, wo es lang geht; für ihn selber, aber auch für die anderen. Jetzt konnte er es ertragen, dass andere anders dachten und glaubten als er. Er konnte es ertragen, dass Menschen Fehler machen. Und er konnte auch zu den eigenen Fehlern stehen.
Weil er sich nicht mehr auf sich selber verlassen musste und auf seine eigene Rechtgläubigkeit und Rechtschaffenheit, sondern auf Christus, der ihm begegnet war, der sich zu ihm, Paulus, dem Fanatiker auf dem falschen Weg, bekannt hatte. Paulus hatte erlebt: Christus, den die Rechtgläubigen haben töten müssen, der ist lebendig und stark genug, mich aus meiner Rechthaberei und meinem Fanatismus herauszuholen und zu erlösen. Christus hatte sich für Paulus als stark genug erwiesen, ihn von dem Druck zu befreien, den sein altes Glaubensbekenntnis ihm gemacht hatte: Du kannst und du musst es schaffen, Gottes Gebote zu erfüllen; du kannst und du musst allen Anforderungen genügen; du kannst und du musst dich nur ordentlich bemühen. Paulus hatte erlebt: Vor Christus zählen diese Bemühungen nicht. Er sagt zu mir: Du bist mir recht, längst bevor du dich darum bemühst, es mir recht zu machen. Du bist Gott recht, längst bevor du dich bemühst, es Gott recht zu machen.
Durch die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus war Paulus auch nicht von einem Schwachen zu einem Glaubenshelden geworden. Stark wusste Paulus sich vorher. Vor allem dadurch, dass er sicher war: Gott ist auf meiner Seite. Mich wirft nichts um, und nichts und niemand wird mich von meinem Weg abbringen, der der richtige ist – so hatte Paulus vorher gedacht.
Später, nach der Begegnung mit Christus, konnte er auch eigene Fehler und Schwächen erkennen und eingestehen. Seine chronische Krankheit, seine Wehrlosigkeit gegenüber Feinden, sein aufbrausendes Temperament und die Eigenschaft, leicht beleidigt zu sein, seine gar nicht so beeindruckende äußerliche Erscheinung. Paulus konnte zu seinen Schwächen stehen, weil er erkannt hatte: Ich muss nicht mehr aus mir selber heraus stark sein. Weil Christus mich stark macht. Paulus hatte erlebt: Christus ist ein Opfer der Starken geworden. Aber als Auferstandener ist er stark genug, mich von dem Zwang zu befreien, immer stark sein zu müssen, meine Schwächen zu verleugnen oder mit allen Mitteln bekämpfen zu müssen. Er ist stark genug, meine Schwächen und mein Versagen auszuhalten. Und deshalb kann auch ich das tun und muss nicht immer den Starken spielen.
Nichts war für Paulus nach der Begegnung mit dem Auferstandenen noch so wie vorher. Sein Leben änderte sich grundlegend. Und doch blieb Paulus auch derselbe. Er blieb auch in seinem neuen Leben ein 100%iger, aber ohne Fanatismus und Rechthaberei, ohne den Drang, den Starken spielen zu müssen. Er wurde ein 100%iger Verfechter der Gnade und der Liebe Gottes, mit denen Gott den Menschen begegnet, längst bevor sie sich bemühen können, es ihm recht zu machen.
So wurde Paulus zum Apostel Jesu Christi, der den ganzen Mittelmeerraum bereiste, um das Evangelium von Jesus Christus, die Botschaft von der Liebe und der Gnade Gottes weiterzutragen.
Ungeheuer viel hat er erlebt auf seinen Reisen. In manchen Städten wurde er mit seinen Begleitern freundlich aufgenommen, und es entstanden christliche Gemeinden. In Athen wurde er freundlich belächelt und weitestgehend ignoriert. Aus anderen Städten wurde er verjagt oder musste er Hals über Kopf bei Nacht fliehen. Mehrmals landete er im Gefängnis, und noch öfter wurde er von aufgebrachten Menschen verprügelt oder sogar nach richterlicher Anordnung öffentlich geschlagen oder ausgepeitscht. Er hat es erlebt, dass Gemeinden, die er besucht hatte, ihm treu blieben und ihn unterstützten; und dass andere Gemeinden sich schnell anderen Missionaren an den Hals warfen, die mehr Spektakuläres zu bieten hatten oder einfach beeindruckendere Personen waren.
Lange, beschwerliche Fußmärsche, Hunger und Durst, gefährliche Situationen aller Art hat er auf seinen Reisen durchgemacht. Geplagt hat ihn dabei auch noch eine chronische Krankheit, von der wir heute nichts Genaues wissen, die ihm aber sehr oft zu schaffen gemacht hat.
Gerade in dem, was Paulus hat erleiden müssen, in den Niederlagen und Enttäuschungen, hat er sich Christus ganz besonders nahe gewusst. Und er hat dabei erlebt, dass Christus stark genug war, ihm da durchzuhelfen; den Paulus da zu stärken, wo seine eigenen Kräfte am Ende waren; ihn da zu ermutigen, wo er vor Angst wie gelähmt war; in ihm da Hoffnung zu wecken, wo er keinen Ausweg mehr erkennen konnte.
Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund schreibt Paulus: „Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.“
Das ist keine zeitlose und für alle Gelegenheiten gültige Weisheit. Keine mathematische Gleichung, die mit absoluter Sicherheit aufgeht: Bedrängnis + Geduld + Bewährung = Hoffnung. Das ist die Lebenserfahrung und Glaubenserfahrung des Paulus, die er an uns weitergibt. Diese Erfahrung war für ihn auch immer wieder angefochten. Paulus hat auch nicht alle Bedrängnisse, alles Leiden, alle Enttäuschungen mit stoischem Gleichmut oder unerschütterlichem Glauben überwunden. Er hat Zweifel und Fragen gehabt wie wir sie auch kennen. Und in der Bedrängnis, im Leiden, in der Enttäuschung werden ihm solche vollmundigen Bekenntnisse nicht über die Lippen gekommen sein.
Trotzdem: Im Rückblick auf seine Lebens- und Leidens- und Glaubenserfahrung, die er bisher gemacht hat, kann Paulus so reden. Und er kann uns seine Erfahrung anbieten als Ermutigung und als Verheißung: Ja, es stimmt doch: Bedrängnis bringt Geduld, Geduld bringt Bewährung, Bewährung bringt Hoffnung. Und die Hoffnung, die sich auf die Liebe Gottes gründet, wie Jesus Christus sie uns zugesagt und zugelebt hat, diese Hoffnung lässt nicht zuschanden werden. Diese Hoffnung trägt. Durch Bedrängnisse, durch Leiden, durch Enttäuschungen, ja schließlich sogar einmal durch den Tod hindurch. Amen.
Verfasser: Dekan Michael Tönges-Braungart, Heuchelheimer Straße 20, 61348 Bad Homburg
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