Gott und sein Volk
von Vera-Sabine Winkler (69517 Gorxheimertal)
Predigtdatum
:
24.08.2014
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
9. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Römer 11,25-32
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Wochenspruch:
"Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat!" (Psalm 33, 12)
Psalm: 106, (4) 5a. 6. 47a (48a)
Lesungen
Altes Testament: 2. Mose 19, 1 - 6 oder passend zur Predigt 1. Mose 32, 23 - 32
Epistel: Römer 9, 1 -8. 14 - 16
Evangelium: Lukas 19, 41 - 48 oder Markus 12, 28 - 34
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 165 Gott ist gegenwärtig
Wochenlied: EG 290 Nun danket Gott (nach: Die ganze Bibel zu Wort kommen lassen, hg. KLAK, 2009)
Predigtlied: EG 395 Vertraut den neuen Wegen
Schlusslied: EG 433 Hevenu schalom alejchem
Liebe Gemeinde,
Jesus war Jude.
Schlicht und schnörkellos benennt dieser Satz, was wir alle wissen. Und doch klingt mehr an, als es beim ersten Hinhö-ren scheinen mag. Denn wer sagt >Jesus war Jude<, der oder die erinnert daran, dass unser christlicher Zugang zu dem Kind aus der Krippe nicht vorbeisehen kann und darf an der großen Religion und Tradition, aus der es kommt. Und dann wird es ganz schnell kompliziert und schwierig: historisch – theologisch – menschlich. So kompliziert und schwierig, dass es gut tun kann, sich immer wieder zu sagen und sagen zu lassen: Jesus – der uns Christus, Gott, Sohn und Retter ist – war Jude.
Ja mehr noch: Einer, durch den Jesus bis heute allen Wider-ständen zum Trotz als Messias und Christus bezeugt wird, war auch Jude! Doch hören Sie selbst, wie dieser eine – Paulus heißt er – versucht hat, den Jüdinnen und Nichtjuden seiner Zeit zu erklären, welche Bedeutung das Leben des Juden Jesus für sie hat. Ich lese aus seinem Brief an die Rö-merinnen und Römer, etwa im Jahr 56 verfasst – Kapitel 11, Vers 25 + 26, 28 - 32 aus der Bibel in gerechter Sprache:
Ich möchte, dass ihr die verborgene Wirklichkeit kennt, Ge-schwister, damit ihr die Dinge nicht nur nach euren Maßstä-ben beurteilt: Über einen Teil Israels erging eine Verhär-tung. Sie wird solange anhalten, bis die Völker vollzählig hinzugekommen sind. Auf diese Weise wird ganz Israel ge-rettet werden (…)
Im Blick auf die Freudenbotschaft sind sie feindlich gesinnt – um euretwillen. Im Blick auf die Auserwählung sind sie Geliebte, auf Grund ihrer Mütter und Väter. Denn Gott be-reut es nicht, in freier Zuwendung Geschenke gemacht und Menschen gerufen zu haben. Das gilt unwiderruflich.
Einst habt ihr nicht auf Gott gehört, jetzt aber habt ihr Barmherzigkeit erfahren, weil sie sich weigerten auf Gott zu hören. Jetzt sind sie es, die nicht auf Gott hören, weil euch Barmherzigkeit geschenkt wurde. Dies geschieht damit auch sie Barmherzigkeit erfahren.
Gott hat alle in ihrem Starrsinn eingeschlossen, um allen Barmherzigkeit zu schenken.
Richtig: Hier wird nicht einmal gesagt >Jesus war Jude<. Richtig ist aber auch: Der Text ist beim ersten Zuhören kaum zu erfassen. Und so kann ich Sie nur bitten, sich Stück für Stück darauf einzulassen, wie hier der Jude Paulus den jüdischen und nichtjüdischen Anhängerinnen Jesu in Rom deutlich machen will, dass Gott ihnen allen Barmherzigkeit schenkt – und dass dahinter die große Vision eines friedlichen Zusammenlebens und -wirkens aller Völker steht.
Doch noch herrscht Starrsinn auf allen Seiten. Das Anders-sein der Anderen macht Angst. Und der Visionär im Namen Gottes, Paulus, ist sich nicht zu schade, diesem Starrsinn mit guten Argumenten zu Leibe zu rücken.
1. Argument
Visionen können helfen, über Vorurteile hinauszusehen – vielleicht sogar über sie hinauszuwachsen, wenn sie an die allen Menschen gemeinsame Sehnsucht nach einem guten und gelingenden Leben erinnern. Deshalb prophezeit Paulus: Wenn der allgegenwärtige Starrsinn einmal ein Ende hat, werden alle Völker zu Israel gehören.
Er erinnert damit auch an seinen Vorfahren Jakob, der mit Gott bis ins Morgengrauen hinein gekämpft hat und dann von Gott den Namen >Israel< bekommt – was ja genau das heißt: >Er kämpfte mit Gott<. Und wer diese Geschichte genauer kennt weiß, dass Jakob mit Gott um den Segen kämpfte – also um das Versprechen eines guten und gelin-genden Lebens. Ein Versprechen, das ihm so wichtig war, dass er dafür seinen Zwillingsbruder Esau um den Segen des Vaters betrogen hatte. Und tatsächlich: Gott segnet Jakob nach diesem Kampf – und schickt ihn hinkend und mit dem Namen Israel seines Weges.
Von daher können wir alle uns fragen: Wo haben wir schon einmal mit anderen oder Gott um gute Zukunftsaussichten gekämpft? In der Familie, in Freundschaften, in der Schule oder am Arbeitsplatz?
Ob aus Erfahrung oder Einfühlung, wir wissen: Wo gekämpft wird, geht es nicht gerade zimperlich zu. Das Recht des Stärkeren, die Meinung der Klügeren, der Vorsprung des Schnelleren oder die Entschlossenheit der Mutigeren haben Vorrang. Bei Jakob – alias Israel – ist das anders. Er ist ein verwundeter Sieger und erinnert jede und jeden: Es gibt keine Sieger ohne Verlierer.
Und so entpuppt sich die Vision des Paulus, dass einmal alle Völker zu Israel gehören werden, als Stachel im Fleisch der Kriegstreiber – denn zu Jakob gehören heißt: Versöhnung suchen und finden. Und dabei ernstnehmen, dass alle Men-schen getrieben sind von der Sehnsucht nach einer guten Gegenwart und Zukunft.
Jesus war durch und durch Jude, weil er diese Sehnsucht in allen, die ihm begegneten, sah und anrührte – ja manchmal wurde sie dadurch schon im Hier und Jetzt zur Wirklichkeit.
2. Argument
Auch in der Ablehnung des jeweils Fremden steckt die Chance zur Annäherung, wenn spürbar wird, dass eine wechselseitige Bereicherung möglich ist. Deshalb will Paulus aufzeigen: Die Juden und Nichtjüdinnen brauchen einander, um Gottes Barmherzigkeit zu erfahren.
Er erinnert daran, dass beide Seiten gemeinsam haben, dass ihr Vertrauen in Gott schwankt und dass sie nicht immer willens und in der Lage sind, auf Gott zu hören. Ja manchmal ist es sogar so, dass die Gottesnähe der einen die Gottes-ferne der anderen bewirkt. Fast so, als hätten sie Angst davor, gemeinsam vor Gott zu stehen. Kern dieser Gemeinsamkeit ist für Paulus, dass Gottes Nähe als Barm-herzigkeit – also als ein Stück erfülltes Leben inmitten aller Schwierigkeiten – zu erfahren ist. Obwohl die einen den Messias noch erwarten und er für die anderen schon in Jesus als dem Christus präsent war und ist.
Die spannende Frage, die daraus für uns erwächst ist die, wo uns das Anderssein anderer Religionen zur Annäherung an Gott verhilft – wo wir, manchmal sogar aus ihrer von Gewalt und Fanatismus begleiteten Gottesferne, etwas ler-nen können über die Barmherzigkeit, die Gott allen Menschen schenken will.
Jesus war durch und durch Jude, weil er diese, seinem Volk geschenkte Barmherzigkeit, nicht für sich und eine religiöse Elite behalten wollte, sondern sie weiter verschenkte wie einst Gott das Manna in der Wüste – über alle sozialen, reli-giösen und politischen Mauern seiner Zeit hinweg.
3. Argument
Im Leben und Glauben reifen heißt, über das Vorder-gründige hinaussehen lernen und darin erfahren, dass aus dem Leiden aneinander ein neues Miteinander er-wachsen kann. Deshalb beharrt Paulus darauf, dass Gott allen den Starrsinn geschenkt hat, damit allen Barm-herzigkeit zu Teil werden kann.
Er erinnert damit bis heute daran, wie verführbar Menschen sind, wenn es darum geht, das eigene Selbstwertgefühl aus der Überhebung über andere abzuleiten. Millionen mussten dafür schon sterben – und sterben immer noch. Der ganze Staaten verwüstende Streit um die religiöse und politische Macht, entpuppt sich dadurch als Gott und die Menschen verachtender Narzissmus.
Statt zu urteilen oder wegzusehen, werden wir gefragt, wo es Möglichkeiten gibt, aus eigener oder fremder Not einen heilsamen Neuanfang erwachsen zu lassen – durch eine versöhnende Geste, durch Verzicht auf den eigenen Vorteil oder eben durch den Hinweis, dass Gottes Barmherzigkeit allen Menschenkindern in gleichem Maße gilt. Denn was Paulus für die ihm vor Augen stehende antike Welt zu for-mulieren sucht, können und müssen wir auf die Herausfor-derungen einer globalen Welt übertragen.
Jesus war durch und durch Jude, weil er diese Botschaft gelebt hat und so immer wieder aus Verzweiflung neue Hoffnung erstehen ließ wie einst Gott für Ninive – bis hin zu seinem Tod, der den Menschen um ihn und uns zur Ge-burtsstunde der Auferstehungshoffnung und einer neuen Weltreligion wurde.
Und gerade deshalb gilt für alles, was wir von dem Kind aus der Krippe lernen können: Jesus war Jude – und damit ein Nachfahre Adams, dem Sohn der Erde, und Evas, der Mutter alles Lebendigen. So erinnert er uns alle als Menschensohn bis heute daran, dass auch wir Menschenkinder sind und bleiben. Damit Gott eine Chance hat, unseren Starrsinn mit Barmherzigkeit zu überwinden – bis wir und alle Völker in Barmherzigkeit miteinander umgehen und leben können. Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Dr. Vera-Sabine Winkler
Im Gärtel 2, 69517 Gorxheimertal
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