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Gott und sein Volk

von Ulrich Schwemer (64646 Heppenheim)

Predigtdatum : 08.08.2021
Lesereihe : III
Predigttag im Kirchenjahr : 10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Kirche und Israel
Textstelle : 2. Mose 19,1-6
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Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat! (Psalm 33,12)

Psalm: 122

Lesungen

Reihe I: Markus 12,28-34
Reihe II: Römer 11,25-32
Reihe III: 2. Mose 19,1-6
Reihe IV: Matthäus 5,17-20
Reihe V: 5. Mose 4,5-20
Reihe VI: Sacharja 8,20-23

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 317, 1+2+5 Lobe den Herren, den mächtigen König
Wochenlied: EG  290, 1-3+7 Nun danket Gott, erhebt und preiset
Predigtlied: EG  382 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
Schlusslied: EG 171 Bewahre uns, Gott

Predigttext: 2. Mose 19,1-6

1 Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai.
2 Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.
3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen:
4 Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.
5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.
6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Vorbemerkung

Von den Mühen der Ebene zum Berg voller Verheißungen – und umgekehrt

(Eine ausführliche Predigtmeditation des Verfassers dieser Lesepredigt zum Predigttext findet sich in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext – Zur Perikopenreihe III, Herausgegeben von Studium in Israel, Berlin 2020, S.317-324, der auch die Hinführung entnommen ist)

Hinführung

Berggipfel sind seit jeher in der Vorstellung der Menschen als Orte der Nähe Gottes oder seiner Offenbarung betrachtet worden, sind Berge voll Verheißungen. So finden sich auch Mose und das Volk Israel nach aufreibender Wanderung durch die Wüste vor einem Berg wieder, der für sie bedeutungsvoll werden wird, voller Verheißung und Auftrag.

Von jedem Berg allerdings muss man auch wieder herunter kommen, zurückkehren in den Alltag des ganz gewöhnlichen Lebens, muss weiterziehen in den Lebensalltag. Da erst, in der Bewältigung der Mühen der Ebene, bewährt sich das, was man vom Berg mitgenommen hat.

Auch wir Christen kennen einen besonderen Berg. Wir haben zwar nicht vor ihm gelagert, vor dem Berg der Verklärung (Mt 17,1-9). Aber Verheißung und Auftrag nehmen wir doch mit von dieser besonderen Begegnung Jesu mit Mose und Elia vor Gott: die Verheißung, auch erwählt zu sein, und den Auftrag, für Gottes Eigentumsvolk Israel und seine bleibende Erwählung einzustehen.

Denn für Israel waren es nicht nur die Mühen der Ebene. Israel schaute und schaut immer wieder auch in die schroffen Abgründe von Feindschaft, Neid und Hass. Antijudaismus und Antisemitismus bedrohen Israel bis zum heutigen Tag.

Am Israelsonntag ist es auch in unseren Tagen notwendig, dagegen Stellung zu beziehen.

Predigt

Liebe Gemeinde,
eigentlich stimmt an dem Adler-Bild so ziemlich gar nichts.
Weder handelt es sich um einen Adler, sondern wohl um einen Geier,
noch transportiert ein Adler (oder auch ein Geier) seine Küken auf den Flügeln – er wird sie vielmehr unter seinen Fittichen bergen.

Und doch gibt dieses Bild so ziemlich genau das wieder, was die Botschaft dieses Textes sein soll: Es bildet den Weg ab, den das Volk Israel bis zum Berg Sinai gezogen ist. Zwischen der Sklaverei in Ägypten und der Ankunft am Berg Sinai liegen nämlich Leid, Verfolgung, Sehnsucht und auch Verblendung, die die Übersicht verlieren und das Ziel aus dem Auge geraten lassen.

I.

Da ist es gut, dass die Menschen auf ihrer Flucht daran erinnert werden, dass - trotz allem – ihr Weg behütet wird und dass er ein Ziel hat: Die Offenbarung Gottes am Sinai und den Bund Gottes mit Israel. Wenn die Israeliten es auch noch nicht wussten, wie Gott sie nach der Flucht aus Ägypten begleiten wird und welches eigentlich ihr Ziel sein wird – es war eine Freiheitserfahrung, die scheinbar alle Hindernisse beiseite schieben konnte und eine große Hoffnung auslöste. Mose war der Hoffnungsträger dieser göttlichen Botschaft und ihm folgte man durch das Schilfmeer in die Wüste.

Doch große Begeisterung lässt sich nicht auf Dauer festhalten.
Wenn der Alltag eintritt,
wenn die Tristesse der Wüste überwältigend ist,
wenn die Gefahren überhand nehmen, der Hunger, der Durst,
dann verstellt sich der Blick nach vorn,
dann verblasst die Erinnerung an die Leiden in der Unterdrückung,
dann verwandelt sich das karge Mahl der Sklaverei in die sprichwörtlichen Fleischtöpfe Ägyptens, an denen man angeblich ganz gut hat leben können.

Das Hochgefühl des Aufbruchs ist erloschen, die Freiheit scheint nicht mehr so wichtig zu sein und das Ziel scheint sowieso in unerreichbare Ferne gerückt zu sein.

Dies sind die Mühen der Ebene, in der die Höhepunkte fehlen, die Abwechslungen trügerisch werden. Eher begegnet man einer Fata Morgana, die sich immer wieder in heißer Luft auflöst und spürt dann nur noch Verzweiflung, Enttäuschung und irgendwann auch Wut, Wut auf diejenigen, die man vielleicht für das Elend verantwortlich machen kann. Da werden Schuldige gesucht für die Unbill der Gegenwart, Verheißungen in den Wind geschlagen und Mose und auch Aaron für das Leid verantwortlich gemacht.

Stattdessen gibt es die rückwärtsgewandten Verheißungen, die vorgaukeln, dass früher alles besser war, die Sklaverei nicht so schlimm gewesen sei. Und es wird überhaupt die Frage gestellt, ob dieser unsichtbare und bildlose Gott denn wirklich der richtige Gott sei, dem man folge. Da gibt es doch Greifbareres in den anderen Religionen, Stierbilder, gottgleiche Herrscher, Tempel zum Anfassen.

Sehr erschöpft kommt das Volk Israel am Sinai an. Kann es hier zur Ruhe kommen?
Vielleicht kann es nun seinen Blick wieder erheben, vielleicht können die Gedanken sich befreien.
Vielleicht kann man wieder das große Ganze erkennen.
Vielleicht kann man wahrnehmen, dass man sehr wohl auch in den schweren Zeiten der Wüstenwanderung begleitet und bewahrt war.
Ist man nicht durch das Schilfmeer trockenen Fußes geführt worden?
Hat nicht Gott Manna geschenkt
und hat Mose nicht Wasser aus dem Fels geschlagen?

Was man in den Mühen der Ebene nicht mehr erkennen konnte und zu vergessen drohte, wird hier in Erinnerung gerufen: Gott hat sein Volk wie „auf Adelers Fittichen sicher geführet“.

Das redet die Not nicht klein, schwächt die Ängste nicht ab, aber nun kann man mit anderen Augen auf diese Zeit zurückschauen, das bewahrende Handeln Gottes erkennen, wie er trotz aller Bedrängung und Not das Volk geführt hat.

Tatsächlich steht man am Vorabend großer Ereignisse, werden neue Hoffnungen geweckt − die dennoch Rückschläge nicht ausschließen. Mose wird auf den Berg gehen, Gott wird ihm dort in Wind und Wetter erscheinen, Mose wird die Tafeln des Bundes erhalten − und sie erst einmal wieder zerschmettern angesichts des Goldenen Kalbes.

Tatsächlich steht Israel hier an einem Wendepunkt.
Hat Gott zuvor schon einen Bund mit Noah geschlossen,
hat Gott zuvor schon Abraham seine Verheißungen gegeben,
ist Gott zuvor schon Mose im brennenden Dornbusch erschienen,
jetzt erst wird Gott den entscheidenden Schritt gehen, er wird sein Volk Israel zum Bundesvolk erwählen. Und dies geschieht bereits an dieser Stelle, ganz ohne Pomp oder überwältigende Ereignisse, nur mit der Erinnerung, dass Gott das Volk schon durch die Mühen der Ebene geführt und es bewahrt hat.

II.

An dieser Stelle treffen wir selber, wir Christen auf das Volk am Fuß des Berges Sinai. Denn auch wir nehmen für uns in Anspruch, dass auch wir Gottes Bundesvolk seien. Leider haben wir Christen nie der Versuchung widerstehen können, den Erwählungsglauben des Volkes Israel gegen das Volk selber zu wenden, dem jüdischen Volk vorzuwerfen, es halte sich für etwas besseres, sei überheblich − ohne zu merken, dass wir das gleiche dann auch über uns selbst sagen müssten.

Denn gerne halten auch wir Christen uns für etwas besseres,
wenn wir uns als neues Bundesvolk betrachten, das alte aber für überholt erklären,
wenn wir einerseits die zehn Gebot für uns reklamieren, aber zugleich der jüdischen Religion Gesetzlichkeit vorwerfen,
wenn wir den Gott der Bibel aufteilen in einen Gott der Rache des Alten Bundes und einen Gott der Liebe des Neuen Bundes und dabei übersehen, dass Gott auch der barmherzige Gott für Israel und auch der strafende Gott für die Christen ist.

Wir müssen uns also fragen, wo wir uns mit unserer Glaubensgewissheit, Volk Gottes zu sein, eigentlich befinden:
Stehen wir auch am Fuß des Berges Sinai und hören den Ruf, Volk Gottes zu sein?
Oder sind wir der Meinung, dass für uns der Berg der Verklärung, wo die Wolke sich über Jesus legte, reicht. Dass wir nichts mit dem Volk Israel zu tun haben? Und vergessen dabei, dass die entscheidenden alttestamentlichen Gestalten Mose und Elia auch auf diesem Berg den Jüngern erschienen sind.

Reihen wir uns ein, neben dem Volk Israel, den gemeinsamen Gott des Bundes anzubeten und zu verehren?
Oder verdrängen wir das Volk Israel von seinem Platz vor diesem Berg der Verheißung und Hoffnung und bekämpfen es gar?

Wie geht unser Weg als Volk des Bundes weiter?
Kann er sich wirklich gegen das Volk Israel wenden?

III.

Dieses Volk Israel hat lernen müssen, dass Gottes Bundesvolk zu sein, auch heißt,
für ihn einzustehen,
das Ideal der Schöpfung Gottes darzustellen,
seine Regeln vorbildhaft zu befolgen.
Damit macht man sich in der Welt keine Freunde. Denn es heißt, unter den Völkern, unter allen Menschen diesen göttlichen Auftrag zu leben.

So hat Gott vom Sinai her das Volk Israel wieder auf einen langen Weg in das gelobte Land geschickt.
Wieder beginnt die entbehrungsreiche Wanderung durch die Wüste,
wieder holen die Mühen der Ebene das Volk ein,
wieder drohen die Hoffnungen der Verheißungen an der Wirklichkeit zu zerbrechen.
Und genau genommen ist das Volk Israel bis auf den heutigen Tag auf dem Weg in des gelobte Land, denn der Weg reicht weiter als nur bis Jerusalem, bis zum Berg Zion.

Einen wesentlichen Grund für die Mühen der Ebene haben allerdings wir Christen gelegt. Denn immer wieder haben Christen ihren Anspruch – auch – Volk Gottes zu sein, mit der Demütigung und Missachtung des ersterwählten Volkes Gottes zu belegen versucht. Bis heute finden wir an mittelalterlichen Domen die Darstellung von Ekklesia und Synagoga, von Kirche und Synagoge, die die Synagoga als gebrochene Frau darstellen, die Ekklesia aber als Lichtgestalt und Herrscherin der Welt. Und schlimmer noch: Wir finden die sog. Judensau, in der in erniedrigender Weise jüdische Menschen dargestellt werden, die sich an der Sau zu schaffen machen, einem Tier, das nach jüdischem Glauben unrein, unkoscher ist. Diese Diffamierungen haben viel Leid über jüdische Menschen in einer christlichen Welt gebracht.

Die christliche Überheblichkeit wurde zu einer echten Gefahr für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ein aufgehetzter Mob konnte dann schon mal am Karfreitag jüdische Menschen verfolgen mit der Begründung, sie seien Schuld am Tod Jesu am Kreuz.

Wenn wir wirklich für uns in Anspruch nehmen wollen, als Christen auch erwähltes Volk zu sein wie das Volk Israel, dann müssen wir den Weg weiter mitgehen vom Berg Sinai oder auch vom Berg der Verheißung, müssen auch wir uns in die Mühen der Ebene begeben.

Das heißt dann, christlichen Judenhass zu überwinden, aus der Geschichte zu lernen und heute sehr aktuell gegen jede Art von Rassismus und Antisemitismus Stellung zu beziehen.

Volk Gottes zu sein ist keine Auszeichnung, kein besser gestellt Sein. Volk Gottes zu sein, heißt, sich in die Pflicht nehmen lassen für den Willen Gottes in seiner Schöpfung, in dieser Welt, in der menschlichen Gesellschaft.

Dass die so Erwählten immer auch an ihrem Auftrag scheitern, hat das Volk Israel erfahren und das erfahren auch wir Christen, wenn wir uns von dem göttlichen Auftrag abwenden.

Die Bibel aber sagt dem jüdischen Volk und auch uns: Gottes Verheißungen sind unkündbar. Wie oft wir auch scheitern. Ein Neuanfang, eine Umkehr, ein Umdenken sind immer wieder möglich und eröffnen einen neuen Weg der Verheißung.

Amen

Verfasser: Pfarrer i.R. Dr. Ulrich Schwemer


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