Wochenspruch:„Christus Jesus hat den Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.“
(2. Timotheus 1, 10 b)
Psalm: 146 (EG 757)
Lesungen
Altes Testament: Klagelieder 3, 22 – 26.31 – 32
Epistel: 2. Timotheus 1, 7 – 10
Evangelium: Johannes 11, 1 (2) 3.17.27 (47 – 45)
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 408, 1, 3, 4, 6 Meinem Gott gehört die Welt
Wochenlied: EG 366, 1 - 4, 6, 7 Wenn wir in höchsten Nöten sein
Predigtlied: EG 279, 1, 5, (7), 8 Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren
Schlusslied: EG 164 Jesu, stärke deine Kinder
„Gottes Barmherzigkeit“
Vorbemerkung:
Die Predigt ist als Nachdenken über „Gottes Barmherzigkeit“ angelegt. Sie hat beständig vor Augen die Lage des Volkes Israel im Exil, in der die Klagelieder ihren Ursprung haben. Sie folgt daher nicht dem Leitbild „Gottes Macht über den Tod“, sondern bedenkt den Prozess der Barmherzigkeit und benennt dazu in 4 Sätzen wichtige Elemente. Dementsprechend gestaltet sich die Liedauswahl.
Zur Textübersetzung sei angemerkt: die Basis ist der Luthertext; ich habe ihn im Lichte der Übersetzung von Roland Gradwohl (Bibelauslegung aus jüdischen Quellen, Bd 1, Stuttgart 1986S.208ff) modifiziert und dabei den Versuch unternommen, den alphabetisch konstruierten Aufbau des hebräischen Textes durch jeweils gleichlautende Anfangsworte oder zumindest Anfangsbuchstaben anzudeuten. In Kursiv habe ich die im Perikopenvorschlag ausgelassenen Verse mitberücksichtigt.
Der Prediger / die Predigerin fühle sich frei, den Vorschlag zu übernehmen oder der Perikopenauswahl in Lutherfassung zu folgen.
Text: Klagelieder Jeremiae 3, 22 - 26.31.32
22 Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende,
23 die Güte ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
24 Gott ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.
25 Gut ist der HERR dem, der auf ihn harrt, der Seele, die nach ihm fragt.
26 Gut ist es, schweigend auf die Hilfe des HERRN zu hoffen.
27 Gut ist es für einen Mann, dass er das Joch in seiner Jugend trage.
28 Er sitze einsam und schweige, wenn Gott es ihm auferlegt,
29 er stecke seinen Mund in den Staub; vielleicht ist noch Hoffnung.
30 Er biete die Backe dar dem, der ihn schlägt, und lasse sich viel Schmach antun.
31 Denn der HERR verstößt nicht ewig;
32 denn er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte;
33 denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschen.
Liebe Gemeinde,
der Bibeltext zum heutigen Sonntag gibt uns Gelegenheit, über Barmherzigkeit zu reden. Vielleicht denken manche sofort an den barmherzigen Samariter, den uneigennützigen Helfer, den guten Menschen mit dem weichen Herzen. Dass diese Barmherzigkeit aber wesentlich nicht zu haben ist ohne Anstrengung, ohne Überwindung von Hürden und Hindernissen, ohne Selbstüberwindung, das mag uns heute Morgen deutlich werden.
1. Barmherzigkeit ist zu allererst ein Wesenszug Gottes
Der Mensch, der – oder die - hier spricht, spricht vielleicht auch für Dich und mich. Er / Sie spricht von der nicht endenden Güte und Barmherzigkeit Gottes und bringt damit eine Erfahrung zum Ausdruck, die wir vielleicht auch selber kennen. Wir wissen ja nur zu genau, wo unsere Welt im Argen liegt, wo uns selbst es nicht gelingt, in unserem eigenen Leben dem Willen Gottes zu folgen. Und sind wir dann nicht überaus dankbar, wenn wir da sagen können: dank deiner Güte, o Gott, ist es mit mir doch noch nicht aus? Du weißt ja, wie es bei mir steht, aber du gibst mir eine zweite Chance; wie gut, dass deine Barmherzigkeit noch nicht zu Ende ist !
Wir appellieren an Gottes Barmherzigkeit. Und wenn wir das genauer bedenken, dann heißt das:
- Wir appellieren an Gott als den Schöpfer, seine Geschöpfe nicht zugrunde gehen zu lassen.
- Wir appellieren an Gott als den Hüter der Gerechtigkeit und den Liebhaber des Rechts, das menschliche Maß nicht zu vergessen.
- Wir appellieren an Gott als den Löser, uns Menschen aus den Schuldtürmen des Lebens und des Glaubens herauszukaufen, sein Versprechen als unser Erlöser wahrzumachen.
Daraus ergibt sich:
2. Barmherzigkeit ist eine Übung der Selbstveränderung, ja, auch der Selbstüberwindung.
- Wir bitten Gott, etwas zu tun; genauer: wir bitten Gott, etwas zu ändern; und noch genauer: wir bitten Gott, sich zu ändern, sein Handeln zu ändern.
- Wir bitten Gott, seine Prinzipien nicht zu Tode zu reiten.
- Wir bitten Gott, über die Hürde der Vergeltung zu springen und Vergebung zu üben. Wir bitten ihn, seinen gerechten Zorn zu überwinden. Wir bitten ihn um die Anstrengung, mit unseren Fehlern zu leben und uns mit unseren Fehlern leben zu lassen.
Sind wir uns darüber im Klaren, was wir da von Gott verlangen? Überlegen wir nur einen Augenblick, wie hart wir gegen andere Mitmenschen sein können; wie schwer es uns fällt, nachzugeben – in einem Ehedisput, in den Konkurrenzkämpfen des Lebens; wie oft wir von Gefühlen der Rache erfüllt sind; wie nachhaltig wir auf die Strenge des Gesetzes pochen, solange es nicht uns, aber andere betrifft; - .
Barmherzigkeit – im wirklichen Leben wird sie unversehens und schnell verächtlich gemacht: wenn „Gutmensch“ zum Schimpfwort wird; wenn Weichherzigkeit als „Weichei“ verstanden wird. Aber wehe, wenn es uns selbst einmal betrifft, wenn es uns selbst an den Kragen geht oder zu gehen droht: wie hoffen und betteln wir dann darum, man möge doch barmherzig sein, Verständnis haben, Gnade vor Recht ergehen lassen, auch das Gute sehen, und so weiter.
Barmherzigkeit, so sehen wir, fällt nicht einfach vom Himmel. Vielmehr, und das wäre ein dritter Satz:
3. Barmherzigkeit will erbeten sein; und sie verlangt Verhaltensänderung; sie ist keine „billige Gnade“.
Das Gebet und die Veränderung gehören zusammen. Gott will ausdrücklich gebeten werden, zur Barmherzigkeit überzugehen. Das ist die erbetene Veränderung auf Seiten Gottes. Aber auch der / die Betende muss veränderungsbereit sein. Er / Sie muss bereit sein, vor Gott die Karten auf den Tisch zu legen, herabzusteigen vom hohen Ross der Selbstverteidigung und Selbstrechtfertigung; er / sie muss, um es mit einem alten Wort zu sagen, demütig werden, allen Hochmut fahren lassen, und bekennen, wie und was falsch war. Er / Sie muss Vertrauen wagen, muss vertrauen, dass Gottes Barmherzigkeit wirkt, dass seine Veränderung auch meine Veränderung trägt.
Lasst uns zum Schluss noch einmal auf die Situation blicken, aus der heraus die Klagelieder des Jeremia erwachsen sind. Da sehen wir:
4. Der Veränderungsprozess hin zur Barmherzigkeit kann lang, kräftezehrend und dramatisch verlaufen; und er kann die Lage eines ganzen Volkes verändern.
Die Klagelieder Jeremias, von denen wir aus dem dritten Lied einige Verse heute Morgen hören, geben der tiefen Erschütterung des Volkes Israel Ausdruck. Im Jahre 586 vor Christus hatten die Truppen des babylonischen Großkönigs Nebukadnezar das Königreich Juda erobert, Jerusalem in Schutt und Asche gelegt – auch den Tempel - , und die Führungs- sowie die erwerbskräftigen Schichten deportiert ins Zweistromland, ins sogenannte babylonische Exil. „Ach, wie sitzt so einsam die Stadt, einst reich an Volk“ (1,1), so beginnt das erste der fünf Lieder. Bis auf den heutigen Tag ist die Niedergeschlagenheit zu hören, mehr als 30 Jahre sitzt man schon an den Wassern in Babylon, und keine Änderung der Lage in Sicht. Und größer könnte die Katastrophe nicht sein; sie ist, wie im zweiten Lied bezeugt wird, eine von den Handlungsmöglichkeiten Gottes. „Ach, wie umwölkt in seinem Zorn der Herr die Tochter Zion ! Vom Himmel hat er zur Erde geschleudert die Herrlichkeit Israels, hat des Schemels seiner Füße nicht gedacht am Tag des Zorns. Erbarmungslos hat er vernichtet alle Auen Jakobs, hat niedergerissen in seinem Grimm die Festen der Tochter Juda, hat zu Boden geworfen, entweiht das Königreich und seine Fürsten… Der Herr ist geworden wie ein Feind“ (2,1-2.5)
Hier ist der Tiefpunkt erreicht, liebe Gemeinde. Der Gott, mit dem man sich im Bunde glaubte, ist der Gott, der das Volk ins Elend geführt hat. Das ist eine ungeheure, ja ungeheuerliche Aussage: Gott der Barmherzige hat auf seine Barmherzigkeit verzichtet. Soll das etwa heißen, dass Gott hat sich mit sich selbst in Widerspruch gesetzt hat ? Dass Gott etwas von seinem eigenen Wesen aufgegeben hat ? Soll das etwa heißen: Gott straft mit Liebesentzug, tut als etwas, was wir heutzutage für einen der ganz schlimmen Erziehungsfehler halten?
Nein. Das dritte Lied benennt den Punkt, auf den es ankommt: „Worüber soll klagen der Mensch, der da lebt? Ein jeder über seine Sünde ! Lasset uns prüfen und erforschen unsere Wege und umkehren zu dem Herrn! Lasset uns unsere Herzen als Opfer darbringen vor Gott im Himmel! Wir sind abtrünnig und widerspenstig gewesen; darum hast du uns nicht vergeben, hast dich in Zorn gehüllt und uns verfolgt.“ (3,39-43)
Hier ist der entscheidende Punkt, liebe Gemeinde, der Tiefpunkt und zugleich Wendepunkt. Die Wende kommt, wenn die Ursachen für die elende Lage erkannt sind und bekannt werden. Wenn es da heißt: „Gut ist es, schweigend auf die Hilfe des Herrn zu hoffen.“, dann geht es um das aktive Hoffen, darum, zu sehen, dass die Güte und Treue Gottes gleichsam darauf warten, wieder aktiv werden zu können, dass dazu aber nötig ist, dass die Menschen gleichsam die Vorhänge beiseite ziehen und die Fenster öffnen, also: sich empfangsbereit zeigen.
Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. So sagt es Jesus in der Bergpredigt. Wo um Gottes Barmherzigkeit nachgesucht wird, da strömt Barmherzigkeit unter den Menschen. Die Betenden wissen um diesen Zusammenhang. Darum sind sie so wichtig. Und darum sollen wir wache Zeitgenossinnen und –genossen sein und, wie der Apostel Paulus sagt, geduldig bleiben in der Trübsal, fröhlich in der Hoffnung und beharrlich im Gebet. - Amen
Verfasser: Pfarrer Dr. Alexander von Oettingen
Kolberger Weg 39, 61348 Bad Homburg
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