Gottes Liebe und unsere Barmherzigkeit
von Joachim Meyer (Reinheim)
Predigtdatum
:
10.09.2017
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
11. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Markus 3,31-35
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Predigttext Markus 3, 31 - 35
Jesu wahre Verwandte
„Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.
Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern drau-ßen fragen nach dir.
Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder?
Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“
Zur Situation:
Der 10. September liegt in der Endphase des Wahlkampfes zur Bundestagswahl. Bestimmt spielen familienpolitische Fragen eine Rolle. Auf jeden Fall die Wertediskussion: Was ist wichtig? Woran orientiere ich mich in meinen alltäglichen Lebensfragen? Das Wertekonzept welcher Partei verdient mein Vertrauen? Die Parteien geben darauf unterschiedliche Antworten, unser Predigttext auch.
Das Reformationsjubiläumsjahr läuft auf seinen „Höhepunkt“ zu, den 500. Reformationstag. An dieser Stelle sei die bilan-zierende Frage erlaubt: Was hat das Jahr, was haben die vielen Veranstaltungen gebracht? Welche Richtung gibt un-ser Predigttext für die Bewertung und die Schlussgestaltung vor? Worauf kommt es an?
Schließlich: „Familie“ und „Wille Gottes“ sind Markierungs-punkte, die der Predigttext setzt. Wie kommen sie in der Gemeinde vor, in der der Gottesdienst stattfindet: in den Veranstaltungsangeboten, im Blick auf die zu erwartenden Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, in den liturgi-schen Gestaltungselementen?
Exegetische Hinführung
Der Predigttext steht im Markusevangelium. Unter den sy-noptischen Evangelien ist es das Älteste. Es entstand um 70 n. Chr., in einer Zeit, als im römischen Reich Christen und christliche Gemeinden verfolgt wurden, weil sie nicht dem römischen Staatskult huldigten. Trotzdem gelang es den Regierenden nicht, die Christen mundtot zu machen – im Gegenteil: „Mission“ spielt im Markusevangelium eine zent-rale Rolle, von Anfang an: Jesus wird bei seiner Taufe als Sohn Gottes aufgenommen (1, 9 ff). (Ein Gegenmodell zur Gottessohnschaft des römischen Kaisers). Er wird damit aus den „natürlichen Verhältnissen“ gelöst und begründet eine neue Familie, die „familia dei“. Danach beruft er seine Jün-ger, die ihrerseits ihre Familie und ihre Umgebung verlas-sen (1,16 ff). Der Ruf in die Nachfolge hat Konsequenzen. Gleichzeitig entsteht etwas Neues, eine neue Gemeinschaft um Jesus herum. Er sammelt und sendet Menschen. Die zwölf Jünger sind die Keimzelle seiner wachsenden Gefolg-schaft über seinen späteren Tod hinaus (3, 13 ff). Es ent-steht eine Konkurrenzsituation zur natürlichen Familie (3, 20 f.) Die neue Gemeinschaft schenkt ihren Mitgliedern in einer christentumsfeindlichen Umgebung Schutz. Aber die Men-schen müssen sich entscheiden, wozu sie gehören möchten und was ihnen wichtig ist für ihr Leben.
Predigt
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen
Predigttext Mk. 3, 31 - 35
„So ein Bengel, dieser Jesus!“ Wird vielleicht der eine oder andere bei den harschen Worten Jesu gegenüber seiner Mut-ter und seinen Brüdern denken.
Auf den ersten Blick sind es wirklich harte, fast unverschäm-te Worte, die er spricht. Und noch härter ist, was er tut: er lässt seine Mutter und seine Geschwister einfach draußen stehen. Bis in seine Familie hinein scheidet Jesus die Geister!
Manche von uns kennen vielleicht solch trotziges, unver-schämtes Verhalten von den eigenen pubertierenden Kindern oder vielleicht aus der eigenen Jugend. Man war selbst wi-derborstig … Den Eltern tut es weh, dies erleben zu müssen. Für die Kinder mag der Widerstand und die Abgrenzung manchmal notwendig sein, um den eigenen Weg zu finden.
Doch bei Jesus?
Am liebsten möchte man aufstehen und sagen: „Bitte Jesus, nicht in der Öffentlichkeit. Tragt euren Familienkonflikt unter euch aus!“
Auf den zweiten Blick geht es dem Evangelienschreiber Mar-kus mit dieser Geschichte aber um etwas ganz Anderes: Er legt es geradezu auf Öffentlichkeitswirksamkeit an. Alle sol-len es wissen! Was nämlich? Alle sollen wissen, was „Nach-folge“, was Zugehörigkeit zu Jesus bedeutet: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ Es geht um die Gründung einer neuen Fami-lie. Es geht um die Gründung der „Familie Gottes“. Und da-rum, wer dazu gehört – damals und bis zum heutigen Tag: „Wer den Willen Gottes tut!“ Nicht mehr und nicht weniger.
Aber was ist das: den Willen Gottes tun? Blicken wir dazu noch einmal auf die Szene, die Markus uns beschreibt: als seine leibliche Familie kommt, sitzt Jesus im Mittelpunkt und „das Volk saß um ihn …. Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: „Siehe, das ist meine Mut-ter und das sind meine Brüder.“
Der Abt eines Klosters wurde einmal von Besuchern gefragt: „Hören Sie, wie ist das möglich, dass alle Mönche trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft, ihres verschiedenen Wesens, ihrer oft gegensätzlichen Bildung und Veranlagung eine Ein-heit darstellen?“ Da sagte der Abt: „Stellen Sie sich ein Rad vor. Da sind Felge, Speiche und Nabe. Die Felge ist die große Mauer um das Kloster. Die hält aber nur äußerlich zusam-men. Vom Rad laufen die Speichen in der Mitte zusammen und werden von der Nabe gehalten. Die Speichen sind wir, die einzelnen unserer Gemeinschaft. Die Nabe ist Jesus Christus. Von dieser Mitter her leben wir. Und je näher die Speichen der Nabe, je näher die einzelnen Jesus kommen, umso näher kommen sie auch untereinander. Die Mitte hält alles zusammen.“ - Jesus die Mitte, das Volk um ihn herum.
Sie alle erwarteten etwas von ihm für ihr Leben. Jeder und jede für ihre ganz konkrete Situation. Und diese Erwartung an ihn verbindet auch untereinander. Trotz der Unterschied-lichkeit. Familie Gottes – Jesu Schwestern und Brüder und Mutter. Das ist das eine.
Und das andere, was die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft um Jesus in der Öffentlichkeit ausmacht – wir haben es gehört: „Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“
Das Tun! Immer wieder das Tun! Nicht die Eintragung in ein Mitgliedsbuch, nicht einmal in ein Stammbuch. Und auch nicht der Vermerk auf der Lohnsteuerkarte bestimmt. Da gibt es keine formale Zugehörigkeit zur Familie Gottes. Sondern nur eine aktive, tätige Mitgliedschaft. Und das Besondere: Vom Tun her können sogar Menschen zur Familie Gottes gehören, die nicht als Mitglieder der Kirche eingeschrieben sind. Men-schen aus anderen Religionen etwa. Obwohl sie es vielleicht sogar selbst nicht wissen.
Wille Gottes? Wir alle tragen eine Ahnung davon in uns. Wir sind ja seine Geschöpfe. Seine Ebenbilder. Aber darum tun wir nicht schon automatisch seinen Willen. Für den müssen wir uns entscheiden. Aus vielen Handlungsmöglichkeiten auswählen. Den Willen Gottes tun: einander lieben. Füreinan-der da sein. Auf 1 500 Seiten beschreibt die Bibel immer wieder, was das ist. Darum hat Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit die Menschen selbst lesen kön-nen, was der Wille Gottes ist. Ohne Vermittlung durch die Kirche.
Die 10 Gebote etwa. Und ihre lebendige Auslegung im Leben Jesu selbst. Seine Bergpredigt. Das Dreifachgebot der Liebe: zu Gott, dem Nächsten und sich selbst.
Und: wir alle haben einen Verstand, haben ein Herz, haben Gefühl, Mut und Mitmenschen, um uns in den jeweiligen Si-tuationen zu beraten, was gut und richtig ist. In den Einzel-fragen des Alltags. Manchmal hilft sogar der Gedanke: Was würde Jesus jetzt tun?
Aber Hand aufs Herz. Für wen ist die Kategorie „Gottes Wil-le“ in den ganz alltäglichen Fragen oder bei besonderen Ent-scheidungen überhaupt noch ein Kriterium?
Dennoch gilt: Nur wer den Willen Gottes tut, gehört zur Fa-milie Gottes. Ohne Wenn und Aber.
Drei Frauen holten einmal Wasser an einem Brunnen. Nicht weit davon saß ein alter Mann auf einer Bank und hörte zu, wie die Frauen ihre Söhne lobten.
„Mein Sohn“, sagte die erste, „ist so geschickt, dass er alle hinter sich lässt …“ „Mein Sohn, „sagte die zweite, „singt so schön wie die Nachtigall! Es gibt keinen, der eine so schöne Stimme hat wie er …“ „Und warum lobst du deinen Sohn nicht?“ fragten die beiden die dritte, als sie schwieg. „Er hat nichts, was ich loben könnte, „entgegnete sie. Mein Sohn ist ein gewöhnlicher Knabe. Er hat nichts Besonderes an sich und in sich …“ Die Frauen füllten ihre Eimer und gingen heim. Der alte Mann ging langsam hinter ihnen her. Die Eimer wa-ren schwer und die abgearbeiteten Hände schwach. Deshalb machten die Frauen eine Ruhepause, denn der Rücken tat ihnen weh. Da kamen die drei Jungen entgegen. Der erste stellte sich auf die Hände und schlug Rad. Die Frauen riefen: „Welch ein geschickter Junge!“ Der zweite sang so schön wie die Nachtigall, und die Frauen lauschten andachtsvoll und mit Tränen in den Augen. Der dritte Junge lief zu seiner Mutter, hob die Eimer auf und trug sie heim. Da fragten die Frauen den alten Mann: „Was sagst du zu unseren Söhnen?“ „Wo sind eure Söhne?“, fragte der alte Mann verwundert, „ich sehe nur einen einzigen Sohn!“
„Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter“, sagt Jesus. Der gehört zu meiner Familie! Und darum nennen wir uns in der Gemeinde unterei-nander auch manchmal Bruder und Schwester. Das ist ein Ehrentitel, den uns Jesus verliehen hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft es fassen kann, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Heiland und Bruder.
Amen
Fürbittgebet
Gott, der Du uns Vater und Mutter bist, als deine Kinder kommen wir zu dir und bitten dich für die Familien:
Hilf den Eheleuten notwendigem Streit nicht aus dem Weg zu gehen, sondern ihn auszutragen,
so hart wie nötig und so barmherzig wie möglich,
dass sie immer wieder zur Versöhnung finden.
Hilf den Eltern ihre erwachsen werdenden Kinder loszulassen, ohne dabei die Liebe und das Vertrauen zu ihnen zu verlie-ren.
Gib den Kindern die Bereitschaft,
die Erfahrungen ihrer Eltern ernst zu nehmen,
hilf ihnen aber auch, sich nicht ängstlich an ihre Eltern
zu klammern,
sondern Mut zu einem eigenverantwortlichen Leben
zu finden.
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich
Wir bitten dich für deine Gemeinde:
Sei bei den Amtsträgern,
dass ihre Anrede als Schwestern und Brüder nicht durch lieb-loses Verhalten unglaubwürdig wird.
Hilf, dass nicht nur die Amtsträger,
sondern alle Gemeindeglieder sich als Schwestern und
Brüder verstehen und annehmen lernen,
damit deine Gemeinde zum Licht der Welt werden kann.
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für die Welt,
in der oft nur die Gesetze von Macht und Geld regieren: Lass hier und da den Geist der Geschwisterlichkeit
eindringen,
wo politische Entscheidungen getroffen werden,
wo Geschäfte gemacht werden,
wo Menschen miteinander arbeiten
und sich doch als Konkurrenten empfinden.
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für alle Menschen,
die nur ihre eigene Familie,
ihre eigene Nation oder Rasse
für liebens- und schützenswert halten.
Führe sie aus der Enge ihres Denkens in die Weite deiner grenzenlosen Liebe
und steh denen bei, die unter Familienegoismus, Nationalis-mus und Rassismus leiden:
dass sie Menschen finden, die sie als Geschwister
behandeln.
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich
Verfasser: Dekan Joachim Meyer
Am Darmstädter Schloss 2, 64823 Groß-Umstadt
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Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
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Telefon: 06341.928912
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