Wochenspruch: Christus Jesus hat den Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium. (2. Timotheus 1,10b)
Psalm: 68,4-7.20-21.35-36
Reihe I: Johannes 11,1(2)3.17-27(28-38a)38b-45/ Jesaja 58,7-12
Reihe II: 2. Timotheus 1,7-10
Reihe III: Klagelieder 3,22-26.31-32
Reihe IV: Lukas 7,11-17
Reihe V: Hebräer 10,35-36(37-38)39
Reihe VI: Psalm 16,(1-4)5-11
Eingangslied: EG 432 Gott gab uns Atem, damit wir leben
Wochenlied: EG 115 Jesus lebt, mit ihm auch ich!
Predigtlied: EG+ 127 Schenk uns Weisheit
Schlusslied: EG+ 127 Schenk uns Weisheit
7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium
Liebe Gemeinde,
mit leichtem Schweißfilm auf der Stirn steht die 19jährige vor mir und dreht nervös ein Tempotaschentuch in ihren Händen. Sie hat ein Bewerbungsgespräch vor sich und ist ziemlich auf-geregt. „Bestimmt werde ich mich hoffnungslos blamieren“, sagt sie und mustert ihr Bild im Spiegel. „Nur Mut“, sage ich und drücke ihr fest die Schulter. „Du kannst das, du schaffst das, du bist gut.“ Mit leisem Seufzen macht sich meine 19jährige auf den Weg in den Ernst des Lebens. Und ich bleibe draußen und hoffe, dass ein wenig von meiner Kraft und Zuversicht mit ihr geht.
So ähnlich hat sich das wohl auch der Verfasser des 2. Timotheusbriefes gedacht, aus dem wir gerade eine Passage gehört haben. Kein Brief an eine ganze Gemeinde, sondern an eine ganz bestimmte Person. Timotheus gilt als enger Vertrauter und Mitarbeiter des Apostels Paulus. Und dem hat man dann auch diesen Brief lange zugeschrieben. Der Meister schreibt dem Schüler und spricht ihm Mut zu. Heute sind wir uns relativ sicher, dass nicht Paulus hinter diesen Zeilen steckt. Aber jemand, der wie Paulus sein wollte, in seiner Spur gehen wollte. Der hat diesen Brief geschrieben.
Und Timotheus hat offensichtlich Zuspruch nötig. Der sitzt in seiner Gemeinde in Kleinasien und soll das Erbe von Paulus mit Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft an Mann und Frau und Kind bringen. Dass das keine leichte Aufgabe ist, weiß er aus seiner Zeit mit dem Apostel Paulus, von den weiten und intensiven Reisen quer durch die damals bekannte Welt. Immer unterwegs in Sachen Evangelium, allzeit bereit einzustehen für die Sache Gottes, mutige und unverdrossene Zeugen für das junge Christentum. Denkt man sich so. Aber die Bibel ist ja gerade deshalb so sympathisch, weil sie eben kein Heldenepos strickt, sondern von normalen Menschen erzählt. Und die verhalten sich normal. Furcht ist normal.
Vor fremden Menschen stehen, die mich misstrauisch beäugen, Rede und Antwort stehen über das, was mich im Innersten trägt und hält, konsequent mein Leben an einer Botschaft ausrichten, die an vielen Stellen im Widerspruch zu anderen Botschaften steht, das ist kein Spaziergang. Ab und an wird auch Timotheus einen gebraucht haben, der ihm gut zuredet und ihm in gewisser Weise fest die Schulter drückt. Und das ist nun eben der, der diesen Brief geschrieben hat. In diesem Brief begegnet Timotheus einem Freund, der ihn kennt, der ihn ernst nimmt und ihn aus ganzem Herzen unterstützen will. Und das tut er nun eben zum Beispiel durch dieses Mut-mach-Wort, das bis zum heutigen Tag an Strahlkraft nichts verloren hat. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ In diesen wenigen Worten steckt eine Menge Inhalt. Nicht nur für Timotheus, sondern auch für Sie und mich.
Denn es geht ja nicht nur um einen einzigen Menschen, nicht nur um diesen Timotheus. „Uns“ heißt es da. Der, der diesen Brief schreibt, kennt offensichtlich auch die Furcht, die der frohen Botschaft Knüppel zwischen die Füße wirft. Bei denen, die sie ausrichten und bei denen, die sie hören. Und Furcht ist es bis zum heutigen Tag, die vieles verhindern kann, was eigentlich gut wäre. Und damit meine ich nicht die verhältnismäßig kleine Aufregung vor einem Bewerbungsgespräch, sondern die vielen Themen unserer Zeit, die Irrungen und Wirrungen des 21. Jahrhunderts, die so manchen das Fürchten lehren können. Und vor lauter Furcht lasse ich mir den Schneid abkaufen, stecke den Kopf in den Sand und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein. Der er nicht ist. Auch das steckt in diesen wenigen Worten des Timotheusbriefes. Und in unserem ganzen christlichen Glauben. Auf den Punkt gebracht in dem Wort „Gottesfurcht“, das in heutigen Ohren so merkwürdig antiquiert klingt, aber eigentlich so aktuell ist wie selten.
Wer Gott fürchtet, hat Achtung vor Gott, weiß um den Stellenwert Gottes in seinem Leben und misst ihm Bedeutsamkeit in dieser Welt und für diese Welt zu. Gottesfurcht beschreibt eine Beziehung zu Gott, die weiß, was Sache ist: Er ist kein niedlicher Kuschelgott, sondern der Herr meines Lebens. Der Herr allen Lebens. Und deswegen ist es ihm auch nicht gleich, wie wir mit uns selbst, mit anderen, mit dieser Welt umgehen. Ein Herz, das Gott in diesem Sinne fürchtet, wird frei für Liebe zu allem, was da kreucht und fleucht. Wo Gottes ganze Schöpfung bedroht ist, ist die Achtung vor Gott und seinem Willen auf ganz neue und dringliche Weise gefragt. „Gottesfurcht“. Eben kein Begriff für die Tonne, sondern in gewisser Weise Wort des Jahres oder des Jahrhunderts. Oder aller Zeiten.
Für Timotheus vermutlich klar. Schon allein deshalb, weil sein Name genau das sagen soll. Timotheus heißt auf deutsch so viel wie „Er fürchtet Gott“. Aber selbst der gottesfürchtige Timotheus schafft es nicht, in letzter Konsequenz für diesen Gott einzustehen, den er den Herrn seines Lebens sein lässt. Weil das nun eben viel leichter klingt, als es ist. Und das können wir Heutigen doch nur unterschreiben. Weil in vielen innerkirchlichen Diskussionen eben nicht Gottesfurcht die Hauptrolle spielt, sondern die Furcht vor Bedeutungsverlust, vor Mangelverwaltung, vor Ressourcenschwund. Immer weniger Menschen wollen zu uns als christlicher Gemeinschaft gehören, immer mehr Menschen hinterfragen den Sinn von Kirche und Gemeinde. Die Furcht vor einer Zukunft, in der christlicher Glaube mit all seinen Positionen, Werten und Haltungen nur noch ein gesellschaftliches Nischendasein fristet, frisst an unserer Zuversicht, an unserem Mut und an unserer Kraft, versperrt Wege der Liebe und kostet uns ganz schön Besonnenheit.
Willkommen im Timotheus-Club. Willkommen in der jahrtausendealten christlichen Gemeinschaft mit all ihren Hochs und Tiefs, ihren Erfolgsgeschichten und ihren Versagensgeschichten. Willkommen in der Gemeinschaft der Zweifler, der Furchtsamen, der Verirrten und Verwirrten, der Suchenden und Sehnenden. Willkommen bei Gott. Der auf seine Weise meine Schulter fest drückt und mir Mut zuspricht. Uns Mut zuspricht. Den wir ja gar nicht alleine aufbringen müssen. Gott gibt. Immer wieder. Nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Weil selbst die Gottesfürchtigen, vielleicht gerade die Gottesfürchtigen, Zuspruch brauchen. Mit ihrem Anspruch, Gottes Anspruch in dieser Welt Stimme und Gewicht zu geben. Und andere Menschen davon zu überzeugen, dass dieser Anspruch Zuspruch für ihr Leben ist.
Aber Menschen gehen verloren im Spannungsfeld von An-spruch und Zuspruch. Vermissen den Zuspruch und scheitern am Anspruch. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Reiner Zuspruch. Gott drückt uns fest die Schulter. Nur Mut. Du kannst das. Du schaffst das. Weil meine Kraft und meine Liebe und meine Besonnenheit mit dir gehen in den Ernst des Lebens. Und gerade diese drei guten Geister Gottes können wir nun wirklich brauchen im Streit der Geister unserer Tage.
Zum Beispiel in den endlosen Debatten um die Zukunft unserer Kirche, unserer christliche Gemeinschaft. Da brauchen wir eindeutig Besonnenheit. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, wird nicht untergehen. Weil es Gottes Schiff ist. Es ist nicht die Titanic, und wir sind nicht die Kapelle, die mehr oder weniger unverdrossen zum Untergang aufspielt. Aber unser Schiff braucht Kursänderungen. Weder Panik noch Resignation helfen beim Navigieren, aber eine besonnene Mannschaft wird Gottes Horizont in den Blick nehmen und den richtigen Kurs finden.
Zum Beispiel in den Diskussionen rund um die Seenotrettung im Mittelmeer. „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Dieser Satz vom Kirchentag 2019 ist fast schon ein geflügeltes Wort geworden und bringt humanitäre Wahrheit schlicht und ergreifend auf den Punkt. Denen, die im Mittelmeer ums Überleben kämpfen, nützen keine Debatten über Fluchtursachen und Flüchtlingsquoten. Die brauchen jemanden, der sie aus dem Wasser zieht. Und Jesus war einer, der Menschen aus dem Wasser gezogen hat, der Menschen ins Boot geholt hat. Und zwar gerade die Ärmsten und Schwächsten. Die Entscheidung, im Namen der Kirche ein Seenotrettungsschiff auszuschicken, hat viel mit dem Geist spürbarer und sichtbarer Liebe zu tun.
Zum Beispiel der immer rauere politische und gesellschaftliche Wind nicht nur in unserem Land, aber nun eben auch in unserem Land. Wenn Bürgermeister Waffenscheine beantragen und Kommunalpolitiker Personenschutz brauchen, wenn Juden sich gerade in unserem Land täglich bedroht fühlen müssen und Moslems unter kriminellen Generalverdacht geraten, dann macht sich offensichtlich ein unguter Geist breit, den wir längst für gebannt hielten. Und es ist auch an uns als Christen und Christinnen, für eine Kultur der achtungsvollen Kommunikation einzutreten. Das ist manchmal mühsam und kostet viel Geduld. Aber es ist letztlich der einzige Weg, der zu gesellschaftlichem Frieden führt. Dafür brauchen wir Rückgrat und Rückenwind, dafür brauchen wir Kraft. Und Liebe. Und Besonnenheit.
Drei Beispiele, mit denen Timotheus wohl nicht viel anfangen könnte. Ach ja? Welchen Kurs die christliche Gemeinde ein-schlagen soll, wie christliche Gemeinschaft für die Ärmsten da sein kann und wie gelingende Kommunikation aus christlicher Perspektive mit einer mehr oder minder gesprächs-bereiten Umwelt geführt werden kann, das waren eindeutig bereits Fragen, die den antiken Timotheus umgetrieben haben. Und wir modernen Timotheusse müssen nun eben unsere Antworten auf diese Fragen finden. Wir sitzen in gewisser Weise im selben Boot. Oder nun eben in dem Schiff, das sich Gemeinde nennt. Das sich seit Jahrtausenden Gemeinde nennt. Und auf dem seit Jahrtausenden einer sagt: Du kannst das. Du schaffst das. Weil ich bei dir bin. Oder noch einmal mit den alten Worten der Bibel: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. In diesem Sinne: Nur Mut und Leinen los!
Amen
Verfasserin: Oberkirchenrätin Dorothee Wüst, Domplatz 5, 67232 Speyer
Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de
in Kooperation mit dem
Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97