Gottes Ruf gilt gebrochenen Existenzen
von Andrea Hertel (Trockenborn)
Predigtdatum
:
01.02.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Septuagesimae
Textstelle
:
Matthäus 20,1-16a
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Wochenspruch:
"Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit." (Daniel 9, 18)
Psalm: 31 (EG 716)
Lesungen
Altes Testament: Jeremia 9, 22 - 23
Epistel: 1. Korinther 9, 24 - 27
Evangelium: Matthäus 20, 1 - 16 a
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 447 Lobet den Herren alle, die ihn ehren
Wochenlied: EG 409 Gott liebt diese Welt
Predigtlied: EG 254 Wir wolln uns gerne wagen
Schlusslied: EG 289, 5 Nun lob mein Seel, den Herren
Liebe Gemeinde,
diese Geschichte erzählt einerseits von Dingen, die uns nur allzu vertraut sind: Arbeit und Lohn, Arbeitslose, die auf einen Arbeitsplatz hoffen, Kurzarbeit auf dem flexiblen Arbeitsmarkt und Arbeitgeber, mit denen man sich arran-gieren muß. Eine Geschichte aus unserem Leben.
Auf der anderen Seite ist der Schluss überraschend, es drängt sich uns förmlich auf, dass wir widersprechen möch-ten. Freilich kann der Gutsherr mit seinem Geld machen was er will, aber so bleibt doch die Gerechtigkeit auf der Strecke, die gleichen Lohn für gleiche Leistung verlangt. So kann sich doch kein Unternehmer verhalten, und eine Em-pfehlung für die Tarifparteien dieses Landes kann das kei-nesfalls sein.
Und das soll die Geschichte auch nicht. Ganz am Anfang hat Jesus gesagt, worum es geht. Er sagt nicht: So soll es in euerem Wirtschaftsleben, in euren Betrieben aussehen. Sondern er sagt: Mit dem Himmelreich, mit dem Leben in dem uns Gott ganz nahe ist, da geht es zu, wie auf diesem Weinberg.
Damit schickt uns Jesus allerdings auf eine Entdeckungs-reise. Denn von Gott ist in diesem Gleichnis gar nicht die Rede. Niemand würde vermuten, wenn er diese Geschichte ohne seine Einleitung hört, dass das eine Geschichte sein könnte, die von Gott handelt. Denn Gott kommt darin nicht vor - ganz so wie in unserer Alltagswelt, in der Gott ja auch nicht vorkommt, jedenfalls nicht so, dass wir auf ihn zeigen könnten und sagen: Da ist er! Jesus versetzt uns mit sei-nem Gleichnis in die alltägliche Arbeitswelt seiner Zeit.
Mit einem landwirtschaftlich geprägten Arbeitsmarkt bekom-men wir es da zu tun: mit einem Gutsbesitzer in der Rolle des Arbeitgebers; mit Arbeitslosen, die einen Job suchen und das Glück haben, einen zu finden - wie viele Deutsche würden sie beneiden; und mit einem Weinberg als Arbeits-platz für die harte und anstrengende Arbeit an den Reb-stöcken. Und bei alledem geht es um das liebe Geld; und darum, dass man offensichtlich nicht genug davon haben kann, dass man jedenfalls gern mehr davon hätte als die Kollegen.
Und dann wird die Gerechtigkeit beschworen in dieser Ge-schichte, die soziale Gerechtigkeit. Gleichen Lohn für gleiche Leistung fordern die vom frühen Morgen bis zum späten A-bend im Weinberg Tätigen von ihrem Arbeitgeber. Der aber denkt ein wenig anders darüber. Es geht also überaus weltlich zu in diesem Gleichnis.
Und doch sagt Jesus: Mit dem Himmelreich ist es genau so. Wer Gott verstehen will, der muß offensichtlich tief in die Welt blicken, in die Alltagswelt mit ihren Licht- und ihren Schattenseiten. Wer das Himmelreich entdecken oder gar erreichen will, der darf nicht abheben in den siebten Him-mel, und vor dem fliehen, was im Leben nicht so recht gelingen will. Sondern der muß sich offensichtlich tief ein-lassen auf das irdische Leben mit seinen Höhen und Tiefen und seinen Alltäglichkeiten.
Am Anfang sieht es in unserem Gleichnis noch nach einem gelingenden Tag aus, zumindest für diejenigen, die der Gutsherr zuerst zur Arbeit holt. Ein Denar ist ein fairer Lohn. Das nicht üppig für einen Tag. Aber es die Menge Geldes, von der eine Familie zurzeit Jesu einen Tag lang gut leben kann. Dafür arbeiten sie gern.
Der Unmut kommt erst des Abends. Da wir die Frage nach der Gerechtigkeit murrend gestellt. Sollte nicht jeder das bekommen, was ihm nach seiner Leistung zusteht?
Da höre ich auch die Diskussionen unserer Zeit. Leistung muss sich wieder lohnen heißt es da. Wer viel leistet für die Gesellschaft, und das ist in unserer Zeit ja im Wesentlichen die Wirtschaft, der muss unter dem Strich auch etwas her-ausbekommen. Und ein Politiker hat es einmal auf den Punkt gebracht, als er meinte, dass Arbeitslosenhilfe kein Freifahrtsschein für Faulheit sein darf. Und eine heiße Dis-kussion um Sozialbetrüger ins Leben rief. Die Debatte flammt immer mal wieder auf. Die einen fordern: ein be-dingungsloses Grundeinkommen für alle, egal was sie leisten wollen oder leisten können. Die anderen sagen: Nein, das funktioniert nicht. Leistungsträger sind gefragt! Aber wie sieht das in unserer Realität aus?
Da gibt es Leute, die besitzen sehr viel. Wenn sie acht Stunden schlafen, dann arbeitet ihr Geld für sie, und wenn sie am Morgen aufwachen, da hat es so viel Zinsen erwirt-schaftet, wie andere in einem Jahr harter Arbeit verdienen. Mit wenig Zeit und Anstrengung haben sie viel erwirt-schaftet, ihre Leistung ist nach objektiven Kriterien be-trächtlich. Sind das die Leistungsträger in unserer Welt?
Am anderen Ende gibt es Menschen, die haben vier Berufe an einem Tag: Einen halben Tag Erwerbsarbeit im Büro oder Verkaufsstelle, dann werden sie zu Lehrern, müssen ihre Kinder bei den Schularbeiten beaufsichtigen, müssen ihnen Manieren beibringen und wie man zurechtkommt in unserm Alltag. Dann kommt die Hausarbeit: Organisieren, Waschen, Putzen, Kochen, und dann sind sie auch noch Pflegekräfte bei der Versorgung der alten Eltern. Aber sie verdienen nicht viel. Ihre Leistung bringt kaum Lohn. Sie sind nicht die gesuchten Leistungsträger der Gesellschaft.
Und dann sagt vielleicht noch jemand zu ihnen: Du bist auch nicht mehr das, was du mal warst. Und lässt sich scheiden. - Da steht sie da, in der Mitte ihres Lebens, alles scheint zwischen den Fingern zu zerrinnen, und sie fragt sich: Hat das, was ich getan und geleistet habe, überhaupt Sinn? Wo ist der Lohn all der Mühe? Ja hat mein Leben überhaupt einen Wert?
Die Arbeitnehmer in Jesu Gleichnis fordern etwas, was ganz einfach aussieht: Gerechtigkeit. Jedem das, was ihm zu-steht, jedem das seine.
Aber passt das, was sie wollen, zu einer knallharten Ge-rechtigkeit, zu einer kalten Welt, in der die auf der Strecke bleiben, die nicht Schritt halten können, wenn Leistung ge-fragt ist. Was sollen die denn machen, eben nicht aus-gesucht werden, wenn kräftige Arbeiter gebraucht werden? Wovon sollen die denn leben, die auf dem Platz sitzen bleiben und fast ohne Hoffnung auf eine Chance warten, Stunden und tagelang? Denn da auf dem Arbeitsmarkt in Jesu Geschichte bleiben ja vermutlich wie heute die übrig, die zu alt sind, die mit angeschlagener Gesundheit, oder einem seelischen Knacks, oder die, die mit irgendeinem Fehlstart ihr Leben begonnenen haben. Oder die, die nicht einfach an eine andere Ecke des Landes ziehen können, um dort zu arbeiten, weil sie hier Verantwortung haben. Wenig oder gar nicht Leistungsfähige in der Logik der kalten Ge-rechtigkeit.
Jedem das was ihm zusteht! Jedem das Seine! Allerdings: Auf seine Weise sagt das der Verwalter in unserer Ge-schichte auch. Er praktiziert es auf seine Weise. Ganz an-ders, als die Protestierer es wollen. Er bleibt keinen etwas schuldig. Die Ersten bekommen ihren ausgemachten Lohn. Jeder der zuerst Engagierten bekommt das Seine, nämlich einen Denar. Aber alle anderen, denen nichts weiter als eine gerechte Entlohnung zugesagt war, die also gar nicht so recht wussten, worauf sie sich eigentlich eingelassen hatten, die bekommen genauso viel, nämlich einen Denar.
Und erinnern Sie sich: Ein Denar, das ist diejenige Geld-summe, die ein Tagelöhner pro Tag für sich und seine Fa-milie zum Leben braucht. Ein Denar: Die zuletzt engagierten Kurzarbeiter haben ihn zum Leben bitter nötig, so nötig wie die, die den ganzen Tag geschuftet haben. Und so ist der Gutsherr auf seine Weise gerecht: Er gibt jedem das Seine, nämlich das, was er braucht um seine Familie zu ernähren, um menschenwürdig existieren zu können. Seine Gerech-tigkeit erbarmt sich des Lebens.
Also: nicht dass er Gnade vor Recht, Güte vor Recht erge-hen ließe, er ist mit seiner Güte im Recht!
Liebe Gemeinde,
am Anfang hatte ich ja gesagt, das Jesus uns mit dieser Geschichte auf eine Entdeckungsreise schickt. Die redet von Gottes Reich unter den Menschen, aber Gott kommt auf den ersten Blick gar nicht vor in dieser Alltagsgeschichte. Haben Sie Gott entdeckt? Den Gott dessen Gerechtigkeit seiner Güte zum Recht verhilft? Der mit seiner Gnade in groß-zügiger Weise das Leben fördert. Der Gutsbesitzer jedenfalls hat mit seinem Verhalten deutlich gemacht, wie mit der wahren Gerechtigkeit das Leben blüht und gedeiht.
Und er hat deutlich gemacht, dass, wer unbarmherzig eine kalte Gerechtigkeit praktiziert, in Wirklichkeit keinem ge-recht wird, am allerwenigsten denen, die auf Leistung nicht setzen können.
Wer der Gerechtigkeit so zum Siege verhelfen will, dass da-rüber das menschliche Zusammenleben zugrunde geht, zerstört mit dem Leben auch die Gerechtigkeit.
Das ist nicht nur auf dem kleinen dörflichen Arbeitsmarkt in Palästina zurzeit Jesu richtig, das geschieht auch heute.
Liebe Gemeinde,
barmherzige Gerechtigkeit - freilich im Gleichnis, da ist schon Gott der, der sie schenkt. Jesus, der will, dass wir begreifen: Das wichtigste, das bekommen wir geschenkt. Vor Gott leben wir schließlich alle davon, dass wir nicht kriegen, was wir verdient haben, sondern was wir brauchen.
Wir sind Menschen und da mag manchen manchmal der bö-se Blick des Tagelöhners nicht fremd sein, weil wir auch wis-sen, dass wir eben noch nicht in Gottes Himmelreich woh-nen. Aber Jesus will uns locken: Uns selbst zu erkennen. Das, was wir geschenkt bekommen, einfach so: Die Luft, das Wasser, die Liebe, einen guten Blick. Ein freundliches Wort. Dass wir uns erkennen, wenn der Neid uns plagt und uns fragen: Hab ich’s nötig? Und freilich will er uns locken, das Himmelreich hier zwischen uns in unserem Alltag, so wie in diesem alltäglichen Gleichnis zu finden.
Amen.
(Mit Impulsen aus einer Bibelarbeit von Gerd Theißen)
Verfasserin: Pfarrerin Andrea Hertel
Dorfstraße 12, 07646-Trockenborn
© Copyright:
Herausgegeben vom

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de
in Kooperation mit dem
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland
Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich
(Bestellformular).