Menü

Gottes Ruf gilt gebrochenen Existenzen

von Thomas Ludwig (67550 Worms)

Predigtdatum : 24.01.2016
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Septuagesimae
Textstelle : 1. Korinther 9,24-27
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:
"Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit." (Daniel 9, 18)

Psalm: 31 (EG 716)


Lesungen
Altes Testament: Jeremia 9, 22 - 23

Epistel: 1. Korinther 9, 24 - 27

Evangelium: Matthäus 20, 1 - 16 a

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 166 Tut mir auf die schöne Pforte
Wochenlied: EG 409 Gott liebt diese Welt
Predigtlied: EG 373 Jesu, hilf siegen
Schlusslied: EG 590 Herr, wir bitten


Predigttext 1. Korinther 9, 24 - 27
24 Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.
25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen.
26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,
27 sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.

Auf dem Bolzplatz tummeln sich einige Kinder. Jungs, so um die 10 Jahre alt, und zwei Mädchen sind auch dabei. Immer wieder hält das Spiel an, weil Streit aufkommt: „Das war Foul!“ „Quatsch, ich hab dich gar nicht berührt.“ Oder: „Los, steh wieder auf, Du Heulsuse! Das war doch gar nicht so schlimm.“ Oder: „Wie konntest Du bloß den Ball ins Tor lassen, der war doch ganz leicht zu halten. Wegen dir verlieren wir jetzt!“

Die Stimmung ist erhitzt. Am Ende, als die meisten nach Hause müssen, gibt es wieder Geschubse und Geschrei; denn man kann sich nicht einigen, wer eigentlich gewonnen hat, weil die Gültigkeit mancher Tore umstritten bleibt. Einer der Torwarte geht weinend und allein vom Platz.

Solche Szenen sind nicht selten und wer glaubt, so ein Kinder-Fußballspiel laufe doch bestimmt friedlicher ab, sobald ein Schiedsrichter für Ordnung sorgt, der unterhalte sich mal mit Schiedsrichtern im Kinder- und Jugendfußball. Da bekommt man dann die eine oder andere Gruselgeschichte zu hören, die von pöbelnden Eltern handelt und sogar von handgreiflicher Aggressivität ...
Oft steht nicht das fröhliche Spiel im Vordergrund, sondern allein das Gewinnen.

Und so ist das ja auch sonst: offene oder geheime Konkurrenz bestimmt das Leben der Menschen auf vielen Ebenen. Sich gegen andere durchsetzen können, das ist eine Fähigkeit, die Kinder schon früh lernen müssen, wenn sie nicht ausgegrenzt werden wollen. Deshalb ist das freudlose Gerangel der Kinder auf dem Sportplatz auch nicht weiter verwunderlich. Wachsen sie doch in einem Klima der Konkurrenz auf, für das nicht die Kinder, sondern wir Erwachsenen verantwortlich sind.

Auch der Apostel Paulus spricht im Predigttext für diesen Sonntag vom Gewinnen: „Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!“

Dabei denkt er zwar wahrscheinlich an einen fairen Wettkampf und nicht daran, die Gegner zu bedrohen oder mit körperlicher Gewalt einzuschüchtern. Aber was er dann anfügt, finde ich noch bedenklicher: „ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn...“

Das Feindbild wird also nach innen, auf die eigene Person bezogen. Mein Leib, mein Körper, das ist der Feind, den es zu bezwingen gilt. Sieht Paulus wirklich den Menschen aufgespalten in zwei Teile: einerseits den reinen und tugendhaften Geist und andererseits einen sündhaften Körper?

„Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn...“

Das ist ein Satz, mit dem wir sehr vorsichtig umgehen sollten. Denn heute wissen wir: Körper und Geist des Menschen bilden eine untrennbare Einheit – wenn dem Körper Schmerz zugefügt wird, leiden auch Geist und Seele und umgekehrt.

„Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!“ schreibt Paulus. Meint er wirklich, Konkurrenz solle nicht nur das Zusammenleben der Menschen in Schule, am Arbeitsplatz, am Wohnungsmarkt bestimmen, sondern auch in der Gemeinde? Bedeutet Nachfolge Christi ein Wettrennen um die ersten Plätze im Paradies?
Gott sei Dank gibt es Stimmen in der Bibel, die eine andere Sprache sprechen. Vorhin haben wir den Propheten Jeremia gehört:
So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR. (Jer.9, 22f)

Bescheidenheit mahnt der Prophet im Namen Gottes an. Falls jemand auf irgendeinem Gebiet besondere Leistungen vollbringt, dann möge er das nicht auf eigene Verdienste zurückführen, sondern das Bewusstsein entwickeln, dass alle menschliche Leistung abhängt von Gottes Gnade, also ein Geschenk ist.

Und Jesus wird beim Thema Konkurrenz noch deutlicher: Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt. 20, 1 - 16a) weist er darauf hin, dass menschliche Kategorien von Leistung und Verdienst bei Gott keine Gültigkeit haben. Er schließt mit dem berühmten Satz: „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein“.

Ein Glaubens-Wettläufer à la Paulus könnte demnach zwar eventuell den ein oder anderen Siegespreis einheimsen – vielleicht ein hohes kirchliches Amt bekleiden, aber Gott schenkt dem keine besondere Beachtung. Denn Gottes Gnade gilt ja zuallererst den Schwachen, denen, die bei jeder Art Wettlauf immer ganz hinten bleiben.

Aber: der Apostel Paulus weiß das auch. Er selbst schreibt ja in seinem zweiten Brief nach Korinth (2. Kor.12, 9): „Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.“
Ja, es gibt in den Paulus-Briefen mehrere Stellen, an denen er von Gottes Gnade spricht, die vollkommen unabhängig von menschlicher Anstrengung wirkt. So scheint er dem heutigen Predigttext ganz deutlich selbst zu widersprechen, wenn er in seinem Römerbrief schreibt: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ (Rm 9, 16)

„Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!“
„Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn...“

Diese Sätze dürfen wir also nicht als Ansporn zum Frömmig-keits-Wettkampf jeder gegen jeden missverstehen, denke ich. Und erst recht nicht meinen, es sei eine christliche Tugend, den menschlichen Leib und seine natürlichen Bedürfnisse zu verachten, gar zu bekämpfen.

Die Frage bleibt: was meint Paulus hier?
Vielleicht lässt sich das etwas besser verstehen, wenn man den Zusammenhang des Briefes in den Blick nimmt, den er an die Gemeinde in Korinth schreibt. Dort in der reichen griechischen Hafenstadt droht die Christengemeinde nämlich, sich zu spalten. Andere Lehrer nutzen Paulus' Abwesenheit, um ihren Einfluss auszubauen. Sie lehren unter anderem, dass ein Christ durch die Taufe zu einer Art magischen Vollkommenheit gelange und durch das regelmäßige Abendmahl schon im Besitz des göttlichen Heils sei und sich nicht weiter anzustrengen brauche. Nein! meint Paulus mit seinen Worten, das ist ein Missverständnis. Durch Taufe und Abendmahl bekommen wir zwar Anteil an dem Heilswirken des Christus, aber das ist zunächst einmal nur erfrischende Wegzehrung auf unserem Lebensweg. Jeder getaufte Mensch muss sich schon noch selbst anstrengen. Es gilt ja, die Gnadengaben Gottes in die jeweilige Umgebung, in die Welt zu tragen. Selbstzufriedene Arroganz, wie sie manche Leute in Korinth an den Tag legen, das ist keine christliche Lebenshaltung, meint Paulus. Stattdessen: „Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!“

Soweit, so gut. Aber welche Lehre können wir dann heute aus diesen Versen des 1. Korintherbriefes ziehen? Wie ist das nun mit der Konkurrenz im Miteinander unserer eigenen Lebenswelt? Welcher positive Impuls könnte in Paulus' Versuch der Zähmung des eigenen Leibes für mich selbst stecken?

Es gibt eine kleine Geschichte des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski, die mir hilft, diese schwierigen Paulusworte etwas besser zu verstehen. Die Geschichte von der Zwiebel:

Es war einmal eine böse, sehr böse Frau, und die starb. Und als sie gestorben war, wusste niemand von irgendeiner guten Tat, die sie getan hätte. Da ergriffen sie die Teufel und warfen sie in den feurigen See. Aber ihr Schutzengel stand da und dachte: An welche gute Tat von ihr könnte ich mich wohl erinnern, um sie Gott vorzutragen? Da fiel ihm etwas ein, und er sagte zu Gott: Sie hat einmal eine Zwiebel aus ihrem Gemüsegarten einer Bettlerin geschenkt. Und da antwortete ihm Gott: Nimm diese Zwiebel und strecke sie der im See Schwimmenden hin! Soll sie sie ergreifen und sich an ihr festhalten! Und wenn du sie so aus dem See herausziehen kannst, mag sie ins Paradies eingehen. Wenn aber die Zwiebel abreißt, soll das Weib da bleiben, wo sie jetzt ist. Der Engel lief zu ihr und streckte ihr die Zwiebel entgegen. Da, sagte er, ergreif sie und halte dich daran fest! Und er begann sie vorsichtig herauszuziehen und hatte sie schon fast herausgezogen; doch als die übrigen Sünder in dem See sahen, dass diese Frau herausgezogen wurde, da klammerten sie sich alle an sie, um ebenfalls herausgezogen zu werden. Sie aber wurde böse, sehr böse, stieß mit den Füßen nach ihnen und schrie: Ich werde herausgezogen, nicht ihr! Das ist meine Zwiebel, nicht eure! Kaum hatte sie das gesagt, zerriss die Zwiebel. Und die Frau fiel zurück in den See und brennt da noch bis auf den heutigen Tag. Der Engel aber weinte und ging fort.
(aus: Die Brüder Karamasow, 7. Buch, 3. Kapitel)
Ein bisschen Selbstbeherrschung hätte der Frau aus dem Feuersee heraus geholfen. Aber eben gerade nicht die Art von Selbstbeherrschung, mit der man trainiert, sich gegen andere durchzusetzen. Als unvollkommene Menschen, als „Sünder“, wie es in der Geschichte heißt, schwimmen wir ja alle zusammen in diesem See. Niemand kommt da aus eigener Kraft heraus. Und nun streckt Gott uns die Hand entgegen. Welchen „Siegespreis“ gilt es da zu erringen? In Dostojewskis kleiner Geschichte ist es die Gnade Gottes, die eine Chance zur Rettung eröffnet, obwohl die Frau ja schon wegen ihres Lebenswandels keinen Preis verdient hatte und obwohl solch ein Zwiebelchen nach physikalischen Gesetzen viel zu zerbrechlich ist, um damit auch nur eine Person irgendwo heraus ziehen zu können. Es bleibt offen, unter welchen Umständen die Zwiebel gegen jede Wahrscheinlichkeit doch gehalten hätte, aber die Botschaft ist klar: hätte die Frau ihre Chance mit den andern Sündern geteilt, dann wäre sie zusammen mit anderen gerettet worden. Doch sie versucht erst gar nicht, ihre Selbstbezogenheit zu überwinden und die Chance ist verspielt. Darum geht es: Meine Selbstbezogenheit, meinen Egoismus zu überwinden - Das ist meines Erachtens der Kampf, von dem auch Paulus spricht: es geht um eine Anstrengung gegen das eigene Ich, wenn es nichts gelten lässt als sich selbst.

Was, wenn diese Erkenntnis das Klima bestimmen würde, in dem unsere Kinder aufwachsen? Dann würde das Spiel auf dem Bolzplatz vielleicht anders verlaufen. Natürlich würden die Kinder immer noch um die Wette rennen und nach Kräften versuchen, den Ball ins gegnerische Tor zu schießen. Das gehört ja zu einem Fußballspiel dazu. Aber es wäre dann ein Spiel, an dem auch die Verlierer Freude haben könnten. Dann würde der Torhüter nicht von seinen eigenen Mannschaftskameraden beschimpft, sodass er weinend allein vom Platz schleichen müsste. Sondern alle andern würden sich mehr anstrengen, um ihn zu unterstützen. Es wäre dann vielleicht ein Spiel mit Teamgeist, in dem jeder die eigenen Stärken auch dafür einsetzt, die Schwächen und Fehler der anderen auszugleichen.
So gesehen, finde ich die Worte des Apostel Paulus anregend:
„Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!“
„Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn ...“

Paulus regt an, das Leben nicht als unbarmherzigen Konkurrenzkampf zu verstehen, sondern als Spiel mit Teamgeist. Es geht darum, dass alle ihr Bestes geben. Aber auch darum, Mitspielern aufzuhelfen, wenn sie mal hingefallen sind – und zwar auch denen der gegnerischen Mannschaft.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Verfasser: Pfarrer Thomas Ludwig
Herrnsheimer Hauptstraße 53, 67550 Worms

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich (Bestellformular).