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Heilung an Leib und Seele

von Doris Joachim (Zentrum Verkündigung der EKHN)

Predigtdatum : 14.10.2007
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 18. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Johannes 5,1-16
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Wochenspruch:

Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.

(Jeremia 17,14)

Psalm: 32,1-5.10-11 (EG 717)

Lesungen

Altes Testament:

2. Mose 34,4-10

Epistel:

Epheser 4,22-32

Evangelium:

Markus 2,1-12

Liedvorschläge

Eingangslied:

EG 637

Alle Knospen springen auf

Wochenlied:

EG 320

Nun lasst uns Gott dem Herren Dank sagen und ihn ehren

Predigtlied:

EG 383

Herr, du hast mich angerührt

Schlusslied:

EG 304,5-6

Lobet den Herren

Hinführung

Ich habe mich entschieden, mich ganz auf die Verse 1-9 zu konzentrieren, und würde auch nur diese als Predigttext vorlesen. Die Verse 10-16 verfolgen ein anderes Thema. Meiner Meinung nach wären sie es wert, Thema eines eigenen Vortrages oder einer Lehrpredigt zu sein. Der Konflikt um einen Verstoß gegen das Sabbatgebot ist – soweit möchte ich mich hier äußern - ein ganz und gar innerjüdischer und kann nicht als Kampf Jesu gegen eine angebliche jüdische Gesetzlichkeit gewertet werden. Es gibt etliche Bestimmungen und Erzählungen im Talmud, die sich damit beschäftigen, unter welchen Umständen Sabbat- oder Speisegebote außer Kraft gesetzt werden können. z.B.: „Wenn jemand von Heißhunger befallen wird, so gebe man ihm zu essen, selbst unreine Dinge, bis seine Augen erhellen. (..) Ferner sagte R. Mathja b. Heresch: Wenn jemand Halsschmerzen hat, so darf man ihm am Sabbat Medizin in den Mund einflößen, weil hierbei ein Zweifel der Lebensgefahr vorliegt, und jeder Zweifel der Lebensgefahr verdrängt den Sabbat.“ (Babylonischer Talmud Joma VIII, 6 83a in: Umkehr und neue Einsicht, hrsg. vom Evangelischen Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau, Heft 7, 1990)

Die nur durch spätere Handschriften belegten Vers 3b und 4 würde ich vorlesen. Sie ergänzen nur, was in V. 7 angedeutet ist; nämlich dass die Vorstellung herrschte, nur der, der als erster in das bewegte Wasser steigt, würde geheilt.

Bei meiner Vorbereitung habe ich mich des Öfteren von einer Predigt von Lothar Steiger inspirieren lassen: Wie einer das Gehen lernte in: Hochmut des Glaubens. Predigten aus dem Wuppertal, Neukirchen-Vluyn 1975, S. 21ff.

1 Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; 3 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. [ Die Verse 3b und 4 finden sich erst in der späteren Überlieferung: »Sie warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte. 4 Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hineinstieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt.« ] 5 Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank. 6 Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? 7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. 8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! 9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber an dem Tag Sabbat. 10 Da sprachen die Juden zu dem, der gesund geworden war: Es ist heute Sabbat; du darfst dein Bett nicht tragen. 11 Er antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! 12 Da fragten sie ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? 13 Der aber gesund geworden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war entwichen, da so viel Volk an dem Ort war. 14 Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. 15 Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. 16 Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. 17 Jesus aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch. 18 Darum trachteten die Juden noch viel mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich.

Liebe Gemeinde,

er lebt in einer kranken Welt – der Kranke. Seit 38 Jahren. Was er hat? Das wird nicht gesagt. Er muss liegen, kann höchsten kriechen – hin zu den Teichen – wenn das Wasser sich bewegt. Eine kranke Welt – fünf Hallen voll. Krank auch vor Sehnsucht. Ein Engel möge kommen und das Wasser bewegen. Und man selbst möge der Erste sein, der hineinsteigt. Denn nur der erste gewinnt. Nur der Gewinner wird geheilt. Krank auch diese Vorstellung, dieser Wettlauf zur Heilung.

Ich sehe sie drängeln und schieben, wenn sich das Wasser bewegt. Die Kranken kämpfen mit den Ellbogen gegeneinander. Im Kindergottesdienst haben wir das mal gespielt – diesen Wettlauf. Die Kinder krochen und humpelten. Aber rücksichtslos warfen sie sich dabei gegenseitig aus dem Rennen. Es liegt uns im Blut, die erste sein zu wollen. Von Kindesbeinen an. Der erste in der Schule, die erste im Wettkampf. Der erste in der Quizshow. Gewinnen wollen, im Ehestreit, an der Börse. Wettbewerb, Wettkampf. Das ist die Natur der Dinge, so sagt man. Niemand kann sich davon frei machen. Ich will auch die erste sein, natürlich. Gehe morgens extra früh los zum Einkaufen. Will als erste beim Metzger bedient werden oder beim Arzt. Und wehe, da drängelt sich jemand vor. Das nehme ich persönlich, empfinde es als Niederlage. Dann bin ich ärgerlich oder frustriert. Warten ist mühsam.

Hier gewinnt einer, der 38 Jahre lang gewartet hat. Chancenlos schien er. Weggedrängelt im Wettlauf um Gesundheit. Ausgesetzt der dauernden Frustration. Eine personifizierte Niederlage. „Voll der Loser“ würden die Jugendlichen heute sagen.

Sich wegdrängeln lassen kränkt. Da kommt man sich schwach vor, ungerecht behandelt. Erst recht, wenn man allein ist. „Ich habe keinen Menschen.“ Was für eine Einsamkeit in dieser kranken Welt. In der sich jeder selbst der Nächste ist, die Kranken wie die Gesunden. „Ich habe keinen Menschen. Aber wenn ich einen hätte, dann hätte ich wenigstens eine Chance, der erste zu sein.“

Krank auch dieses Denken. Infiziert von der kranken Welt in den fünf Hallen von Bethesda. Angesteckt von diesem Aberglauben, der meint, nur wer als erster in den Teich steigt, wird geheilt. Eine unbarmherzige Welt. Dabei heißt Betesda eigentlich „Haus der Barmherzigkeit“.

„Ich habe keinen Menschen.“ Ich spüre die Traurigkeit dieses Mannes, der nicht laufen, nur kriechen kann, der sich nicht selbst helfen kann. Warum geht er nicht weg von diesem Ort? Warum bleibt er da liegen? Und mit ihm die vielen anderen, die immer zu spät kommen, die auch nicht geheilt werden?

Er ist festgelegt. Festgelegt auf diese kranke Welt. Festgelegt auf die Trostlosigkeit. Festgelegt auf die Vorstellung, es gebe nur dort eine winzige Chance und nur als erster. Und doch weiß er, das wird nichts mit den Teichen. Er hat eh keinen Menschen, der ihm rechtzeitig hineinhilft.

Festgelegt sein – das ist schlimm. Vielen ist diese Welt der fünf Hallen von Betesda durchaus vertraut. Festgelegt sein auf die Rolle, die wir in der Gesellschaft haben. Festgelegt auf die Feindbilder, die wir haben. Festgelegt auf den Willen zu Macht und Erfolg. Festgelegt vielleicht auch auf dem Bett der Traurigkeit, der Hoffnungslosigkeit. Festgelegt auf eine schlechte Ehe, die sich nur noch selbst führt, auf die Sprachlosigkeit in der Familie, auf die eigene Sturheit.

„Ich habe keinen Menschen.“ Nur der Erste gewinnt. – Das ist die abgeschlossene, enge und kranke Welt der fünf Teiche von Betesda. Das ist unsere Welt. Und dahinein kommt Jesus. Und der Kranke wird geheilt, einfach so. Der Weggedrängelte, der Loser wird zum Gewinner. Er steht auf, weil Jesus es ihm sagt. Das Prinzip des Stärkeren? Jesus ignoriert es. Und der Kranke lässt sich drauf ein. Das ist alles, was er tun muss. Aber das muss er tun. Sich einlassen.

Sagt nicht, das wäre leicht. Wenn’s so einfach wäre, wäre es kein Wunder. Denn darum geht es ja: dass so ein normal bornierter, festgelegter Mensch wie du und ich aufsteht und sein Leben ändert. Ob die Beine gelähmt sind oder ob die Seele gelähmt ist – wo ein Mensch den aufrechten Gang lernt, seine Vergangenheit unter den Arm nimmt und eine neue Zukunft wagt, da geschieht ein Wunder. Und wie geschieht es? Schauen wir wieder in die Geschichte.

Jesus sieht den Kranken und fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Was für eine Frage! Natürlich will er das, oder? Aber der Kranke sagt nicht einfach: „Ja, klar doch!“ Er antwortet kraftlos und voller Resignation: „Ich habe keinen Menschen. Und wenn ich zum Wasser komme, dann steigt jemand vor mir hinein.“ Manchmal geht es einem so. Da ist man so sehr am Boden, dass man nicht mal mehr aufstehen will. Da flüstert einem die Hoffnungslosigkeit zu: Es hat doch eh keinen Sinn. Um mich kümmert sich keiner. Und ich selbst kann nicht, bin wie gelähmt. Der Rücken gebeugt, der Nacken verkrampft. Die Lähmung der Seele macht den ganzen Körper lahm. Veränderung?

Da müsste ich mich aufraffen und aufrichten. Aber die guten Vorsätze allein reichen nicht. Das gibt es, dass einem nicht nur die Kraft fehlt, aus dem Tief herauszukommen, sondern sogar der Wille. Manchmal ist es nur der innere Schweinehund, den man nicht überwinden kann. Aber manchmal ist es auch ein Abgrund der Seele, eine Tief aus Angst, die den Willen lähmt. Schwere und Depression, die der Wille nicht überwinden kann. Da brauchen wir Hilfe von außen, einen Menschen, der uns hilft, uns aufzurichten. Da brauchen wir Gott. Und in Jesus ist beides zusammen. Mensch und Gott. Er stellt die entscheidende Frage: „Willst du gesund werden?“ Und dann die Aufforderung: „Steh auf, nimm dein Bett und geh.“

Auf den ersten Blick ist das provozierend. Die Frage reißt den Kranken aus seinem ewig gleichen Trott der Hoffnungslosigkeit. Die Frage stellt seine Festgelegtheiten in Frage, seine Trägheit, die ihn ans Bett fesselt. Jesus macht ihm schlagartig klar: Zur Heilung gehört das Wollen. Nicht dass der Kranke sich selbst heilen könnte. Aber er muss mittun. Sich der heilenden Liebe Gottes überlassen. Denn das kann Gottes Liebe: Menschen, die nur kriechen können, gelähmt an Seele und Leib lernen den aufrechten Gang.

Wie das heute aussehen kann, erzählt einer, der ein Obdachlosenprojekt in Berlin besucht hat:

Es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern. Das sagt eine junge Frau, die bei der Berliner Stadtmission arbeitet.

Darum fährt im Winter der Kältebus der Stadtmission durch Berlin und sammelt Obdachlose auf, damit sie nicht erfrieren. In der Unterkunft am Lehrter Bahnhof dürfen sie schlafen, duschen und bekommen was zu Essen.

Und sie werden als Gäste behandelt, nicht als Penner. Das ist der jungen Frau ganz wichtig. „Wir nehmen auch die dreckigsten, die vollgekackt sind, verlaust, besoffen oder voller Drogen“, sagt die junge Frau und lächelt über mein betroffenes Gesicht. So ist das eben. Diese Menschen gibt es nun mal. Die sind in einer Situation, dass sie noch nicht mal selbst zur Unterkunft laufen können, abends jedenfalls nicht.

„Wenn die Obdachlosen erfrieren, haben wir keine Chance, ihnen beizubringen, wie sie ihr Leben ändern können,“ sagt die engagierte Christin.

Ich bewundere ihren Optimismus und frage, ob sie denn auch Erfolg damit hätten. Etwa 10% hätten sie in Wohnungen vermitteln können, einige wenige würden sogar manchmal arbeiten. Die anderen 90% kommen halt im nächsten Winter wieder.

Dass es immerhin 10% schaffen, überrascht mich. Und ich erwische mich dabei, dass ich diese Menschen insgeheim abgeschrieben hatte. „Solange ein Mensch lebt, kann er sein Leben ändern. Dafür ist es nie zu spät“, sagt die Mitarbeiterin. „Und wir versuchen eben, dabei zu helfen, dass der Mensch am Leben bleibt.“

Was für eine Hoffnung! Geboren aus der Liebe zu allen Menschen. „Woher nehmen die Leute die Kraft, ihr Leben zu ändern“, frage ich. Das ist doch schwer. Und ich denke daran, wie schwierig es schon für mich selber ist, etwas in meinem Leben zu ändern. Wenn mir alles so festgefahren erscheint.

Die junge Frau sagt: „Die Menschen müssen das Gefühl bekommen wertvoll zu sein, sich selbst eine Veränderung wert. Das geht uns doch genau so. Natürlich ist das schwieriger, wenn man so tief gesunken ist. Aber es geht. Sieht man ja. Seinen Wert bekommt ein Mensch von Gott.“ Und sie erzählt weiter, dass die Mitarbeiter morgens immer allen Obdachlosen ein Wort mit auf den Weg geben: „Du gehst nicht allein. Gott ist bei dir.“

Soweit der Bericht. Eine kranke Welt verlassen, heraus aus unseren Festgelegtheiten, den aufrechten Gang lernen, solch ein Wunder geschieht, mit Gottes Hilfe, immer wieder.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, behüte und bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Verfasserin: Doris Joachim, Adenauerring 3, 67547 Worms


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