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Heilung an Leib und Seele

von Inghild Klodt (55128 Mainz)

Predigtdatum : 02.10.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 18. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Markus 1,32-39
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Wochenspruch:

Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.(Jeremia 17,14)

Psalm: 32,1-5.10-11 (EG 717)

Lesungen

Altes Testament:
2. Mose 34,4-10
Epistel:
Epheser 4,22-32
Evangelium:
Markus 2,1-12

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 398
In dir ist Freude
Wochenlied:
EG 320
Nun lasst uns Gott dem Herren Dank sagen und ihn ehren
Predigtlied:
EG 390
Erneure mich, o ewigs Licht
Schlusslied:
EG 216
Du hast uns Leib und Seel gespeist

32 Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu Jesus alle Kranken und Besessenen. 33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür. 34 Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn.
35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort. 36 Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach. 37 Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich. 38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. 39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.

Hinführung:
Dem Predigttext voraus geht die Schilderung des ersten öffentlichen Auftretens Jesu in Galiläa: Jesu Predigt in der Synagoge von Kapernaum und der dortigen Heilung eines Aussätzigen. Die Verse 32 bis 39 beschreiben die Ereignisse des anschließenden Abends und der darauffolgenden Nacht. An diesem Text fasziniert mich die Ambivalenz, die in der Gestalt Jesu steckt: hier der mit göttlicher Kraft ausgestattete Wundertäter, der noch im Laufe des Abends viele weitere Menschen von ihren Leiden heilen kann, dort der Mensch, den Fragen und Zweifel quälen und der darum noch vor Sonnenaufgang ruhelos das Haus verlässt, um in der Einsamkeit das Gespräch mit Gott zu suchen. Diese Ambivalenz möchte ich zum Thema der Predigt machen, zeigt sich hier doch in eindrücklicher Weise, dass und inwiefern Jesus tatsächlich für uns „wahrer Mensch und wahrer Gott“ ist.

Liebe Gemeinde,
es ist schon lange her – im fünften Jahrhundert war es –, da gab es heftigen Streit unter den damaligen Theologen. Und hitzige Debatten. Worum wurde gestritten? Es ging um niemand anderen als Christus selbst. Genauer gesagt, um die Frage: Wer war und ist dieser Jesus Christus eigentlich, den wir „Gottes Sohn“ nennen? Man war sich einig: Als Sohn Gottes ist Christus ebenso Gott wie der Vater. Aber war Jesus nicht auch ein Mensch aus Fleisch und Blut? Als Mensch geboren in diese Welt hinein hatte er doch Teil an ihr, war wie wir ein Wesen mit Gefühlen und Bedürfnissen. Wer war dieser Jesus Christus: Gott oder Mensch oder beides?
Auf dem Konzil von Chalcedon wurde der Streit endlich beendet: Man einigte sich auf die sogenannte „Zwei-Naturen-Lehre“, die bis heute in der ganzen Christenheit gültiges Dogma ist. Sie besagt: In Christus gibt es beide Naturen, die göttliche und die menschliche. Christus ist beides: wahrer Mensch und wahrer Gott, und beide Naturen, die göttliche und die menschliche, sind in Christus unvermischt, unverwandelt, ungeschieden und ungetrennt beieinander.
Für viele von uns heute ist der Streit damals nur schwer nachzuvollziehen. „Hatten die keine anderen Probleme als solche Gedankenspielchen?“, könnte man fragen. Und doch zeigt sich in diesem damals gefundenen Konsens eine tiefe Erkenntnis über Jesus und das, was uns die Bibel von ihm erzählt.
Es gibt viele Texte in der Bibel, die genau diese Wahrheit ausdrücken: dass Christus wahrer Mensch ist und wahrer Gott. Auch der Predigttext für den heutigen Sonntag gehört meines Erachtens dazu. Er steht im Markusevangelium im 1. Kapitel, in den Versen 32 – 39. Der Evangelist Markus beschreibt uns hier das Ende eines langen Tages, den Jesus mit seinen Jüngern in der Stadt Kapernaum verbracht hat.
Als es Abend wurde, da die Sonne unterging, brachten sie alle Kranken und Besessenen zu ihm. Und die ganze Stadt war bei der Tür versammelt. Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten litten. Und viel Dämonen trieb er aus. Und er erlaubte nicht, dass die Dämonen reden, weil sie ihn kannten.
Und sehr früh, noch bei Nacht, stand er auf, ging hinaus und begab sich fort an einen einsamen Ort. Und dort betete er. Und Simon und die bei ihm waren verfolgten ihn und fanden ihn und sagen ihm: Alle suchen dich. Und er sagt ihnen: Wir wollen anderswohin gehen, in die benachbarten Ortschaften, dass ich auch dort verkünde. Denn dazu bin ich ausgezogen. Und er verkündete in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.
(Übersetzung nach J. Gnilka, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Zürich/Einsiedeln/Köln/Neukirchen-Vluyn, 1. Aufl. 1978)
Liebe Gemeinde, es ist Nacht. Es wird noch dauern, bis die Morgendämmerung einsetzt. In Kapernaum ist es ruhig zu dieser Zeit. Warum auch nicht? Die Bewohner der kleinen Hafenstadt am See Genezareth schlafen zu dieser Stunde noch. Aber einer ist wach und steht auf: Jesus verlässt das Haus seines Freundes Simon, in dem auch er bis eben geschlafen hat. Oder hat er in dieser Nacht vielleicht gar nicht geschlafen? Noch vor Tagesanbruch also steht Jesus auf und wandert durch die stillen Straßen von Kapernaum. Er läuft bis vor die Stadt. An einen „einsamen Ort“, heißt es. Und dort betet er, spricht mit Gott.
Dieses Bild habe ich vor Augen, wenn ich den Predigttext lese: Wie Jesus in der Nacht allein das Haus verlässt und das Gespräch mit Gott sucht. Und ich frage mich: Warum tut er das? Kann er nicht schlafen? Will er nicht schlafen? Am liebsten möchte ich ihm zurufen: „Jesus, nutze die Ruhe der Nacht. Nutze die wenigen Stunden, die bis zum Morgen noch bleiben, und schlaf dich aus! Was hast du nicht alles gemacht am Tag zuvor! Hast du nicht allen Grund, müde zu sein?“
Ja, was hat Jesus nicht alles gemacht an jenem Tag! Es war ein Sabbat gewesen, also der Feiertag der Juden. Jesus war mit seinen neu gewonnenen Jüngern nach Kapernaum gekommen, und – wie alle Juden – ging er am Sabbat in die Synagoge. Und dort predigte er vor den Leuten. „Mit Vollmacht“, bezeugt uns Markus. Nicht wie man es von den Schriftgelehrten kannte. Jesus predigte anders. Und dann heilte er einen Mann von einer bösen Geisteskrankheit. Nur durch sein Wort, heißt es.
Und nach dem Besuch der Synagoge ging Jesus mit Simon in dessen Haus. Dort lag Simons Schwiegermutter zu Bett mit hohem Fieber. Und Jesus heilte auch sie. Nur durch Berührung. Auf wunderbare Weise. Ja, Jesus konnte Wunder tun. Mit einer besonderen Vollmacht, die ihm von Gott gegeben war. Einer Vollmacht, die ihn vor allen anderen Menschen auszeichnete.
Wir tun uns heute mit unserer aufgeklärten Vernunft oft schwer mit den Wundern Jesu. Was ist damals wohl wirklich passiert? Hat Jesus tatsächlich Wunder getan? Oder wurden sie ihm später von seinen Verehrern nur angedichtet?
Liebe Gemeinde, ich selbst bin heute überzeugt davon, dass Jesus tatsächlich eine besondere Gabe hatte und damit auch Kranke geheilt hat, damals in Kapernaum und wo immer er unterwegs war. Und es gibt gegenwärtig auch in der theologischen Forschung viele, die sich mit der Wunderfrage beschäftigen und diese Meinung teilen.1 Jesus hat Wunder getan. Das muss nicht heißen, dass er die Naturgesetze außer Kraft gesetzt hat. Die Menschen der Antike dachten noch nicht in diesen Kategorien. Wenn Jesus Wunder tat, so setzte er die Menschen seiner Zeit in Erstaunen, weil etwas geschah, das niemand so erwartet hätte. Was ist denn ein Wunder anderes als etwas, das entgegen aller Erwartung eintritt, und ich erkenne dabei: „Das hat Gott getan!“?
Solche Wunder geschehen heute noch: Ereignisse, Entwicklungen, die ganz anders eintreten, als wir dachten. Und die Furcht vor dem zu Erwartenden wandelt sich in Staunen und Freude. Und dann erkennt man: Das hat Gott getan!
Wenn Jesus Kranke geheilt hat, so haben die Menschen damals genau dies erkannt: Das hat Gott getan! Gott selbst hat diesem Jesus von Nazareth dazu die Kraft und Vollmacht gegeben. Ihm in besonderer Weise. Jesus – wahrer Gott. In den Wundern wird dies deutlich.
Damals in Kapernaum haben sich Jesu Wundertaten an jenem Sabbattag natürlich schnell herumgesprochen. Wie ein Lauffeuer ging es durch die kleine Stadt. Und am Abend, als nach Sonnenuntergang die streng beachtete Sabbatruhe vorbei war, da strömen die Menschen in Scharen zum Haus des Simon Petrus, um Jesus zu sehen. Jede Menge Kranke kommen oder werden herbeigetragen, damit Jesus auch sie heilt. Die „ganze Stadt“ ist vor der Haustür versammelt, wird uns erzählt. Viele werden an diesem Abend noch gesund.
Und dann wird es Nacht. Man begibt sich zur Ruhe. Auch Jesus hätte Ruhe verdient in dieser Nacht, er besonders. Konnte er sie im Schlaf nicht finden? Ist er darum aufgestanden und an jenen einsamen Ort gegangen? Weil er Abstand brauchte von all dem, was gewesen war? Von dem Ansturm der Menschen, vor dem Anblick der vielen Kranken, vor dem Anblick des Leids? Weil er Abstand brauchte von den Forderungen, den Bitten der Menschenmassen? Jesus, wenn es so gewesen ist: Wie gut kann ich dich verstehen! Auch ich kenne das: Wenn alles ganz dick kommt, wenn alles zuviel wird und zu bunt und zu laut, dann möchte ich raus, raus in die Einsamkeit und ganz allein sein, allein nur mit mir und mit Gott. Jesus, ging es dir so? Dann wärest du mir so nah in deiner Suche nach Ruhe und Stille. Jesus – wahrer Mensch.
Doch ich glaube, dass da noch etwas anderes war, was Jesus damals hinausgetrieben hat vor die Stadt: Jesus suchte in der Stille das Gespräch mit Gott, weil er einen Rat brauchte. Ich stelle mir vor: Jesus war in jener Nacht in einen inneren Zwiespalt geraten und fand vielleicht deshalb keine Ruhe. Was war passiert? Der Evangelist Markus berichtet: Die ganze Stadt stand vor dem Haus des Petrus. Alle Kranken waren gekommen. Und dann heißt es: Vielen konnte Jesus helfen. Vielen, aber nicht allen. Das war an einem Abend nicht zu schaffen.
Und jetzt? Wie sollte es weitergehen? Sollte Jesus in Kapernaum bleiben und dort auch noch die Übrigen heilen? Dann stünden sie morgen wieder vor der Tür und übermorgen auch. Und immer wieder stünde jemand vor der Tür, Tag für Tag, Abend für Abend. Krankheit und Leid gehen nun mal nie zu Ende. Auch in einer kleinen Stadt wie Kapernaum nicht. Oder war es besser aufzubrechen und auch in anderen Dörfern das Evangelium zu predigen und Wunder zu tun? War seine Botschaft vom Anbruch des Heils nicht für alle Menschen bestimmt? „Vater, was soll ich tun? Und wohin soll ich gehen?“ Das könnte Jesus Gott gefragt haben.
Und auch das, Jesus, kenne ich von mir. Die innere Zerrissenheit vor Entscheidungen, das Abwägen von Möglichkeiten, und jede Möglichkeit ist keine wirkliche Lösung. Auch das kenne ich von mir: dass ich Angefangenes abbrechen muss, dass mein Leben und meine Arbeit nur Stückwerk sind. Wie oft bin ich unzufrieden, ja unglücklich mit dem, was nicht fertig wurde in meinem Leben, mit dem, was ich nicht geschafft habe und doch tun wollte! Jesus – wahrer Mensch.
Ich sehe in diesem unzufriedenen, Rat suchenden Mann aus Nazareth aber noch mehr als den Menschen Jesus. In dieser kleinen Szene in der Nacht draußen vor Kapernaum lässt uns Jesus hineinschauen in seine innersten Gefühle und sein Wesen. Was war denn der Grund für seinen inneren Zwiespalt, für seine Frage „Wohin soll ich gehen, Vater?“? Nichts anderes als Mitleid, als Erbarmen hat ihn doch in dieser Nacht hinausgetrieben. Mitleid mit den Kranken und Leidenden, die er nicht alle heilen konnte. In der Bibel begegnet uns dieses Mitleid bei Jesus in vielen Erzählungen.
Und in diesem tiefen Erbarmen ist Jesus für mich – vielleicht mehr noch als in seinen Wundern – das Ebenbild des Vaters. Jesus – wahrer Gott. In den Wundern erkennen wir Gott als den, der das Heil der Menschen will. In Jesu Erbarmen erkennen wir, dass Gott selbst sich auf die Seite der Leidenden stellt: Er teilt ihre Schmerzen, er bangt mit ihnen, er weint mit ihnen.
Wenn wir über das Leiden in unserer Welt nachdenken, stellt sich uns immer wieder die Frage: „Wie kann Gott all das zulassen, wo er doch ein Gott der Liebe ist und allmächtig?“ Es gibt keine zufriedenstellende Antwort darauf. Ich habe auch keine. Aber eines hat uns Jesus gezeigt: Gott will das Leid der Welt nicht, sondern auch er leidet an der Welt. Und hat sich selbst ins tiefste Leid hineinbegeben, als er sich in Christus ans Kreuz schlagen ließ. Jesus – wahrer Gott. In Jesus Christus hat Gott selbst das Leiden der Welt auf sich genommen. So viel Erbarmen hat Gott.
Jesus – wahrer Mensch und wahrer Gott. Damals, im fünften Jahrhundert, haben die Theologen um eine grundlegende Wahrheit gestritten. Gut so. Die Bibel gibt ihnen, meine ich, Recht. In Christus können wir beides: Gott erkennen und auch uns selbst. Und beides kann uns trösten und helfen, unser Leben zu bestehen. Amen.

Verfasserin: Vikarin Inghild Klodt, Hochstr. 16, 55128 Mainz

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